31. Oktober 2010

Road to Nowhere (Monte Hellman) 5,60




Eine DVD wird in einen Laptop gelegt und der Film Road to Nowhere beginnt. Doch es ist nicht der Monte Hellman - Film, sondern ein Werk von Mitchell Haven. Solche Film-im-Film - Spielereien sind bei Hellmans Road to Nowhere auf der Tagesordnung: man merkt oft einfach nicht bzw. soll rätseln, ob man gerade im Haven-Film ist oder ob man den Schauspielern bei privaten Gesprächen am Filmset zusieht.

Es geht um die Verfilmung eines wahren Verbrechens, um einen jungen ambitionierten Regisseur, der eine betörend schöne junge Dame als Hauptdarstellerin castet, sich in sie verliebt und sich durch seine Obsessionen ins Unglück stürzt. Oder eher gestürzt wird. Die Schöne scheint Geheimnisse zu haben und hatte eventuell sogar selbst mit dem Verbrechen, in dessen Verfilmung sie jetzt spielt, zu tun...

Was nach spannendem Verwirrspiel klingt, ist nicht bloß deshalb recht zäh, weil Hellman enorm langsam, ruhig und wenig glamourös inszeniert. Die Regie entfaltet dadurch sogar einen düsteren Sog (und es gibt einige herrliche, die Stille durchbrechende Schocks, die wirklich sitzen) und man verfolgt den Film recht gespannt, obwohl sich das Spiel mit den Ebenen mit der Zeit als eher hohl entpuppt und die Geschichte einfach sehr unaufregend ist. Auch die komischen Einsprengsel die Filmcrew und Schwierigkeiten beim Filmdreh betreffend, sind nicht besonders gelungen.

Oft fühlt man sich dann möglicherweise wie in einer Magervariante eines Films von David Lynch, der mit Werken wie Mulholland Drive und Inland Empire jedoch wesentlich mehr Unbehagen erzeugen konnte und außergewöhnliche Filme schuf, über die man lange nachdenken und sie immer wieder ansehen kann. Der leicht gehypte, aber dafür doch recht mäßige Road to Nowhere dagegen erzählt seine grundsätzlich zwar nett düstere, aber doch minimalistische und keinesfalls neue Geschichte auf zunehmend ermüdende Art und Weise.

29. Oktober 2010

Balada triste de trompeta (Alex de la Iglesia) 9,16




Mit dieser epischen, während der Franco-Diktatur verorteten Geschichte eines traurigen Clowns, der sich in die aufregende Freundin des lustigen, aber unter Alkoholeinfluß schwer gewalttätigen Clowns verliebt, brennt de la Iglesia ein bildgewaltiges, hervorragend inszeniertes Feuerwerk der Leidenschaft und Gewalt ab.

Eine Vielzahl von Genres verschmilzt hier zu einem meisterhaften und vor allem enorm unterhaltsamen Ganzen: Zirkusfilm, Melodram, Horror, Thriller, und immer wieder die (politisierte) Groteske; ein Film, der sich oft auch direkt aufs Kino bezieht (schon mit dem Vorspann) und überlebensgroß eine monströse Geschichte erzählt, von Begehren, Eifersucht, einer verzweifelten Karriere, Charakter-Wandlungen von Gut zu Böse und umgekehrt oder irgendwo dazwischen, und natürlich von Spanien selbst, einem vom Krieg zerrissenen Land.

Die traurige Ballade der Trompete (oder des Trompeters?) wird ob seines fiktiven, lustvoll-gewaltreich-grotesken Spiels mit einem dunklen Kapitel der Geschichte hie und da bereits mit Tarantinos Inglourious Basterds verglichen, dazu sei aber angemerkt, dass de la Iglesias Film deutlich besser ist. Noch abgefahrener, inszenatorisch viel beeindruckender und dabei viel runder als Tarantinos nicht so ganz gelungener Kapitel-Film.

