28. Februar 2011

La nana (Sebastián Silva) 7,17




Galliges Porträt einer Hausmagd in der Midlife Crisis: sie arbeitet viel zu viel, deshalb möchte die Familie sie mit einer jüngeren Hilfe entlasten; doch die alte fühlt sich in ihrer Ehre verletzt und wehrt sich vehement, zum Teil mit für das Publikum auch witzigen, jedenfalls sehr kuriosen Mitteln.

Zwischen dramatischem Unterbau und drübergestreuter Komik schwankt also dieser in sehr kühlen Digitalbildern (die genau wie die Charaktere eine wenig menschelnde Stimmung transportieren) gedrehte Film über ein ängstliches Einigeln einer Frau, die Angst hat, ihre Routine zu ändern oder noch schlimmer, ihre Existenz bedroht sieht. Die Inszenierung wirkt manchmal etwas beliebig, auch das Schauspiel des alten Dienstmädchens pendelt etwas unentschlossen zwischen grotesk und ernsthaft. Überhaupt ist der Film insgesamt nicht ganz überzeugend, vieles plätschert, doch immer wieder gibt es unterhaltsame, selten auch ergreifende Momente. Gegen Ende dann, als der Widerstand gebrochen wird und eine junge Dame es endlich schafft, die beleidigte Leberwurst aufzuweichen, klingt der Film auch noch sehr angenehm aus und hat letztlich etwas Entscheidendes mit seiner streckenweise ordentlich fiesen Antiheldin gemein: an der Oberfläche wenig reizvoll und ausgesprochen ungalant, doch darunter schimmert ein liebenswerter Kern.

27. Februar 2011

Film Socialisme (Jean-Luc Godard) 4,45




Godard knüpft mit seiner Mischung aus sperrigem Experiment, schalen Andeutungen zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in und um Europa, sowie kaum nachvollziehbaren Spielfilmelementen im Prinzip dort an, wo er vor ein paar Jahren mit Notre Musique auch schon war. Obwohl Film Socialisme schon deutlich anders ist als die Arbeit zuvor: erstes Drittel Experiment, unverständliche Textfetzen, irgendwelche Anspielungen, die kaum wer versteht usw. Ein anderer Teil des Films besteht aus einer kuriosen Geschichte über eine Familie, von der ebenfalls wenig hängenbleibt. Vielleicht kann man den Film ja auch erschließen, wenn man sich ihn öfter ansieht, aber Godard scheint kaum Wert drauf zu legen, dass sein Werk zu so einem Erschließen wollen überhaupt einlädt.

Zwischendurch bezieht er sich immer wieder auf (das „alte“) Europa, Ägypten, Palästina. Hier erhofft man sich dann irgendetwas Intelligentes, Anregendes eines großen Denkers zur aktuellen Lage; es scheint aber leider eher so, als würde Godard aus seiner tollen Begabung und seinem sicher großen Intellekt vor lauter Verpflichtung zum dadaistisch sein und ja ganz ganz außerhalb stehen, zu wenig machen. Nur ganz am Ende, als er bei seinen schon typischen Film/Geschichts-Montagen ankommt, schimmert ein bisschen was Greifbares und Schönes durch, aber da hat man sich zuvor schon zu sehr abgemüht mit diesem seltsamen Etwas. Film Socialisme hätte mit seinen Themen (über Dinge..) durchaus etwas Tolles werden können, aber der alte Godard scheint eher spielen, eher das Publikum mit seinem ach so intellektuell experimentellen Stil vor den Kopf stoßen als wirklich etwas sagen zu wollen: ACCESS DENIED. Und NO COMMENT. Aha. Naja.

26. Februar 2011

Alamar (Pedro González-Rubio) 8,54




Eine Italienerin und ein von einer kleinen Insel stammender Mexikaner zeugen einen Sohn. Als der ca. 5 Jahre alt ist, kommt es zur Trennung der Eltern (all das erfahren wir in einer schönen, ungewöhnlichen Montage zu Beginn). Der Kleine soll nun erstmal mit dem Vater Zeit verbringen, wo dieser aufgewachsen ist (a la mar = ans/auf das/zum Meer) und dort nicht nur das Hochseetauchen und Fischen von seinem Vater gelernt hat, sondern auch einfach, stressfrei und mit der Natur in gemütlichem Einklang zu leben.

