25. November 2011

Delta (Kornél Mundruczó) 4,60




Béla Tarr
, Seom, Bruno Dumont, The War Zone, The Piano, sämtliche 'Außenseiter'- und 'Männer im Pub schauen finster wenn der Außenseiter reinkommt'-Filme und dann noch sämtliche Werke mit den Themen Gewalt gegen Frauen und Vergewaltigung.

Das alles kam mir während der ersten Hälfte dieses Films in den Sinn und das ist nicht positiv gemeint. Immerhin lief dieses Werk vor 3 Jahren im Wettbewerb von Cannes und wurde gar mit einem Kritikerpreis ausgezeichnet. Da sollte man schon ein bisschen was Eigenständiges bis Mitreißendes zu bieten haben. Ja, stimmt, es geht in diesem Fall inhaltlich um etwas Eigenes, nämlich Geschwisterliebe. Doch die Art wie dieser Film gemacht ist (inklusive seiner ziemlich oberflächlichen Schweigsamkeit sämtlicher Menschen), lässt kaum eine sensible Auseinandersetzung mit diesem Thema zu, Regisseur Mundruzcó ist auch eher auf eine schwelgerische und pathetische Inszenierung aus.

Immerhin ist die zweite Hälfte aus zwei Gründen nicht völlig vernachlässigbar. Erstens wird tatsächlich im Verlauf des Films ein schlichtes Holz-Haus am Wasser erbaut (wow!) und dann ist da noch das Ende mit einer eiskalten, schrecklichen Gewalttat. In diesen Momenten zieht sich alles zusammen und Mundruzcó trifft einen doch noch direkt im Inneren.

Aber wozu nun das alles und wozu dieser Film? Geht es wirklich darum ein Tabu der Gesellschaft zu diskutieren? Oder um die x-te Darstellung ruchloser männlicher Gewalt gegen Frauen bzw. Tabu-Begeher? Oder ging es vielleicht doch vor allem um eine möglichst schwelgerische Inszenierung?

23. November 2011

Terri (Azazel Jacobs) 8,33




Der neue Film des leise-heimlichen Indie-Heros Jacobs Junior beginnt wie eine gelassene Antwort auf das Extremdrama Precious: ein stark übergewichtiger Teenager, der gehänselt wird, steht im Mittelpunkt. Jacobs gelingt in der Folge einiges Außergewöhnliches: der Film könnte trotz seines wenig glatten Looks ein gängiges Außenseiterdrama Holly- (oder Indie-)woods sein, doch er wird immer wieder unangepasst in unerwartete Richtungen ausweichen, sei es dass urplötzlich trockener, schräger Humor auftritt oder dass der gutmütig-gelassene Terri viel mehr Profil und Charakter besitzt als erwartet.

Eine verwirrend-verstörende, ziemlich lange Szene gegen Ende macht etwas Sorgen, doch kaum ist sie vorbei, spürt man deutlich, was hier Schönes passiert: Unverkrampft, intim, fast wie im noch viel viel intimeren Vorgänger Momma’s Man sind Jacobs und sein Autor ganz nah an den jungen Menschen dran, die Erfahrungen machen, die Freunde werden. Ein positiver Film, jedoch ohne Happy End, ohne Katharsis; selbst ein Star wie John C. Reilly als schrullig-lieber Schuldirektor fügt sich perfekt ein in ein Werk, das ohne Willen zur Anstrengung oder Moral-Lektionen so viel Liebe und Wärme vermittelt, dass man allen Außenseitern und Gepeinigten, allen armen Seelen auf der Welt solche Weggefährten und so einen natürlichen Weg wünscht; hier werden keine „Probleme gelöst“, hier wird sich beigestanden – mit Coolness, Weirdness und ganz viel Herz.

21. November 2011

IL - Greaves, Adachi, Rossellini

Symbiopsychotaxiplasm: Take One (1968) 7,85

Den Titel versteht keiner, der Film macht es einem auch nicht leicht. Die doppelte Dokumentation eines komplizierten Filmdrehs im Central Park nutzt Regisseur William Greaves für ein exzellentes Verwirrspiel. Wenn die Crew diskutiert, was dieser Film soll und selbst darüber spricht ob dieses Gespräch vielleicht nur inszeniert ist, dann ist das schon sehr groß: der Film schlägt soviele kleine Haken und spielt sehr gefinkelt mit dem Verständnis des Publikums, dass er auch überfordernd wirken kann.

