31. August 2012

Donauspital (Nikolaus Geyrhalter) 8,10



Bilder wie aus einem Sci-Fi-Film: Eine kleine Armada von Transportwägelchen fährt ohne menschliche Unterstützung durch Gänge - ein Anblick, der für den unbedarften Betrachter (trotz besseren Wissens) vielleicht noch futuristisch anmutet, ist längst Alltag in einem großen Wiener Krankenhaus. 

Auf den ersten Blick kann man ohne es zu wissen erkennen, dass dies ein Film von Nikolaus Geyrhalter ist. Die statische Kamera, der kühl konzentrierte Blick auf das Geschehen ist längst unverkennbares Stilmittel des Dokumentaristen (Unser täglich Brot). In Donauspital wechseln sich banal-langweilige Szenerien mit geradezu beklemmenden (diverse Operationen mit „Live-Bildern“ aus dem Körperinneren) ab. 

Der Film wird vor allem in seiner Summe zum Erlebnis, macht er doch dadurch ein gigantisches System spür- und in Ansätzen begreifbar – zusätzlich erfreuen die unterhaltsamen (oder auch berührenden) Qualitäten einzelner Tableaus: man kann sich etwa angenehm mit Bildern aus der Augenchirurgie gruseln oder wird beim Blick auf die engagierten SeelsorgerInnen des Krankenhauses zum Schmunzeln gebracht. Der Blick auf das Sterben und den nüchternen Umgang mit dem toten Körper ist in einem derartigen Film fast schon obligat. Donauspital ist in der Konzentration auf ein abgeschlossenes System wieder wesentlich besser gelungen als Geyrhalters voriger Blick auf das Abendland.

28. August 2012

Super (James Gunn) 8,26




Der lockere Punkrock im liebevollen Vorspann gibt schon die Richtung vor: dieser Film fühlt sich nach den 90ern an – eine liebevoll-kreativ-maßlose Verbindung aus Nerd-Humor und krasser Gewalt, und dazu noch Kevin Bacon als Fiesling (wenn auch mit sehr wenig Screentime)!

Der neurotisch-psychopathisch getriebene Kampf gegen das Verbrechen fällt nicht ganz so kunstvoll wie Kick-Ass, dafür enorm unterhaltsam, ziemlich böse und herrlich abgefahren aus. Ellen Page wirkt als Psychopathin etwas übertrieben, lustig ist sie aber dennoch.

Der selbstjustiziöse Gewalttick des Helden mit fraglichem "Identifikationspotential" scheint etwas unreflektiert, und der traumatische Unterboden etwas unterentwickelt, andererseits ist der Film (im positiven Sinn) so panne, dass das nicht wirklich stört.

27. August 2012

The Artist (Michel Hazanivicius) 6,30



Ah ja, da war ja noch was...

Vor knapp fünf Monaten gesehen und damals keine Notizen gemacht. Vielleicht zeigt auch das, wie egal der oscargekrönte Film eigentlich ist. Natürlich sehr nett und charmant gemacht, aber im Vergleich zu zahlreichen Stummfilmklassikern oder auch ähnlichen, an der Kippe des Stumm- zum Tonfilms angesiedelten Stoffen wie Singin in the rain oder Sunset Boulevard viel zu harmlos, und vor allem auf Dauer immer belangloser. Ein paar nette Szenen sind vage im Gedächtnis geblieben, aber eben auch das Gefühl im Kino zu sitzen und kaum berührt, gefordert oder unterhalten zu werden. In gewisser Weise ist The Artist bei aller Detailfreude und gekonnter Umsetzung verwandt mit Refns Drive: man wundert sich, warum so viele Menschen davon so geflasht (oder einfach nur seicht befriedigt?) wurden.

20. August 2012

Haru tono tabi (Masahiro Kobayashi) 8,23



Harus Reise: Ein schöner Taschentuchfilm, mit leiser, melancholischer (Klavier-)musik begleitet und in der Tradition eines klassischen japanischen Kinos sehr ruhig inszeniert. 