Was auf dem (äh) Papier nach etwas zu harmloser Naturverbundenheit klingt, stellt sich zwar in gewisser Weise auch genau so dar, doch die halbdokumentarischen Aufnahmen auf dem Meer (oder mit dem wilden Vogel in der Hütte!) rauben einem oft den Atem, der Film ist auf eine unheimlich charmante Art friedlich, liebevoll und bezaubernd, ohne dass es naiv und peinlich anmutet. Sicher ist es auch ein Projekt (wie dann auch im Abspann steht), das ein gefährdetes Gebiet ins schöne Licht rücken will, doch die Natürlichkeit des Fischfangs, des „einfachen“ Lebens und das gleichzeitige Erzählen einer universellen, melancholischen, wunderschönen Vater-Sohn-Geschichte über die Momente des Glücks mit gleichzeitigem Wissen über die Vergänglichkeit (mit tollem, weltoffenen, progressiven Ende anstatt einer reaktionären „Das Leben hier ist doch so toll“ Botschaft!) begeistern mit Fortdauer des ohnehin recht kurzen Films immer mehr: ein authentisches kleines „Kino von einem anderen Ende der Welt“-Highlight.

25. Februar 2011

Interludium - Abrams, Golubovic, Deville


Mission: Impossible III (2006) 7,12


Zum zweiten Mal gesehen, fast 5 Jahre nach dem Kino:
Die besten Szenen finden sich in der Mitte des Films: Cruise und Hoffman; Hunt rastet aus und lässt den Fiesewicht aus dem Flugzeug hängen, was dieser nur lakonisch und gemein kommentiert, was für eine geile Szene. Kurz danach die nicht minder coole Re-Entführung auf der Brücke. Der Rest ist typisches (wenig betörendes) MI-Material, das durch ein paar irreführende Abrams-Elemente minimal aufgeputzt wird. Auffällig ist, wie Giacchinos Musik manchmal an Lost erinnert (und den Film natürlich so besser macht). Das Ende ist auch sehr cool, schwankt zwischen komisch und peinlich, fesselt aber trotzdem. Insgesamt ist der dritte Teil wohl dennoch der schwächste der Reihe, ganz einfach weil sich das Grundgerüst langsam abnützt und die auteur-Präsenz von Abrams doch geringer ausfällt als die seiner Vorgänger de Palma und Woo.



Klopka/Die Falle (2007) 7,33

Ein harmloser Vater wird durch eine Schicksalsverkettung (zuerst bitter: die Tochter ist schwer herzkrank und braucht eine sündteure Operation; dann kurios: auf eine Spendenanzeige meldet sich jemand, der ihn als Auftragskiller anheuert!) zum Mörder. Noch kurioserer Schicksals-(Drehbuch)Hammerschlag: der geheimnisvolle Auftraggeber bezahlt nach der Tat überhaupt nicht! (naja/aha/so weit, so Konzeptthriller)

Der Film überzeugt von Beginn weg durch seine gekonnte Thrill-Inszenierung und die Verknüpfung mit aus dem Leben gegriffenen Krisenherden (wie einer Beziehung, die in die Brüche geht und finanziell-existentieller Schwierigkeiten); das geheimnisvoll-soghafte der Erzählung und der packende Soundtrack sorgen für emotionale Einbindung. Eine düstere Geschichte in einem nachkriegsverkommenen Land, voller Verzweiflung, mit einigen enorm intensiven, aus schrecklicher Qual entstandenen Momenten, dazwischen aber auch immer wieder etwas blöderen Einfällen und Drehbuchzuspitzungen. Die Stimmung ist aber sehr speziell (man kann vielleicht gallig sagen), ganz anders als in Hollywoodfilmen und das tut dem Film gut; dennoch gelingt Golubovic der Spagat zwischen aus Quasirealismus entstehendem Thrill und existenzialistischer Tiefe nicht auf so vollendetem Niveau wie etwa Götz Spielmann 2 Jahre später bei seinem ganz ganz entfernt mit "Klopka" verwandten Revanche.



Eaux profondes/Tiefe Wasser (1981) 7,48

Verfilmung eines Highsmith-Romans, "offizieller" deutscher Titel: Stille Wasser

Die bürgerliche Ehehölle, zynisch bis zum Geht nicht mehr: Frau holt sich Liebhaber ins Haus, der Mann ist beim Geplänkel immer dabei. Deville inszeniert kühn, manchmal mit überragenden Ideen, der Soundtrack ist anstrengend-nervig: passend zum Geschehen. Ein Psychospielchen, getragen von zwei berühmten Schauspielern, wobei Huppert sicher später Größeres geleistet hat als hier. Trintignant nimmt man den verrückten Mörder voll ab, der grinst total sick und die Kamera begeistert sich für sein schräges Gebiss. Die Auflösung ist etwas naja, aber der Film fesselt mit originärem Wahn und Sinn fürs subtil bedrohlich Irre.

