26. November 2013

Kill List (Ben Wheatley) 3,8



Okay, der Film schlägt Haken, beginnt als irres Psychodrama, eigentlich bleibt er das auch, alles soweit doch ganz toll. Ton und Bilder künden herrlich unheilvoll Düsteres an...

Auf der anderen Seite sind da zwei ziemlich nervige Protagonisten; schaut man den Film im Original, ist es ohnehin unmöglich mehr als nur 5% vom Genuschel zu verstehen (sehe ich mit "Weekend" und "Kill List" tatsächlich jetzt erst die ersten Mumblecore Filme? und das noch dazu aus England...)

Ist der Film möglicherweise humorvoller als ich es mitbekommen habe?

Kill List strahlt auf seine eigene Weise durchaus Faszination aus, und Wheatley zeigt großartige Ansätze für Kino der höchsten Beunruhigung, doch zum Abschluss wird ein Twist präsentiert, der, selbst wenn nicht einmal von hier (nur ganz Mutige klicken jetzt hier drauf!) geklaut, doch im Gegensatz zu diesem anderen Film völlig nichtssagend bleibt. Während dort nämlich wirklich eine Familie und ein Mensch, ja, ein ganzes Volk völlig zugrunde gerichtet werden, und das Publikum hart mitgenommen wurde, wirkt Kill List immer nur wie ein cleveres, zynisches Spiel. Das auch an und für sich ganz gut funktioniert. Zugleich bleibt es aber völlig leer - ein stark überschätzter Reißer.

15. November 2013

Paradies - Hoffnung (Ulrich Seidl) 5,7



Zum Abschluß geht ein wenig die Puste aus...Hoffnung erschöpft sich in wenigen, wenig originellen Totalen eines Pseudodrills von übergewichtigen Jugendlichen, deren überschaubare komische Wirkung auch in einem Trailer oder besser vielleicht in einem gesamten Paradies Film als Nebenschauplatz gereicht hätte.

Das eigentlich einzige Plus dieses Teils ist die Besinnung auf das ruhige, das antisensationalistische der Geschichte um die junge (schön: in aller pubertären Unsicherheit selbstbewusst gezeichnete) Melanie, die sich in einen mittelalten, leicht entrückten Arzt verliebt...dieser könnte eine sehr interessante Figur sein, wenn er nicht zu vage bliebe...(was andererseits wohl auch Seidls volle Absicht war.)

Reduktion nicht nur auf stilistischer Ebene fällt einem zum Trilogieschluß ein, neben den Mädchen spielen nur zwei Männer und eine Trainerin...die Szenen mit dem drolligen Turnaufseher wirken wie eine halbgare Reminiszenz an Full Metal Jacket. Seidl hat hier sicher das komische Potential und den „tragischen Clown“-Anteil seines Aufsehers erkannt, aber wie ich schon bei Liebe schrieb, ist auch nach dem dritten Film in kurzer Zeit jeglicher Schock, jegliche Brisanz aus Seidls typischen Totalen gewichen...

Sicher ist Hoffnung ein Versuch, einen zärtlichen Blick auf Teenagergefühle zu werfen (und gleichzeitig auch mit Blicken auf und der Abscheu und Vorverurteilung von möglichen „Triebtätern“ zu spielen), aber das hat alles nichts mehr mit der enormen Wucht von Seidls Prä-Paradies Filmen zu tun.

Natürlich ist es fragwürdig, die Meisterwerke eines Filmemachers gegen seine anderen Werke auszuspielen, dennoch muß man auch das etwas manische Aufblasen eines ursprünglichen Films zu dreien skeptisch beleuchten; jedenfalls bleibt bei zwei Drittel der Paradies Trilogie ein fader Geschmack, während immerhin Glaube voll überzeugen konnte.

12. November 2013

Paradies - Glaube (Ulrich Seidl) 8,3





funktioniert als eigenständiger Film wieder deutlich besser als der zuerst angelaufene Liebe und zeigt auch, dass es Seidl immer noch kann; und auch wenn das Thema des Extrem-katholizismus mit Abgründen bereits abgenützt scheint (zumindest in Österreich resp. katholisch geprägten Film-Ländern scheint mir das so), Seidl gelingt, obwohl er eigentlich das macht, was er immer macht, diesmal wieder ein Film von Bedeutung.

Der Dialog oder Kampf der Religionen wird hier schlitzohrig auf die Mann-Frau/Täter-Opfer Ebene transferiert und öfter subtil gebrochen...und, was fast wichtiger ist, der Film ist intensiv gespielt, bietet eine Reihe unvergesslicher Szenen, ist kammerspielartig und in den besten Phasen hoch beklemmend. Man kann es schon vorwegnehmen, Glaube ist der einzige Film aus Seidls Trilogie, der voll überzeugen kann.