Scheinbar ist Balada triste recht plakativ und spielt auch viel mit oberflächlichen Effekten oder etwa mit pornographie-ähnlichen Sexszenen, u.dgl. Doch die tragische Geschichte zweier irrer Clowns ist durchaus vielschichtig und der Film kippt manchmal unerwartet schräg zur Seite, etwa in der urkomischen Wald-Szene oder mit Javiers finaler Wandlung. Teilweise trägt de la Iglesia mit seinen Thriller-Elementen vielleicht eine Spur zu dick auf, anstatt sich noch mehr seinen Figuren zu widmen, etwa gegen Ende bei der an die berühmte Mount Rushmore-Szene aus North by Northwest (von Iglesia-Vorbild Hitchcock) erinnernden Passage, doch diese Megalomanie ist stets sympathisch; ein umwerfender Film, ein Muß für die Kinoleinwand! Ein gigantisches, komisch-grausames, und noch einmal: außergewöhnlich groteskes Bombardement für alle Sinne – inklusive starker Geschichte.

28. Oktober 2010

Resident Evil: Afterlife (Paul W.S. Anderson) 7,88


Resident Evil: Eine innovative, legendäre, spannende, gruselige, atmosphärisch dichte Videospielreihe. Als Begleiterscheinung entstand zunächst ein sehr mieser, seelenloser Film. Und dann zwei weitere, die noch schlechter besprochen wurden als der erste und daher überhaupt nicht beachtenswert schienen. Nun liegt der vierte Teil der Filmreihe vor, gedreht wieder vom Regisseur des schlechten ersten Films, es sprach also wenig für ein schönes Kinoerlebnis, doch siehe da, Herr P.W.S. Anderson hat überraschenderweise ein sehr nettes, absolut sehenswertes Werk abgeliefert.

In 3D gedreht, überzeugt vor allem der Verzicht auf pausenlose Action und stattdessen die Kombination aus beeindruckenden, mordsscharfen dreidimensionalen Bildern und einem großartigen Elektro-Soundtrack von tomandandy. Wenn es dann mal kracht, spart Anderson nicht mit extravaganten 3D-Effekten oder visuellem Bombast.

Story gibt es hier eigentlich gar keine, bzw. wird die übliche Zombiefilm-Variante reduziert auf Wesentliches wiedergekäut: Eingeschlossene Gruppe wird von Untoten belagert. Hauptattraktion des Films ist neben Bild und Ton Milla Jovovich, die eine ultracoole Präsenz ausstrahlt, ohne dass es peinlich wird.

P.W.S. Anderson hat einen überraschenden, ungewöhnlichen Zombie-/Mainstream-Film abgeliefert, der streckenweise fast surreal entschleunigt ist und das Auge mit wunderbaren Bildern verführt. Nur am Ende wird es ziemlich blöd, aber da sind die Sinne ja schon längst stimuliert und das Gehirn euphorisiert. Und dann singt sogar noch Maynard James Keenan, bevor tomandandys Beats wieder das Kommando im Ohr übernehmen – weit über den Abspann hinaus.

25. Oktober 2010

Die unabsichtliche Entführung der Frau Elfriede Ott (Andreas Prochaska) 9,20




Wurde hier vor kurzem noch ein bisschen von der österreichischen Komödie Aufschneider geschwärmt, setzt nun das Team um In 3 Tagen bist du tot-Regisseur Andreas Prochaska und Ulknudel Michael Ostrowski (Slumming, Contact High) in Sachen charmante und eigenwillige Zwerchfellerschütterung gewaltig einen drauf. Der ungemein pointiert inszenierte Film mit dem langen Titel ist zweifelsfrei der lustigste und einer der empfehlenswertesten des bisherigen Kinojahres (und zwar hoffentlich auch bald außerhalb Österreichs).

Stark dominierender pubertärer Sex-Humor wird hier mit kindlichen Naivitäten, bekannten Slacker- und Gaunerfilmelementen, dazu charmanter Wort- und Dialektwitz mit kuriosen Slapstickeinlagen derart gekonnt und irrwitzig verbunden, dass die Lachtränen nach etwas Anlaufzeit permanent fließen und schießen.

