4. April 2014

Moebius (Kim Ki-Duk) 7,1



Mit Pietà war ich als durchaus Kim-affiner zuletzt weniger glücklich...trotz wie immer beeindruckender Elemente war mir die Seelenpein dort schon ein bisschen zu übertrieben dargestellt.

Moebius hat eine ganz große Stärke - das schräge Familien/Sex-Drama kommt komplett ohne Worte aus, und hierin zeigt sich Kim als ein Meister der Inszenierung. In einer Kritik habe ich gelesen, dass der Film in erster Linie als humorvoll aufgefasst wurde, und vielleicht stimmt das auch, vielleicht inszeniert Kim mittlerweile seine immer wüsteren Geschichten mit einem ordentlichen Augenzwinkern - doch wie Moebius inszeniert und gespielt ist, lässt einen gut in die Abgründe hineinsinken, und die Thematik rund um den Verlust des Penis und die daran geknüpfte Suche nach sinnlichem Erleben ist faszinierend ausgedacht.

Zumindest eine gute Stunde lang - dann spürt man langsam, dass da jetzt noch alles nach Plan fertig erzählt werden soll, und damit wirds fad. 

Kims frühere Filme empfand ich als deutlich radikaler, obwohl man es wahrscheinlich umgekehrt sehen könnte - möglicherweise ein Gewöhnungseffekt an das Kino eines einst unglaublich aufregenden Regisseurs, der mittlerweile sowas wie (buddhistisch-)kurzweilige Leid-sploitation-Fließware zu drehen scheint - mal sehen, was noch kommt.

6. Februar 2014

All is lost (J.C. Chandor) 8,5




Schiffbruch, diesmal ohne Tiger. Nach dem feinen Großensemblefilm Margin Call dreht sich Regiehoffnung Chandor um 180 Grad und dreht einen zweistündigen Film über einen Mann auf einem kaputten Segelboot. Es gibt keine Rückblenden, keine Visionen, es ist möglicherweise die konsequenteste, reduzierteste One Man Show der Filmgeschichte (zum Vergleich sei übrigens der völlig unterschiedliche, aber ebenfalls famose Überlebensfilm 127 Hours von Danny Boyle nochmal empfohlen!).

Die “quasi-dokumentarische” und doch filmisch ungemein elegante Regie paart sich perfekt mit der stoischen Art von Redford, der, wie ich nach dem Film recherchiert habe, eh nie wirklich weg war, jedoch gefühlt das erste Mal seit Ewigkeiten wieder in etwas Aufregendem im Kino zu sehen ist. “All is lost” gelingt das Kunststück zwei Stunden lang ohne Überdramatisierung (wie zuletzt im eh auch superen Gravity) und lakonisch von einem schier aussichtslosen Überlebenskampf zu erzählen (inklusive sehr netten Einfällen zu möglicher Rettung und dem Fischfang) – der Schwenk auf die erste sich anbahnende Gewitterfront etwa ist herrlich trocken.

Ein Film, bei dem man sowohl mit our man mitfiebern kann, oder aber auch darauf hoffen, dass er seinem Titel und seinem Konzept bis zum Ende treu bleibt – wie Chandor dieses Dilemma löst, ist ein stilvoller Schlusspunkt eines wie aus aller Zeit gefallenen “Abenteuerfilms”. Die Spannung auf das nächste Chandor-Werk ist groß.

20. Januar 2014

Das Filmjahr 2013

Die fast unter Null gefallene Aktivität in diesem Blog hat nichts mit einer gesunkenen Filmleidenschaft zu tun, sondern mit einigen anderen, schönen, Lebensumständen (allen voran der kleine Kasperl, der seit 8 Monaten zuhause herumliegt- und jetzt auch turnt; aber auch Schach, Arbeit und eine gewisse Müdigkeit überhaupt Dinge zu notieren oder gar zu veröffentlichen).

