20. Dezember 2013

A Torinói Loi (Béla Tarr) 6,7



Das Turiner Pferd: In diesem, von Koryphäen wie Hoberman, Rosenbaum und co sehr gut bewerteten Film von Béla Tarr spürt man ständig den Willen, klassisches, strenges, düsteres, bedeutendes europäisches Autorenkino zu schaffen wie damals bei Dreyer, Bergman oder Tarkovsky.

Und Tarr ist natürlich einer, der diese Schule sehr gut beherrscht. Sein letzter Film solle dies sein, habe ich vorher gelesen und lange musste man in Wien warten, bis der Film in einem Kinosaal gezeigt wurde (Dank geht hier an die „profil series“-Reihe von Stefan Grissemann, der der Kinolandschaft inklusive sonst so verlässlicher Viennale aushalf, und zumindest eine Vorstellung ermöglichte). So ging ich also auch als jemand, dem weder die "Werckmeisterschen Harmonien" noch The Man from London trotz der großartigen Schwarzweißbilder die Welt bedeuten, sehr gespannt in diese Vorstellung.

Der Film selbst ist von der ersten Sekunde an faszinierend; die edlen Bilder, die Musik, das grandiose Setting: das Pferd, der alte Bauer und die junge Frau in der von düsterer, stürmischer Natur umgebenen Hütte. Einfaches Leben wird hier auf das Minimum heruntergebrochen; jeden Tag gibt es genau eine Kartoffel zu essen, gesprochen wird immerhin sogar etwas, aber es sind nur kurze, knappe Sätze, aus denen längst jede Lebensfreude gewichen, jedes Interesse an Kommunikation erloschen ist.

Selbstverständlich ist so etwas zweieinhalb Stunden lang Anstrengung pur und nur punktuell so etwas wie unterhaltsam. Doch man harrt und blickt, von Tarrs Meisterschaft katalysiert, stets gespannt auf die Leinwand, ähnlich wie es auch die beiden armen Seelen nach dem Essen tun, wenn sie sich ans Fenster setzen und das Schauspiel des apokalyptischen Windes begutachten.

Tarr holt aus seinem reduktionistischen Ansatz Einiges heraus, er wechselt jeden gezeigten Tag die Kameraperspektiven, studiert sein Vater-Tochter-Paar und die Hütte. Und das Pferd. Zwei Besuche bringen etwas Leben in die Bude, und ähnlich wie die armen Menschen den täglichen Kartoffel versucht man so etwas wie Bedeutung zu all diesen kunstvollen Bildern der Tristesse aufzusaugen.

Gegen Ende erlischt dann das Licht; Bela Tarr erklärt im erlebenswerten Q&A danach, der Film sei eine Anti-Genesis (neben allerlei betont eigenbrötlerischem, aber vermutlich ironischem „film is just stupid pictures“ Gebrabbel), was durchaus interessant scheint, wenn man darüber nachdenkt. Irgendwo habe ich nach dem Film gelesen „so lässt man im Kino die Erde untergehen, Lars von Trier“. Tarr findet aber nur teilweise den eindrucksvolleren Zugang, das Ende des auch nicht idealen Melancholia war dann doch unheimlicher und intensiver. Tarr findet ein grenzgenial subtiles Ende für seinen Film, dennoch ist sein Kino enorm anstrengend. In diesem anstrengenden das Geniale für sich zu entdecken rechtfertigt jede Sitzfleisch-Qual; leider habe ich es im Werk von Tarr auch nach dem dritten Film noch nicht entdeckt. Vielleicht macht er aber auch ein eher gestriges Kino, eines das selbst ausstirbt oder schon ausgestorben ist. Die angesprochenen Dreyer, Bergman und Tarkovsky scheinen mir inhaltlich dem eigenwilligen Ungarn jedenfalls doch um das entscheidende Körnchen der zu Geiste und Herzen gehenden Filmphilosophie voraus gewesen zu sein.

26. November 2013

Kill List (Ben Wheatley) 3,8



Okay, der Film schlägt Haken, beginnt als irres Psychodrama, eigentlich bleibt er das auch, alles soweit doch ganz toll. Ton und Bilder künden herrlich unheilvoll Düsteres an...

Auf der anderen Seite sind da zwei ziemlich nervige Protagonisten; schaut man den Film im Original, ist es ohnehin unmöglich mehr als nur 5% vom Genuschel zu verstehen (sehe ich mit "Weekend" und "Kill List" tatsächlich jetzt erst die ersten Mumblecore Filme? und das noch dazu aus England...)

Ist der Film möglicherweise humorvoller als ich es mitbekommen habe?

Kill List strahlt auf seine eigene Weise durchaus Faszination aus, und Wheatley zeigt großartige Ansätze für Kino der höchsten Beunruhigung, doch zum Abschluss wird ein Twist präsentiert, der, selbst wenn nicht einmal von hier (nur ganz Mutige klicken jetzt hier drauf!) geklaut, doch im Gegensatz zu diesem anderen Film völlig nichtssagend bleibt. Während dort nämlich wirklich eine Familie und ein Mensch, ja, ein ganzes Volk völlig zugrunde gerichtet werden, und das Publikum hart mitgenommen wurde, wirkt Kill List immer nur wie ein cleveres, zynisches Spiel. Das auch an und für sich ganz gut funktioniert. Zugleich bleibt es aber völlig leer - ein stark überschätzter Reißer.

15. November 2013

Paradies - Hoffnung (Ulrich Seidl) 5,7



Zum Abschluß geht ein wenig die Puste aus...Hoffnung erschöpft sich in wenigen, wenig originellen Totalen eines Pseudodrills von übergewichtigen Jugendlichen, deren überschaubare komische Wirkung auch in einem Trailer oder besser vielleicht in einem gesamten Paradies Film als Nebenschauplatz gereicht hätte.

Das eigentlich einzige Plus dieses Teils ist die Besinnung auf das ruhige, das antisensationalistische der Geschichte um die junge (schön: in aller pubertären Unsicherheit selbstbewusst gezeichnete) Melanie, die sich in einen mittelalten, leicht entrückten Arzt verliebt...dieser könnte eine sehr interessante Figur sein, wenn er nicht zu vage bliebe...(was andererseits wohl auch Seidls volle Absicht war.)

Reduktion nicht nur auf stilistischer Ebene fällt einem zum Trilogieschluß ein, neben den Mädchen spielen nur zwei Männer und eine Trainerin...die Szenen mit dem drolligen Turnaufseher wirken wie eine halbgare Reminiszenz an Full Metal Jacket. Seidl hat hier sicher das komische Potential und den „tragischen Clown“-Anteil seines Aufsehers erkannt, aber wie ich schon bei Liebe schrieb, ist auch nach dem dritten Film in kurzer Zeit jeglicher Schock, jegliche Brisanz aus Seidls typischen Totalen gewichen...

Sicher ist Hoffnung ein Versuch, einen zärtlichen Blick auf Teenagergefühle zu werfen (und gleichzeitig auch mit Blicken auf und der Abscheu und Vorverurteilung von möglichen „Triebtätern“ zu spielen), aber das hat alles nichts mehr mit der enormen Wucht von Seidls Prä-Paradies Filmen zu tun.

Natürlich ist es fragwürdig, die Meisterwerke eines Filmemachers gegen seine anderen Werke auszuspielen, dennoch muß man auch das etwas manische Aufblasen eines ursprünglichen Films zu dreien skeptisch beleuchten; jedenfalls bleibt bei zwei Drittel der Paradies Trilogie ein fader Geschmack, während immerhin Glaube voll überzeugen konnte.

12. November 2013

Paradies - Glaube (Ulrich Seidl) 8,3





funktioniert als eigenständiger Film wieder deutlich besser als der zuerst angelaufene Liebe und zeigt auch, dass es Seidl immer noch kann; und auch wenn das Thema des Extrem-katholizismus mit Abgründen bereits abgenützt scheint (zumindest in Österreich resp. katholisch geprägten Film-Ländern scheint mir das so), Seidl gelingt, obwohl er eigentlich das macht, was er immer macht, diesmal wieder ein Film von Bedeutung.

Der Dialog oder Kampf der Religionen wird hier schlitzohrig auf die Mann-Frau/Täter-Opfer Ebene transferiert und öfter subtil gebrochen...und, was fast wichtiger ist, der Film ist intensiv gespielt, bietet eine Reihe unvergesslicher Szenen, ist kammerspielartig und in den besten Phasen hoch beklemmend. Man kann es schon vorwegnehmen, Glaube ist der einzige Film aus Seidls Trilogie, der voll überzeugen kann.

11. November 2013

Paradies - Liebe (Ulrich Seidl) 7,4



Nach dem ultimativen Meisterwerk Import Export hat sich Ulrich Seidl lange Zeit gelassen und an einem Megaprojekt gearbeitet, einem Werk über drei miteinander verwandte Frauen (genauer gesagt, zwei Frauen und ein Mädchen), die jeweils ihren eigenen (Leidens?)Weg gehen und dabei offensichtlich das Paradies suchen..

Nachdem Seidl gemerkt hat, dass dieses Werk ausufern würde, hat er sich entschlossen, drei separate Filme daraus zu machen, die innerhalb äußerst kurzer Zeit veröffentlicht werden. Unter anderem hat ihm das den Rekord eingebracht, mit drei Filmen in den direkt aufeinanderfolgenden Wettbewerben der drei A-Festivals Cannes, Venedig und Berlin vertreten zu sein. Ob es wirklich drei komplette Filme gebraucht hat, oder dieses Projekt ein bisschen die Stellung eines herausragenden Filmautors ins Wackeln bringt, muß sich nun zeigen (um es vorwegzunehmen, ist Seidls Entscheidung nicht völlig aufgegangen).