Die deutlich ausgestellte Lust an Scherzen und Blödelei (oft durchaus auch tief – egal) wird derart exzessiv ausgelebt, die Kreativität des Drehbuch-Teams (4 Personen) ist enorm, die Sprache, Mimik und Gestik der Darsteller extrem unterhaltsam. Ohne auf die komische Geschichte oder die ironisch-elegante Performance der Theaterlegende Ott genauer einzugehen, sei bloß gesagt: Andreas Prochaska beweist nach seinen netten Heimat-Slashern schon wieder viel Talent und Gespür für die Verknüpfung universal funktionierender Genres mit authentischem österreichischem Schmäh. Also: Ansehen! Und ablachen. DuEdFEO ist sympathische, große Klamauk-Kunst.

22. Oktober 2010

Dirty Paradise (Daniel Schweizer) 7,51




Ein Indianerstamm im Nordosten Südamerikas, der durch illegale Goldsucher in der Nähe bedroht wird: Die Goldsucher brauchen Quecksilber, um das gefundene Gold in Klumpen zu binden, anschließend leeren sie das gefährliche Metall in den Fluß – jährlich mehrere Tonnen! Die Fische sind dadurch natürlich vergiftet – und die Hauptnahrung der Indianer…

Daniel Schweizer, der sich mit Dokumentationen über Neonazis einen Namen gemacht hat, gibt gleich zu Beginn seine persönliche Motivation für diesen intimen Film preis: Als Kind liebte er ein Buch über einen Häuptling dieses Stammes, und wollte nun einmal sehen, wie es diesen, von der Politik und der Öffentlichkeit nicht wahrgenommenen Leuten heute so geht…was dann zu dieser unaufgeregten Doku führte, die mit einem agitatorischen, aber auch verzweifelten Aufruf endet.

21. Oktober 2010

Ce que mes yeux ont vu (Laurent de Bartillat) 5,42




Im Fahrwasser von Dan Browns lächerlich-ödem Da Vinci Code (bzw. dessen Verfilmung) stöbert hier eine Kunststudentin nach geheimen Hinweisen in Gemälden. Zum Unterschied zu Browns aufgeblasener Hysterie jedoch geht es bei Mit meinen eigenen Augen nicht um religiöse Pseudo-Kontroverse und Ähnliches, sondern bloß um eine geheime Geliebte des Malers…

Das Unspektakuläre an diesem kleinen Kunst-Thrillerchen ist also positiv und negativ zugleich: Zum einen gefällt die Entspanntheit (und die viel mit und über Bilder arbeitende Regie), zum anderen zieht der Film trotz eines gewissen eigenen Stils völlig unaufregend vorbei – kaum sehenswert.

18. Oktober 2010

alias (Jens Junker) 5,47




Ein junger Regisseur ruft - on camera - seinen Vater an; er würde gerne einen Film über ihn, bzw. das Vater-Sohn-Familien-Verhältnis drehen. So beginnt diese essayistische Doku über den Filmemacher selbst und eine Suche nach wahrem Ursprung.

Bald erfährt man, dass Junkers Vater nicht sein leiblicher ist und die Familie wird in Interviews mit traurigen Wahrheiten konfrontiert. Junker sucht danach auch noch seinen wahren Vater, es kommt zu einem emotionalem Treffen, die Kamera wie gesagt immer hautnah dabei.

Eine Bewertung dieses Projekts ist heikel: Einerseits ist es schön, wenn ein Künstler seine eigenen Dämonen und Probleme so direkt abarbeiten kann und es ist auch schön, mitzuerleben, wie Junker Probleme in seinem Leben zurechtrücken, zumindest erleichternd beleuchten kann. Auch für Zuseher mit ähnlicher Familiengeschichte mag alias ein schöner Film sein. Andererseits ist es sehr zweifelhaft, wie sich Junker selbst in den Mittelpunkt stellt - denn oft wirken die Treffen mit Familienmitgliedern genauso schlimm wie Ausschnitte aus schlechten, einschlägigen, ausbeuterischen Fernseh-Shows - und wie er Familienmitglieder mit der Macht der Videoaufzeichnung bloß stellt. Ein unangenehmes (wenn auch natürlich nicht unspannendes) Gefühl überträgt sich so immer wieder auf den Betrachter.