Dennoch liebe ich das Kino wie eh und je, und stürze mich sehr gerne in das aktuelle Filmgeschehen (was leider auch die vielen Schätze aus der Vergangenheit viel zu kurz kommen lässt).

Ca. 110 Werke aus dem aktuellen Jahrgang (Kino, Heimkino, TV und Viennale) habe ich mir angesehen, und dabei versucht, alles mitzunehmen, was FilmemacherInnen, denen ich sozusagen 'folge' betrifft, aber auch alles, was Filmfreunde in meinem Umkreis oder diverse Festivaljuries begeistert hat. Wirklich ALLES zu sehen, ist nach wie vor utopisch (so habe ich es z.B. bei der Viennale wieder nicht zu Lav Diaz geschafft - hat hauptsächlich jedoch mit meiner Wirbelsäule zu tun; und den neuen Film von Tsai Ming-Liang habe ich tatsächlich verschlafen!), aber es ist mir doch gelungen, alles, was mir relevant schien (und was veröffentlicht wurde) zu sehen.

Dabei kam es im Zuge eines wahren Marathons in den letzten beiden Monaten aber auch zu dem einen oder anderen Abbruch, siehe unten.


Dass es dabei Sinn macht, sich nicht ausschließlich auf das zu konzentrieren, was "ins Kino kommt" (einschließlich der kleinen Programmkinos!), sondern auch am Heimkinomarkt nach spannenden Werken Auuschau zu halten, zeigt, dass 3 Filme meiner Top 10, und immerhin noch 6 aus 29 nicht mal hier in Wien gelaufen sind...in anderen Regionen sähe diese Bilanz natürlich noch viel finsterer aus.


Hier nun alle meine persönlichen Filmhighlights des Jahres 2013, jeweils mit kurzem Text. Könnte sein, dass zu den einzelnen Filmen gar keine eigenen Einträge mehr folgen..das wird sich noch zeigen.


1. L'image manquante/The Missing Picture/Das fehlende Bild (Rithy Panh)
“Sometimes, silence is a scream”, das direkte Zitat beschreibt diesen unglaublichen Film am besten. Panh macht seit vielen Jahren verschiedene Filme über das Regime der Roten Khmer in Kambodscha, dessen Greuel er als Kind überlebte; mit diesem hier ist ihm ein Werk von universaler Größe gelungen, das mich umgehauen hat wie die Wellen, die manchmal direkt auf die Kamera einschlagen – der Rest dieser sensiblen Aufbereitung eines Genozids ist von so einer sanften Klarheit, wie ich sie in der Form noch nie erlebt habe. Besonders schön ist übrigens die Stimme des Erzählers (im französischen Original). 10/10


2. Csak a szél/Just the Wind (Bence Fliegauf)
Ein “sozial-authentisches” Werk, dessen beklemmende Kraft sich erst mit der Zeit immer mehr erschließt – ein Tag im Leben einer Roma-Familie, in einem lebensfeindlichen, rassistisch-aggressiven Umfeld. Ein fiebriger Film, aus dem die Poesie eines Lebensentwurfes ebenso sprechen wie Trauer, Wut und Angst. 9,1


3. Ernest et Célestine (Stéphane Aubier, Vincent Patar & Benjamin Renner)
Kleines Trickfilmwunder nach französischen Kinderbüchern, u.a. von den Machern des irren Gewusels “Panique au village”. Hier finden sie in der Ruhe die Kraft – und dennoch ist diese Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft schräg und die Settings von eher düsterem Charme – ein verschmitzt liebevolles Vergnügen. 9,0


4. Poziția copilului/Child's Pose/"Mutter und Sohn" (Calin Peter Netzer)
Verdienter Berlinale-Sieger, ein weiterer exzellenter Vertreter der großartigen neuen rumänischen Welle rauer Sozialdramen ("4 Monate 3 Wochen 2 Tage"; "Police, adjective"). Seine enorme Kraft entwickelt der Film in den allerletzten Minuten – Intensität einer Abbitte, wie ich sie so erdrückend noch nie gesehen habe. 8,9