11. November 2013

Paradies - Liebe (Ulrich Seidl) 7,4



Nach dem ultimativen Meisterwerk Import Export hat sich Ulrich Seidl lange Zeit gelassen und an einem Megaprojekt gearbeitet, einem Werk über drei miteinander verwandte Frauen (genauer gesagt, zwei Frauen und ein Mädchen), die jeweils ihren eigenen (Leidens?)Weg gehen und dabei offensichtlich das Paradies suchen..

Nachdem Seidl gemerkt hat, dass dieses Werk ausufern würde, hat er sich entschlossen, drei separate Filme daraus zu machen, die innerhalb äußerst kurzer Zeit veröffentlicht werden. Unter anderem hat ihm das den Rekord eingebracht, mit drei Filmen in den direkt aufeinanderfolgenden Wettbewerben der drei A-Festivals Cannes, Venedig und Berlin vertreten zu sein. Ob es wirklich drei komplette Filme gebraucht hat, oder dieses Projekt ein bisschen die Stellung eines herausragenden Filmautors ins Wackeln bringt, muß sich nun zeigen (um es vorwegzunehmen, ist Seidls Entscheidung nicht völlig aufgegangen).


Im ersten Film der Trilogie geht es um die Liebe und die verzweifelte Suche nach ihr. Theresa, die in einem Autodrom arbeitet (in dem zu Beginn eine Gruppe geistig behinderter Menschen ihren Spaß haben – in der knallharten Konfrontation des Publikums, „Lachen und/oder sich sehr unwohl fühlen“, eine Parade-Szene für das Werk Seidls), verabschiedet sich von ihrer Tochter (die Hauptperson des dritten Films Hoffnung), die sie zu ihrer Schwester gebracht hat (Hauptperson des zweiten Teils Glaube) Richtung Kenia, wo bereits Freundin Inge wartet, die die schwarzen Beachboys dort zum Ablecken und Reinbeißen findet.

Seidl scheint in der ersten Hälfte seines Films noch mehr in die Groteske zu wollen, als in vorherigen Werken wie Hundstage. Und die absurden Tableaus in dieser Phase sind auch höchst komisch, zumindest wenn man sich auch traut, bei diesen irritierenden Momenten, die das Geschäft der Sexarbeit fern vom „bürgerlichen“ Europa sowie Geschlechterverhältnisse karikieren, im Kino zu lachen.

Das, was Seidl will, ist immer noch sehr gut und sehr richtig, sein Stil und seine Herangehensweise unnachahmlich, aber sein Kino wirkt auch langsam erschöpft; vor allem dieser Film, je weiter er fortschreitet. Am deutlichsten macht das auch die Orgie am Ende – hier glaubt man sich teilweise schon in einem Larry Clark Film; während Seidl z.B. die unerträglich tragische Intensität einer ähnlichen Szene bei "Import Export" nicht wieder erreicht.

Der Ausklang des Films ist dennoch gut gelungen: der nüchterne Blick auf das vermeintliche Paradies, auf eine Welt, die von Machtverhältnissen dominiert und für immer geprägt ist...sie sind hier umgedreht im Sinne von ausgebeuteter Mann – ausbeutende Frau, nicht jedoch das Verhältnis weiß-schwarz...

7. November 2013

Livide (Alexandre Bustillo & Julien Maury) 8,25








"À l'interieur" habe ich nie gesehen, bei "Livide" hatte ich höchstens die Hoffnung, mal wieder einen recht netten Horror-Film zu sehen. An die außergewöhnliche Qualität von französischen Werken wie Vinyan von Fabrice du Welz oder "Martyrs" von Pascal Laugier hatte ich gar nie gedacht, am Ende wird die aber mit dieser wahnwitzigen, zauberhaften Surrealhorror-Fantasie fast erreicht.

Die Stimmung sehr creepy, die Ausstattung einfallsreich entrückt, diese alte Frau mit der Gasmaske...eine Stunde lang wird an der Spannungsschraube gedreht, zunächst noch wenig besonders, doch kurz bevor das Grauen im Haus dann endlich losbricht, ist es schon enorm spannend. (Ich muß in solchen Momenten gebetsmühlenartig wiedergeben, 'so etwas wie Blair Witch Project kommt natürlich nie wieder', aber das hier kommt in punkto Beklemmung und Intensität zumindest in die Nähe).

