30. Mai 2012

Demy, Wyler, Roach


Les Parapluies de Cherbourg (1964) 7,05

Ein Klassiker – komplett gesungen: gesehen im Filmmuseum, ohne Pausemöglichkeit, eine Grenzerfahrung für Geist und Körper. Zu Beginn ist das so schön, so erfrischend, doch nach knapp 30 Minuten möchte man vielleicht schon dem ehemaligen Sitznachbarn nach draussen folgen – die Dauerbeschallung zerrt an den Nerven, der Inhalt der Geschichte wird sowieso fast zur Nebensache…

Dafür aber immer wieder mal ein famoser Schnitt, und die in 2-3 Szenen umwerfend schöne Catherine Deneuve: dieser Film hat trotz aller Mühsal etwas. An der Geschichte scheint es kaum zu liegen, die wirkt banal – man könnte aber auch Hommage an klasssiche Kino-Liebesgeschichten sagen.

Wie der Film dann zum Ende findet, ist überraschend und fast schon kühn. Und nach dem Abspann herrscht eine allgemeine und auch subjektive Beschwingtheit; trotz musischen Qualen war das schon was ganz Eigenes und sehr Charmantes.



Friendly Persuasion (1956) 3,45

 „Wenn ich ich in die Betstunde gehe, soll nichts als Liebe und Frieden in meinem Herz sein!“

Jaja, die wunderbare Welt der Quäker, einer „friedlichen Sekte“, die keiner Fliege ein Haar krümmen bzw. schon gar nicht so etwas wie Fäsute fliegen lassen können. Der Film spielt in der Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs und man könnte annehmen, dass schon bald die brutale Härte über die zuckersüße Quäkerfarm komme…

Doch was wir sehen, ist stattdessen schlimmster naiv-„komischer“ Biederquark in einem Stil, der einen (sofern man denn nicht mit amerikanischen Western aufgewachsen ist) an deutsche Heimatfilme der 50er erinnert...

Dieses, wie man hofft, Vorspiel dauert aber nicht bloß eine halbe Stunde, sondern eine und noch länger: ein Jahrmarktsbesuch zeigt unchristliche Verlockungen und bringt kurz Aufregung; doch alles was irgendwie spannend wäre (wie provozierbar ist ein religiöser Pazifist bevor er auch mal wütend wird? o.ä.), geht völlig unter in dem belanglosen Quark aus Schmalz, peinlich-jenseitigen Musikeinlagen und Wagenrennen, der da in quälender Länge ausgebreitet wird. Der Film hat wohlgemerkt im Jahr 1956 die Goldene Palme von Cannes gewonnen (!!).

Selbst wenn man „alte (Hollywood-)Filme/-Western“ grundsätzlich nicht so aufregend findet, ist so eine Auszeichnung, ja überhaupt jegliches Wohlwollen gegenüber diesem Film völlig unerklärlich; Satire oder Kritik an Religion ist nämlich nicht zu identifizieren.

Über den Krieg wird sowieso eher wie über einen harmlosen Kinderspielplatz gesprochen - als ob die Welt damals wirklich so banal und plüschig gewesen wäre. Kann sein, dass es damals in Hollywood noch gar nicht möglich war, düster oder dreckig zu sein, doch woanders war das möglich und auch in Hollywood selbst wurde es ja bald danach, insofern darf dieser überlange Schmalz ruhig in Vergessenheit geraten.

Nach qualvoll-sinnlosen 90 Minuten scheint es endlich loszugehen, nach 105 Minuten wird es sogar noch so etwas wie ein Film. Ein bisschen früher und dann wäre es wenigstens annehmbar gewesen, so ist dieses Werk dem Titel zum Trotz alles andere als eine lockende Versuchung, sondern zu lange ein völlig reizloser Topfen; altes Hollywood hin oder her, schnarchiger und uninteressanter geht’s kaum – ein Werk für die ewige Mottenkiste.

Wie das alles in der Filmgeschichte zu verorten ist und wie sehr z.B. Gary Cooper hier sein Image konterkariert, müssen andere klären. Schlußendlich hat der Film auch ein paar gute Elemente, aber das ändert nichts mehr daran, dass diese biedere Schnulzesse völlig ungenießbar ist.