5. Sickfuckpeople (Juri Rechinsky)
Vielleicht die größte Überraschung – eine Doku, die in der ersten Viertelstunde nicht weniger als die Hölle auf Erden abzubilden versucht. Jugendliche Wohnungslose Drogensüchtige, die im ukrainischen Winter in einem dreckigen Kellerloch hausen und sich Heroin(?) spritzen. Zum Glück öffnet sich der Film danach etwas, und lässt den Zuschauer ein bisschen atmen – es bleibt jedoch ein höchst unangenehmes, völlig ungeschöntes, nicht wertendes Bild von 'dahinvegetierenden' sozialen Außenseitern. 8,9


6. The Impossible (Juan Antonio Bayona)
Ein Hollywood Drama über die Tsunami-Katastrophe..der Film wurde auch kritisiert, jedoch haben mich diese Kritikpunkte nicht überzeugt – im Kinosaal hat es mich eh so mitgerissen, dass am Ende alle Barrieren brachen. Ein wuchtiges emotionales Drama, das natürlich etwas nahe am Kitsch, aber vielleicht gerade deshalb so berührend ist. 8,8


7. The Master (Paul Thomas Anderson)
Vielleicht der am schwierigsten zugängliche Film des großen PTA – und keiner, den man leicht ins Herz schließen kann, der einen wenig zu Jubelstürmen veranlasst. Jedoch einer, dessen Regie, Kamera und Schauspiel von Anfang bis Ende Phänomenales liefern, und dessen Drama der Abgründe trotz aller Sperrigkeit (und wie es manche wohl Bemühtheit nennen) nachwirkt. 8,8


8. Wuthering Heights (Andrea Arnold)
Unabhängig von der berühmten Vorlage und deren zig Verfilmungen (kenne weder das eine noch die anderen), ein fantastischer Film – Arnold, die nach 2 rauen Filmen aus der Gegenwart auch das historische Setting perfekt nutzt, zählt zu den aufregendsten Filmemacherinnen dieser Tage. Die Kamera ist so nah dran an allem, den Stimmungen, dem Wind, den Haaren, der Leidenschaft. Die erste Hälfte des Films ist mega. Danach flaut es etwas ab (und dabei wurde noch nicht mal der ganze Roman verfilmt); reicht dennoch für ein absolutes Highlight. 8,75


9. Before Midnight (Richard Linklater)
Unterschied zu Platz 8: hier ist die erste Hälfte des Films die magere. Nach dem grandiosen zweiten Teil dachte ich nicht, dass noch viel kommen kann, und man muß manch seichte Gespräche erstmal aussitzen, bevor es dann zu einem dermaßen intensiven Redegefecht kommt, das sowohl großen Spaß macht, aber auch jedem Menschen in einer Liebesbeziehung ein bisschen Angst machen kann – auch wenn vieles an den “Künstler-Charakteren” überdreht ist, steckt da sehr viel an Bitterkeit und Lebensweisheit drin. 8,75


10. Laurence anyways (Xavier Dolan)
Das Wunderkind Dolan hatte ja mit “I killed my mother” ein furioses Emotionsdrama vorgelegt, der Nachfolger “Les amours imaginaires” war sehr kurzweiliges, buntes, überdrehtes Kino ohne viel Tiefgang. Etwas überraschend nun ein fast dreistündiges, visuell völlig anderes als seine beiden Vorgänger, total zurückgefahrenes Werk über einen Mann, der zur Frau wird. Mit aller Schrillheit, die schwule und queere Szenen oft mitbringen, überzeugt der Film trotzdem als sehr geerdete Studie einer Liebe. 8,7

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11. Man of Steel (Zack Snyder) – Gewaltiges Zerstörungskino! Viele bemängeln gerade dies, ich fand es hervorragend, vielleicht auch weil mir Superman als Charakter/Comic eh völlig hinten vorbeigeht.