Im ersten Film der Trilogie geht es um die Liebe und die verzweifelte Suche nach ihr. Theresa, die in einem Autodrom arbeitet (in dem zu Beginn eine Gruppe geistig behinderter Menschen ihren Spaß haben – in der knallharten Konfrontation des Publikums, „Lachen und/oder sich sehr unwohl fühlen“, eine Parade-Szene für das Werk Seidls), verabschiedet sich von ihrer Tochter (die Hauptperson des dritten Films Hoffnung), die sie zu ihrer Schwester gebracht hat (Hauptperson des zweiten Teils Glaube) Richtung Kenia, wo bereits Freundin Inge wartet, die die schwarzen Beachboys dort zum Ablecken und Reinbeißen findet.

Seidl scheint in der ersten Hälfte seines Films noch mehr in die Groteske zu wollen, als in vorherigen Werken wie Hundstage. Und die absurden Tableaus in dieser Phase sind auch höchst komisch, zumindest wenn man sich auch traut, bei diesen irritierenden Momenten, die das Geschäft der Sexarbeit fern vom „bürgerlichen“ Europa sowie Geschlechterverhältnisse karikieren, im Kino zu lachen.

Das, was Seidl will, ist immer noch sehr gut und sehr richtig, sein Stil und seine Herangehensweise unnachahmlich, aber sein Kino wirkt auch langsam erschöpft; vor allem dieser Film, je weiter er fortschreitet. Am deutlichsten macht das auch die Orgie am Ende – hier glaubt man sich teilweise schon in einem Larry Clark Film; während Seidl z.B. die unerträglich tragische Intensität einer ähnlichen Szene bei "Import Export" nicht wieder erreicht.

Der Ausklang des Films ist dennoch gut gelungen: der nüchterne Blick auf das vermeintliche Paradies, auf eine Welt, die von Machtverhältnissen dominiert und für immer geprägt ist...sie sind hier umgedreht im Sinne von ausgebeuteter Mann – ausbeutende Frau, nicht jedoch das Verhältnis weiß-schwarz...

7. November 2013

Livide (Alexandre Bustillo & Julien Maury) 8,25








"À l'interieur" habe ich nie gesehen, bei "Livide" hatte ich höchstens die Hoffnung, mal wieder einen recht netten Horror-Film zu sehen. An die außergewöhnliche Qualität von französischen Werken wie Vinyan von Fabrice du Welz oder "Martyrs" von Pascal Laugier hatte ich gar nie gedacht, am Ende wird die aber mit dieser wahnwitzigen, zauberhaften Surrealhorror-Fantasie fast erreicht.

Die Stimmung sehr creepy, die Ausstattung einfallsreich entrückt, diese alte Frau mit der Gasmaske...eine Stunde lang wird an der Spannungsschraube gedreht, zunächst noch wenig besonders, doch kurz bevor das Grauen im Haus dann endlich losbricht, ist es schon enorm spannend. (Ich muß in solchen Momenten gebetsmühlenartig wiedergeben, 'so etwas wie Blair Witch Project kommt natürlich nie wieder', aber das hier kommt in punkto Beklemmung und Intensität zumindest in die Nähe).

Irgendwann muss natürlich dann doch der/die erste dran glauben, und man kennt nun „das Böse“. Damit hätte man sich von der letzten halben Stunde nicht mehr allzu viel erwarten können, doch was dort passiert, ist eine seltene Poesie des Grauens, von einer Fantasie und einer Lust am Haken schlagen und von einer Freude, Bilder von „entrückter Schönheit“ sprechen zu lassen durchzogen, dass man Livide tatsächlich zu den absoluten Highlights zählen kann.

Am Ende dreht der Gaul schon ordentlich durch, aber solange man den Film nicht streng analytisch, sondern mit einem Herz für (manchmal auch an düstere Videoclips erinnernde) Ästhetik schaut, ist das alles kein Problem. Frankreich bleibt wohl das Land der Wahl für Horrorfilme derzeit, hoffentlich reißt diese kreative Energie nicht so bald ab.

5. November 2013

Tabu (Miguel Gomes) 7,9



Wie es ab und zu so passiert, können die sehr hohen Erwartungen nicht ganz erfüllt und das extreme Lob in großen Teilen der cinephilen Szene nicht ganz nachvollzogen werden; der erste Teil des ungewöhnlichen Films ist edel gefilmt und okay, aber nicht das erhoffte cineastische Wunderwerk. Erst im zweiten Teil entfaltet sich eine besondere, meisterhafte Magie, Leidenschaft und tragische Liebe werden dem Kino angemessen eingefangen. Pech vielleicht, dass diese Geschichte in den über 100 Kinojahren halt auch schon oft erzählt wurde.

Natürlich kommt es eher auf das Wie an, aber die Form allein ist im Kino auch zu wenig. Der Film ist zwar deutlich besser (weil mit viel mehr eigener Vision, zum Beispiel dem subtilen Verarbeiten von Kolonialverbrechen) als die vorherige große Stummfilmära-Hommage The Artist, doch die Tatsache allein, dass jemand einen Film im Geiste des Stummfilms macht (und auf Murnaus gleichnamiges Werk verweist, der genaue Link dazu wurde mir nicht so bewusst), ist in meinen Augen noch kein Kriterium für „überragend“.

Vielmehr sind es einzelne Momente und das eigensinnige Arrangement der stummen Szenen mit Ton-Hintergrund, und auch der schöne Musik-Einsatz von Gomes, die dem Film eine ganz eigene, besondere Aura verleihen...sehenswert allemal, auch wenn sich weniger Festivalgeeichte mit der Langsamkeit schwer tun werden.

2. November 2013

Schulter an Schulter (Shaheen Dill-Riaz) 7,8




Shaheen Dill-Riaz ist durch seinen Hintergrund in der idealen Lage, für das deutschsprachige Publikum Innenansichten aus islamischen Ländern zu bringen. In KoranKinder war das so toll, dass mir dieser Film vor drei Jahren einer der liebsten war, und auch diese einstündige Fernseharbeit ist wieder sehr interessant anzusehen.

Es ist ein Porträt von zwei Soldaten, die auf den unterschiedlichen Seiten stehen, der deutsche und der afghanische. Es ist sehr spannend, den Leuten zuzuhören und Einblicke in den Alltag an der Front und zuhause mitzubekommen. Oft sogar belustigend, das Gefühl der Beklemmung verdrängend.

Der Deutsche, ein lieblicher Bär mit drolligem Akzent und scheinbar sehr sanftem Gemüt. Beiläufig, spät im Film, spricht er dann darüber, dass er für das Richtige tötet. Zuhause wartet seine Frau, die Diaz in berührenden Szenen einfängt.

1. November 2013

Dredd (Pete Travis) 8,2



Ein Remake von "Judge Dredd", das näher am düsteren Comic ist, so konnte man es vor dem Film aufschnappen. Nach einiger Zeit sieht man eher einen Zwilling zu "The Raid". Doch Dredd ist deutlich unterhaltsamer, weil es auf allen Ebenen passt: Die visuelle Umsetzung ist toll, der Soundtrack treibend gut, Darsteller und Dialoge einfach auf anderem Niveau als beim actionreicheren asiatischen Hochhaus-Kampf-Fest.

Karl Urbans Mundpartie zu begutachten alleine ist so herrlich; die trockenen Sprüche und (zumindest von mir auf ironische Weise genossenen) Gesetzeshüteraspekte lassen Dredd vor allem zu einem humorvollen Highlight werden. Härte und zumindest eine wirklich famose Actionszene (die Mega-Schießerei) gibt es auch. 

Die Slo-Mo Szenen sind an sich gar nicht so herausragend, aber wenn plötzlich hunderte Partikelchen dreidimensional durch den Saal schweben, weht auch ein genialer avantgardistischer Geist durchs Kino und durch diesen sehenswerten „Actionfilm“..

13. Oktober 2013

A Última Vez Que Vi Macau (João Pedro Rodrigues & João Rui Guerra da Mata) 8,25






Ein sperriger, düsterer Noir-Krimi (man sieht nie Gesichter wichtiger Figuren, von der Hauptfigur höchstens mal die Hand), zugleich ein faszinierendes Essay einer Stadt, mit Bildern von abgelegenen, interessanten Schauplätzen, Haustieren usw...

Rodrigues (dessen letzter „To die like a man“ mich nicht ganz so begeisterte wie einige andere) und da Mata schaffen hier etwas, was mich selbst überrascht. Denn der Film ist trotz äußerst prätentiöser Attitüde stets fesselnd und hoch sympathisch. Die Stadtbilder sind nicht so elendsfad wie (manchmal) Studien bei Emigholz oder Benning, auch wenn sie ähnlich still-standbildartigen Charakter haben.

Gegen Ende, wenn man schon müde ist, packen die beiden Filmemacher plötzlich eine hypnotische Bildfolge aus, düster und melancholisch bleibt die wehmütige Geschichte bis zum Schluss. Ich bin nicht in der Lage zu beschreiben, was genau den Reiz und die Schönheit dieser Arbeit (und auch jenen von Rodrigues gar nicht so unähnlichem Kurzfilm „Manhã de Santo António“) ausmacht..es bleibt jedenfalls zu träumen von einer Kinowelt, in der solch bezaubernde, eigensinnige Juwelen nicht einfach unbemerkt untergehen...