16. Oktober 2010

Adam Resurrected (Paul Schrader) 5,90




Der Jude Adam wird im KZ von einem Nazi-Kommandanten gezwungen, für ihn auf Dauer den Hund zu spielen. Auch in der Hoffnung, damit seiner Familie das Leben zu retten können, macht Adam mit. Letztendlich, immerhin, kann er aber nur selbst das KZ überleben.

15 Jahre später, in der filmischen Gegenwart, pendelt Adam zwischen freiem Leben und einer psychiatrischen Klink in der Wüste, wo er nach Gewaltausbrüchen und sexuellen Übergriffen immer wieder eingewiesen wird – wie ein Hund kann er seine Triebe nicht mehr kontrollieren.

Soweit der wirklich spannende Aspekt dieses Films, der endlich einmal wieder Jeff Goldblum in einer Hauptrolle präsentiert. Der Rest ist aber wenig erbaulich: Wie in einer uninspirierten Variante von One flew over the cuckoo’s nest ist die Klinik ein Haufen schräger Gestalten, in den Adam (als hochintelligenter Pseudotherapeut!) Schwung hineinbringt.

Das Ende fällt zugleich seltsam und (für Herrn Schrader doch ungewöhnlich) mainstream-affin versöhnlich aus, der Film schließt unbefriedigend. Dieses Werk ist wie eine nicht gut genug genützte Chance, Ergreifendes mit Tiefgang zu verbinden. Diese psychologische Tiefe nämlich scheint Schrader in seiner Romanverfilmung stets ausstellen zu wollen, ohne sie je zu erreichen – sehr schade. Dennoch ist Ein Leben für ein Leben dank des oft intensiven Schauspiels, der krassen Vorgänge und trotz des eher mäßigen Humors nicht gänzlich uninteressant.

15. Oktober 2010

57000 km entre nous (Delphine Kreuter) 6,72




Die Kamera ist immer an. Interessierte, so es sie wirklich geben sollte, über das Internet ständig live dabei. Eine Familie inszeniert sich selbst und für jeden zugänglich – willkommen in der neuen, schönen Welt!

Nun hat diese Familie in Kreuters irritierendem, zunächst sehr kaltem und leicht verstörenden Film jedoch kaum etwas Sympathisches, etwas im klassischen Sinne „Sehenswertes“ an sich. Ganz im Gegenteil, unsympathische, hässliche, arge Leute bevölkern dieses kleine Universum, zumindest empfindet man so, wenn man anfänglich ganz automatisch die Charaktere einzuordnen versucht, was bei dem fragmentarischen Stil der Regisseurin zunächst enorm schwer fällt. Diese schwierig zu verkraftende Kälte wird durch das vorliegende Filmposter übrigens bereits recht gut repräsentiert.

Mit der Zeit findet man sich etwas besser zurecht, und auch die eine oder andere Person (vor allem die zunehmend im Mittelpunkt stehende, ziemlich schräge Teenagerin Nat) wird greifbarer und der Film doch sehens- und sogar ein Stück liebenswerter; es entsteht gar so etwas wie Konventionalität, auf inhaltlicher Ebene. Bis dahin muß der formale Wahnsinn erst einmal durchgestanden werden.

Im Versuch, eine gewisse Kälte und fast schon ekelhafte Aspekte der modernen Gesellschaft (etwa Einsamkeit und emotionale Gleichgültigkeit in einer nach außen intakten Familie, Kommunikation und Ausleben von Perversionen über moderne Medien) mit experimentellen filmischen Äquivalenten zu beschreiben, erinnert Zwischen uns das Universum ein wenig an Lukas Moodyssons exorbitant verstörenden A Hole in my Heart, die geniale Intensität und kreative Klasse des angesprochenen Films wird hier aber nie erreicht.

Dennoch wird Kreuters Werk gegen Ende immer interessanter, fast schon poetisch. Und das obwohl die kleine, süße Nat als Identifikationsperson für den Zuschauer immer wieder auch ungewöhnliche, kontroverse Aktionen setzt und damit dieses ständig vorherrschende Unbequeme im Film hält. 57000 Kilometer zwischen uns ist auch ein sehr offenes Werk und beschäftigt sofort mit dem abrupt einsetzenden Abspann. Ein schwieriger, mühsamer, seltsamer, vielleicht manchmal gar Hass evozierender, nicht gänzlich gelungener und doch irgendwie auch ein bisschen schöner Film.