Meet the Fockers (2004) 5,20 

Ziemlich unnötige Fortsetzung der Riesengaudi mit Stiller und de Niro. Vor allem letzterer macht den Film durch seine geniale Mimik immer noch zum Vergnügen und in wenigen Momenten ist auch das Zusammenspiel mit Neuzugang Dustin Hoffmann köstlich, doch alles andere bleibt ein schaler Aufguß; die Story ist sowieso ein Nichts und die Komik hält sich auch in Grenzen – wenn man denn wenigstens versucht hätte, ein Mehr an wahnwitzigem Slapstick o.ä. einzubauen, aber Fehlanzeige. Auch die ehemals witzigen Elemente (Kater Jinx oder Circle of Trust) werden viel zu sehr zu Tode geritten. Dann lieber den köstlichen ersten Teil immer wieder mal schauen.

21. Mai 2012

Unter dir die Stadt (Christoph Hochhäusler) 5,65



Hochhäusler scheint sein Falscher Bekenner-Versprechen nun doch eher nicht mehr mit weiteren Großtaten einlösen zu können. Irritierendes in seinem jüngsten Werk ist entweder so subtil, dass man es bis auf zu wenige Momente nicht wahrnehmen kann, oder seine Banker-Affären-Geschichte ist halt doch nicht mehr als ein solide inszenierter Durchschnittsfilm. 

Gegen Ende wird dann mehr Beklemmung, mehr Dichte spürbar, zwei-dreimal gibt es wirklich sehr trocken-komische Sprüche und zum Abschluss auch noch mal was Feines. Aber wohin dieser sich stets intelligent über klassisches Kino Gedanken machende Filmemacher genau hin wollte, bleibt etwas unklar…

19. Mai 2012

Schlafkrankheit (Ulrich Köhler) 7,42



Ein gelobter, preisgekrönter „Afrika-Film“, da gehen die Erwartungen hoch. Wird Köhler in ähnliche Sphären wie vor einiger Zeit die große Claire Denis mit White Material vorstoßen können? Der Film beginnt gleich gewohnt "neu-deutsch"/lakonisch/einfach/aufregend, gewaltig rauschen Lastwägen an der statischen, aber etwas wackelnden Kamera vorbei, darauf folgend eine unterschwellig unangenehme Diskussion mit Beamten - sofort spielt Köhler mit bestimmten Klischee-Erwartungen an den "dunklen Kontinent" ohne allzu präzise zu werden, was sich auch durch den gesamten Film zieht.

Die Hauptfigur ist ein sehr knorriger Herr, jegliches Sympathiepotential scheint gestrichen…für Sympathien scheint der andere Hauptcharakter geschaffen, der erst im zweiten Teil auftritt: ein junger, smarter Arzt; er ist als Europäer mit dunkler Hautfarbe in Afrika unterwegs. Wie er dort mit seinen und anderen Erwartungen kämpfen muß, hat Reiz und wirkt zugleich etwas erzwungen. Köhler gestaltet seinen Film regelrecht unkonventionell, sprunghaft, auslassend, was oft schon auch einen Tick zu ausgeklügelt wirkt; dennoch bleibt das Drama zugleich aber auch bodenständig und faszinierend. Durchzogen wird der Film gleich von einigen spannenden Themen: z.B. die Grenze zwischen humanitärem Einsatz und (Geld-)Betrug/Schwindel, aber auch eine bröckelnde Beziehung. All das wird aber letztlich auch wieder wenig verhandelt - ein ganz eigenwilliger Stil. 

Das Ende ist dann wie eine Hommage mit Ausrufezeichen: an Apichatpong Weerasethakul und sein Meisterstück Tropical Malady. Wobei der Film wieder so lakonisch endet, dass man den magischen Thailänder gleich wieder vergessen kann. Köhler hat einen sehr eigensinnigen Film mit Faszinationspotential gedreht – ein Potential, das dennoch, so scheint es, nicht vollkommen ausgeschöpft wurde.

18. Mai 2012

Nanjing! Nanjing! (Lu Chuan) 8,52



Bilder schrecklicher Kriegsgräuel wunderschön inszeniert, das erinnert an Großmeister wie Kurosawa. Immer wieder Gesichter, Gesichter, Massen an Gesichtern, als wolle man jedem einzelnen dieser armen Menschen eine kollektive Erinnerung verleihen…und immer wieder schreckliche Kriegsverbrechen. Einmal taumeln die Japaner wie Zombies durch die Geisterstadt. Der Film ist selten sentimental, aber genauso bewegend wie ähnliche Werke von Spielberg und Polanski; Regisseur Chuan scheint alles zu können, zunächst inszeniert er eindrucksvoll eher Kämpfe und Schlachtszenen, doch bald wird es vor allem zu einem meist intimen Film über Menschen, die mit den Folgen kämpfen und leben. 