Ein Mädchen und ihr Großvater auf einer kleinen Odyssee. Weil sie keine Arbeit mehr im Dorf bekommen kann und in die Stadt ziehen soll, will er bei einem seiner Geschwister unterkommen um ihr ein eigenständiges Leben zu ermöglichen. Doch die Familienverhältnisse sind von früheren Zwisten durchzogen, der Umgang der Älteren konfliktbeladen; umso schweriger gestaltet sich das Unterfangen… 

Es geht um Unterstützung und Zerwürfnisse in der Familie, um einsame Seelen, die versuchen Halt zu finden und zu geben. Gegen Ende wendet sich der Fokus vom Schicksal des Großvaters auf jenes von Haru selbst…

Die bewegendsten Momente im Film sind dabei jene, in denen die Schauspieler durch ihr minimalistisches, aber großartiges Spiel Tiefe und Seelenleiden spürbar machen. Kobayashi inszeniert viel „massenfreundlicher“ als im radikal-repetitiven "The Rebirth"; eher werden da Erinnerungen an Miyazakis ruhige Filme (wie Totoro) oder Arrietty wach. Ein ruhiges, leise bewegendes Drama, formal nichts Besonderes, aber wie man so sagt, zeitlos schön.

18. August 2012

Shotgun Stories (Jeff Nichols) 8,23





Der Stil des Films, eine Art Poesie des Schäbigen (inklusiver lässiger White Trash-Figuren), erinnert an Kollegen des aktuellen amerikanischen Indie-Kinos wie Kelly Reichhardt und Debra Granik; inhaltlich thematisiert Nichols etwas, das es schon oft im Kino zu sehen gab: eine Spirale der Gewalt. 

Er legt das auf eher simple, dafür archaische Weise an, im Gegensatz zu etwas komplexeren aber dadurch vielleicht auch etwas verkünstelten Werken wie Ajami oder Haevnen; doch die direktere, teilweise etwas eintönige Variante ist nicht minder spannend; auch weil Nichols geschickt montiert und z.B. bei den Gewaltausbrüchen stets früh wegblendet.

Gegen Ende scheint es keinen Ausweg mehr zu geben, doch es kommt zum Glück einmal anders. Die Botschaft ist wunderbar: es braucht einfach den Mut, Stop zu sagen und ehrlich aufzutreten. Nicht immer muß auf die Aktion, die Reaktion, dann die nächste und so weiter und so fort folgen. Natürlich kann das nicht immer funktionieren, aber es ist es allemal wert probiert zu werden, so die These des Films. Und wenn es auch nur der nächsten Generation in einer "Blutfehde" dienen kann. 

Die schöne Schlusseinstellung mit den beiden biertrinkenden Brüdern und dem Sohn auf der Veranda lässt das Ende der Geschichte (why Stories?) im Prinzip offen, doch es spricht eine deutliche Sprache: Ende des Konflikts, ein friedliches Existieren ist möglich. Es ist die Einfachheit, die dem Plädoyer des späteren Take Shelter-Regisseurs Universalität verleiht – ein Film, den man so gesehen rund um die Welt zeigen könnte und müsste. Vermutlich ist Nichols nicht der Erste, dem das einfällt, schön ist es dennoch. 

Spannend wäre es nun, zum Vergleich noch einmal Walter Salles thematisch ähnlichen „Hinter der Sonne“ anzusehen – auch diese Erinnerung ist leider schon völlig verblasst.

13. August 2012

Kurzfilme, gesehen in Museen


Incidents (Igor & Svetlana Kopystiansky, 1997) 8,30 

Wie dieser magische American Beauty-Moment mit dem durch den Wind treibenden Plastiksackerl, nur in (15 min) lang. Gut möglich, dass irgendjemand aus dem AB-Team während der Produktionszeit dieses Video in einer Ausstellung in New York gesehen hat, zeitlich würde es passen. Müllpoesie in purer, magischer Form. 


Natural History (Christian Gonzenbach, 2005) 8,25 

Gurken wuseln durch ein Museum und schauen sich in Vitrinen eingelegte Gurken an – eine sehr witzige Idee mit intelligentem Grundgedanken. Dazwischen immer wieder mit Brummen unterlegt eine eingelegte Gurke in Großaufnahme – wie ein im All dahin treibendes Raumschiff… 


The Lake (Peter Land, 1999) 7,30 

Ein Jäger geht durch den Wald (begleitet von Vogelzwitschern und Beethoven). Dann kommt er an einen See, steigt ins Boot, setzt seine Flinte an – richtet sie auf das Boot und schießt. Dann setzt er sich seelenruhig hin und das Boot sinkt – bis nur noch der auf dem Wasser treibende Jägershut zu sehen ist. Danach der menschenleere Wald. Skurrile Dekonstruktion menschlicher Verhaltensmuster (oder so ähnlich) stand in der Museumsbeschreibung dieses köstlich ironischen Kurzfilms.. 