14. Oktober 2010

La terre de la folie (Luc Moullet) 7,65



Das Land des Wahnsinns
, das ist nach Meinung des Filmemachers eine Region im Süden Frankreichs, in der sich irrwitzige Verbrechen und skurrilste Ausprägungen psychischer Störungsbilder verdächtig häufen. Moullet, ein älterer, etwas schrulliger Zeitgenosse, der auch in der Nähe dieses kuriosen Gebiets aufgewachsen ist, stellt sich gleich zu Beginn des unterhaltsamen Films vor die Kamera (ohne erklärende Einblendung), wie als wolle er sich gleich selbst als einen dieser „Irren“ ausweisen.

Dadurch, dass Moullet einige enorm schräge Fälle recherchiert hat, diese von Verwandten, Polizisten, etc. nacherzählen lässt, und drastische Szenen teilweise auch (kurz) filmisch und mit Humor nachstellt, ist der Film fast durchgehend fesselnd und unterhaltsam, gegen Ende können aber schon einige Ermüdungserscheinungen eintreten, da es in einer Wurst in ähnlichem Stil dahingeht. Mittels Interviews eigentümliche französische Landleute zu beleuchten: dadurch erinnert La terre de la folie etwas an Raymond Depardons meisterliche Bauerndoku La vie moderne, den besten Film des letzten Jahres. Während dort aber der warmherzige Kollege sich sehr zurückhielt und seinen Protagonisten liebevoll viel Raum und Zeit gab, spielt Moullet in seiner Regie viel herum und rückt sich im Laufe seiner Spurensuche nach Verrücktheiten auch selbst immer wieder ins Bild, meist sehr ironisch. Auf die Spitze wird das am Ende getrieben, bei einem Streitgespräch mit seiner Frau über den Sinn dieses Films: nach ein paar Längen ein köstlicher Schlusspunkt unter eine gewitzte „Doku“.

11. Oktober 2010

Maman est chez le coiffeur (Léa Pool) 5,40




Nur ganz kurz heute, weil es zu diesem netten Film von meiner Warte aus sehr wenig zu sagen gibt. Es geht um Kinder, die unter der Trennung der Eltern bzw. dem Verlust der Mutter leiden und dennoch ein paar schöne Kindheitserlebnisse haben. Das betuliche Werk handelt dabei recht warmherzig ein paar weitere Themen ab, wie etwa den schrägen, leicht zurückgebliebenen eventuellen Pädophilen, der aber am Ende doch ein friedlicher Mensch ist..

Mama ist beim Friseur ist also sehr okay, aber leider auch ziemlich unspektakulär, um nicht zu sagen bieder, und weder an-/auf- noch wasauchimmer-regend. Wirklich schöne Kinderfilme gibt es bereits so einige, dieser hier lässt sich nichts zu Schulden kommen oder so ähnlich, schreit aber meiner Einschätzung nach nicht gerade nach höherem Bekanntheitsgrad.

7. Oktober 2010

Aufschneider (David Schalko) 7,60




Schalko, der in Österreich durch das Erfinden und Umsetzen der wahnwitzigen Sendung ohne Namen sich einen ebensolchen als kreativer Geist und Garant für gewitzt-moderne TV-Unterhaltung gemacht hat, schrieb mit der lebenden Legende Josef Hader diese Komödie, die ursprünglich als kleine TV-Serie auf Sendung gehen sollte, dann aber als jeweils 90-minütiger Zweiteiler ausgestrahlt wurde.

Irgendwo zwischen der Absurdität von Scrubs (wenn auch nicht ganz so amerikanisch schräg) und dem morbid angehauchten Zynismus des Hader-Films Komm, süßer Tod (und zig weiteren Spielarten der Komik) spielt sich diese sehr lustige Pathologenklamotte ab.