24. Februar 2011

Schwarz auf weiß (Susanne Jäger & Pagonis Pagonakis) 6,90




Ein weißhäutiger Journalist lässt sich in Gesicht und an den Armen mit Farbe bemalen und geht als "Schwarzer" mit versteckter Kamera auf Deutschlandtour. Immer wieder erlebt er versteckte und offene Diskriminierung, Ablehnung, Verschmähen, Benachteiligung, Haß; Günter Wallraff, der schon öfter ähnliche Aktionen geliefert hat, legt diesen subtilen Alltagsrassismus, der noch immer tief in so vielen Menschen verankert ist, sehr direkt und mit der spannenden Methode des heimlichen Mitschnitts einerseits gekonnt offen. Doch sein Konzept hat auch arge Mängel: Wenn er sich etwa bei einem Seniorenspaziergang aufdrängt oder mit eigenwilliger Mimik und Gestik bei Volksfesten aufhält und dadurch ablehnende Reaktionen einholt, scheint die Hautfarbe nicht unbedingt das Hauptkriterium für diese zu sein.

Zudem ist die Idee gar nicht neu, sondern es gab vor einigen Jahren in den USA bereits eine ähnliche Dokumentation. Aber das macht ja nichts, das Thema ist zu wichtig, als dann man eine Originalitätskeule schwingen sollte. Dennoch, so erschütternd und erhellend Szenen wie die rund um ein Fussballspiel im Osten Deutschlands auch sind, hält sich der Erkenntnisgewinn über den grässlichen Rassismus in vorwiegend ländlichen Gegenden in Grenzen. So lustig wie ein Sacha Baron Cohen ist Wallraff übrigens nicht, aber Komik ist diesem Film auch kein großes Anliegen. Der „deutschen Gesellschaft“ einen Spiegel vorzuhalten gelingt nur bedingt, dennoch überzeugt das Projekt in gewisser Weise durch seine intensiven, unerhört wirkenden und auch traurig stimmenden „hidden camera“ Ergebnisse.

22. Februar 2011

Rammbock (Marvin Kren) 7,39




Kurzer Film, kurzer Text: Kammerspielartige Zombie-Variation, in dem es vor allem um die Liebe geht. Der verzweifelte, romantische Michi, der seine Ex zurückgewinnen will (die möglicherweise längst ein Zombie ist), hat eigentlich kaum Optionen: Gemeinsam sterben oder getrennt leben. Oder doch gemeinsam leben?

Der melancholische Held und das schmähreiche Drehbuch (Stichwort Bärenfell) sorgen für eine unterhaltsame, dabei gemächliche Stunde: selten treffen Worte wie kleiner aber netter Film, nicht weniger und nicht mehr so gut zu wie hier. Muß man sich nicht unbedingt ansehen, ist aber sehr sympathisch und kompetent gedreht.

21. Februar 2011

Wenn die Welt uns gehört (Judith Keil & Antje Kruska) 6,28




Drei verunsicherte Teenie-Außenseiter werden zu Satanisten. Beziehungsweise zwei Burschen ohne jegliche Anbetungsambitionen werden vom Anführer, so doof der und seine Rituale ihnen anfangs auch scheinen mögen, hineingezogen. Unbemerkt von den Eltern und abgekapselt von Freunden oder möglichen Freundinnen geraten sie immer tiefer in den Sumpf der kaum reflektierbaren, nicht reflektierten Verblendung.

Der Film ist unspektakulär inszeniert und wirkt oft geradezu billig, auch etwas naiv, aber man würde den Burschen so gern einen Ausweg aus ihrer kaum lebenswerten Welt, ohne Liebe usw. gönnen. Geschickt schaffen es hierbei die beiden Regisseurinnen, genügend solcher möglichen Auswege anzudeuten, die dann aber alle nicht genutzt werden, bzw. zu veranschaulichen, dass bei den Jungen einfach keine Strategien für den Umgang mit pubertären Enttäuschungen vorhanden sind. Das völlig unscheinbare Abdriften könnte man dem Film auch als wenig differenziert anlasten, das "Nicht an den Gedanken teilhaben können" wirkt aber durchaus beunruhigend und nicht so unrealistisch. Als Denkanstoß zu Themen wie „Satanismus“ (vielmehr welche Menschen, welche Gefühle, welche Beweggründe hinter diesem Brauch stecken mögen) oder sozialer Isolation ist das Teeniedrama sicher ehrenwert und es ist auch gar nicht mal unspannend; von großer, bedeutsamer und erschütternder Filmkunst aber dennoch so weit entfernt wie der Teufel vom Wachturm verteilen.