8. Oktober 2013

Dans la maison (Francois Ozon) 7,9



Surprisefilm der Viennale 2012. Plötzlich steht da: Ozon. Und man freut sich. Dann sieht es aber zunächst bloß nach sonstigem 08/15 Arthaus-Feelgood-Kino aus; bunt, mit Witzen über Lehrer und moderne Kunst.

Doch Ozon dreht ja durchgehend faszinierende Filme: hier eine beschwingte Metaerotikthrillerkomödie über Cliffhanger und Fortsetzungen: ein cleverer Schüler, der den gutmütigen Lehrer um den Finger wickelt; eine Geschichte in der Geschichte, die stilvoll und gekonnt fesselt.

Ozon, der Alleskönner mit Gefühl, inszeniert virtuos und oft atemberaubend, aber da ist schon auch immer der Gedanke, dass das alles etwas zu clever arrangiert ist. Die poetische Melancholie (wenn auch etwas glatt) und das wohlige Gefühl im Bauch sind aber stets so charmant eingeflochten, dass es nicht stört, von einer Art „Lehrfilm“ (über die Kraft der Geschichten) eingesponnen zu werden - nicht wenn es derart viel Spaß macht und 'so ziemlich alles verkörpert, was französischen Filmen oft so leicht von der Hand zu gehen scheint.'

10. September 2013

Leviathan (Véréna Paravel & Lucien Castaing-Taylor) 9,4




Wahnsinn. Irre. Dynamisch. Archaisch. Kunstvoll. Genial. Endlich wieder mal ein Film, den man so noch nie gesehen hat. Die aufgequollenen Fischleichen, die mit der Kamera hin und her schwanken, gehören jetzt schon zu den verstörendsten und faszinierendsten Kinomomenten des 21. Jahrhunderts. Dazu diese Schlächter, die die Rochen auseinandernehmen, die Eingeweide, die Augen: "Leviathan" ist ein Horrorfilm. Auch.

Denn da gibt es auch noch diese Poesie, diese Farben, diese unmögliche, entfesselte Kamera, und die Möwen. Die paar Szenen mit den Menschen gegen Ende hat es vermutlich/hätte es nicht gebraucht - grundsätzlich ja okay, aber leider nehmen sie diesem Ungetüm von Film zum Schluss hin doch einiges an Intensität und hypnotischer Kraft. Reicht aber immer noch zur besten und zur überwältigendsten, mit Abstand außergewöhnlichsten Kinoerfahrung des (letzten) Jahres.

2. September 2013

Rückblick: Venedig 2003




Nach der Analyse des Cannes Jargangs 2003 bieten diesmal die 70. Filmfestspiele von Venedig den Anlaß sich anzusehen, wie denn die Wettbewerbsfilme von vor 10 Jahren im deutsch- und englischsprachigen Raum vermarktet wurden.

Zur Qualität dieses Wettbewerbs kann ich keine besonderen Aussagen tätigen, aber man scheint im Vergleich mit Cannes 2003 schon deutlich zu spüren, dass in Venedig weniger Prestigereiches lief...(ich meine, dass sich das in den letzten Jahren etwas geändert hat, aber vielleicht liegt es auch nur daran, dass ich das Festivalgeschehen mittlerweile deutlich mehr verfolge als früher)

Von 20 Wettbewerbsfilmen waren jedenfalls in Österreich nur vier im Kino zu sehen (und die vermutlich auch eher nur in Wien bzw. im Programmkinobetrieb).
Vier weiteren wurden immerhin eine DVD Veröffentlichung spendiert.
Mehr als die Hälfte allerdings wurde im deutschsprachigen Raum nicht vermarktet – egal wie mager diese Filme auch theoretisch sein mögen, ist das wieder einmal als Armutszeugnis einer Filmkultur zu lesen.

In England und vor allem den USA sieht es wie immer viel besser aus: sieben weitere Wettbewerbsfilme kann man sich (von) dort auch für zu Hause zulegen.

Fünf Filme schafften es nicht "über die Grenze" und liegen, soweit ich es recherchieren konnte, nur im eigenen Land vor.
Drei Filme, bezeichnenderweise zwei davon aus Frankreich, sind nicht mit englischen Untertiteln verfügbar. Möchte man alle Wettbewerbsfilme von damals sehen, bleibt einem also anscheinend nur, französisch und italienisch zu sprechen bzw. zu lernen.

Ob einige dieser Filme abseits einer Festival-Premiere zu wenig zu bieten haben, oder aber ob "der Markt" für möglicherweise "sperrige Kunstfilme" keinen Platz bietet, sei dahingestellt. Ich jedenfalls wäre sehr neugierig auf die betroffenen Werke von Jacques Doillon, Noémie Lvovsky und Edoardo Winspeare...


Hier die 20 Filme im Überblick:


Kinoauswertung Österreich

  • 21 Grams (Alejandro Gonzaléz Innaritu)
  • Buongiorno, notte (Marco Bellochio)
  • Rosenstraße (Margarethe von Trotta)
  • Zatoichi (Takeshi Kitano)


DVD-Auswertung deutschsprachig

  • Twentynine Palms (Bruno Dumont)
  • Code 46 (Michael Winterbottom)
  • Imagining Argentina (Christopher Hampton) "Verschleppt"
  • "The Return – Die Rückkehr" (Andrej Swjaginzew)


DVD-Auswertung englischsprachig

  • Alila (Amos Gitai)
  • "Goodbye, Dragon Inn" (Tsai Ming-Liang)
  • Le Cerf-volant - "The Kite" (Randa Chahal Sabag)
  • Um filme falado - "a talking picture" (Manoel de Oliveira)
  • "The floating landscape" (Lai Miu-Suet)
  • Pornografia (Jan Jakub Kolski)
  • "Loving Glances" (Srdjan Karanovic)


DVD nur im Heimatland erhältlich, aber mit englischen UT

  • Baramnan gajok (Im Sang-Soo) (2008 auch auf arte gesendet)
  • Segreto di stato (Paolo Benvenuti)


DVD nur im Heimatland, ohne englische UT

  • Raja (Jacques Doillon)
  • Les Sentiments (Noémie Lvovsky)
  • Il miracolo (Edoardo Winspeare) – diesen Film gibt es aber immerhin mittlerweile in einer DVD Box zum italienischen Kino 2004-2011 (8 Jahre nach Venedig 03!) mit englischen Untertiteln.


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Persönliches Fazit:

Nur vier Filme aus diesem Venedig Jahrgang scheinen mir großartig bzw. auch im kollektiven (cinephilen) Gedächtnis gespeichert: 21 Grams und der "Gewinner" The Return sind kraftvolle, visionäre Werke, Twentynine Palms auch (sicher sehr umstrittenes, aber) eindrucksvolles Kino. Und Goodbye, Dragon Inn von Tsai Ming-Liang hat sich ja im letzten Jahrzehnt einen enormen Kultstatus erarbeitet. Muß ich endlich mal sehen.

"Zatoichi" war sehr nett, "Um filme falado" ebenso, wenn auch etwas zäh.



Zu den anderen 14 Filmen kann ich nichts sagen...Bellochio und Winterbottom interessieren mich am meisten...vielleicht kann ja eine/r der LeserInnen und auf diesen Eintrag Stoßenden etwas ergänzen?

24. August 2013

Ai to Makoto (Takashi Miike) 6,8



Endlich wieder mal Miike auf der großen Leinwand!
(nicht, dass er in Wien dahingehend nicht ausreichend und sehr zufriedenstellend gefeatured würde - danke Slash, danke Filmmuseum und danke auch Viennale! Aber endlich habe ich es mal wieder geschafft, wenn auch hundemüde in die Sehr-spät Vorstellung am Ende eines mühsamen 21 Stunden Tags, aber gut...)

Die große Vorfreude wird bald von körperlicher und seelischer Qual abgelöst. Eine überdrehte, kindische-pubertäre Musicalparodie, deren Nummern immer bescheuerter werden und nach einer gewissen Zeit einfach nicht mehr erträglich sind. Mit dem unfassbar scheinenden Gedanken spielend, aus dieser Nervtüte eines meiner Lieblingsregisseure einfach abzuhauen, versuche ich der anderen Stimme zu gehorchen, die mir versichert, dass Miike immer etwas Interessantes macht, und wenn es sich im Augenblick noch so blöd anfühlt.

Und tatsächlich, seine überdrehte Teenieliebe/Dreiecks-Romanzen/Gewalt-Groteske wandelt sich subtil, und schön sanft übergehend, düstereren Tönen und weniger unerträglich gesungenen (trotzdem noch überdrehten) Szenen zu. Manchmal erinnert das groteske Schul-Gangs-Szenario an Miikes eigenen (auch eher schwachen) "Crows Zero" und manchmal auch an das nicht allzu bekannte japanische Drama "Blue Spring".

Am Ende kann der Film doch was, wenn auch Miike kein richtig fesselndes Kino fabriziert hat. 

Vielleicht ist dahingehend seine Zeit doch eher vorbei, die (sympathischen) Juxfilme scheinen vom Gefühl her in dieser Phase mehr Überhand zu übernehmen. Freilich gibt es ja daneben auch seine Oldschool-Samurai-Schiene (diese Filme habe ich leider noch nicht gesehen).
Und vielleicht wendet er sich ja auch bald wieder den düsteren Thrillern oder den wirklich abgefahrenen Abgründen zu. Auch wenn er dahingehend eh schon Einiges erforscht hat....