12. Revision (Philip Scheffner) – sehr sperrige Konzeptdoku über die Frage, ob zwei Roma in der deutschen Provinz wirklich “unglücklich” erschossen(!) wurden; keine einfache Übung dranzubleiben (und genau das müsste man dem Regisseur ja ankreiden), aber eine enorm bedeutsame Spurensuche.

13. Gravity (Alfonso Cuaron) – Rein sinnesbezogen der Film des Jahres – was für ein Erlebnis im IMAX..die Schwächen sind eh bekannt, wenn auch für mich nicht so gravier-end.

14. Prisoners (Denis Villeneuve) – auch eine der größten Überraschungen; endlich mal wieder ein im klassischen Sinne spannender, englischsprachiger Thriller (und mehr noch eine ziemliche Seelenqualtour), der mich von Beginn an zu fesseln vermochte.

15. "Modest Reception" (Mani Haghighi) – vielleicht der vielschichtigste Film des Jahres, eine Mischung aus Satire und bitterem Drama aus dem Iran, die stets ziemlich undurchschaubar bleibt...

16. Michael Kohlhaas (Arnaud des Pallières) – geniale Inszenierung einer rauen Zeit, ähnlich wie Wuthering Heights, aber mit einem etwas klassischerem Verständnis von Stil und Erotik. Eine Blaupause für einen perfekten “alternativen Historien-Blockbuster”.

17. Ginger & Rosa (Sally Potter) – schöner, weiblicher Coming of Age Film mit bezaubernd trotziger Hauptdarstellerin

18. Blue Jasmine (Woody Allen) – Ein Woody Allen, der lange etwas belanglos wirkt, dessen Konzept rund um den Abstieg von Jasmine/Blanchett mich aber dann doch sehr überzeugt hat.

19. To the Wonder (Terrence Malick) – noch besser als "Tree of Life", weil noch soghafter, und ohne das ziemlich blöde Himmel-Zeug. Ein Wunderwerk der fließenden Kamera und beeindruckenden Bilder, jedoch auf Dauer dann doch ein bisserl zu redundant um ganz vorne dabei zu sein.

20. Spring Breakers (Harmony Korine) – Ich liebe Korine, für Spring Breakers fast so viel wie für  den noch radikaleren "Trash Humpers". Und dennoch muß man sagen (weil eigentlich eh alle, die Geschmack haben, ihn lieben), die ganz große Bedeutung der Räuberpistole und der teils enorm hohe Stellenwert des Films unter manch lieben Filmfereunden erschließt sich mir, vor allem aufgrund des Schlussteils, nicht.

21. Paradies: Glaube (Ulrich Seidl) – mein liebster Teil aus der insgesamt leider enttäuschenden Trilogie; und das obwohl ich im Vorfeld dachte, dass niemand mehr (aus Österreich) einen Film aus Österreich über die Perversion des Katholizismus braucht. Seidls perfides Spiel mit den Aspekten Christentum/Islam und Machtposition Mann/Frau hebt den Film jedoch auch abseits der oft wieder herrlichen grotesken Elemente auf eine besondere Ebene.

22. Rush (Ron Howard) – jede/r mochte ihn, also habe ich ihn dann doch noch geschaut – und siehe da: rockt wirklich (und alle als Ergänzung unbedingt “Talladega Nights” schauen!).

23. The Heat (Paul Feig) – köstlicher Klamauk und endlich mal wieder ein durchgehend unterhaltsamer (weiblicher) "Buddy-Film", da braucht man nicht viele Worte verlieren.

24. L'exercice de l'état (Pierre Schöller) – könnte eigentlich noch weiter oben stehen, ein sehr anregender, intelligenter, ganz eigener Politthriller.

25. Inside Llewyn Davis (Joel & Ethan Coen) – Fraglich, ob dieser Film auf so eine Liste muß, aber ich mag diese Musik und den damit verbundenen entspannten Stil des Films. Nur der Teil mit John Goodman war witzlos.