20. Februar 2011

Das Fremde in mir (Emily Atef) 5,26




Das sich ernsthaft dem Thema postpartale Depression annehmende Drama mag gut gemeint sein, plätschert aber eher vor sich hin als dass es zu fesseln vermag. Regisseurin Atef konzentriert sich enorm auf ihre Hauptdarstellerin Susanne Wolff, die ihre Sache vielleicht gar nicht so schlecht macht, andererseits aber meist nur ausdruckslos schaut, was sich wiederum kaum positiv auf das Interesse des Zusehers auswirkt. Wie sie ihre Depressionen langsam durch Therapie in den Griff bekommt, und wie die zerfahrene Beziehung mit dem Vater des Kindes sich mehr oder weniger bewegt, ist einerseits behutsam und authentisch geschildert, andererseits aber auch nicht unbedingt der Rede wert. Man kann sich denken, die einzige Qualität dieses braven Werks wäre, das Phänomen der mütterliche Depression nach der Geburt bekannt(er) zu machen, doch scheinen in diesem Fall andere Strategien sinnvoller als so einen lauwarmen Film zu drehen.

18. Februar 2011

The Sound of Insects (Peter Liechti) 7,47




Untertitel: Record of a mummy


Im Wald wird eine Leiche gefunden, mit ihr ein Tagebuch. Ein Mann entschied sich für den Hungertod und hat seine Eindrücke und Gefühle mitprotokolliert. according to a true story. Es beginnt also eine beklemmende Reise in ein Extrem der menschlichen Existenz. Ein Mensch, der im Leben keinen Sinn mehr sieht, zieht sich in den Wald zurück, um zu sterben. Seinen Texten nach ist er hoch intelligent, zynisch, verbittert und hat keine Verbindung mehr zu den (Mit-)Menschen. Manche Aussagen über sein Leben oder seine Weltanschauung schmerzen richtiggehend. Generell ist Das Summen der Insekten ein Film, der dem Zuseher einiges abverlangt, sowohl wegen der schmerzhaften Details als auch aufgrund seiner Langsamkeit. Liechti lässt die Texte vorlesen und kombiniert sie einerseits mit verankernden Bildern aus dem Wald, andererseits mit solchen, die nur lose assoziativ mit dem Vorgelesenen zusammenhängen: Melancholische Aufnahmen von Menschen aus einer größeren Stadt sind da dem Gefühl nach noch am nähesten am Text dran, die meiste Zeit aber scheinen Bild und Text kaum miteinander verbunden, was den Film experimentell und kunstvoll wirken lässt.

90 Minuten sind eine lange Zeit für das Sterben und die im Voraus geplante „Dauer“ des Suizids durch Verhungern wird immer weiter überschritten. Für Menschen, die sich für solche extremen Formen physiologischer und psychologischer Zustände interessieren, ist der Film ein ungemein intensiver „Thriller“, und mehr noch das Durchleben dieses Films fast schon ein düsterer psychischer Selbstversuch. Doch ist diese Niederschrift denn überhaupt „echt“? Kann das, was zunächst lange nach einem realistischen Zeugnis klingt, tatsächlich so niedergeschrieben worden sein? Die Elaboriertheit der Tagebucheinträge im Nahtodzustand lassen langsam Zweifel aufkommen, während man aber gleichzeitig schon kaum mehr schlucken kann, die Intensität kaum noch aushält, weil dieser Mensch da kommentiert, wie er im Zeitlupentempo krepiert.

Am Ende dann, freilich nur sofern man es nicht ohnehin schon vorher gelesen hat, die Ernüchterung: Der Film ist die Adaption einer fiktiven Novelle, welche wiederum auf dem angeblichen Tagebuch basiert. Die Texte, die so qualvoll zu hören waren, sind also eher als Kunst einzuordnen denn als ungefärbtes Material eines unerträglichen Experiments. "Eine sehr persönliche Annäherung an einen fiktionalen Text, welcher wiederum auf einer wahren Begebenheit beruht." heisst es auf Liechtis Homepage. Sehr persönlich sind also diese Bilder, die dem Text durchaus etwas Faszinierendes hinzufügen, doch das, was an diesem Film wirklich so spannend ist, ist in erster Linie der Text von Shimada Masahikos Novelle.

