19. Juli 2012

Kurzkommentare - 1. Halbjahr 2012


The Ballad of Genesis and Lady Jaye (Marie Losier) 5,75 

Ein Porträt zweier echter schräger Vögel, die sich durch mehrere OP's aneinander angleichen woll(t)en: wenn die totale Liebe zur Kunst umfunktioniert (=mißbraucht?) wird. Leider ist der Film im Gesamten nicht besonders abgründig oder faszinierend. Stilistisch wird sich Mühe zum Kreativen gegeben, aber irgendwie bleibt die Figur des P-Orridge auch zu befremdlich. Schon mal was komplett Eigenes, aber eigentlich auch ziemlich belanglos. 



Phoenix in der Asche (Jens Pfeifer) 8,09 

Einblicke in den harten Abstiegsalltag eines deutschen Basketballklubs: spannende Dokumentation eines Sportvereins, der eine ganze Saison um das Anschluss halten kämpft – ebenso wie sein Trainer (so etwas wie die leidende und eigenartig semi-charismatische Hauptfigur des Films) und Spieler… 



Over your cities grass will grow (Sophie Fiennes) 7,65 

Ausgedehnte Kamerafahrten in Zeitlupe plus Ligeti-Musik, das kommt immer gut. Dann auch noch die düstere Kunst des Anselm Kiefer, der in Südfrankreich an einem Mammutprojekt arbeitet. Der Film ist eine gelungene Mischung aus Kunst abbilden, einem längeren Interview (das wenig Greifbares vermittelt, was aber natürlich auch an Kiefers Naturell liegt, der halt auch in einer eigenen Welt lebt), und was vielleicht das Schönste ist, dem Zeigen von Entstehungsprozessen der Werke eines interessanten Künstlers. 



9 Leben (Maria Speth) 8,25 

Ein Film mit einem sehr klaren, strengen Konzept. In elegantem, glasklaren Schwarzweiß gefilmt, erzählen Menschen, die auf der Straße leben bzw. lebten, aus ihrem Alltag. Das sind sehr unterschiedliche Geschichten - bewegend, bestürzend, bitter, optimistisch und noch einiges mehr. Und vor allem ist es ein wunderbarer Ansatz, Menschen "vom Rand der Gesellschaft" so "viel" Zeit und Raum zu geben und sie einfach mal schildern lassen. Könnte durch diese unspektakularisierende Art zum Abbau bestimmter Vorurteile beitragen. Ein sehr schöner Film. 



Tyrannosaur (Paddy Considine) 7,75 

Hart, aggressiv, depressiv, allein, selbst den eigenen Hund hat er in der Mischung aus Alk und Wut erschlagen – dann trifft er eine Frau, eine gottgläubige. Macht sie ihn zu einem besseren Mensch? Was anfangs noch eher seicht und naiv anmutet, wird dennoch zu einem ernsten, heftigen Drama. Vor allem der von männlicher, sexualisierter Gewalt geprägte Hintergrund des „weiblichen Engels“ ist heftiger Stoff. 



The Pirates! Band of Misfits (Peter Lord) 7,10 

Das charmante Knetabenteuer mit einer Mischung aus kreativem, britischem und Nonsense-Humor ist sehr lustig. Relativieren kann man ein bisschen, dass außer einer vergnüglichen Gagparade (auch mit bereits bekannten Mitteln) wenig kommt, sodass es ein echtes Highlight wäre. Ist aber für den Moment des Sehens auch egal. 



Sita sings the blues (Nina Paley) 8,26 

Sehr kreative Trick-Film-Kollage! Eine tolle Idee, die wilde, ausufernde indische Mythologie mit einem Augenzwinkern und weiblichen Blick umzusetzen. Visuell ungewöhnlich, etwas gewöhnungsbedürftig, aber ein spezieller Augenschmaus, dazu stets für Überraschungen gut. Die vielen Lieder aus den 20er-Jahren werden in Summe schon etwas viel für das Gehör, doch unterm Strich ist dieses melancholische, verrückte Liebesepos sehr gelungen. 



L'apprenti (Samuel Collardey) 8,23 

Der Lehrling: Zärtliche naturalistische Poesie um einen pubertierenden Landwirtschaftsschüler. Das Leben am Bauernhof und der Alltag eines eher schüchternen Jungen, ganz ohne Firelfanz, ohne dramatische Wendungen oder Highlights umgesetzt, jedoch sind sie immer spürbar, die Dramen und Schönheiten des Lebens (Scheidungskind, unsichere Zukunft, die ersten Mädels und Trinkgelage…). Dazu bietet der Film beeindruckende, schöne „Tierszenen“. Ein unbeschwerter, überraschend poetischer Film (hantiger Bauer rezitiert Gedichte! Chansons!). 