Murder Psalm (Stan Brakhage, 1980) 8,95 

Absolute Experimental-kunst-wahnsinns-magie von Stan Brakhage. In irrwitzigem Tempo eine Mischung aus den typischen bemalten Filmstreifen, bis zur Unkenntlichkeit (über-? unter-?)belichtetes Filmmaterial, das das Auge immer wieder fordert. Das Gehirn sowieso. Immer wieder ein Wissenschafter, der Regionen des Gehirns zeigt und dann geht das Bombardement der Wahrnehmungsfähigkeit wieder los. Inhaltlich geht es irgendwie um Mord, oder um Krieg; da etwas zu entschlüsseln, dürfte auch bei mehrmaligem Ansehen schwer sein. Doch faszinierend ist es enorm. Leider nur einen Tick zu lang – irgendwann kann das Gehirn nicht mehr folgen, die Aufmerksamkeit lässt nach. Um was ging es nun? Egal. 


Take the 5:10 to Dreamland (Bruce Conner, 1976) 8,30 

Vor ein paar Jahren schon mal gesehen, damals verzaubert gewesen. Eine Folge von traum-ähnlichen Bildern mit einigen wunderschönen Momenten, die beim Wiedersehen ein bisschen vom Zauber des ersten Mals verloren hat.


Report (Bruce Conner, 1967) 8,90 

Das Attentat auf Präsident Kennedy und seine Schockwirkung auf die amerikanische Seele. Conner interpretiert das, indem er den Live Audio Kommentar mit Archivbildern koppelt und – im besten Moment – die Bilder zu einem Stroboskopflimmern werden lässt, während der sich fast überschlagende Kommentator weiter berichtet. Die Leinwand bebt und wird zu einem lebendigen Bombardement der visuellen Wahrnehmung; man ist schon richtig benebelt, während man weiter dem Bericht lauscht…

Danach geht es mit nicht mehr ganz so heftigen Bild-Experimenten weiter, ganz am Ende gibt es Bilder aus Lebzeiten Kennedys, die an diesen beliebten Präsidenten erinnern, während die Tonspur weiter vom Attentat berichtet. 

Conners Film ist ein enorm spannendes, aufregendes Nachdenken über einen nationalen, kollektiven Schock und ein famoses Experiment der abweichenden und doch verwandten Ton- und Bildspuren. Und zudem auch ein Nachdenken darüber, wie man so ein unfassbares Jahrhundertereignis bebildern kann… 


Ten second film (Bruce Conner, 1965) 3,80 

Ein Countdown und ein paar Bilder, die jeweils eine zehntel Sekunde irgendwas zeigen (z.B. ein Auto). Man kann zwar erahnen, was Conner damit ausdrücken wollte (Grenzen der Kunst zeigen und vielleicht auch ironisieren), und irgendwie ist die Idee ganz nett, gleichzeitig aber so beliebig, dass sie trotz des deutlichen „Kunst“ Rufens eher nicht erwähnenswert ist. 


Cotillion (Joseph Cornell & Lawrence Jordan, 1968) 2,90 

Bildmaterial von Babys, die Grimassen schneiden oder irgendwas “lustiges” machen, teilweise angehalten, um einen folgenden Witz-Effekt zu ermöglichen. Also fast wie ein Avantgarde-Vorgänger der unsäglichen „Pleiten, Pech und Pannen Shows“. Danach dann plötzlich Zirkusaufnahmen. Dauert ca. eine viertel Stunde und erfüllt anscheinend irgendeinen (musealen) Kunstanspruch. Unglaublich unspannend. 