Liechtis Film ist nichtsdestotrotz eine enorme Erfahrung. Die meditative Vortragsweise des Grauens, die vielen Pausen, das ungemein Traurige und Ausweglose, und das Bedienen der (menschlichen?) Neugier auf Extremes auf eine ruhige, respektvolle Weise. Ein Film, der den Zuseher wegen seiner Langsamkeit zu ständiger Reflexion einlädt, über das Leben, den Tod, Einsamkeit, Verzweiflung, und nicht zuletzt über die schier unglaubliche Zähheit und den Lebenswillen des menschlichen Körpers, welche aber der Kraft des Geistes im Härtefall stets unterlegen bleibt.

17. Februar 2011

Capitaine Achab (Philippe Ramos) 7,29




Der berühmt besessene Kapitän aus dem Literatur-Klassiker "Moby Dick" bekommt vom französischen Regisseur einen ergänzenden "coming of age"-Werdegang spendiert. Eine fiktive Biographie einer fiktiven Romanfigur sozusagen. Ungeachtet der Frage, wie nobel oder ungehobelt (oder spannend) es sein mag, das Gedankengut eines längst toten Autors zu „erweitern“, ist Kapitän Ahab ein origineller Film. In 5 Kapiteln wird die Lebensgeschichte des immer grimmiger und gefühlskälter werdenden Ahab erzählt, wobei Ramos in jedem dieser Teile auf einen unterschiedlichen Erzähler zurückgreift, und, was vielleicht den größten Reiz dieses eigenwilligen und auch etwas eigenartigen Projekts darstellt, jedes dieser Kapitel hat somit auch einen ganz eigenen Stil. Man sieht also quasi 5 verschiedene Kurzfilme, die aber schon schlüssig miteinander verbunden sind.

Der Film ist insgesamt eher düster; ein ungeliebtes Kind wird zum Außenseiter und scheinbar unfähig zu lieben (etc..), dennoch gibt es immer wieder komische oder zumindest stimmungsaufhellende Ideen. Dass nach ca. 2 Dritteln des französischsprachigen Films plötzlich Walfang-Archivmaterial gezeigt wird und dazu herzhaft „What shall we do with the drunken sailor“ gesungen wird, ist da nur das offensichtlichste Beispiel von Ramos’ Experimentierfreudigkeit und einer angenehmen Freiheit seines Films. Wie "sinn-" oder "wertvoll" diese Entwicklungsgeschichte Ahabs nun sein mag, ist dabei sicher nicht der entscheidende Punkt. Capitaine Achab ist kein einfach, aber auch kein allzu mühsam konsumierbares Werk; sicher ein wenig sperrig, aber dank seines Abwechlsungsreichtums und der faszinierenden Idee, eine spannende Persönlichkeit zu skizzieren, kann man gut dran bleiben. Auch wenn diese Charakterisierung manchmal vielleicht etwas blöd sein mag, der Film wirkt auch trotz seines finsteren Themas nicht todernst, sondern man merkt dem Regisseur gewissen Spaß an seinem Kunstprodukt an.

15. Februar 2011

La belle endormie (Catherine Breillat) 7,33




Nach dem tollen morbid-kindlichen Barbe Bleue ("Blaubarts jüngste Frau") der nächste Märchenfilm der Spezialistin für weibliche Sexualität. Anders als im sich relativ deutlich an einer Vorlage orientierenden Vorgänger sind es hier Motive aus mehreren Märchen, die in den Film einfliessen, aber auch wiederum sehr stark von Breillats eigenen Ideen durchsetzt und erweitert werden: "Dornröschen", "Die Schneekönigin" und "Alice im Wunderland". Manchmal wirkt die schlafende Schöne etwas spröde und gar billig, manchmal etwas zu grotesk (vor allem in den betont komischen Alice-Momenten), doch wie eigentlich immer bei Breillat sind ihre eigenwillig ausgefallenen bis verstörenden, hintersinnigen Elemente so spannend, dass der Film nicht perfekt inszeniert sein muß, um zu faszinieren.