19. August 2013

O som ao redor (Kleber Mendonça Filho) 8,0



Ein Film a la Altmans "Short Cuts" und Konsorten kündigt sich an: ein Genre, das völlig ausgewalzt scheint und das ich dennoch mit am meisten mag; ein Genre, das immer wieder eine ideale Möglichkeit schafft, in kleine Gesellschaften (bzw. -schichten) einzutauchen; Menschen, also filmische Charaktere kennenzulernen, und sich von meist dramatischen Konzepten von ambitionierten FilmemacherInnen mitreißen zu lassen.

Der Filmemacher zeigt uns in seinem ersten Spielfilm eine Wohngegend in Brasilien, die zunächst wie ein Gemeindebau wirkt, aber bald realisiert man, dass hier nicht die sozial Schwächeren im Mittelpunkt stehen, sondern es eher um die Reichen und vom Reichtum und dem Leben Gelangweilten geht –  Filho münzt dieses per se nicht wahnsinnig spannende Sujet in einen überzeugenden, packenden, oft ruhigen, manchmal geradezu berstenden Film, bietet eine faszinierende Mischung aus Dramatik/Dramatisierung und dem Vermeiden von Überdramatisierung. Auch wie sich die unterschwellig-unheimliche Vorahnung von Gewaltausbrüchen und Tragödien aufbaut, und dann ungewöhnlich und souverän aufgelöst wird, spricht für Film und Regisseur.

16. August 2013

Journal de France (Claudine Nougaret et Raymond Depardon) 9,1






Endlich was Neues von Raymond Depardon, dem Patron dieses Blogs (dank seinem unglaublich schönen La vie moderne). Hier ist er nur zu einem geringen Teil Co-Regisseur des Films, einer Art Best of- Film-Biographie mit bewegenden Szenen aus seiner vielschichtig-zahlreichen Karriere als politischer Filmjournalist und Künstler, eingebettet in den Rahmen einer Fotografie-Reise durch Frankreich.

Die extrem hohe Wertung für diese liebevolle Filmcollage ist dabei eher als sog. „Fanboy“-Ansicht zu verstehen, denn bei den Ausschnitten aus Depardons Werken (Begleitung von Einwohnern Afrikas und Südamerikas, Dokumentationen über Menschen in der Psychiatrie, Verhandlungen bei Gericht, und immer wieder spürbar das feinfühlige, manchmal auch herausfordernde, aber immer positiv neugierige Filmen von Menschen, egal wo auf diesem Planeten) möchte ich am liebsten sein gesamtes Schaffen lobpreisen. Das ist der pure Stoff.

Ob man auf die meisten dieser hier kurz angerissenen Werke überhaupt jemals komplett wird zugreifen können, ist äußerst fraglich und gerade das ist auch ein Grund dafür, warum diese zärtliche Huldigung von Depardons langjähriger Ton-Meisterin selbst ein so fantastischer Film geworden ist.

15. August 2013

5 broken cameras (Emad Burnat & Guy Davidi) 7,x



Palästinensische Aufstände im Westjordanland. Einwohner eines kleinen Dorfes versuchen sich gegen die israelische Armee und die israelischen Bauvorhaben zu stellen; der Ko-Regisseur dieses Films, Emad Burnat, ist immer mit der Kamera dabei – keine Überraschung, dass fünf Kameras im Lauf der Dreharbeiten zu Bruch gehen.

Der Film ist gewiss ein intensives Dokument dieses ewigen, schrecklichen Konflikts und der sinnlosen, aber vielleicht auch nie mehr zu beendenden Spirale der Provokationen und Gegenprovokationen. Die offensive, genau gar nichts zu einer möglichen Deeskalation beitragende Einstellung des Regisseurs und seiner Kompagnons macht aber auch wütend. Der dreijährige(!) Sohn wird zu den gefährlichen Demos mitgenommen um so „zum Mann zu werden“, die um ein Ende dieses Filmens und damit eines permanenten Leben aufs Spiel Setzens flehende Frau wird kurz gezeigt, dann aber mit den Worten „Ich muss das tun“ wieder abgedreht.

Man versteht die Wut der Menschen in deren Situation, aber als Zuschauer fühlt man sich dann doch etwas unwohl, wenn dem wenig diplomatisch anmutenden Film beim Abspann heftig applaudiert wird. Selbst wenn die Situation schrecklich ungerecht und ein Kampf gegen Unterdrückung immer legitim ist – selbst naive filmische Vermittlungsversuche wie Lemon Tree scheinen mir sympathischer..

14. August 2013

Da-reun Na-ra-e-suh / "In another country" (Hong Sang-Soo) 7,5



Ob Hong Sang-Soo jetzt vielleicht der neue Rohmer oder möglicherweise der neue Woody Allen ist, müssen andere entscheiden, Fakt ist, dass wir es hier mit einem klassischen Auteur zu tun haben, in dessen kauzigen Mann-Frau Filmen es quasi immer ums Gleiche geht, und die im Lauf der Jahre immer schwerer unterscheidbar sind. Bis auf diesen vielleicht, und das hat natürlich auch Casting-Gründe (La Huppert!). Und den drolligen Lifeguard natürlich. 

Drei Episoden, vergnüglich und doch melancholisch; Hong fühlt sich hier sehr heiter, schwebend an und in seinem eigenen Feld ist er natürlich längst ein Virtuose. Dass es aber spannendere Filmemacher in diesen Tagen gibt, die nicht nur immer das exakt selbe Feld beackern, muß man auch immer wieder festhalten. Der nächste Hong wird aber vermutlich auch wieder gerne gesehen.

13. August 2013

Che sau / "Motorway" (Soi Cheang) 7,0



Soi Cheang war bisher vor allem durch den großartigen, wild romantischen "Love Battlefield" in Erinnerung. Sein Accident war zwar imponierend gefilmt, ließ mich aber deutlich kälter als so manch andere begeisterte Filmfreunde.

Und da sitze ich dann (bei der Viennale 2012, ich bin langsam leicht in Verzug mit meinem Filmtagebuch) in den ersten 30 Minuten von "Motorway" (so ein bisschen mit diesem Gedanken, hoffentlich einen besseren Drive zu sehen) und langweile mich fast zu Tode. Autos, Motoren, der übliche Maskulinquatsch. Das reinste Gähn-Thema also und das fetischistische Filmen dieser Elemente scheint verzichtbar.

Doch zum Glück kratzt das Vehikel dann rechtzeitig die Kurve und Cheang haut dem fast schon eingenickten Enttäuschten plötzlich eine dermaßen beeindruckende, ewig lange Verfolgungssequenz daher, dass der eine oder andere Meisterwerk-Kommentar plötzlich wieder glaubwürdig erscheint.

Die simple Meister-Schüler Geschichte in Gewand eines Autobeherrscher-Polizei-Gangster-Films ist aber letztlich nicht mehr als ganz nett, auch wenn Cheang phasenweise atemberaubend inszeniert. Doch richtige Intensität resp. fiebriges Kino, das mehr als über eine Spielerei hinauskommt, wird nicht erreicht.

15. Juli 2013

Kurzkommentare (slash, u. Viennale 2012)


Nightbreed (The Cabal Cut) [Clive Barker] 6,25
Kultfilm, endlich in der ursprünglich geplanten Version zu sehen, wenn auch nur in teilweise unglaublich dunkler und erkennensfeindlicher VHS Qualität.
Die Idee des Films (Monster gut und sympathisch, Menschen böse und feindlich) ist toll, die Ausführung leider gar b-illig. Man spürt in dieser längeren, oft um gefühlige Szenen bereicherten Fassung deutlich, dass Barker seinen tragischen Helden Leben einhauchen wollte; richtig mitreißend wird es dennoch nicht. Cronenberg als irrer u. mordender Psychiater hat natürlich was, doch an intensiver Spannung fehlt es trotzdem weitgehend.
Immerhin, die letzte halbe Stunde hat es in sich und lohnt den Blick auf das ursprüngliche Werk; wenn die Menschen/Polizisten die Outlaw-Festung Midian stürmen, bricht ein wüstes Gemetzel los, das man nur zu gern in echter Kinoqualität sehen würde; die Chancen dafür stehen aber wohl nicht besonders gut...
"Nightbreed" bzw. "Cabal" bleibt trotz aller B-Movie Probleme in dieser Form ein zwar etwas ungelenkes, aber sympathisches Monstrum.


Oca/Dad (Vlado Skafar) 8,3
Sanfte Poesie und Melancholie in einem ungewöhnlichen, leisen, wunderbaren Film. Ein Vater geht mit seinem Sohn angeln, die Kamera gleitet ruhig dahin wie die Wellen am kleinen See...
Vermeintlich kleine, aber elementare Geschichte mit Gefühl und ungewöhnlichem, ausdrucksstarken Epilog.


Beyond the black rainbow (Panos Cosmatos) 8,25
Definitiv ein arger, irrer Trip, auch wenn oft an der Grenze zum Nervigen, Lachhaften. Aber das in so einer Konsequenz durchgezogen ist schon der Hammer. Auch wenn leider ausgerechnet das Ende dem völlig losgelöst Trippigen wieder Fahrt nimmt. Dennoch, besser als z.B. Noes letzter, und das Erlebnis wert (hoffentlich auch abseits des Kinosaals).


