21. Juni 2013

Low Definition Control (Michael Palm) 7,2



Faszinierend, humorvoll und intelligent. War vor allem das Q&A nach dem Film von Michael Palm.

Sein Essay selbst hätte ohne diese charmante Nachbereitung im Wiener Filmmuseum vermutlich weniger bedeutend und überzeugend gewirkt. Die sperrige Form mit Wortmeldungen zahlreicher ExpertInnen, die nur auf Tonspur und ohne bildliche Identifikationsmöglichkeit reden, während man versucht, die Bilder zu entschlüsseln, lässt einen schon mal zum geistigen Durchpfeifen motivieren, obwohl man gerne den Denkansätzen folgen würde. Nur scheint das über 90 Minuten in dieser Form kaum möglich. In diesem Zusammenhang ist spannend, was Palm nach dem Film in einem anderen Kontext sagte, nämlich man solle es nicht als Fluch, sondern auch als Chance betrachten. Vielleicht ist also die (absichtliche?) Schwierigkeit des Films auch sein Reiz, dass man sich nämlich sowohl auf der Ton- als auch auf der Bildspur verlieren kann.

Bei so einem offensiv „intellektuellen“ Werk stellt sich automatisch die Frage, wie bedeutsam der Film als gesellschaftliches Diskursmittel sein kann. Dass die ständige Überwachung bzw. die Tendenz zur Überwachungs-Gesellschaft höchst kritisch zu betrachten ist, könnte fast jeder und jedem, der sich vor so einen Film setzt, bereits klar sein. Reizvoll ist jedenfalls das Spiel mit genau jener Erwartung, Bedeutsames zu sehen; denn oft sind die Aufnahmen völlig banal und man bekommt eher Mitleid mit den „Überwachern“, die all diese Banalitäten aufzeichnen, in der Hoffnung Relevantes festzuhalten.

Einer der besten Momente des Films ist jener, als man sieht, wie scheinbar eine Zigarette geklaut wird: Wir sehen es ganz deutlich, aus den Bildern allein geht jedoch nicht hervor, ob es ein "Verbrechen" war. Wir kennen den Kontext abseits des Bildausschnitts nicht, und somit wird eindrucksvoll gezeigt, wie sehr wir uns von Gedanken wie "Bilder zeigen stets die Wahrheit" verabschieden müssen (auch wenn es schwer fällt, und vermutlich auch oft sehr wohl eine Wahrheit ist, die wir sehen).

Der anstrengende Essay kann jedoch auch durch die bloße Schönheit von Bildern hängenbleiben – was u.a. auch zeigt wie entspannt Palm diese ernste Sache letztlich angeht: Genial die schwelgerische, seelenruhige Aufnahme eines fantastischen Aquariums; folgend der Aussage, man brauche Bilder, die so überwältigend sind, dass man ein Leben brauche, um alles daran zu sehen...

Auch solche Filme werden gebraucht...und LDC könnte vielleicht sogar so einer sein...

9. Juni 2013

War Horse (Steven Spielberg) 3,6



Mit großer Wahrscheinlichkeit Spielbergs schlechtester, vielleicht sogar der einzig wirklich schlechte Film seiner tollen Karriere. Nichts an dieser über zweistündigen Liebesgeschichte zwischen Jüngling und Pferd ist so gekonnt spannend wie die meisten seiner Filme, oder gar von Bedeutung über sein eigenes Schaffen hinaus.

Am "schönsten" ist das seltsame Drama in seinen Kitschmomenten, die so hemmungslos plakativ geraten sind, dass man weder lachen noch weinen sondern irgendwie nur noch paralysiert grinsen kann...leider sind diese Momente aber so rar gesät, dass der (liebevolle) Trashfaktor ziemlich untergeht; nur Anfang und Ende sind derart ultrakitschy.

Zu Beginn erinnert lustigerweise vieles an Peter Jacksons ebenda auch noch heile Tolkien- bzw. Auenland-Welt: Ausleuchtung, Kameraperspektiven, Haus im Grünen, ja selbst die Haare der DarstellerInnen. (Heißt der Film gar deshalb auf deutsch: "Gefährten"?)