Beeindruckend ist vor allem, wie es am Ende gelingt, die Schöne und ihren Prinz flüssig, aber fast schon unerhört aus der kindlichen Märchenebene in eine reale, von körperlichem Begehren, Eifersucht und Streit geprägte Teenagerwelt zu versetzen, in der die Sexualität und Beziehungsprobleme plötzlich im Vordergrund stehen und an erwachsenere Werke der deutlich sanfter gewordenen Kinoprovokateurin erinnern. La belle endormie mutet anfangs noch wie eine exzentrische Version eines Film-Märchens aus den 70ern an, in das immer mehr Breillats Interesse für adoleszente Sexualität eindringt und endet schließlich geradezu kurios und abrupt. Darüberhinaus ist es übrigens ein Film, der nach einer tieferen Auseinandersetzung als an dieser Stelle möglich, geradezu schreit, vielleicht ja auch nach einer noch etwas höheren Wertung.

14. Februar 2011

Rabioso Sol, Rabioso Cielo (Julián Hernández) 7,43




Flammende Begierde, sexuelles Verlangen (erfüllt und mehr noch unerfüllt), heftige Liebe, heterosexuelle und homosexuelle Geschlechtsakte - oft auch scheinbar aus purer Verzweiflung entstehend: um solche Themen kreist dieser in kunstvollen, großteils in ausdrucksstarkem Schwarz-Weiß gehaltenen Bildern und mit einer Vielzahl von geradezu schwelgerischen Kamerafahrten inszenierte dreistündige elegische Film(wahnsinn).

Es beginnt mit einem düsteren, fatalistischen Spruch und einer gut 30 Minuten langen, etwas rätselhaften Episode, die den Stil bereits deutlich vorgibt, darüberhinaus aber scheinbar wenig bis nichts mit dem folgenden Rest des (für eine derartige "Handlungs"-Armut ungewöhnlich langen) Films zu tun hat – Hernández lässt den Zuschauer sich in diesen traumhaften Bildern verlieren, nimmt sich enorm viel Zeit, seine Charaktere herumstreunen zu lassen – oder etwa ihr Kopulieren ausführlich und geradezu körperlich spürbar zu inszenieren. Es sind oft expressionistisch anmutende Szenen und Szenerien, und das Animalische der vorwiegend homosexuellen Männer wird auf kunstvolle Weise porträtiert. Gesprochen wird hier fast nicht, dafür meistens still gelitten und begehrt.


Nach ungefähr zwei Dritteln dann ein radikaler Bruch, sowohl des Schwarz Weiß-Materials, als auch der Erzählebene des Films. Die Dreiecksgeschichte wird durch eine surrealistische, möglicherweise auch Traum-Ebene erweitert. Was sich zunächst extrem genial (und) verstörend anfühlt, driftet danach aber immer mehr in eine (höchst gewollte) pathetische Theatralik und einen ziemlich schrägen Mythologie-Fantasy-Mix ab, der eher komisch und absurd denn ergreifend ist – im Gegensatz zur vorerst ungebrochen kompromisslosen Tragödie der Erzählung. Die Auflösung der unterschiedlichen Ebenen erfolgt dann überdies mit einem sehr eigenartigen (Meta?) Happy End und so kann nach drei ziemlich faszinierenden (höchstens zwischendurch mal etwas langatmigen) Stunden, in denen man in einen Rausch der Gefühle und Stimmungen versetzt wurde, leider ein bisschen das Gefühl der Enttäuschung entstehen; nämlich insofern, dass Hernández seinen aufwendigen und lange scheinbar tief tragischen Film so ironisch auflöst, dass alles, was zuvor aufgebaut wurde, mit dem Ende wieder ein wenig verpufft. Wütende Sonne, wütender Himmel ist einerseits ein echtes Filmereignis, aber rückblickend, als Gesamtprodukt, dann doch weniger erschütternd und betörend als zwischenzeitlich bereits empfunden.

11. Februar 2011

I'm still here (Casey Affleck) 7,45




Joaquin Phoenix wird Rapper. Vor allem aber lässt sich der begnadete Schauspieler mal ein Jahr lang so richtig gehen. Zottelbart, Drogen, auf alles scheißen (außer was auf niedrigstem Niveau eben so alles Spaß macht!). Casey Affleck, selbst ein ziemlich Guter des gleichen Fachs und Regiedebütant, begleitet ihn mit der Kamera, auch der Boulevard ist bei Phoenix' raren Öffentlichkeitsauftritten natürlich immer mit dabei.