Into the Abyss (Werner Herzog) 8,1
Werner Herzogs Film über zum Tode Verurteilte. Herzog nähert sich wie immer souverän und vollständig respektvoll. Bewegend und manchmal so schräg wie halt eben das Leben auch in den schlimmsten Facetten sein kann, und Herzogs Filme eh immer sind.


Sinapupunan/Thy Womb (Brillante Mendoza) 7,5
Angenehm wie Mendoza das Leben „der Menschen im Süden“ inszeniert. Während irgendwo daneben und dazwischen kriegsähnliche Zustände herrschen (siehe auch „Captive“) und das Militär durchs Bild läuft, filmt der vielleicht wunderbarste Filmemacher dieser Zeit einfach weiter: u.a. majestätische Riesenfische oder eine Kuh, die vom Boot fällt: im Geiste großes Kino, dem ein kleines bisschen die Dringlichkeit und das Famose seiner vorigen drei Meisterwerke fehlt..


San zimei/Three Sisters (Wang Bing) 8,25
Lange und sicher manchmal langatmige Dokumentation eines Lebens in der Abgeschiedenheit in den Bergen Chinas und in großer Armut: unmittelbares, maximal humanistisches Kino.


Anton tut ryadom/Anton's right here (Lubov Arkus) 5,5
Film-Porträt eines autistischen Jungen. Wie zu erwarten ist das natürlich etwas schwierig anzuschauen, aber unter dieser Regie auch bald nicht mehr als belanglos. Das „Tolle“ und das ist ja auch wirklich schön, an dem Projekt: dass die Filmemacherin bzw. die Filmcrew Anton im Verlauf der Dreharbeiten nicht nur filmt, sondern auch fördert und unterstützt. Dass der Film aber oft danach zu schreien scheint: „Seht her, wir filmen nicht nur, sondern kümmern uns auch um den Jungen!!“, ist irgendwie auch ziemlich nervig.

12. Juli 2013

Resident Evil: Retribution (Paul W.S. Anderson) 6,3



Mit dem RE-Vorgänger Afterlife war Anderson ein enorm beeindruckendes Werk gelungen: so blöd die Dialoge oder völlig sinnfrei bis vermutlich bescheuerte Fortführung der RE Geschichte/Reihe auch war – diese gestylte 3D Action war tatsächlich sinnlich aufregend.

Mit ähnlichen Erwartungen konnte man sich also, nach einem durchaus auch ansprechenden 3D-Musketier-Versuch Andersons in „Retribution“ begeben.

Leider wirkt dieser pompös-schwelgerische Stil schon wieder etwas verbraucht und die beeindruckenden Momente bleiben diesmal zu gering für ein sinnliches Kinoerlebnis. Das Beeindruckendste am Film ist schon auch ein bisschen ein Problem: Hier ist ALLES Virtual Reality: die Umgebung, die Figuren, alles. Jemand stirbt, nur um kurz danach, entweder na klar als Zombie, aber auch als Klon, Parallelwesen oder weiß der Geier was wieder zurückzukehren. 

Die Kühle einer solchen post-everything/absurdistischen Welt ist manchmal sehr gut umgesetzt, zu einem packenden, „menschlichen“ Film führt das halt aber auch nicht. Anderson kann es nach wie vor sehr gut, kämpfende Menschen (vor allem Frauen) in aufregend arrangierten Kunstszenerien antreten zu lassen, aber es bleibt fast immer das Gefühl, das Gleiche nur leicht besser schon vor zwei Jahren bei "Afterlife" gesehen zu haben.

Dennoch...hat was, vielleicht ja doch beim nächsten Mal wieder...

5. Juli 2013

Au cul du loup (Pierre Duculot) 8,4



Es ist nicht bloß ein Film über eine junge Frau, die aus ihrem mittelmäßigen Stadtleben ausbricht, sich gegen Eltern und Partner stellt, und ihr Heil am Land bzw. in den Armen eines (etwas gar fesch-schlafzimmerblickend und verständnisvoll gezeichneten) Schäfers sucht, um ein völlig heruntergekommenes Haus in einem fast ausgestorbenen Dorf im Nirgendwo zu renovieren und es zu bewohnen.

Der umwerfend schöne, durchgehend luftig-frische Film mit dem ungewohnten Mut zu einer wahrlich nicht besonders „schönen“ Hauptdarstellerin ist metaphorisch zu verstehen: für alle Menschen, die ihren eigenen Weg gehen müssen, die scheinbar völlig unvernünftige Dinge tun müssen, um sich lösen zu können - von Eltern, Partnern etc.

Wunderbar zeigt das liebevolle Werk aber nicht bloß das Drama des Widerstands und des Konflikts, sondern auch was es heißt, trotz deutlicher Differenzen zusammenzuhalten: wie die Menschen, die einen scheinbar für verrückt halten und für diese Verrücktheiten scheinbar verteufeln, plötzlich doch wieder dastehen und ihre Hand zur Unterstützung und Versöhnung reichen.

„Das Haus auf Korsika“ ist ein humanistischer Film, und atmet damit sozusagen den Geist vieler alter Werke von Meistern wie Rossellini oder Kurosawa, die von Herzlichkeit und Wärme geprägt waren, und von armen Menschen erzählten – auch wenn diese Geschichte im Mittelstand spielt, erreicht sie dennoch universale Größe.

4. Juli 2013

Farben einer langen Nacht (Judith Zdesar) 3,2



Der Titel dieses bei einem kleinen feinen Dokufilmfestival in Wien gezeigten Films, mit dem Setting eines kleinen Dorfes am Po der Welt in Grönland, in Kombination mit Bildern einer finsteren Winterlandschaft, die poetische Schönheit ausstrahlen, ließ Großes erwarten. 

Der Beginn ist dann auch atemberaubend schön: Aus dem Flugzeug gefilmt die Sonne, die unter den Wolken verschwindet und dabei in einer Minute ca. zwanzig verschiedene atemberaubende Farbschattierungen annimmt. Danach folgt die Kamera der in Nacht und bei starkem Wind durch den klirrenden Schnee stapfenden Filmemacherin auf dem Weg ins Dorf...

Dort zeigt sich leider sehr bald, dass weniger die titelgebende Nacht oder deren Farben von Interesse sind, sondern eher banales Interviewen und Porträtieren der Menschen im Dorf. Vereinzelt spürt man den Kunstsinn von Zdesar, etwa wenn sie eine verendende Fliege in ihrem leisen Zimmer filmt. Doch zu oft ist das spürbar, was leider im Gespräch danach bestätigt wird: dass es beim Dreh keinen besonderen Plan gab. Dies muss freilich nicht immer sein, und Zdesar geht auch sehr offen und sympathisch auf die DorfbewohnerInnen zu, doch jemand, der viel ins Kino geht und dort auch viele an Menschen interessierten Filme sieht, kann dabei schon mal ächzen und das Einnicken sehr verführerisch finden.

Es gibt natürlich viel Schlimmeres und gegen ein Dorfporträt mit Selbsterfahrungscharakter ist an sich wenig einzuwenden, aber dieser kleine Film ist leider arg beliebig geraten.

21. Juni 2013

Low Definition Control (Michael Palm) 7,2



Faszinierend, humorvoll und intelligent. War vor allem das Q&A nach dem Film von Michael Palm.

Sein Essay selbst hätte ohne diese charmante Nachbereitung im Wiener Filmmuseum vermutlich weniger bedeutend und überzeugend gewirkt. Die sperrige Form mit Wortmeldungen zahlreicher ExpertInnen, die nur auf Tonspur und ohne bildliche Identifikationsmöglichkeit reden, während man versucht, die Bilder zu entschlüsseln, lässt einen schon mal zum geistigen Durchpfeifen motivieren, obwohl man gerne den Denkansätzen folgen würde. Nur scheint das über 90 Minuten in dieser Form kaum möglich. In diesem Zusammenhang ist spannend, was Palm nach dem Film in einem anderen Kontext sagte, nämlich man solle es nicht als Fluch, sondern auch als Chance betrachten. Vielleicht ist also die (absichtliche?) Schwierigkeit des Films auch sein Reiz, dass man sich nämlich sowohl auf der Ton- als auch auf der Bildspur verlieren kann.

Bei so einem offensiv „intellektuellen“ Werk stellt sich automatisch die Frage, wie bedeutsam der Film als gesellschaftliches Diskursmittel sein kann. Dass die ständige Überwachung bzw. die Tendenz zur Überwachungs-Gesellschaft höchst kritisch zu betrachten ist, könnte fast jeder und jedem, der sich vor so einen Film setzt, bereits klar sein. Reizvoll ist jedenfalls das Spiel mit genau jener Erwartung, Bedeutsames zu sehen; denn oft sind die Aufnahmen völlig banal und man bekommt eher Mitleid mit den „Überwachern“, die all diese Banalitäten aufzeichnen, in der Hoffnung Relevantes festzuhalten.

Einer der besten Momente des Films ist jener, als man sieht, wie scheinbar eine Zigarette geklaut wird: Wir sehen es ganz deutlich, aus den Bildern allein geht jedoch nicht hervor, ob es ein "Verbrechen" war. Wir kennen den Kontext abseits des Bildausschnitts nicht, und somit wird eindrucksvoll gezeigt, wie sehr wir uns von Gedanken wie "Bilder zeigen stets die Wahrheit" verabschieden müssen (auch wenn es schwer fällt, und vermutlich auch oft sehr wohl eine Wahrheit ist, die wir sehen).