Spielberg hat an AkteurInnen übrigens einiges an Können versammelt; vor allem im ersten Drittel zeigen Mullan, Thewlis und Watson, wieviel Potential hier eigentlich vergeudet wird. Dieser erste Abschnitt ist rückblickend dank des Kitschfests zu Beginn noch der beste, danach wird "War Horse" zum Kapitelfilm und völlig belanglos. Spielberg hat dem, seinem Kriegsfilmuniversum nichts Relevantes mehr hinzuzufügen, weder formal noch inhaltlich; das Pferd als schicksalsabhängig "Reisender" hat schon so manchen zur Bemerkung "Spielbergs Balthasar" bewogen; durchaus treffend, aber natürlich kann man so nur verlieren. Manchmal erinnert die Odyssee auch an den vielleicht spielbergsten aller Nicht-Spielberg Filme: Forrest Gump.

Nach einem völlig belanglosen Mittelteil versucht der weltweit wohl bekannteste aller Filmemacher gegen Ende leise Magie und Humanismus zu vermengen, und das hat, bei aller Naivität auch was (flüchtendes Pferd im Stacheldraht, gemeinsame Befreiungsaktion), aber eben nichts Bedeutsames. Alles, was man hier sieht, meint man schon fast exakt so woanders bereits gesehen zu haben.

Zum Schluß kehrt Spielberg wieder zu diesen diesmal eigenartig blutleeren "schönen (jedoch nicht bewegenden) Bildern in den warmen Farben" zurück, eine Hommage an Filme von John Ford soll das laut den Kennern sein.

Das Junge/Pferd/Kriegs-Drama ist jedenfalls ordentlich in die Hose gegangen: weder unfreiwillig heiteres Kitschfest, und schon gar nicht fesselnd-bewegend-emotionales Epos; "War Horse" ist bloß ein mageres Pseudoepos mit einer leisen Ahnung von all dem, was Spielberg, trotz all den Reibepunkten an seinem Stil, sonst eigentlich immer perfekt beherrscht.

4. Juni 2013

Lawinen der Erinnerung (Dominik Graf) 7,8



Trotz Dominik Graf (dem "deutschsprachigen Regie-Hype 2012") war ich zunächst eher skeptisch, ob eine “TV-Doku über einen Mann, der erzählt” großartiges Material sein könne, wurde dann aber von dieser hier ausgebreiteten, angenehmen Komplexität förmlich überrollt. 

Das ganz große Meisterwerk wie für Rajko, Andreas und Christoph von den Eskalierenden Träumern, ist der Film für mich nicht. Auch wenn genau das, was Christoph in seinem Tagebuch dazu schreibt, die außergewöhnliche Qualität des Films darstellt: "...bin plattgedrückt. Die vielen Verflechtungen und Verwinkelungen des Films und diejenigen, die sie wiederum in mir selbst ausgelöst haben, eine rasende Kette von Gedanken und Gefühlen, die sich mit Assoziationen verknotet, schließlich auch mit Bildern, alles in solchen Mengen und mit solcher Kraft, dass ich teilweise dem Film zu entgleiten drohte, auf das Gleis meiner eigenen Ketten."

Ich selbst habe mir leider keine Notizen zum Film gemacht (vielleicht ja genau deswegen, weil er zu komplex ist, um ihn "mal eben so mitzunehmen"), und ein Gedächtnis, das zwar mit Namen etc. gut kann, aber bei weitem nicht an jenes des hier porträtierten Oliver Storz heranreicht; und jetzt, ein gutes halbes Jahr danach, habe ich eher mentales Taumaterial als Schneemassen in mir..nur noch das verschwommene Gefühl, dass dieses Werk vielleicht doch einen Tick zu ausgestellt eloquent und intellektuell war, um komplett zu begeistern...

2. Juni 2013

Tlatelolco (Lotte Schreiber) 7,3



Filme über Architektur sind nicht so ganz mein Ding (siehe auch hier), aber man nimmt ja gerne im Kino auch immer wieder mal den Kampf mit den eigenen Vorlieben und Desinteressen auf; was könnte eher geneigt sein, einem ein fremdes Thema näher zu bringen als ein toller Film?

Und Lotte Schreiber hat einen sehr humanistischen, weltoffenen Zugang zu ihrem Sujet, dieser riesigen Siedlung in der hyper-riesigen Stadt; die Menschen sind hier mindestens genauso wichtig wie die Erforschung von Gebäuden, und das ist ansprechend.

Der aus drei Ebenen zusammengesetzte Film kommt dennoch nie über „ganz nett“ hinaus, eine Vision scheint zwar vorhanden, aber auch nur mit viel Zusatzwissen greifbar. Macht aber ja nichts. Das Ende verdeutlicht Zusammenführung und Austausch durch einen Kinoklub; wunderbar, und für eine cinephile Filmemacherin folgerichtig.