Die blöden Schmähs, der zuweilen (hell)schwarze Humor und die oft herrlich derben Sprüche rattern hier meist im Sekundentakt dahin, und die (auf dem österreichischen Markt) vielen bekannten Komiker bzw. Schauspieler, alle mit sehr viel Spaß bei der Sache, sorgen durch ihre Präsenz und Spielfreude eh schon für die halbe Miete. Bei enorm vielen Witzversuchen über 180 Minuten sind natürlich auch immer wieder weniger gelungene dabei, aber selbst das wird dann mit so einer Überzeugung vorgetragen, dass es trotzdem schon wieder lustig wirkt.

Ärzte kriegen hier natürlich ganz besonders ihr Fett weg, aber auch Mann/Frau – Probleme, Mißverständnisse und Rollenbilder sind ein heißer Aufhänger für Gemeinheiten, überhaupt sind die Männer die größten Witzfiguren (wobei Radio- und TV-Moderator/-komiker Oliver Baier als grenzdebiler Macho-Primar zwischen sehr köstlich und leicht daneben schwankt). Bei den Frauen dagegen wird (auch schauspielerisch) etwas tiefgründiger gewerkelt: Pia Hierzegger, die schon beim Knochenmann unvergessliche Szenen mit Hader hatte, überzeugt mit ihrer herrlich lethargischen Körper- und Gesichtskomik und die großartige Ursula Strauss bringt überraschend schon auch mal quasi aus dem Nichts der Blödelei enorme Dichte und Beklemmung mit ein: bei den Aufschneidern hat so ziemlich alles Platz, sogar Deutsche und solche, die sich erst im Twist als solche entpuppen!

Nach insgesamt fast 3 Stunden geht gegen Ende dann dramaturgisch schon etwas die Luft aus, aber immer wieder kommt dann so ein super(blöder/lustiger/zynischer) Spruch von Co-Autor Hader daher oder eine böse Szene, z.B. wenn der Pathologe sich selbst einen Knoten aus der Brust schneiden versucht, weil er den anderen Chirurgen nicht vertraut. Hinter all der leicht bekömmlichen und offensiv schenkelklopferprovozierenden Komik steckt bei Aufschneider also immer auch einiges an subversiver Groteske.

4. Oktober 2010

Yumurta (Semih Kaplanoglu) 7,70




Der Auftakt einer chronologisch rückwärts erzählenden Filmtrilogie (EiMilchHonig), ein angenehm ruhiger, fast meditativer Film über den tief bedrückten Yusuf. Verständlich sein Zustand, da seine Mutter eben gestorben ist, aber da dürfte noch mehr in seinem Leben vorgegangen zu sein, was ihn schon zu Beginn so teilnahmslos dahinvegetieren lässt..

Die Tage, die der Stadtmensch danach am Land, im Heimatdorf, in der Natur verbringt, scheinen ihn ganz langsam auch wieder etwas zu kräftigen, was sicher auch an der jungen, sehr entfernt verwandten Ayla liegt.

Manche seiner Motive teilt Kaplanoglus an existenzielle Fragen anlehnende Film mit zeitnah entstandenen Arbeiten: etwa die Rückwendung eines Ausgewanderten zum Umfeld seiner Vorfahren mit dem noch vielschichtigeren, ungestümen Meisterwerk Bled Number One. Auch recht nahe, bei allen feinen Unterschieden in der finalen Ausarbeitung, scheint Yumurta dem hier schon vorgestellten Le Passager zu sein, bei dem es ebenfalls um einen Mann mittleren Alters mit traumatischer Vergangenheit geht. Im Gegensatz zu dem rauen und emotionalen Caravaca-Werk, arbeitet Kaplanoglu bei seiner Psychostudie jedoch mit dem Friedlichen: die Natur spielt als Raum der Ruhe ebenso eine gewichtige Rolle wie vordergründig banal wirkende Alltagsrituale und -dialoge: Ein Film wie eine sanfte Therapie.