L.A. Gangs des femmes (Stephanie Lamorre) 7,15 

Eher zufällig auf arte aufgeschnappt diese Doku. Der Name Stephanie Lamorre war mir von hier noch bekannt… Wieder taucht die Filmemacherin in ein eigenes Universum ein, in dem man in die Scheiße quasi hineingeboren wird. Die Mädchenbanden: viele Frauen werden uns kurz vorgestellt, dabei bekommt man erschütternde und traurige Innenansichten einer fast unvorstellbaren Parallelgesellschaft. Kritikwürdig am Film ist, dass man wenig über Hintergründe erfährt bzw. Ausstiegsszenarien quasi gar nicht behandelt werden. Die intensiven Nahaufnahmen bleiben halt auch bloß Fragmente... 



Another Earth (Mike Cahill) 7,44

Beginnt hypnotisch-faszinierend, erinnernd an Aronofsky zu Pi/Reqiuem-Zeiten. Brit Marling, die Co-Autorin trägt ihre Rolle mit subtil fesselndem Charisma. Inhaltlich hofft man auf mehr Herausforderung, letztlich ist es ein Schuld und Sühne Drama, das an Filme wie Red Road erinnert; das Ende ist dann noch subtil clever. Insgesamt betrachtet stellt man sich als Nicht-Kenner so Geschichten von Asimov vor. Leicht philosophisch, nett, aber letztlich nicht der ganz große Kick. 



Headshots (Lawrence Tooley) 7,75 

So Künstlerfilme können ganz schön prätentiös sein im unbedingten Willen zur Unkonventionalität. Doch hier wird die Grenze zur nur noch hohl-selbstzentrierten Eitelkeit erfreulicherweise nie überschritten; Loretta Pflaum hat viel Charisma - und der Film so einiges Substanzielles zu bieten: die atemberaubende Wohnungsszene in der Mitte, das Geständnis und anschließende Angebot beim Abendessen, die Punkte für ein schöneres Leben…etwas anstrengend vielleicht, aber sehenswert.

14. Juli 2012

Altman x2


Come back to the 5 and dime (1982) 6,85 

Robert Altman war ein großer, auch formal stets enorm aufregender Filmemacher. Gerne pilgert man für einen seiner Filme ins Filmmuseum. Und dann sitzt man plötzlich in einem “Theaterstück” mit nur einer Bühne, das bei aller Liebe zu Frauenfiguren, nicht viel mehr zu bieten scheint als hysterische Frauen in einer weichgezeichnet-staubigen 50's-Atmosphäre. O nein! Doch wenn man ein bisschen durchhält und sich einlässt, wird es noch sehr intensiv und gehaltvoll, man müsste nur das genuschelte Englisch besser verstehen. Wenn man rausgeht, hat man nicht Altmans beeindruckendste Kunst, aber Einiges zum Thema Lebenslügen, Verdrängung und Selbstzerfleischung gesehen. 

3 Women (1977) 8,95 

Das ist so einer dieser famosen 70er-Altmans (wie z.B. auch Images)/unterschwellig unheilvoll/diese grausigen Dämonenzeichnungen und diese Musik/junges unschuldiges Mädchen wandelt sich zum gefährlichen Biest/ein toller Psychofilm mit surrealen Überschlagungen/einer dieser so geliebten "Alptraum-Filme", deren beunruhigende Wirkung textlich kaum wiedergebbar ist.

12. Juli 2012

Hugo (Martin Scorsese) 8,37



Nach einem nicht mehr als netten Remake und einer flotten Romanverfilmung endlich wieder ganz großes Kino vom besten lebenden amerikanischen Regisseur. Scorsese gelingt höchst souverän und immer unterhaltsamer mit seiner leidenschaftlichen, fast spürbar kindlichen Hommage an George Méliès, den Pionier des fantastischen Films, Erstaunliches: nämlich mit perfekter Leichtfüßigkeit und oft atemberaubend dynamischer Inszenierung den Charme des ganz frühen, handgemachten Kinos mit der Technik des aktuellen "digitalen 3D-Zeitalters" zu verbinden. Ein sehr ambitioniertes Projekt (trotz kritisch betrachtet eher flachen Inhalts), das Scorsese herausragend gelöst hat, sein Film dürfte wohl auch zu den bisher besten der (eh nicht allzuvielen wirklich sinnvollen) 3D-Werke zählen.

Das wunderbare, herzliche Werk, das zum Großteil auch ein schöner "Zahnrad-Film" ist, braucht schon etwas Anlauf und ist in einem Punkt auch etwas mau: Der Pariser Bahnhof und die dortige "Amelie-" bzw. Franzosenklischees-Atmosphäre mit den schrulligen Nebenfiguren (trotz Sacha Baron Cohen, der aber durchaus amüsant wenn auch nicht genial agiert) sind etwas plump. Dies gerät aber immer mehr in den Hintergrund. Mehr Negatives kann man dann aber nicht mehr sagen, außer vielleicht noch, dass der Film in französischer Sprache noch schöner gewesen wäre. Alleine die Montage der Méliès-Szenen gegen Ende macht den Kinobesuch für Filmliebhaber zur Pflicht. Kann es überhaupt einen schöneren Film für Kinder geben, denen man den Zauber von mehr als 100 Jahren Kino vermitteln möchte?