Richtig verschmitzt ist das Ganze, die Musik von Miles Davis könnte nicht besser passen, die Entstehungszeit Ende der 60er erlaubt eine einmalige Atmosphäre für so ein absurd-unerhörtes Experiment. Eine zeitweise intensive (das Treffen mit dem Obdachlosen!) und gleichzeitig herrlich satirische Abhandlung über, tja, vermutlich am meisten das Schauspielen. Bald folgt Take Two, haha…vor kurzem tatsächlich. Hintergründig-intellektuelle Scherzbold-Künstler wie Greaves braucht man.



Gingakei/Galaxy (1967) 7,xx

Die erste halbe Stunde ist eine Offenbarung, eine perfekte Verfilmung der schönen Wortkreation „Eskalierende Träume“, ein Film, der all das Wunderbare der „Traum-Werke“ von David Lynch weit zu übertreffen scheint. Versuchen der Geschichte zu folgen? Unerheblich bis unmöglich, vielleicht beim nächsten Mal. Diese Bilder, diese verstörende Schönheit genießen!

Aber dann kommt der Oberhoschi, ein unheimlich nervender Mönch und der Film kippt plötzlich in eine Richtung, die ganz und gar nicht mehr so verstörend ist wie all das zuvor, sondern nur noch kindisch. Vielleicht gehört auch das zu einem japanischen Film, vielleicht ist es auch unmöglich (oder gar nicht nötig) so etwas Wunderbares wie in den ersten 25-30 Minuten auf Spielfilmlänge zu bringen, doch was Masao Adachi dann macht, ist nur nervtötend. Verstörend sind aber auch weiterhin diese Zeichnungen von dämonenartigen Wesen mit verzerrten Gesichtern und Körpern – originäre Darstellung von absurd-grausamer Gewalt und Erotik. "Gingakei" ist alleine wegen seiner Positiva ein herausragender (meines Wissens im Moment nirgends außer vielleicht in Japan selbst, zu erwerbender) Film, ein zentraler Bestandteil des surrealistischen Kinos. Den ernüchternden Schluß- oder Zwischenteil kann man schon in Kauf nehmen…



India, Matri Bhumi/Indien, Mutter Erde (1959) 8,15

Die Leichtigkeit und Wärme dieses Films erfüllen mit Freude; wie gewitzt und gleichzeitig so straight (ganz anders als in modernen „Essayfilmen“) Rossellini hier porträtiert: wundervolles Einfühlungsvermögen für Mensch und Natur. So toll diese Dokumentation der Zweckgemeinschaft Mensch-Elephant! So zart die Geschichte des Ehepaars zwischen Kampf um Arbeit und dem Wunsch, an einem Ort glücklich zu werden.

Doch wiederum ist es leider ein Film, der das Niveau nicht ganz halten kann: die letzten beiden Episoden mit „Tierdramatik“ wirken arg gekünstelt inszeniert, wenn sie auch im Kern sehr schön sind. Das kann die unglaublich gute Stimmung, die einem diese liebevolle, meisterliche Reise zuvor gegeben hat, etwas mildern. Dennoch wünscht man sich viel mehr von so einer leichtfüßigen Art humanistischen Filmemachens!

18. November 2011

Interludium - Arthur Penn & Soi Cheang x2

Night Moves (1975) 6,95

Ähnelt ein wenig Polanskis Überwerk Chinatown ohne dessen Klasse zu erreichen; Penns Film ist weniger Krimi/Thriller als Porträt eines Mannes in Beziehungskrise, der halt auch cooler Schnüffler ist. Teilweise, aber fast zu selten ist die Inszenierung fiebrig, doch insgesamt ist das alles ein bisschen wenig packend. Wobei das auch nur mit Einschränkung gilt, denn wie so oft bei etwas dahinschleichenden Thrillern ist das Ende intensiv und gelungen.



Hyn huet ching nin/"New Blood" (2002) 7,32

Ein Horrorfilm, der im Kern eine tieftragische Romanze ist. Cheang erweist sich in diesem frühen Film gleich als kompetenter Koordinator von eleganten Kamerafahrten und eigenwilliger, ansprechender Ausleuchtung. Langsames Tempo und grelle Szenen dürfen hier eine schöne Symbiose eingehen. Eine kleine Freude für die Sinne also, die Geschichte dagegen endet etwas erzwungen twistend, ohne dabei stimmig zu sein. Über Cheangs in meinen Augen nicht ganz gelungenen aktuellsten „Accident“ liest man in manchen Texten „Meta-Film“, vielleicht ist das auch schon "New Blood". Interessant und unterhaltsam, mehr ist nicht dran.