Was für Mitdenkende eigentlich nichts anderes sein kann als eine mockumentary, eine Möglichkeit für Phoenix ganz unabhängig extremes method acting zu betreiben, hat doch immer wieder verstörende, ungewisse Momente: Meint der das jetzt wirklich so? Geht er nicht zu weit? Was zur Hölle treibt der da?

Phoenix' Aktionen bewegen sich zwischen kindlich-radikalem Gaga-Aktionismus und krassen Brüskierungen eines engen Freundes und treuen Angestellten. Als dieser irgendwann die Schnauze voll hat und sich revanchiert, indem er dem schlafenden JP ins Gesicht kackt(!), kann das doch nur ein Fake sein. Wie auch immer, die Aktionen im Film sind jedenfalls ziemlich ungehobelt und von niedrigen Instinkten, denen mit größter Lust nahegangen wird, geprägt. Was anfangs noch enorm komisch und genial ist, wird mit der Zeit aber auch etwas ermüdend.

So toll die Idee und das Durchziehen dieses einjährigen Gammelns nämlich per se auch ist, der Film zündet nicht auf ganzer Linie. Zu eintönig wird es manchmal, auch wenn sich Affleck mit seiner Inszenierung Mühe gibt, eigene Spuren zu hinterlassen. Und Phoenix eben großartig agiert. Manchmal nervt sein selbstverliebtes, herablassendes Verhalten aber auch gewaltig. 90 Minuten scheinen da fast zuviel, man mag sich gar nicht vorstellen, wie anstrengend das knappe Jahr für Phoenix' Mitmenschen (und natürlich auch für ihn selbst) gewesen sein muß. Für ein "nicht ernst meinen" ist das Ganze nämlich viel zu aufwendig. Hier hat sich jemand richtig reingehängt und keine halben Sachen gemacht. Ein echter Radikalakt also, zumindest wie es über diesen Film vermittelt wird. I’m still here ist also sehr speziell, ziemlich amüsant, zwischendurch aber auch mal etwas langatmig und anstrengend. Der Abschluß des Films ist dann aber nochmal sehr schön.

10. Februar 2011

Carlos (Olivier Assayas) 7,74




In der hier besprochenen und bewerteten kürzeren Kinofassung ist das aufwendige Terroristenporträt vielleicht etwas löchrig, überzeugt aber dennoch durch die hingebungsvolle Akribie von Assayas, der die verschachtelte Internationalität der Szene so authentisch wie selten erlebt casten und spielen lässt: Carlos ist vor allem ein Sprachen-Film und bereitet alleine durch die Flüssigkeit und Dynamik der ständigen Sprach-Übergänge Spaß. Auch die Inszenierung des vielseitigen Filmemachers ist wie gewohnt top: Herausragend etwa die Szene mit der WG-Party, dem ersten Verrat an Carlos und wie dieser dann gewaltsam die Situation löst; eine Mischung aus Hitchcock-Spannungsaufbau und krasser Intensität - eine Szene, die aber auch auf betont coole Weise den (Film-/Anti-)Helden, vom zuvor noch nicht allzu bekannten Edgar Ramirez imposant verkörpert, so richtig einführt.

Obwohl der Terrorismus der 70er Jahre medial schon zur Genüge verarbeitet wurde und der Film sich in seiner Struktur letztlich kaum vom gängigen Biopic-Procedere abhebt, ist dieses Mega-Projekt vor allem ein sehr süffiges, unterhaltsames Porträt. Ob die auf 3 (TV-)Teile ausgelegte längere Fassung noch überzeugender, weil vielschichtiger ausgefallen ist, oder ob diese Länge auch mehr Langatmigkeit bewirkt hat, kann hier vorerst nicht geklärt werden.

9. Februar 2011

Serbis (Brillante Mendoza) 8,60




Dieser wunderbar lockere Film, dessen Titel Service bedeutet, ist sowohl zeitlich als auch räumlich in enorm enge Rahmen gepresst und dennoch so herrlich frei und ungezwungen. Mendoza zeigt uns einen Tag in einem schäbigen philippinischen Pornokino, das von einer Großfamilie betrieben wird. Große und kleine Dramen spielen sich ab, während die Kamera virtuos und höchst dynamisch durch die Gänge, Zimmer und Stockwerke gleitet: es wird gestritten, geliebt, gefickt, geputzt und gerannt und und und. Menschlichkeit und Humor zeichnen das entspannte und zugleich stets quicklebendige Porträt von vermeintlich "schrägen Gestalten" aus. Mendoza, der fast schon Miike-esk ein Werk nach dem anderen dreht, hat viel Sinn für Dynamik und Gespür für die technischen Aspekte eines Films, aber auch mindestens genauso viel Gefühl, Herz und Empathie für seine (zahlreichen) Figuren, was für eine Kombination. Und so eine Atmosphäre wie hier ist dann folgerichtig auch ganz selten im Kino (oder wo immer man tolle, unabhängige Filme wie diese sehen kann).