26. Meine keine Familie (Paul-Julien Robert) – Persönliche Doku über traumatisierende Kindheitserlebnisse in der vermeintlich “freien” Mühlkommune.

27. Der Papst ist kein Jeansboy (Sobo Swobodnik) – Das Leben des mittlerweile von Schlaganfällen gezeichneten Hermes Phettberg. Ein oft unangenehm intimer, aber auch anregender Film über Schwulenpornos, die schönen Künste und den tristen Alltag eines Unangepassten in Wien – bizarr, wenn der Mann, dessen intimes Porträt man auf der Leinwand sieht, im Kino schräg hinter einem sitzt, und sich dann persönlich von allen verabschiedet, weil er zum Bus muß!

28. Pardé/Closed Curtain (Jafar Panahi) – eigentlich hat Panahi mit seinem fantastischen “dies ist kein Film” schon alles über die grauenvolle Absurdität seines Berufsverbots gesagt, dieser Nachfolger ist jedoch ein weiterer spannender Beitrag in Punkto Kino/Zensur/Regime.

29. Redemption (Miguel Gomes) – "Tabu" von Gomes war ein Kritikerliebling letztes Jahr, den ich leicht überbewertet fand, dieser ca. 40 minütige, hoch kunstvolle (also auch etwas anstrengende) Essay ist tatsächlich etwas Besonderes.



Und sonst?

Viele weitere gute Filme, die ich hier nicht aufzähle, und die man eh in meiner Übersicht nachlesen kann - hier

Die großen Überschätzten des Jahres sind sicher “Django Unchained” (gute Unterhaltung auf hohem Niveau, aber oft wie ein Basterds 2.0, und es bleibt halt postmoderne Gaudi, bei der man achselzuckender als bei so manch anderem Film aus dem Kino geht) und der entsetzlich öde Steriloschmarrn “Only God forgives”.

Sehr enttäuschend waren leider auch Boyles “Trance” (90 Minuten 'B-Movie-Stimmung'), und Ozons blutleerer “Jeune et jolie”. Auch die neuen Filme von Lee Daniels, Kim Ki-Duk, Mia Hansen-Love und Brillante Mendoza waren weniger aufregend als sonst, wenn auch noch okay.

Das Phänomen “Universal Soldier: Day of Reckoning” war immerhin der erste 3D Film, den ich mir am Fernseher zuhause angesehen habe (und der Beginn war tatsächlich eindrucksvoll), aber letztendlich wieder nur das Übliche.

Und dann gab es noch ein paar beliebte Filme, die ich mir nicht zu Ende ansah, weil sie mir zu blöd, zu hohl, zu durchschnittlich erschienen: "Pain & Gain", "La grande bellezza", "Frances Ha" z.B. Bei "Todo todo teros" (Viennale) bin ich sogar zum ersten Mal in meinem Leben aus dem Kino gegangen - es tat zugegeben aufgrund der Belanglosigkeiten auf der Leinwand weniger weh, als ich dachte.

Und von den schlechtesten und nervigsten Werken, die ich bis zum Ende durchhielt, habt Ihr vermutlich zurecht noch nie gehört: "Qvid Tvm" und "Jewels".

Auf ein tolles Filmjahr 2014!

20. Dezember 2013

A Torinói Loi (Béla Tarr) 6,7



Das Turiner Pferd: In diesem, von Koryphäen wie Hoberman, Rosenbaum und co sehr gut bewerteten Film von Béla Tarr spürt man ständig den Willen, klassisches, strenges, düsteres, bedeutendes europäisches Autorenkino zu schaffen wie damals bei Dreyer, Bergman oder Tarkovsky.

Und Tarr ist natürlich einer, der diese Schule sehr gut beherrscht. Sein letzter Film solle dies sein, habe ich vorher gelesen und lange musste man in Wien warten, bis der Film in einem Kinosaal gezeigt wurde (Dank geht hier an die „profil series“-Reihe von Stefan Grissemann, der der Kinolandschaft inklusive sonst so verlässlicher Viennale aushalf, und zumindest eine Vorstellung ermöglichte). So ging ich also auch als jemand, dem weder die "Werckmeisterschen Harmonien" noch The Man from London trotz der großartigen Schwarzweißbilder die Welt bedeuten, sehr gespannt in diese Vorstellung.