Wie immer bei solchen Historienfilmen muss man sich fragen, ob es nicht auch etwas anmaßend ist, zu versuchen, so bildstark zeigen zu wollen, „wie es war“, weil das geht einfach nicht; möglicherweise sind da "kleinere" Geschichten ein sinnvollerer Zugang. City of Life and Death lässt dagegen kaum Freiraum, dennoch beschäftigt das enorm und man spürt diese Schrecken noch lange nach.. 

Ein meisterlich in Szene gesetzter Film über den Horror des Kriegs und schreckliche Aktionen gegen Zivilisten. Erwähnen muß man noch, dass es in den letzten Jahren gleich mehrere Werke zu diesen Vorfällen  gab (gesehen habe ich (noch?) keinen der anderen...).

17. Mai 2012

Hollywood Fling (Raoul Sternberg) 4,40



Diary of a Serial Killer: Ein puristischer Underground-Avantgarde Film, in dem die Kamera jungen Mädchen folgt, begleitet von den Gedanken des Mannes, der sie alle umbringen wird. Soll wohl eine bittere Satire auf „für die Karriere mit einflussreichen Leuten schlafen“ sein – der psychopathische, ab und zu (peinlich) hysterisch lachende Kommentator verweist drauf, dass er wie Brad Pitt aussehe; poetisch-philosophisch sind seine Gedanken und doch fast nur inhaltsloses Blabla… 

Eine langwierige und wenig erbauliche Angelenheit; einzig formal erwähnenswert, wie die Kamera selbst immer wieder fast penetrierend nah an den weiblichen Körpern ist und quasi selbst zum Mordwerkzeug wird. Ausreichend für einen guten Film? Nope. 

Weder unterhaltsam noch richtig schockierend - zu berechnend, zu eintönig bzw. quälend repetitiv ist das alles; in gewisser Weise kann man dem Projekt schon eine Qualität zugestehen, doch wenn man gleich 90 Minuten in ein solch simples, und daher letztlich auch ödes Konzept presst, dann muß man sich schon auch fragen, wer sowas denn sehen mag… 

Intermediale Vergleiche mögen zwar hinken, aber wenn es schon in die Richtung Frauenmorde, Serienmörder und den Träumen von (Hollywood-)Ruhm geht, dann doch lieber ähnliche, vielleicht auch zynische, wesentlich geistreichere und gehaltvollere Geschichten von Leuten wie Bret Easton Ellis oder James Ellroy.

15. Mai 2012

Io sono l'amore (Luca Guadagnino) 6,90



Vor allem die fiebrige, tastende, zoomende Inszenierung ist es, die dieses Drama lange aufregend gestaltet. Von der Geschichte über eine reiche Großfamilie, versetzt immer wieder mit dem Motiv des Kochens, hätte man sich vielleicht etwas mehr erwarten können. Worauf es hinausläuft (Frau bricht durch Affäre aus der Bürgerlichkeitshölle aus), ist nett, aber nichts Weltbewegendes, zudem schlägt das Regie-Pendel nicht nur in Richtung verspielt und "opernhaft", sondern streckenweise auch in Richtung gediegen und getragen aus

14. Mai 2012

The Descendants (Alexander Payne) 8,18



George Clooney in Großaufnahme auf der Leinwand zu sehen ohne gleich eine Vielzahl von (filmischen und sonstigen) Assoziationen im Kopf zu haben, ist mittlerweile gar nicht mehr so einfach, aber so ist das mit den größten Starschauspielern nun mal…

Der Hawaii-Film selbst ist ein sympathisches, gelassenes, letztlich auf lässige Weise liebevolles Melodram - stets gefühlvoll und dennoch auch gewitzt. Viel Melancholie wird transportiert (fast durchgehend auch durch Musikuntermalung), dazwischen wird aber auch viel gestritten und geflucht.

Der Vater mit seinen Töchtern nach dem Tod der Mutter: eine Konstellation, die in letzter Zeit auch schon öfter zu sehen war (Grace is gone, Genova). Payne findet für seine Version eine gute Mischung aus Lockerheit und Ernst, und auch Clooney überzeugt, als gekränkter, manchmal wütender Mann, der aber immer Gentleman bleibt.