Oi zok zin/"Love Battlefield" (2004) 8,10

Ein wüster Genrebastard, wieder mit hochromantischem Kern und menschlicher Tragik (im großen Stil) versehener, dabei hin und wieder mit überraschendem Humor versetzter Thriller mit all den typischen Elementen und Inszenierungseigenheiten des HongKong (Action-)Kinos, die man eh nur alle heiligen Zeiten mal im Kino genießen kann. Cheang gelingt hier das vollkommen, was mir in seinen restlichen gesehenen Werken ("Accident" und "New Blood") gefehlt hat: eine mitreißende (auch sehr pathetische) Geschichte um einen harmlosen Mann, der in die Fänge von Gangstern, und damit auch seine geliebte Frau (die ihn zuvor im Streit verlassen hatte) in Gefahr gerät. Dazu ist die Inszenierung mehr als nur gewohnt gekonnt, sie ist hochgradig packend. Ein „geiles“ Action-Liebes-Thriller-Drama mit allem was dazu gehört (und noch ein wenig mehr).

16. November 2011

La Guerre est déclarée (Valérie Donzelli) 8,13




Intensiv und impulsiv inszeniert ist dieses unkonventionelle, dadurch auch ein wenig an Kollegen des jüngeren französischen Films wie Mia Hansen-Love oder Arnaud Desplechin erinnernde Drama. Dem tragischen Thema eines jungen Elternpaars, bei dessen kleinem Sohn ein Gehirntumor diagnostiziert wird, gesteht die Filmemacherin keinen trüben Realismus zu, sondern lässt ihre Protagonisten (gespielt von ihr selbst und ihrem Ex-Partner!?) mit Verve ihr Schicksal bekämpfen.

Manchmal stößt das exaltierte Benehmen der zwei Liebenden etwas komisch auf, obwohl die Grundidee des Films, das Thema Kinderkrebs mit schwungvoll-positiven Eltern und einer sich jegliche Freiheiten nehmenden, verspielten Regie anzugehen, toll ist. Fein wird auch der Rückhalt des Familien- und Freundesnetzwerks gezeigt, durch den so ein dem Leben dem Krieg erklärender Zustand irgendwie erträglicher werden kann.

Der Krieg ist erklärt: ein Film mit erhöhtem Tränenflußaufkommen, der leider auch ein wenig seltsam endet. So schön ist es, wenn Donzelli und ihr ehemaliger Lebensgefährte (beide schrieben auch das Drehbuch, ob sie gemeinsam auch einen Sohn hatten, ist vielleicht zu vermuten, aber nicht gewiß) 95% des Films als perfektes, füreinander bestimmtes Paar agieren und dann ganz am Schluß doch erzählt wird, dass sie auseinanderbrachen. Auch wenn in der Realität des Lebens alles passieren kann, so scheint es gerade in diesen hochromantischen, kämpferischen, manchmal sogar surrealistischen Film einfach nicht zu passen, selbst wenn autobiographisch anscheinend genau das Gleiche passiert ist(!). Die schwelgerische letzte Einstellung lässt jedoch zumindest fürs Filmpaar hoffen, dass sie wieder zueinanderfinden und alles gut wird…

11. November 2011

Aleksandra (Alexander Sokurov) 8,01




Man muß diesem formal sehr trockenen Film Zeit geben, denn anfangs ist Großmütterchens Besuch im Armeestützpunkt etwas seltsam, undurchsichtig öde und wie bei Sokurov wohl üblich, sehr langsam gefilmt. Nimmt man sich die Zeit, wird man hinter den schlichten Bildern aber bald mit viel Tiefe belohnt.

Alexandra, die alte Dame, verlässt tagsüber den Stützpunkt und begibt sich auf den Markt der „Einheimischen“, um dort ganz friedlich mit einer anderen alten Frau den Nachmittag zu verbringen – gegenseitiger Austausch und kleine Hilfen der Zivilbevölkerung während ihre Länder Krieg führen. Das klingt auf dem Papier nicht neu, doch Sokurov hat einen vielschichtigen Zugang gewählt; dieser wird bereits durch die faszinierende Hauptperson verdeutlicht, eine trotzige, alles andere als offensichtlich „liebe“ alte Frau, die als Vehikel dient für pazifistische Elemente und die filmische Reflexion zum Leben, (im) Krieg, und spezifischer zu Themen wie hohem Alter/Jugend, Familie, Trauer, Liebe, der Sehnsucht nach Zärtlichkeit auch im hohen Alter und vermutlich noch einigem mehr. Ein sperriger und zugleich äußerst faszinierender Film, der vielleicht nicht so aufregend ist, dass man ihn unbedingt öfter sehen muß, lohnen könnte es sich auf alle Fälle.