Perfect Film (Ken Jacobs, 1986) 8,10 

Malcolm X wurde erschossen, ein Augenzeuge spricht vor der Kamera. Dahinter Schaulustige. Während für die schwarze Community und ganz Amerika etwas Schreckliches passiert ist, sieht man u.a. wie die Leute in die Kamera grinsen, weil das "on camera" sein für sie (vermutlich) etwas Besonderes ist. (Ja, früher war das noch etwas Besonderes sein Gesicht in eine Kamera zu halten). Einer springt sogar immer wieder ganz hinten hoch um doch ja von der Kamera erfasst zu werden (ähnliches kennt man aus Fussball-Interviews nach einem Spiel). Während wir vorne den jungen Mann vom Attentat berichten hören, ganz sachlich. Diese Anfangsszene ist die beste von Jacobs Film. Danach gibt es andere Interviews und somit ein interessantes Zeitdokument zu sehen; wenig experimentell, eher sehr sachlich montiert. Irritierend an dem Film ist der Titel eigentlich schon. 

11. August 2012

Adam Simon, Thomas Alfredson, Milos Forman


Brain Dead (1990) 6,90 

Kurioser Hirnwichs äh -forschthriller mit B-Film Atmosphäre. Alleine Pullman und Paxton (als schmieriger Rivale) machen es schwer, den Film für voll zu nehmen. Doch das muß auch gar nicht sein; in typischer Paranoiamanier geht es wild dahin, mit "weird science"-Thematik. Der Film schlägt Haken und Wendungen am laufenden Band und gefällt mit einigen köstlichen Traumszenen. 


Låt den rätte komma in (2008) 8,44 
Ehemalige Kino-Wertung 9,30 

Diese "Abwertung" ist ein wenig mit Vorsicht zu genießen weil ich diesen schönen, damals im Kino heißgeliebten Film für die Einweihung des neuen LED Fernsehers gewählt und leider noch mit Unwissen über “Soap Effekt” und schlechte Einstellungen gesehen hatte, dennoch: beim zweiten Mal kann man schon auch spüren, dass die fantastische Magie der Erstsichtung den im Grunde genommen eher flachen Inhalt stark überstrahlte. Mega-Wertung nach dem Wiedersehen also nicht mehr ganz vertretbar, wunderschön ist die ruhige Kindervampirromanze aber immer noch.
 
  
Man on the moon (1999) 8,98 

Auch zum zweiten Mal gesehen, aber immer noch so wunderbar wie vor ein paar Jahren: Jim Carrey als Andy Kaufman kann kein soapiges LED Bild der Welt etwas anhaben. Auch wenn nüchtern betrachtet der Film nicht mehr als eine übliche, vielleicht sogar manchmal etwas (zu) oberflächliche Bio ist, hier ist der Inhalt die Bombe. Kaufmans exzentrische, subversive, verstörende, ungewohnte Art ist genial. Und berührend tragisch. Der Schluss geht leider sehr schnell - das alles hätte gerne noch eine Stunde länger dauern können.

2. August 2012

Tinker Tailor Soldier Spy (Thomas Alfredson) 7,55



Spionagefilme sind generell nicht mein Lieblingsgenre (daher kenne ich auch andere Verfilmungen des Stoffs nicht), doch Alfredson hat mich nach einiger Zeit „bekommen“. Seine Inszenierung (die eine formidable, detailversessene Ausstattung beinhaltet) ist genial, die vielen kleinen "Manöver" erzeugen in Summe Qualität. Leider zieht es sich gegen Ende dann schon, von einer Spannungsschraube, in einem Film dieses Genres an und für sich wohl nicht das Schlechteste, kann nicht die Rede sein. Doch die finale Montage zeigt stellvertretend die feine Qualität des ruhigen Dramas: begleitet von Tränen wird der Kollege in Zeitlupe erschossen, spätestens jetzt wird der Film ins Herz geschlossen. 

Es gibt einige schöne Szenen in den zwei Stunden: Die paar kurz aber gezielt eingesetzten drastischen (Fliegen im Hals, Därme in der Badewanne, Frau wird erschossen) sind toll, ebenso solche Szenen wie die Beobachtung des Seitensprung-Vögelns inklusive interruptus der Frau. 

Alfredson hat nach Let the right one in schon wieder etwas sehr Elegantes geschaffen - wie das auf anderen Ebenen zu verorten ist, gibt es z.B. bei Sieben Berge zu lesen. Für mich kein Film, über den ich viel nachdenken oder philosophieren möchte, denn es ist ja „nur eine Agentengeschichte“, aber dennoch ein insgesamt hochsympathisches, unterm Strich trotz Spannungsarmut gegen Ende  feines Werk.