Der anstrengende Essay kann jedoch auch durch die bloße Schönheit von Bildern hängenbleiben – was u.a. auch zeigt wie entspannt Palm diese ernste Sache letztlich angeht: Genial die schwelgerische, seelenruhige Aufnahme eines fantastischen Aquariums; folgend der Aussage, man brauche Bilder, die so überwältigend sind, dass man ein Leben brauche, um alles daran zu sehen...

Auch solche Filme werden gebraucht...und LDC könnte vielleicht sogar so einer sein...

9. Juni 2013

War Horse (Steven Spielberg) 3,6



Mit großer Wahrscheinlichkeit Spielbergs schlechtester, vielleicht sogar der einzig wirklich schlechte Film seiner tollen Karriere. Nichts an dieser über zweistündigen Liebesgeschichte zwischen Jüngling und Pferd ist so gekonnt spannend wie die meisten seiner Filme, oder gar von Bedeutung über sein eigenes Schaffen hinaus.

Am "schönsten" ist das seltsame Drama in seinen Kitschmomenten, die so hemmungslos plakativ geraten sind, dass man weder lachen noch weinen sondern irgendwie nur noch paralysiert grinsen kann...leider sind diese Momente aber so rar gesät, dass der (liebevolle) Trashfaktor ziemlich untergeht; nur Anfang und Ende sind derart ultrakitschy.

Zu Beginn erinnert lustigerweise vieles an Peter Jacksons ebenda auch noch heile Tolkien- bzw. Auenland-Welt: Ausleuchtung, Kameraperspektiven, Haus im Grünen, ja selbst die Haare der DarstellerInnen. (Heißt der Film gar deshalb auf deutsch: "Gefährten"?)

Spielberg hat an AkteurInnen übrigens einiges an Können versammelt; vor allem im ersten Drittel zeigen Mullan, Thewlis und Watson, wieviel Potential hier eigentlich vergeudet wird. Dieser erste Abschnitt ist rückblickend dank des Kitschfests zu Beginn noch der beste, danach wird "War Horse" zum Kapitelfilm und völlig belanglos. Spielberg hat dem, seinem Kriegsfilmuniversum nichts Relevantes mehr hinzuzufügen, weder formal noch inhaltlich; das Pferd als schicksalsabhängig "Reisender" hat schon so manchen zur Bemerkung "Spielbergs Balthasar" bewogen; durchaus treffend, aber natürlich kann man so nur verlieren. Manchmal erinnert die Odyssee auch an den vielleicht spielbergsten aller Nicht-Spielberg Filme: Forrest Gump.

Nach einem völlig belanglosen Mittelteil versucht der weltweit wohl bekannteste aller Filmemacher gegen Ende leise Magie und Humanismus zu vermengen, und das hat, bei aller Naivität auch was (flüchtendes Pferd im Stacheldraht, gemeinsame Befreiungsaktion), aber eben nichts Bedeutsames. Alles, was man hier sieht, meint man schon fast exakt so woanders bereits gesehen zu haben.

Zum Schluß kehrt Spielberg wieder zu diesen diesmal eigenartig blutleeren "schönen (jedoch nicht bewegenden) Bildern in den warmen Farben" zurück, eine Hommage an Filme von John Ford soll das laut den Kennern sein.

Das Junge/Pferd/Kriegs-Drama ist jedenfalls ordentlich in die Hose gegangen: weder unfreiwillig heiteres Kitschfest, und schon gar nicht fesselnd-bewegend-emotionales Epos; "War Horse" ist bloß ein mageres Pseudoepos mit einer leisen Ahnung von all dem, was Spielberg, trotz all den Reibepunkten an seinem Stil, sonst eigentlich immer perfekt beherrscht.

4. Juni 2013

Lawinen der Erinnerung (Dominik Graf) 7,8



Trotz Dominik Graf (dem "deutschsprachigen Regie-Hype 2012") war ich zunächst eher skeptisch, ob eine “TV-Doku über einen Mann, der erzählt” großartiges Material sein könne, wurde dann aber von dieser hier ausgebreiteten, angenehmen Komplexität förmlich überrollt. 

Das ganz große Meisterwerk wie für Rajko, Andreas und Christoph von den Eskalierenden Träumern, ist der Film für mich nicht. Auch wenn genau das, was Christoph in seinem Tagebuch dazu schreibt, die außergewöhnliche Qualität des Films darstellt: "...bin plattgedrückt. Die vielen Verflechtungen und Verwinkelungen des Films und diejenigen, die sie wiederum in mir selbst ausgelöst haben, eine rasende Kette von Gedanken und Gefühlen, die sich mit Assoziationen verknotet, schließlich auch mit Bildern, alles in solchen Mengen und mit solcher Kraft, dass ich teilweise dem Film zu entgleiten drohte, auf das Gleis meiner eigenen Ketten."

Ich selbst habe mir leider keine Notizen zum Film gemacht (vielleicht ja genau deswegen, weil er zu komplex ist, um ihn "mal eben so mitzunehmen"), und ein Gedächtnis, das zwar mit Namen etc. gut kann, aber bei weitem nicht an jenes des hier porträtierten Oliver Storz heranreicht; und jetzt, ein gutes halbes Jahr danach, habe ich eher mentales Taumaterial als Schneemassen in mir..nur noch das verschwommene Gefühl, dass dieses Werk vielleicht doch einen Tick zu ausgestellt eloquent und intellektuell war, um komplett zu begeistern...

2. Juni 2013

Tlatelolco (Lotte Schreiber) 7,3



Filme über Architektur sind nicht so ganz mein Ding (siehe auch hier), aber man nimmt ja gerne im Kino auch immer wieder mal den Kampf mit den eigenen Vorlieben und Desinteressen auf; was könnte eher geneigt sein, einem ein fremdes Thema näher zu bringen als ein toller Film?

Und Lotte Schreiber hat einen sehr humanistischen, weltoffenen Zugang zu ihrem Sujet, dieser riesigen Siedlung in der hyper-riesigen Stadt; die Menschen sind hier mindestens genauso wichtig wie die Erforschung von Gebäuden, und das ist ansprechend.

Der aus drei Ebenen zusammengesetzte Film kommt dennoch nie über „ganz nett“ hinaus, eine Vision scheint zwar vorhanden, aber auch nur mit viel Zusatzwissen greifbar. Macht aber ja nichts. Das Ende verdeutlicht Zusammenführung und Austausch durch einen Kinoklub; wunderbar, und für eine cinephile Filmemacherin folgerichtig.

18. Mai 2013

Blick zurück: Cannes - vor 10 Jahren


Alle Blicke richten sich in diesen Tagen wieder einmal nach Cannes, zu den renommiertesten und glamourösesten Filmfestspiele der Welt. Natürlich ist es nie so, dass in Cannes immer die besseren und bedeutenderen Filme laufen als bei den anderen Festivals; aber fest steht: was hier im Wettbewerb gezeigt wird, hat stets die besondere Aufmerksamkeit der Cine-Welt und eine gewisse Bedeutung im aktuellen Kino.

Der gewöhnliche Cineast ohne Zugang zu den sog. A-Festivals (wie auch Venedig) sollte eigentlich meinen, dass jeder Film, der im Cine-Mekka der Cote d'Azur zu Aufführungs-Ehren kommt, auch eine zumindest kleine Kino- oder DVD Auswertung "zuhause" erhält.

Während man derzeit also in den verschiedenen Zeitungen, Websites und Blogs gespannt verfolgt, was sich dieses Jahr so in Cannes tut (u.a. hier und hier), möchte ich vom beschaulichen Wien aus mit diesem Beitrag zurückblicken, welche Filme, es denn von damals "geschafft haben" (in das kollektive Cine-Gedächtnis), auf jene, die wenigstens irgendwie gezeigt wurden, und ob es auch solche gab, die komplett "untergegangen" sind...das könnten nämlich mit einiger Wahrscheinlichkeit sehr aufregende Filme sein.




Cannes 2003 – Wettbewerb


Kinoauswertung Österreich

  • The Brown Bunny (Vincent Gallo)
  • Ce jour-là (Raúl Ruiz)
  • Dogville (Lars von Trier)
  • Elephant (Gus Van Sant)
  • Les Invasions barbares (Denys Arcand)
  • Mystic River (Clint Eastwood)
  • Panj é asr / "At five in the afternoon" (Samira Makhmalbaf)
  • Swimming Pool (François Ozon)
  • Uzak (Nuri Bilge Ceylan)

DVD-Auswertung deutschsprachig

  • Carandiru (Héctor Babenco)
  • Otets i syn / "Vater und Sohn" (Alexander Sokurov)

DVD-Auswertung englischsprachig

  • Akarui mirai / "Bright Future" (Kiyoshi Kurosawa)
  • Il cuore altrove (Pupi Avati)
  • La Petite Lili (Claude Miller) (arte-Ausstrahlung 2008)
  • Les égarés (André Téchiné)
  • The Tulse Luper Suitcases, Part 1: The Moab Story (Peter Greenaway) (ausgestrahlt im Schweizer TV 2007)
  • Tiresia (Bertrand Bonello) (arte 2006)
  • Zǐ Húdié / "Purple Butterfly" (Lou Ye)

keine Veröffentlichung außerhalb des eigenen Landes (bekannt)

  • Les Côtelettes (Bertrand Blier)
  • Sharasojyu (Naomi Kawase) (arte-Ausstrahlung 2007)



Von 20 Wettbewerbsfilmen erreichten lediglich 9 die österreichischen Kinosäle. 
(Einer mehr, wenn auch hier die Recherche nicht so gründlich war, die deutschen; wobei es seltsam anmutet, warum es ausgerechnet der Sokurov nicht auch zu uns geschafft hat...).