Der Film selbst ist von der ersten Sekunde an faszinierend; die edlen Bilder, die Musik, das grandiose Setting: das Pferd, der alte Bauer und die junge Frau in der von düsterer, stürmischer Natur umgebenen Hütte. Einfaches Leben wird hier auf das Minimum heruntergebrochen; jeden Tag gibt es genau eine Kartoffel zu essen, gesprochen wird immerhin sogar etwas, aber es sind nur kurze, knappe Sätze, aus denen längst jede Lebensfreude gewichen, jedes Interesse an Kommunikation erloschen ist.

Selbstverständlich ist so etwas zweieinhalb Stunden lang Anstrengung pur und nur punktuell so etwas wie unterhaltsam. Doch man harrt und blickt, von Tarrs Meisterschaft katalysiert, stets gespannt auf die Leinwand, ähnlich wie es auch die beiden armen Seelen nach dem Essen tun, wenn sie sich ans Fenster setzen und das Schauspiel des apokalyptischen Windes begutachten.

Tarr holt aus seinem reduktionistischen Ansatz Einiges heraus, er wechselt jeden gezeigten Tag die Kameraperspektiven, studiert sein Vater-Tochter-Paar und die Hütte. Und das Pferd. Zwei Besuche bringen etwas Leben in die Bude, und ähnlich wie die armen Menschen den täglichen Kartoffel versucht man so etwas wie Bedeutung zu all diesen kunstvollen Bildern der Tristesse aufzusaugen.

Gegen Ende erlischt dann das Licht; Bela Tarr erklärt im erlebenswerten Q&A danach, der Film sei eine Anti-Genesis (neben allerlei betont eigenbrötlerischem, aber vermutlich ironischem „film is just stupid pictures“ Gebrabbel), was durchaus interessant scheint, wenn man darüber nachdenkt. Irgendwo habe ich nach dem Film gelesen „so lässt man im Kino die Erde untergehen, Lars von Trier“. Tarr findet aber nur teilweise den eindrucksvolleren Zugang, das Ende des auch nicht idealen Melancholia war dann doch unheimlicher und intensiver. Tarr findet ein grenzgenial subtiles Ende für seinen Film, dennoch ist sein Kino enorm anstrengend. In diesem anstrengenden das Geniale für sich zu entdecken rechtfertigt jede Sitzfleisch-Qual; leider habe ich es im Werk von Tarr auch nach dem dritten Film noch nicht entdeckt. Vielleicht macht er aber auch ein eher gestriges Kino, eines das selbst ausstirbt oder schon ausgestorben ist. Die angesprochenen Dreyer, Bergman und Tarkovsky scheinen mir inhaltlich dem eigenwilligen Ungarn jedenfalls doch um das entscheidende Körnchen der zu Geiste und Herzen gehenden Filmphilosophie voraus gewesen zu sein.

26. November 2013

Kill List (Ben Wheatley) 3,8



Okay, der Film schlägt Haken, beginnt als irres Psychodrama, eigentlich bleibt er das auch, alles soweit doch ganz toll. Ton und Bilder künden herrlich unheilvoll Düsteres an...

Auf der anderen Seite sind da zwei ziemlich nervige Protagonisten; schaut man den Film im Original, ist es ohnehin unmöglich mehr als nur 5% vom Genuschel zu verstehen (sehe ich mit "Weekend" und "Kill List" tatsächlich jetzt erst die ersten Mumblecore Filme? und das noch dazu aus England...)

Ist der Film möglicherweise humorvoller als ich es mitbekommen habe?