Schönes Beispiel für die Unaufdringlichkeit des Films: wie die nervige Figur des eher tumben Jungen nach dem Krach zu Beginn stets akzeptiert wird und mit der Zeit ein bisschen in die Familie wächst – das passiert nicht rührselig und mit Rufzeichen versehen, sondern wird gegen Ende ganz beiläufig gezeigt, mit einem kaum mehr im Blickfeld sichtbaren an der Schulter nehmen durch, tja, George Clooney.

8. Mai 2012

Kari-gurashi no Arietti (Hiromasa Yonebayashi) 8,16



Nach seinem bisher letzten eigenen Film Ponyo, in dem es um eine Kleinkinderfreundschaft ging, hat Altmeister Miyazaki zu diesem Werk das Drehbuch vorgelegt; eine Variante des bekannten Stoffes über die Borger, kleine Lebewesen, die sich von den Menschen Dinge zum Leben „borgen“. Die sentimentale Melancholie wird traumhaft von der manchmal schwelgerischen Inszenierung getragen; vor allem in der ersten Hälfte, beim oft minutenlang wortlosen Erkunden der Menschenwelt ist das besonders schön und ähnlich wie in einem der frühesten Werke Miyazaki, Totoro, sehr entschleunigt. 

Die zweite Hälfte verläuft dann in etwas gewöhnlicheren Bahnen: Freundschaft zwischen krankem Menschenjungen und der Titelheldin "(Die Borgerin) Arrietty" wurde geschlossen, die Bösewichtin sorgt für Aufregung, doch es geht relativ gut aus…wobei gerade das recht offene Ende wieder einen wunderbaren Ausklang liefert: Tränen der Rührung und der Freude über einen vermutlich zeitlosen Kinderfilm.

7. Mai 2012

Faust (Alexandr Sokurov) 6,40



Ein Über-klassischer Stoff, ein künstlerischer Visionär als Regisseur, der Goldene Löwe von Venedig als Lohn – da überrascht es, dass man aus diesem Film auch gehen kann und eher mit den Schultern zuckt bzw. nicht allzuviel Tiefgründiges mitbekommen hat. 

Der Film ist die meiste Zeit eher eine Groteske zum Schmunzeln; für einen Sokurov, der generell alles andere als leicht genießbare Filme dreht, sogar relativ flott inszeniert; das Mittelalter ist schön in Szene gesetzt (inklusive höchst eigenartigen Bildverzerrungen), aber, und man traut es sich ja angesichts der Über-Vorlage gar nicht zu sagen, irgendwie wirkt das, vor allem im Heute alles ziemlich bedeutungslos. 

Erst am Ende bekommt der Film eine außergewöhnliche sowohl inszenatorische als auch inhaltliche Kraft; der Showdown mit dem Teufel wird zum absurden Theater, das in kurzer Zeit all das eher befriedigt, was Kollegen wie Albert Serra und Nuri Bilge Ceylan zuletzt mit ihren langatmigen Ansätzen eher nicht geschafft haben. Doch alles in allem bleiben auch Sokurovs Anliegen wenig greifbar…

5. Mai 2012

Beginners (Mike Mills) 8,95



Eine wunderschöne Verbindung aus leicht verschrobenem US-Indiekino und französischer Melancholie und Romantik. Lange „okay“ und dann plötzlich so berührend, wie man es kaum beschreiben kann…wenn es das Genre „Herzwärmer“ gibt, dann ist das hier einer der besten, und ein im besten Sinne verträumter Vertreter. Everything in it’s right place.

4. Mai 2012

Johnny Mad Dog (Jean-Stéphane Sauvaire) 8,75



Eintauchen in die Hölle. Wie Black Hawk Down mit Kindersoldaten (auf Koks). Was hier gezeigt wird, ist so schlimm, dass die Realität, sollte sie auch nur ansatzweise so aussehen (was fast zu vermuten ist), mehr als die Hölle sein muß. Mit welchen antrainierten, völlig emotionslosen Aggressionen diese jungen Menschen hier durch das Kriegsgebiet ziehen und töten, hat man so wohl noch nie gesehen – noch dazu in dieser Intensität und Länge… 

Dass der Film einen ruhigeren Epilog hat, ist fast schon unerwartet; die „Eintönigkeit“ zuvor kann man ihm nicht vorwerfen. Der Film „gefällt“ nicht, er verstört einfach nur. Ich kann gar nicht anders als ihn so hoch zu bewerten, auch wenn ich nicht weiß, ob es „was bringt“, dass es ihn gibt.