7 der von den deutschen Verleihern übergangenen Werke sind immerhin im englischsprachigen Ausland veröffentlicht worden (was leider nicht überrascht, dass wir hier deutlich hinterherhinken...).
Besonders enttäuschend und durchaus überraschend ist hierbei, dass mit K. Kurosawa, Claude Miller und Greenaway, so wenig ich auch zur Qualität und Genießbarkeit seines Werks sagen kann, Filmemacher vernachlässigt wurden, deren übriges Werk sich dem deutschen Markt ja auch nicht völlig entzieht. Bertrand Bonello wurde mit "L'Apollonide" immerhin fast 10 Jahre später doch noch ein Platz in der Programmkinolandschaft zugestanden.

Von zwei Filmen durchaus namhafter FilmemacherInnen ist keine Veröffentlichung bekannt, wobei man als deutschprachiger Filmfreund immerhin "Shara" von Naomi Kawase bei arte sehen konnte.

Somit bleibt Bertrand Bliers LES CÔTELETTES scheinbar der einzige mysteriös Vergessene dieses Cannes-Wettbewerbs von vor 10 Jahren.

Dass Filme aus Japan oder China bei uns, um es mit Understatement zu sagen, stiefmütterlich behandelt wurden und werden (solange es sich nicht um "Brutales", "Weirdes" handelt), ist ja leider auch keine Überraschung.


Nun auch noch ein kleiner Blick auf die ja ebenfalls immer sehr interessante Schiene UN CERTAIN REGARD:

Hier haben es von 19 Filmen (m.E.) nur 5 ins Kino geschafft, und zwar "American Splendor", "La meglio gioventu", "Crimson Gold" "Young Adam" und, kein Wunder, der österreichische Beitrag "Struggle".

Von den meisten anderen Werken bzw. FilmemacherInnen habe ich noch nie etwas gehört, (mit der Ausnahme des sperrigen Desplechin "En jouant 'Dans la compagnie des hommes'", der irgendwann mal Jahre später zu Mitternacht bei arte lief..).

Hier gäbe es also sicher noch viel zu entdecken.


Da man immer wieder einmal eine Veröffentlichung kleinerer Labels übersehen, und die Auflistung deswegen natürlich eventuell Fehler beinhalten kann, bin ich für Hinweise zu den übergangenen Filmen dankbar. Man könnte sich in dieses Veröffentlichungs-System sicher auch noch weiter vertiefen als ich es mit diesem kurzen Anriß getan habe..


Ich bin gespannt, wie die Bilanz in den weiteren Jahren ausfallen wird. Vielleicht wird dies ja auch so etwas wie eine neue, konstante Rubrik, und irgendwann entsteht dann mal ein komplexer Blick auf die Beziehung zwischen den Festivals und der Auswertung der gezeigten Filme.

Die Hoffnung ist gering, aber sie muß leben: Dass auch die normalsterblichen Cineasten einmal alle diese aufregenden Filme aus Cannes, Venedig und co in den heimischen Kinosälen erleben oder zumindest in den DVD-Regalen entdecken können.


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Inhaltlich kann ich zu diesem Jahrgang gar nicht soviel sagen; meine persönliche Ausbeute sieht nämlich auch zehn Jahre später noch sehr düster aus: Nur 8 Filme aus den beiden genannten Schienen habe ich gesehen!

Dogville von LvT sticht hierbei als der ganz große Wurf heraus, die goldene Palme hätte er für meinen Geschmack noch eher verdient als der allerdings auch sehr tolle Elephant von Kollege GvS.

Die Filme von Eastwood, Ozon und Babenco waren eindrucksvoll, kaum weniger herausragend als die besten Wettbewerbsfilme war American Splendor in der Nebenreihe.

Von den Filmen, die ich noch nicht kenne, scheint mir Uzak von Nuri Bilge Ceylan am spannendsten.


14. Mai 2013

The Grey (Joe Carnahan) 8,3




Ich liebe solche rauen Filme wie diesen, in denen Menschen in einer völlig unwirtlichen, feindlichen Umgebung ums Überleben kämpfen müssen (letztes schräges Beispiel dafür: Essential Killing).

Carnahans durchgehend packender, archaischer Männerfilm ist in einem faszinierenden, eisgrauen „die Natur gefährdet den sonst stets überlegenen Menschen“-Setting angesiedelt, und die Tatsache, dass hier gestandene Männer und nicht grenzdämliche Teenies wie in manchen Slashern um ihr Leben zittern, lässt den Spannungsfaktor enorm steigen. Carnahan, sonst ein Regisseur, der (trotz des womöglich recht guten Thrillers Narc) eher wenig Interesse auf sich zieht, arbeitet oft mit den Mitteln des Horrorfilms bzw. Schockmomenten. Wenn man das Gefühl hat, dies geschehe etwas zu platt, werden sie auch schon wieder weniger.

Neben dem Thrill definiert sich der lakonisch betitelte Reißer vor allem über seine existenzielle Erdung und das persönliche Trauma des Helden (siehe auch hier); Neeson als einsamer, was soll ich sonst schreiben, Wolf trägt den Film, während die Nebenfiguren und das allmähliche Zusammenraufen und -finden natürlich eher nur Klischee sind. Aber das schadet niemals der Intensität. Schade, im Nachhinein hätte ich den nur zu gern im Kino anstatt am Laptop erlebt..wirken konnte er aber auch so zur Genüge.

6. Mai 2013

Drei Mal "Dragon Gate"



Anlässlich der 3D-Kinovorstellung von Tsui Harks Flying Swords of Dragon Gate auf dem letztjährigen slash Festival habe ich mir im Vorfeld auch King Hus Klassiker Dragon Gate Inn ("Die Herberge zum Drachentor") und das von Tsui Hark produzierte 'Remake' New Dragon Gate Inn innerhalb weniger Tage bzw. Stunden angesehen.

In der Hoffnung auf faszinierende Meilensteine eines Genres erlebte ich im Zuge dieses eher zufällig entstandenen Experiments knapp sechs eher zähe, wenig begeisternde Stunden...


Dragon Gate Inn (King Hu, 1967)

Ganz lange während King Hus Film habe ich gedacht: Naja, ein netter Ausgangspunkt für ein Genre, aber das wirkt doch schon leicht angestaubt, ohne dass große Kunst spürbar wäre. Die “komischen” Szenen mit den verschiedenen zankenden Parteien in der Herberge, die man so auch schon in diversen anderen Filmen gesehen hat (z.B. auch in Ang Lees wunderbarem "Crouching Tiger, Hidden Dragon", wenn ich mich recht erinnere..), sind vor allem sehr harmlos...

Generell scheinen die meisten Kämpfe, im Vergleich zum späteren asiatischen Martial Arts Film, noch eher angedeutet, als richtig zelebriert.

Da ist es rückblickend erstaunlich, dass der oft doch arg zähe Film doch der beste der drei Versionen ist; und der Klassikerstatus zumindest halbwegs nachvollziehbar. Denn gerade am Ende gelingen Hu noch diese Elemente großen Kinos, die zuvor vermisst wurden: er baut eine geniale Atmosphäre auf, gipfelnd im faszinierenden Endkampf; eine Qualität und Intensität, die übrigens meinem Empfinden nach in keiner einzigen Szene der beiden Folgefilme von (bzw. unter der Ägide von) Tsui Hark erreicht wird.
7/10


New Dragon Gate Inn (Raymond Lee, 1992)

Film 2 weckte im Vorfeld und zu Beginn große Erwartungen. In blasser Erinnerung sind mir nämlich aus dieser (goldenen?) Ära des HK Martial Arts Kinos noch meine leuchtenden, ungläubig staunenden Augen auf den genial-entfesselten, wildromantischen "Bride with white Hair", oder die irre Kamera aus Harks "The Blade". Auf genau so etwas hatte ich nach jahrelanger Abstinenz wieder einmal richtig Lust. 

Der Anfang des Films gerät auch genauso phänomenal, wie erhofft; danach erstaunt es, dass im weiteren Verlauf bei weitem kein 1:1 Remake von King Hus Klassiker angestrebt, sondern Augenmerk auf andere Elemente gelegt wurde (geheimnisvolle Frau spielt mit Männern, Liebesgeschichte). Eher kein Vorteil für den immer zäheren Film, der durch das ewige Kokettieren von Maggie Cheung auch latent nerviger wird...immerhin gab es ein schräges Treibsand-Finale mit herzigen Knochenstumpf-Effekten..
6/10


Flying Swords of Dragon Gate (Tsui Hark, 2011)

Am selben Tag noch, kurze Zeit später war ich trotz der Ernüchterung nun sehr gespannt auf Harks 3D-Version 20 Jahre danach (von der Lukas Foerster sehr geschwärmt hatte), aber vielleicht sind zwei so ähnliche Genre-Filme innerhalb weniger Stunden dann doch zuviel. Es blieb kaum mehr etwas hängen, der Film fühlte sich wie ein Brei aus den verschiedensten Genre-Elementen an, ich erkannte kaum etwas, das diese Neuinterpretation sehenswert machte; und auch wenn die dritte Version - immerhin - schon wieder ganz anders war als die beiden zuvor, hat mich abgesehen davon fast nichts daran abgehalten, geistig wegzudösen..
5,5/10



Müde und abgeschlagen aus der Herberge Kino getorkelt, Kopf wieder frei machen für die kommenden Filme...