Irgendwann muss natürlich dann doch der/die erste dran glauben, und man kennt nun „das Böse“. Damit hätte man sich von der letzten halben Stunde nicht mehr allzu viel erwarten können, doch was dort passiert, ist eine seltene Poesie des Grauens, von einer Fantasie und einer Lust am Haken schlagen und von einer Freude, Bilder von „entrückter Schönheit“ sprechen zu lassen durchzogen, dass man Livide tatsächlich zu den absoluten Highlights zählen kann.

Am Ende dreht der Gaul schon ordentlich durch, aber solange man den Film nicht streng analytisch, sondern mit einem Herz für (manchmal auch an düstere Videoclips erinnernde) Ästhetik schaut, ist das alles kein Problem. Frankreich bleibt wohl das Land der Wahl für Horrorfilme derzeit, hoffentlich reißt diese kreative Energie nicht so bald ab.

5. November 2013

Tabu (Miguel Gomes) 7,9



Wie es ab und zu so passiert, können die sehr hohen Erwartungen nicht ganz erfüllt und das extreme Lob in großen Teilen der cinephilen Szene nicht ganz nachvollzogen werden; der erste Teil des ungewöhnlichen Films ist edel gefilmt und okay, aber nicht das erhoffte cineastische Wunderwerk. Erst im zweiten Teil entfaltet sich eine besondere, meisterhafte Magie, Leidenschaft und tragische Liebe werden dem Kino angemessen eingefangen. Pech vielleicht, dass diese Geschichte in den über 100 Kinojahren halt auch schon oft erzählt wurde.

Natürlich kommt es eher auf das Wie an, aber die Form allein ist im Kino auch zu wenig. Der Film ist zwar deutlich besser (weil mit viel mehr eigener Vision, zum Beispiel dem subtilen Verarbeiten von Kolonialverbrechen) als die vorherige große Stummfilmära-Hommage The Artist, doch die Tatsache allein, dass jemand einen Film im Geiste des Stummfilms macht (und auf Murnaus gleichnamiges Werk verweist, der genaue Link dazu wurde mir nicht so bewusst), ist in meinen Augen noch kein Kriterium für „überragend“.

Vielmehr sind es einzelne Momente und das eigensinnige Arrangement der stummen Szenen mit Ton-Hintergrund, und auch der schöne Musik-Einsatz von Gomes, die dem Film eine ganz eigene, besondere Aura verleihen...sehenswert allemal, auch wenn sich weniger Festivalgeeichte mit der Langsamkeit schwer tun werden.

2. November 2013

Schulter an Schulter (Shaheen Dill-Riaz) 7,8




Shaheen Dill-Riaz ist durch seinen Hintergrund in der idealen Lage, für das deutschsprachige Publikum Innenansichten aus islamischen Ländern zu bringen. In KoranKinder war das so toll, dass mir dieser Film vor drei Jahren einer der liebsten war, und auch diese einstündige Fernseharbeit ist wieder sehr interessant anzusehen.

Es ist ein Porträt von zwei Soldaten, die auf den unterschiedlichen Seiten stehen, der deutsche und der afghanische. Es ist sehr spannend, den Leuten zuzuhören und Einblicke in den Alltag an der Front und zuhause mitzubekommen. Oft sogar belustigend, das Gefühl der Beklemmung verdrängend.

Der Deutsche, ein lieblicher Bär mit drolligem Akzent und scheinbar sehr sanftem Gemüt. Beiläufig, spät im Film, spricht er dann darüber, dass er für das Richtige tötet. Zuhause wartet seine Frau, die Diaz in berührenden Szenen einfängt.

1. November 2013

Dredd (Pete Travis) 8,2



Ein Remake von "Judge Dredd", das näher am düsteren Comic ist, so konnte man es vor dem Film aufschnappen. Nach einiger Zeit sieht man eher einen Zwilling zu "The Raid". Doch Dredd ist deutlich unterhaltsamer, weil es auf allen Ebenen passt: Die visuelle Umsetzung ist toll, der Soundtrack treibend gut, Darsteller und Dialoge einfach auf anderem Niveau als beim actionreicheren asiatischen Hochhaus-Kampf-Fest.

Karl Urbans Mundpartie zu begutachten alleine ist so herrlich; die trockenen Sprüche und (zumindest von mir auf ironische Weise genossenen) Gesetzeshüteraspekte lassen Dredd vor allem zu einem humorvollen Highlight werden. Härte und zumindest eine wirklich famose Actionszene (die Mega-Schießerei) gibt es auch. 

Die Slo-Mo Szenen sind an sich gar nicht so herausragend, aber wenn plötzlich hunderte Partikelchen dreidimensional durch den Saal schweben, weht auch ein genialer avantgardistischer Geist durchs Kino und durch diesen sehenswerten „Actionfilm“..