Das titelgebende, metaphorisch etwas schwer entschlüsselbare Ei kommt übrigens zweimal vor: in einer kurzen Traumsequenz klatscht Yusuf ein kleines Vogelei aus der Hand auf den Boden, woraufhin er erschreckt aufwacht. Ganz am Ende dann gibt Ayla ihm ein gekochtes Ei, als er doch wieder zurückkehrt zu ihr, und sie gemeinsam essen - ein Neubeginn.

3. Oktober 2010

Tetsuo - The Bullet Man (Shinya Tsukamoto) 6,60




Shinya Tsukamotos dritter Tetsuo-Film wird im Internet bislang quasi von jedem, der ihn gesehen hat, schlecht bewertet. Einen Eindruck, den ich nicht teilen mag, obwohl vor allem die erste Hälfte tatsächlich sehr befremdlich (nämlich im Sinne von: für diesen Ausnahmefilmemacher zu wenig befremdlich, zu kühl, zu wenig verstörend!) und recht mager geraten ist.

Aber spätestens mit einer atmosphärischen Szene, in der der Regisseur, der in vielen seiner Filme auch selbst tragende Rollen spielt, sich selbst als wahnhaften Psychopathen inszeniert, beginnt auch Tetsuo – The Bullet Man wieder endgültig in diesen schönen, faszinierenden Irrsinn hineinzufallen, der fast alle Filme des Japaners auszeichnet.

Auf anderen Seiten kann man also einiges an negativen Eindrücken zum Film lesen, so etwa Vorwürfe, Tsukamoto hätte diesen Teil bloß in englischer Sprache gedreht, um mehr Geld zu verdienen oder sich einem größeren Markt anzubiedern, was aber doch zu vereinfachend scheint. Zudem sollte sich die Enttäuschung über einen weiteren, eher flachen Tetsuo-Teil für Vergötterer des herausragend schmetternden, verstörenden ersten Films alleine deshalb schon in Grenzen halten, da bereits die Fortsetzung von 1992, 3 Jahre nach Teil 1, jenem schon nicht mehr viel Neues hinzufügen konnte. Da scheint eine zusätzliche Ergänzung zum ursprünglichen Tetsuo – The Iron Man mit soviel zeitlichem Abstand eigentlich noch viel vertretbarer.

Tsukamoto in seiner Rolle, so scheint es, ist getrieben vom Wunsch getötet zu werden, und zwar durch den zum Bullet Man gewordenen Anthony, eine groteske Gestalt, die in den verschiedenen Stadien seiner metallenen Transformation (ob Zufall oder Absicht ist schwer zu sagen) an diverse Filmfiguren wie Hulk, Hellboy, eine Art deformiertes Aphex Twin Monster und schließlich an Predator erinnert. Und letztlich ist es der schauspielernde Filmemacher vielleicht auch (wenn man den Film so lesen mag), durch den Anthony sich am Ende wieder von seinen monströsen Auswüchsen befreien, diesen schrecklichen Bullet Man aus seinem Leben verbannen kann - ebenso wie Tsukamoto sich damit endgültig von dieser Kultfigur trennt?

Das skurrile Ende, das den wieder rundum glücklichen Anthony einer pöbelnden Gang gegenüberstellt, es jedoch zu keinem (eigentlich erwarteten) Wutausbruch oder einer abschließenden Irritiation kommen lässt, wirkt extrem ironisch; nämlich sehr optimistisch und gar fröhlich, also Eigenschaften, die im Tsukamoto-Universum sonst kaum auftreten. Was auch immer den Regisseur dazu getrieben hat, einen weiteren Tetsuo-Film zu drehen: dieser dritte Teil hat sehr wohl auch seine Momente, Intensität und wieder das eine oder andere wohlig Kryptische zu bieten, um nicht gänzlich zu enttäuschen und sich immer noch von misslungenen, uninspirierten Horror- oder Sci-Fi-Produktionen abzuheben.