7. November 2011

Old Joy (Kelly Reichhardt) 7,95




Sehr gelassene Verfilmung eines Wochenend-Trips zweier Freunde in den Wald. Die Frage, wie sehr sich der verheiratete "Normalo" und sein etwas sonderbarer Kumpel nach sehr losem Kontakt überhaupt verstehen, inszeniert Reichhardt unterschwellig knisternd und dennoch ultimativ entspannt (siehe die "warmen" Musikeinlagen der Band Yo La Tengo). Die amerikanische Filmemacherin konnte ihren Folgefilm Wendy and Lucy beklemmender und vielschichtiger inszenieren, beweist aber auch hier schon Gespür - wenn auch auf sehr meditativer Ebene. Doch diese ist nicht die einzige: Chillen im Wald und das Prüfen der Freundschaft wird ganz speziell umrahmt - von Radio-Diskussionen über amerikanische Politik- und Sozialthemen.

4. November 2011

Putty Hill (Matt Porterfield) 7,98




Am tollsten an diesem (im löblichen, sensiblen Sinn) pseudodokumentarisch angelegten (Miniaturen-)Soziogramm über eine Gruppe von Trauernden ist die sehr authentisch anmutende Stimmung, die geschaffen wurde. Wenn man krude Film-Vergleiche mag, könnte man das Werk fast als einen geerdeten Gegenentwurf zum überambitioniert-entrückten Enter the Void sehen. Hier wird mit anderen Mitteln eine gar nicht unähnliche Stimmung erzeugt, fast so als wäre nach dem Tod einer geliebten Person ein Wattefilter über alle Sinne gespannt. Porterfield verstärkt dies in seiner Inszenierung teilweise meisterlich, etwa wenn der Wortlaut einer beim Tätowieren gefilmten Unterhaltung nur durch Texteinblendungen deutlich wird. Es ist ein intimer Film mit intimen Momenten über unmittelbare Trauer(arbeit) und generellen Lebensfrust, die lokale Verwurzelung des Films und seiner großartig nicht film-stereotypen Charaktere kann man jederzeit spüren. Und dann ist da auch noch dieses wunderschöne, „künstlerische“ Ende mit den tanzenden, unscharfen Autolichtern.

2. November 2011

La piel que habito (Pedro Almodóvar) 6,43




Seltsamer Beitrag zum Transgender-Thema.
Almodóvar entfaltet die kurios-düstere Handlung ruhig und ausführlich, trotzdem hält sich der Tiefgang in Grenzen und die Gefühlswelt der Charaktere mutet oft zu oberflächlich behandelt an. Eine gewisse Kühlheit gehört hier zwar zur Methode, ganz überzeugend ist diese aber auch nicht.

Die Inszenierung ist natürlich wieder gewohnt elegant und der Arthaus-Veteran hält Die Haut, in der ich wohne stets gekonnt unterschwellig spannend; besonders toll in Erinnerung, neben der obligatorischen Zuspitzung gegen Ende, bleiben diese sehr weirden, beklemmenden „Tiger“-Momente, die an die schräg-schrille Sexualisiertheit des frühen Almodóvar erinnern, nur eben schon deutlich gereifter inszeniert sind.

Das Ende des Films ist dann Almodóvar pur, plötzlich und schon fast völlig unerwartet gelingt es ihm, einem die Tränen ins Auge zu treiben und meisterlich zu schließen. Die knapp zwei Stunden davor haben solch eine emotionale Bindung zum Geschehen auf der Leinwand (wie in seinen vermutlich besten Werken Alles über meine Mutter und auch Sprich mit ihr) etwas vermissen lassen, sind jedoch von einer ganz eigenen Atmosphäre geprägt, die eher Oberflächenreize bedient. Das Drama um Körperidentität sowie die gruselige Mischung aus wissenschaftlicher Genialität und deren triebhaft-verzweifelt-pathologischer Umsetzung „hat was“, lässt aber zugleich auch ein wenig kalt. Und aus so einer Kälte kann zwar vielleicht im Film eine Persönlichkeit, beim Betrachter jedoch schwer Leidenschaft wachsen.