4. Mai 2013

Sehen Sie sich das an!

Einer der schönsten und ergreifendsten Filme, die ich kenne, LA VIE MODERNE, aus Raymond Depardons PROFIL PAYSANS-Reihe, ist noch knapp 3 Tage in der arte-Mediathek zu sehen: http://videos.arte.tv/de/videos/baeuerliche-profile--7470162.html



Auch wenn man dieses Meisterwerk bevorzugt im Kinosaal spüren sollte..



Die anderen Teile der Trilogie sind ebenfalls noch kurze Zeit dort abrufbar!

24. April 2013

The Tall Man (Pascal Laugier) 5,6



Eine gute Stunde lang inszeniert Pascal "Martyrs" Laugier aufregend und atemberaubend eine Schaudergeschichte in einer düsteren amerikanisch-ländlichen Szenerie, die dem Setting des herausragenden Winter's Bone ähnelt.

Mit dem ersten (scheinbaren?) Twist und grenzgenial angelegten Assoziationseinladungen an Hostel (in weiterer Folge aber auch an Laugiers großartigen Vorgänger Martyrs) scheint der lange Zeit enorm packend inszenierte Film um mysteriöse Kindesentführungen durch eine monströs-menschliche Gestalt auf eine Horrorzielgerade einzubiegen, doch dann schlägt Laugier, auch Drehbuchautor, plötzlich irrwitzige Haken.

Das sehr eigenwillige Vorgehen ist im Kern gar nicht so ein übertriebenes Twist-o-Rama, sondern vielmehr scheint der Filmemacher selbst, ähnlich wie eine Figur im Film oder auch der Zuschauer mit seiner eigenen Orientierung zu kämpfen...will er sich vielleicht Schritt für Schritt vom Horrorfilm abwenden und mit seinem Kino "nur noch" sozialdramatisch nachdenken? Oder werden auch zukünftige Laugiers solch einen achterbahnartig-irrwitzigen Spagat zwischen Angst, Schrecken und nachdenklicher Botschaft schaffen wollen?

Es wäre übertrieben zu sagen, dass es fasziniert über Laugiers Ansinnen nachzudenken, denn sein Film verliert mit der Zeit seinen Drive, und setzt die grundlegend großartige Idee, den Horrorteil völlig zu beenden und in die Sozialnachdenklichkeit zu gehen, nicht ganz so großartig um..
Gegen Ende zieht sich alles gar wie ein bereits völlig den Geschmack verloren habender Kaugummi.

Man kann dennoch gespannt sein, wie es mit Laugier weitergeht. Seine Ideen und Motivationen mögen hervorragend sein, der Film ist es leider (im Gegensatz zu Martyrs) nicht, sondern in Summe auf ziemlich verrückte (durchaus erlebenswerte) Weise etwas banane.

18. April 2013

Tim and Eric's Billion Dollar Movie (Tim Heidecker & Eric Wareheim) 7,2



...krankt leider an den bereits bekannten Problemen, die Kinoumsetzungen subversiv-wahnwitziger TV-Formate immer haben.

Das Geniale an den Komikern und deren Inhalten wird in eine Rahmenhandlung und "schöne Bilder" gehüllt, die leider nur selten (zu selten) durch Einschübe wie die irren Präsentationen u.ä. aufgebrochen werden. Zudem zwingt der Gross Out Humor oft zum Mitlachen, ist aber natürlich nicht die wahre Qualität des Duos; da sind z.B. die homoerotischen, sensiblen Momente (inklusive genial subtiler Brechung) viel spannender und auch viel lustiger.

Dennoch ein absolutes Highlight of (Hochglanz-)filth: die irre Parallelmontage, als Eric Tim mittels Drogenassistenz seine Traumfrau ausspannt um mit ihr im Sexshop wüst zu verkehren, während der völlig benebelte Tim die unfassbare „Shrim“-Therapie erhält – flach und eklig, aber auch großes Kino!

Dieser Film geht (im positiven Sinne) viel zu weit, heißt es im Programmheft und das ist dann auch das Beste daran: ein Kind wird geopfert, Köpfe abgesäbelt, eine Eichel in Großaufnahme gepierct, usw...: diverse Tabus werden betont geschmacklos, herrlich direkt und verschmitzt verwurstet. Die Beziehung von Tim und Eric pendelt seltsam und verstörend undurchschaubar zwischen inniger Freundschaft und hinterlistigen Aktionen..

Nach South Park & Team America, Sacha Baron Cohen und co können Tim und Eric in ihrem Kinoabenteuer der subversiven „Zu weit geh“-Comedy kaum mehr etwas Neues hinzufügen: etwas, das sie mit ihrer Fernseh-Show vermutlich schon leisten konnten, denn zumindest die erste Folge erweckt ganz stark diesen Anschein und das enorme Potential der beiden Guerilla-Komiker.

Vor allem scheint jedoch das von mir verehrte elaborierte Nonsense-Kino von Adam McKay, Will Ferrell und John C. Reilly (Talladega Nights, Step Brothers) Vorbild zu sein, an deren rasenden und hochgenialen Irrsinn Tim and Eric's Billion Dollar Movie in Summe, trotz etlicher sehenswerter Momente, nie ganz heranreichen kann - obwohl ausgerechnet Reilly als todkranker, bluthustender "retard" die lustigste Figur des Films gibt.

8. April 2013

In film nist (Mojtaba Mirtahmasb & Jafar Panahi) 8,3


 
Dies ist kein Film. Dies ist vor allem ein wichtiges Statement. Jafar Panahi aus dem Iran hat ein gerichtliches Drehverbot, er ist jedoch getrieben, zum Filmen verdammt, und wenn es nur solche scheinbaren Alltagstrivialitäten wie die kunstvolle, unterschwelligen Suspense-erzeugende Fahrt mit dem Müll-Entsorger im Aufzug sind.

Dahinter steckt aber, und das macht wohl ein Genie aus, deutlich mehr: Das fast herzzereissende Nachspielen des eigenen Drehbuchs auf dem heimischen Teppich, die Anrufe von und nach draussen - mitten in der Unsicherheit über das Berufsverbot, Poesie mit dem Leguan: dieser reflexive, bitter ironische und todernste Nicht-Film ist in seiner Summe leichtfüßiges, wichtiges, bedeutendes, mutiges Kino geworden.

Am Ende nimmt der unterdrückte Künstler das I-Phone, Hauptsache mit irgendwas wird gefilmt...: Ein Monument für die Freiheit der Kunst und die Freiheit der Menschen.

7. April 2013

Le roi de l'évasion (Alain Guiraudie) 8,75


Bei Phrasen wie skurriler Humor, eigenwilliger Stil usw. und Verweisen an das Kino von Jim Jarmusch oder auch eines Roy Andersson lässt sich noch längst nicht nachvollziehen, wie grenzgenial Alain Guiraudie diesen Film gestaltet hat. Sein (Anti?)Held ist ein übergewichtiger Homosexueller, der eine Affäre mit einem 16jährigen Mädchen hat - und das auch noch auf der Flucht vor dem erzürnten Vater und der Polizei - im Wald.

Hier werden tabubesetzte Themen, die in anderen Filmen möglicherweise subtiler oder weniger deutlich behandelt würden, den Zusehern mit sichtlichem Vergnügen offenherzig vor den Latz geknallt. Armand, der "Ausreißer" bzw. "König der Fluchten", ist in der zweiten Filmhälfte fast nur noch in knapper Unterhose unterwegs, sein gewaltiger Leib schwabbelt ununterbrochen durchs Bild, er liegt gewichtig auf der zarten minderjährigen Curly, doch das wirkt nie auch nur im Ansatz peinlich, und alle Kuriosität, die den Szenen innewohnt, ist nie so inszeniert, dass man sich über den bzw. die Charaktere lustig machen könnte.

In Kombination mit der höchst eigenwilligen Bildsprache und freiem Geist ist ein genuiner, köstlicher, wildromantischer Film entstanden, der auch viel Lust macht, das übrige Werk des (zumindest außerhalb Frankreichs) öffentlich kaum wahrgenommenen Guiraudie zu entdecken.

29. März 2013

The cabin in the woods (Drew Goddard) 7,80



Es ist wohl kein Spoiler mehr, zu verraten, dass TCITW kein reinrassiger junge hübsche Menschen und böse Mächte in Hütte-im-Wald-Horror ist, sondern gleich zu Beginn zwei zynische Laborfritzen eingeführt werden, die die parallel stattfindenden typischen Backwood-Vorgänge mit ihrem Team gemeinsam per Video überwachen und steuern(!).

Somit muß man diese Groteske wohl mindestens einen Meta-Horrorfilm nennen, in jedem Fall eine Ultra-Satire auf ein längst ausgeweidetes Genre. Auch wenn Einiges an der zynischen Ausbeutung des naiven, sinn- und ausweglosen Überlebenskampfes nerven kann, ist der Film auch ziemlich komisch, und der Spagat zwischen grenzbescheuert und grenzgenial gelingt, auch weil trotz der auf die Spitze getriebenen postmodernen Haltung quasi dennoch 'progressiv' Spannung und Stimmung aufgebaut wird.

Definitiv sehenswert ist die nach „Kult“ schreiende Horrorsatire dann vor allem wegen des irren letzten Abschnitts, der in seiner Hemmungslosigkeit dann auch noch mehr Spaß macht als die Metaspäßchen zuvor..