Einen lauten und hämmernden Tetsuo mal im Kino sehen zu können, ist eben eine Erfahrung, die man durchaus genießen kann; auch wenn der Film fast schon glatt ausgefallen ist und lange relativ blass dahineiert, bis die oben angesprochene Szene den Wahnsinn endlich pulsieren lässt: er scheint etwas in sich zu tragen, das nach einer Sichtung vermutlich noch gar nicht erarbeitet werden kann und auch den Verfasser dieser Zeilen noch vor das eine oder andere Rätsel stellt. Uninspirierter, uninteressanter Müll, wie von einigen Kritikern und Fans im Netz geschrieben, ist Tetsuo-The Bullet Man, wenn auch als schwächster Teil der Reihe, jedoch garantiert nicht.

1. Oktober 2010

Yattâman (Takashi Miike) 7,05




Nach dem recht mageren Crows Zero und dem völlig miesen Sukiyaki Western Django ist Takashi Miike endlich wieder in der Spur. Und das ausgerechnet mit diesem wahnwitzig überdrehten, bunten, wilden und herzlichen Kinderfilm, der einen ähnlichen Stil wie schon seine (mir noch unbekannten) Werke Zebraman und The Great Yokai War pflegen dürfte, und der wie eine noch x-mal durchgeknalltere Version der Spy Kids wirkt, gemischt mit an Burtons Batman-Filme und dessen Charlie and the Chocolate Factory erinnernden Verrückt- und Buntheiten, sowie Kämpfen von mächtigen Maschinen wie bei einer Transformers-Parodie.

In Yatterman kämpft Gut gegen Böse (gegen Sehr Böse!), um 4 Teile eines sagenumwobenen Totenschädels aufzuspüren, der Träume wahr werden lassen kann. Soweit, so fad, doch das Reizvolle an Miikes Film, neben den enormen Schauwerten, den kreativen Designs und Aktionen, die hier unentwegt von der Leinwand schießen, ist die Kindlichkeit, vor allem jene der Bösewichte. Dies wird zum ersten Mal in einer witzig-berührenden Traumsequenz deutlich, die zeigt, von was denn diese sanften Verbrecher träumen: die laszive Öberböse etwa schlicht davon, eine brave, konservative, schwangere Hausfrau zu sein und auf ihren Mann zu warten – herrlich!

Aber auch das klassische Gut gegen Böse-Setting wird bei Yattâman auf ein ganz Wesentliches angesprochen: So verliebt sich etwa Yattâman 1, der Junge (das Team besteht aus ihm, Yattâman 2 - einem Mädchen, und einem für diverse Schrägheiten sorgenden Riesenroboterhund) in die böse Lady, und beide Parteien werden sich auch im Lauf des Films bewusst, dass sie einander brauchen. Tritt nämlich einmal „echte“ Todesgefahr für einen der Protagonisten auf, rettet man sich gegenseitig (um dann wieder fröhlich weiterkämpfen zu können)!

Warum der Film trotz aller Vergnügungen und kindlichen Irrsinnigkeiten am laufenden Band nicht hundertprozentig überzeugt: Es ist eine Verfilmung einer Zeichentrickserie und das merkt man mit der Zeit auch immer deutlicher. So ist der Ablauf redundant wie bei mehreren aneinandergereihten Folgen einer Serie: Kampf – Bösewichte bekommen auf den Deckel und die Roboter der Teams werden zerstört – neuer Plan, wieder Erholung und Aufbau der Maschinen – Kampf…und dann geht das Schema wieder von vorne los. Diese Abläufe wiederholen sich ungefähr dreimal, bevor es dann zum finalen Aufeinandertreffen mit dem ganz fiesen Bösewicht kommt (mitsamt pathetischer, aber recht öde empfundener Szenen rund um den verlorenen Vater von Yattâman 2, die irgendwie an das Ende von Star Wars und das Finale vom ersten Harry Potter erinnern), hier stellt sich dann auch schon deutliche Übersättigung und etwas Langeweile ein.

Doch wenn der Film kurz darauf sein hochsympathisches Ende nimmt (und mit dem Abspann noch einmal fast alle Highlights wiederholt werden, wie als wollte man um jeden Preis nochmal unterstreichen, was hier alles an witzigen und spektakulären Szenen ausgedacht und dem Publikum serviert wurde), kann man schon recht beglückt aus dem Kino gehen, einen gewissen Sinn für kindlich verspielten, überdrehten japanischen Irrsinn natürlich vorausgesetzt.