Kill List strahlt auf seine eigene Weise durchaus Faszination aus, und Wheatley zeigt großartige Ansätze für Kino der höchsten Beunruhigung, doch zum Abschluss wird ein Twist präsentiert, der, selbst wenn nicht einmal von hier (nur ganz Mutige klicken jetzt hier drauf!) geklaut, doch im Gegensatz zu diesem anderen Film völlig nichtssagend bleibt. Während dort nämlich wirklich eine Familie und ein Mensch, ja, ein ganzes Volk völlig zugrunde gerichtet werden, und das Publikum hart mitgenommen wurde, wirkt Kill List immer nur wie ein cleveres, zynisches Spiel. Das auch an und für sich ganz gut funktioniert. Zugleich bleibt es aber völlig leer - ein stark überschätzter Reißer.

15. November 2013

Paradies - Hoffnung (Ulrich Seidl) 5,7



Zum Abschluß geht ein wenig die Puste aus...Hoffnung erschöpft sich in wenigen, wenig originellen Totalen eines Pseudodrills von übergewichtigen Jugendlichen, deren überschaubare komische Wirkung auch in einem Trailer oder besser vielleicht in einem gesamten Paradies Film als Nebenschauplatz gereicht hätte.

Das eigentlich einzige Plus dieses Teils ist die Besinnung auf das ruhige, das antisensationalistische der Geschichte um die junge (schön: in aller pubertären Unsicherheit selbstbewusst gezeichnete) Melanie, die sich in einen mittelalten, leicht entrückten Arzt verliebt...dieser könnte eine sehr interessante Figur sein, wenn er nicht zu vage bliebe...(was andererseits wohl auch Seidls volle Absicht war.)

Reduktion nicht nur auf stilistischer Ebene fällt einem zum Trilogieschluß ein, neben den Mädchen spielen nur zwei Männer und eine Trainerin...die Szenen mit dem drolligen Turnaufseher wirken wie eine halbgare Reminiszenz an Full Metal Jacket. Seidl hat hier sicher das komische Potential und den „tragischen Clown“-Anteil seines Aufsehers erkannt, aber wie ich schon bei Liebe schrieb, ist auch nach dem dritten Film in kurzer Zeit jeglicher Schock, jegliche Brisanz aus Seidls typischen Totalen gewichen...

Sicher ist Hoffnung ein Versuch, einen zärtlichen Blick auf Teenagergefühle zu werfen (und gleichzeitig auch mit Blicken auf und der Abscheu und Vorverurteilung von möglichen „Triebtätern“ zu spielen), aber das hat alles nichts mehr mit der enormen Wucht von Seidls Prä-Paradies Filmen zu tun.

Natürlich ist es fragwürdig, die Meisterwerke eines Filmemachers gegen seine anderen Werke auszuspielen, dennoch muß man auch das etwas manische Aufblasen eines ursprünglichen Films zu dreien skeptisch beleuchten; jedenfalls bleibt bei zwei Drittel der Paradies Trilogie ein fader Geschmack, während immerhin Glaube voll überzeugen konnte.

12. November 2013

Paradies - Glaube (Ulrich Seidl) 8,3





funktioniert als eigenständiger Film wieder deutlich besser als der zuerst angelaufene Liebe und zeigt auch, dass es Seidl immer noch kann; und auch wenn das Thema des Extrem-katholizismus mit Abgründen bereits abgenützt scheint (zumindest in Österreich resp. katholisch geprägten Film-Ländern scheint mir das so), Seidl gelingt, obwohl er eigentlich das macht, was er immer macht, diesmal wieder ein Film von Bedeutung.

Der Dialog oder Kampf der Religionen wird hier schlitzohrig auf die Mann-Frau/Täter-Opfer Ebene transferiert und öfter subtil gebrochen...und, was fast wichtiger ist, der Film ist intensiv gespielt, bietet eine Reihe unvergesslicher Szenen, ist kammerspielartig und in den besten Phasen hoch beklemmend. Man kann es schon vorwegnehmen, Glaube ist der einzige Film aus Seidls Trilogie, der voll überzeugen kann.