26. Juni 2012

Elève libre (Joachim Lafosse) 7,65



Das Psychodrama um einen Teenager und den Privatunterricht, dem ihm seine erwachsenen, "unanständigen" Freunde geben, ist rückblickend eigentlich simpel aufgebaut, ab einem bestimmten Zeitpunkt sogar vorhersehbar, aber vor allem ein beklemmendes Moralstück um die Manipulation eines Jugendlichen. Joachim Lafosse (Nue propriété/Privatbesitz) könnte in seiner klaren, durchdachten Inszenierung abgründiger bürgerlicher Geschichten so etwas wie ein Nachfolger Michael Hanekes werden…

23. Juni 2012

Arirang (Kim Ki-Duk) 6,32



Lars von Trier ließ seine Depression in seine aktuellen Filme einfließen, Kim Ki Duk stellt sich und seine Depression gleich selbst in den Mittelpunkt seines neuen Werks. Das ist ein zunächst mal faszinierendes Konzept, und beginnt auch schön einsiedlerisch und gleichzeitig künstlerisch-experimentell. 

Erst etwas später im radikalen Film beginnt der gebeutelte und offensichtlich Gefallen an der Selbstdarstellung findende Regisseur auch endlich zu sprechen, interviewt sich selbst, hinterfragt alles…das ist sehr selbstreflexiv, sehr selbst-, aber auch Industrie-kritisch. Doch, und das stellt Kim auch kokett selbst in den Raum, könnte das alles auch bloß gespielt und inszeniert sein – sozusagen der I’m still here dieses Jahres. 

Egal, ob etwas ironisch oder völlig ernst, diese One-Man-Selbstzerlegung bleibt faszinierend, läuft sich aber schlussendlich auch tot; Kims Geschwätze wird zunehmend ermüdend - und am Ende wird es dann endgültig auch ordentlich blöd, wenn Kim doch noch seine Einsiedler-Hütte verlässt um mit einem selbst erzeugten Revolver ein paar Leute (wird nicht erklärt oder gezeigt wen überhaupt) und sich dann auch selbst erschießt. Kurz darauf lebt er wieder und singt zum letzten Mal ohrenbetäubend und -schmerzenverursachend das titelgebende Lied vom Bergpass, vom Auf und Ab des Lebens. Dieser Gesang hat auch Ohrwurmqualitäten - ein intensiver Abschluß eines nicht durchgehend fesselnden, aber erstaunlichen Selbstporträts.

21. Juni 2012

Drive (Nicolas Winding Refn) 6,35

Für viele ein neuer Kultfilm, für den hier ansässigen Blogautor kein Grund zur Begeisterung: Drive von Nicolas Winding Refn könnte überschätzt und ein etwas zu artifiziell-kühler Thriller sein.
Refn setzt wie schon im deutlich packenderen, archaischen Valhalla Rising auf den Aha-Effekt von Gewaltspitzen sowie auf Wortkargheit und die Macht der Bilder; die Postmoderne spürt man hier noch mehr als sie aber auch schon im angesprochenen Werk die Intensität minimal getrübt hatte.
Nur selten gelingen dem Männerfilmemacher hier visionäre Szenen, wie vor allem in den „Skorpion“-Momenten; der Rest ist technisch perfekt, aalglatt und manchmal scheinen Inhalt und Bilder gleich hohl. Die erzählte Geschichte ist höchst simpel: einsamer Wolf verliebt sich in ein Mädel, gerät dadurch in die Scheiße und räumt dann mit ein paar Mafiosi auf. Das wäre an sich noch kaum aussagekräftig und könnte durchaus Gerüst für einen tollen Film sein, doch Refn fügt diesem Gerüst zu wenig hinzu, um wahrlich zu fesseln.
Ryan Goslings teilnahmsloses Schauspiel kann man natürlich als zweischneidiges Schwert betrachten. Coolness oder fade Emotionslosigkeit? Generell ist alles hier sehr auf Oberflächen fixiert, vielleicht fasziniert manche auch ein gewisser „Retro-Effekt“, doch die Blicke nach vorn und in die Tiefe sind stets die spannenderen, natürlich auch im Kino. Goslings Charakter wirkt wie ein Mann ohne Eigenschaften; ein möglicherweise reizvolles Prinzip, möglicherweise auch nur hohle Attitüde.
Der Film kippt in der zweiten Hälfte mit dem Einsatz der überkandidelten Gewaltszenen; sie konterkarieren den romantischen Kern, sind zugleich aber eher belächelnswert, weil der Trick zu billig wirkt und vor allem, weil alle Poesie damit sarkastisch gebrochen wird. Es ist keine Wendung ins Abgründige, sondern eher ins gewollte (aber etwas humpelnde) Groteske. Und plötzlich sind die heftigen Abgänge und der immer coolere Driver (zuletzt mit Sin City Giftzwerg-Gedächtnismaske!) wichtiger als alles Romantische (zuvor). Refn gelingen natürlich immer wieder stimmungsvolle Bilder und Szenen, etwas in Summe ernsthaft Verehrenswertes jedoch nie.

2. Juni 2012

Polisse (Maïwenn) 7,48



Nach dem überwältigenden Pardonnez-moi gingen die Erwartungen für Maïwenns neuen Film (dazwischen liegt auch noch der bislang unveröffentlichte Le bal des actrices!) hoch – und mit Andeutungen von filmischer Radikalität beginnt es auch gleich – missbrauchte Kinder werden einvernommen, in ziemlich einschlägigen Dialogen geht es sofort gehörig zur Sache. 

In Poliezei gibt es sowohl tolle, als auch weniger gelungene Aspekte. Maïwenn liegen missbrauchte Kinder offensichtlich sehr am Herzen, und sie hält sich nicht zurück mit Drastik - intensive Szenen kreiert sie hervorragend. Zu denen zählen auch Spannungen und richtige Explosionen im Polizei-Team, alle gespielt von aus den letzten Jahren des jungen französischen Kinos, z.B. bei Mia Hansen-Love oder Valerie Donzelli, bekannten Gesichtern. 

Der Film ist konsequent in kleine Häppchen aufgebaut – sowohl von den von Gewalt betroffenen Familien als auch von den ungefähr 12-15 Teammitgliedern gibt es immer nur kurze Einblicke in deren Leben und Geschichten zu sehen und manches bleibt am Ende völlig unaufgelöst; dies kann man als spannende Herangehensweise oder auch als Schwäche des Films interpretieren: letztlich torpediert diese Struktur selbst ein wenig die Absichten Maïwenns und die Möglichkeit intensiver Nachwirkung. Man geht eher etwas benommen aus dem Film, mit dem Eindruck viel Arges erfahren und erlebt, aber auch „bloß“ ein etwas unfokussiertes „Freak“-Panorama bzw. einen „all in“-Film gesehen zu haben, freilich auch versetzt mit einigen unvergesslich-einmaligen Szenen. Zudem betreibt Maïwenn mit der Vielzahl der höchst unterschiedlichen Polizei-Charaktere ein freches, subversives Spiel mit moralischen Aspekten. 

Polisse ist durchaus intensiv, das Anliegen im direkt-tabulosen Zugang zu den Themen Kindesmissbrauch und Jugendkriminalität höchst ehrenwert, dennoch bleibt im Vergleich zum deutlich intimeren, fokussierteren Pardonnez-moi auch das Gefühl, dass die Dinge hier etwas aus dem Ruder gelaufen sind. Nichtsdestotrotz ist dieses Kino der jungen Französin immer noch höchst aufregend, außergewöhnlich, drastisch und spannend.