Am Ende eines enorm hitzigen, ereignisreichen Tages zerfällt Serbis regelrecht während eines ruhigen Gesprächs: ein kleiner Gag und zugleich ein perfekter, leicht selbstironischer Abschluß eines meisterlichen, "kleinen" großen Werks.

6. Februar 2011

The Road (John Hillcoat) 7,70



Cormic McCarthys hervorragender postapokalyptischer Vater-Sohn Roman, eine beklemmende, grausame doch zugleich liebevolle und ungemein zärtliche Geschichte um das kleine Feuer der Menschlichkeit und des Zusammenhalts in einer schrecklich lebensfeindlichen Welt, wurde von John Hillcoat relativ angemessen und angenehm unaufgeregt, nämlich nicht unnötig in Richtung Kassenerfolg trachtend, in atmosphärische Filmbilder umgesetzt.

Ein paar unnötige Kleinigkeiten ärgern aber etwas und verhindern Größeres: Zum einen wird ein großer Schreckmoment, der im Roman spät und genial beiläufig geschildert wird, im Film sehr früh vom Erzähler lieblos preisgegeben. Und die für sich genommen ja ganz ordentliche Musik von Nick Cave und Warren Ellis kleistert diese düstere, gruselig entvölkerte Welt eher unnötig und gar aufdringlich zu. So geht oft viel von einer potentiell noch viel bedrohlicheren Stimmung verloren und McCarthys genialer, ultranüchterner Sprachstil, ein zentraler Baustein der Klasse des Romans, wurde insgesamt nicht ideal übersetzt.

Die Straße als Film ist gut und für sich betrachtet feines, leicht anachronistisch anmutendes Kino. Und ein anderes Team hätte vielleicht viel mehr falsch machen können. Aber dennoch kann man leicht enttäuscht sein, dass aus der fantastischen Vorlage nicht ein noch besseres, ein richtig umwerfendes Äquivalent für die Filmwelt entstanden ist; wie so oft bei Romanverfilmungen fehlen den Bildern und Dialogen eben die Tiefe und Komplexität der Literatur, weshalb die Vorlage natürlich viel empfehlenswerter ist, doch Hillcoat hat sich sichtlich bemüht, McCarthys Werk treu zu bleiben und Mortensen im Penner-Look ist eine Top-Besetzung. Eine feine filmische Ergänzung zum Roman und künstlerische Eigenleistung ist übrigens das leise Stimmen-Experiment im Abspann.

2. Februar 2011

Exit through the Gift Shop (Banksy) 7,41




Der zunächst aus dem Underground subversiv arbeitende, mit seiner Anonymität spielende (oder es vielleicht auch ernst meinende) Street Artist Banksy ist in den letzten Jahren zu einem Kunst-Mainstream-Liebling aufgestiegen. Der Filmemacher Thierry Guetta lernt ihn bei Dreharbeiten zu einer Doku über die Street Art-Szene kennen - woraufhin Banksy den Film zu seinem macht und Exit through the Gift Shop in der Endversion ein Porträt von Thierry Guetta alias Mr. Brainwash geworden ist, inklusive seinem raschen und ziemlich absurdem Aufstieg zu einem millionenschweren Kunst-Hype, was wiederum vor allem durch die Mithilfe Banksys zustandekam.

So ist in etwa die verwinkelte Produktionsgeschichte und teilweise auch Story dieses Films, einem Werk, das das Kunststück vollbringt, authentisch mit alternativer Untergrundkunst und -Künstlern zu sympathisieren und dennoch offenbar bei einem breiteren Publikum anzukommen. Das Feine daran ist aber, dass keine Anbiederung an den Mainstream passiert, sondern dass die subversiven Elemente und eine zynische Ironie dem eigenen Erfolg am Kunstmarkt und den Hypes gegenüber den Film stets durchziehen, und somit wird das bisweilen etwas selbstgefällige Werk im großen und ganzen zu einem unterhaltsamen Mix aus Blödelei, Kunst(doku), großer Verarsche und kritisch angehauchter Reflexionsanregung.