31. Dezember 2012

Sag-haye velgard (Marzieh Meshkini) 7,10



Streunende Hunde: Ein iranischer Film, der in Kabul spielt. Zwei Kinder und ein Hund sind in Not, das klingt nach Potential für existenzielles, mitreißendes und kulturell interessantes Kino.

Das Drama um einen bitteren Überlebenskampf plätschert aber schon auch ein wenig dahin. Einige Szenen und der verzweifelt-absurde Grundtenor über die Kinder, die bei ihrer Mutter im Gefängnis übernachten und tagsüber umherstreunen und versuchen etwas Geld zu machen, sind dann aber tatsächlich bewegend.

Am Ende ist die explizite Hommage an de Sicas Fahhraddiebe schon auch sympathisch, aber vielleicht etwas zu referentiell. Die unglaubliche, plötzliche Hundekampf-Massenszene schlägt da schon eher in die Kerbe von ganz besonderen Eindrücken aus einer "anderen Welt"...

22. Dezember 2012

Coriolanus (Ralph Fiennes) 6,65



Der Film sei vor allem Shakespeare-Text, kann man beim Überfliegen des Kritikerspiegels lesen – und das ist in der ersten Hälfte auch wirklich ein bisschen ein Problem. Vielleicht auch, dass das Stück an sich wenig aufregend daherkommt - und auch Fiennes Gründe, es in eine Art Gegenwart zu verfrachten, scheinen nicht besonders gewinnbringend. Die filmische Umsetzung (zu Beginn viele Kriegs-Kampfszenen) ist ebenfalls etwas medioker, wirkt manchmal sogar etwas ungelenk...

Wie so oft ist aber auch dies ein Film, der in der zweiten Hälfte zulegt und letztlich noch ordentlich unterhält. Als man Martius (=Coriolanus) ganz oben wähnt, greift das Volk ein; und erfreulicherweise hat es hier durchaus Macht - die allerdings in Wahrheit schlicht von anderen "Politikern" ausgeht bzw. ausgenützt wird. Coriolanus wird ins Exil geschickt und verbündet sich mit seinem Todfeind. Er wird zu einem scheinbar emotionslosen, endgültig eiskalten Wesen, das nur noch Vernichtung im Sinn hat.

Fiennes inszeniert sich selbst in diesem Teil des Films am besten (ein bisserl Voldemort spielt in die Performance wohl noch rein), doch grandios ist vor allem Vanessa Redgrave als seine Mutter, und zwar vor allem in dieser einen Szene, in der sie ihn zum Umdenken bringen will.

Es ist schon mühsam, zwei Stunden Shakespeares Sprache zu folgen, und es mag auch nicht sein bestes Drama, Fiennes Umsetzung nicht die tollste Umsetzung sein; dennoch werden immer wieder packende Sphären erreicht.

18. Dezember 2012

Tatsumi (Eric Khoo) 8,15



Sehr düster (mit dem Titel Hölle und wilden Kriegs-Fiebertraum-bildern) beginnt dieser außergewöhnliche Animationsfilm, der zum Teil Biografie der titelgebenden Comic- (bzw. Gekiga = dramatisches Bild) Legende und zum Teil Verfilmung seiner Geschichten ist. Bis man diesen Aufbau verstanden hat, kann einige Zeit vergehen, in der die rauschhaften Bilder recht schwer zu deuten sind.

Die verfilmten Geschichten sind düster, melancholisch und abgründig-humorvoll, es geht in ihnen vor allem um Sex (bzw. Frauen), Ängste, den Tod und natürlich die Kunst.

Phasenweise ist der Film geradezu betörend schön oder schön verstörend; die etwas sperrige Struktur und die Tatsache, dass die vielen Episoden in Summe einen eher oberflächlichen Kurzgeschichten-Teppich ergeben, in dem viele Seelenqualen und Hintergründe nur erahnbar (und die Legende Tatsumi selbst somit etwas fremd) bleiben, hinterlassen dennoch einen winzigen Hauch von Enttäuschung. Vielleicht müsste man sich in dieses Werk (Tatsumis) aber auch einfach nur tiefer hineingraben, um die wahre Größe zu erkennen.

14. Dezember 2012

This is love (Matthias Glasner) 7,35



Glasner spaltet wohl viele (oder zumindest einige) Filmfreunde in zwei Lager. Ich finde das Pathetisch/bitter Emotionale und offen auf „Größe“ angelegte Parabelhafte in den mir bislang bekannten Filmen sehr okay (dabei habe ich seinen berüchtigten Der freie Wille noch immer nicht gesehen). Großartige SchauspielerInnen in Gefühlszerfleischung, ausdrucksstarke Bilder – so ein Kino mag ich, trotz grenzwertiger Konstruktion.

13. Dezember 2012

¡Vivan las Antipodas! (Victor Kossakovsky) 9,00




Wie schön ist unsere Erde! So einen Film zu drehen, hätte auch schiefgehen können: das Banale auf der einen, das Prätentiös/Künstlerisch/Überhobene auf der anderen Seite. Doch Kossakovsky hat eine wunderbare Symphonie aus Bildern und Musik erschaffen. Acht Plätze unseres Planeten, unterschiedlich oder ähnlich, alles ist möglich. Der Mensch bis auf zwei bis drei Großaufnahmen nur kleiner Teil der Flora und Fauna. Die Kamera kippt, fliegt, rauscht, die Landschaften sind so aufregend, Kossakovsky findet bisweilen genial Ähnlichkeiten und sehr häufig atemberaubend schöne Bilder.

Der Film hängt in der Mitte kurz durch, ist davor und danach aber eine Erfüllung, die denkbar schönste Kombination aus Natur und Kunst. Quasi wie Werner Herzogs Encounters at the end of the world, nur ohne Interviews und mit noch mehr Oper und rauschhaften Bildern. Oder wie Tree of Life, nur ohne Jenseitskitsch.

11. Dezember 2012

Moonrise Kingdom (Wes Anderson) 8,27




Der Beginn ist Wes Anderson wie immer, quasi ein Selbstzitat aus seinem wohl großartigsten Film (hilarious) Life Aquatic with Steve Zissou. Langsam nützt sich das alles ab (das könnte ich aber schon bei Darjeeling Limited geschrieben haben).

Doch das kleine Pfadfinder-/Insel-Universum, das er im Anschluß entwirft, ist eben auch wie immer liebevoll-detailliert und enorm charmant gestaltet. Gar nicht so lustig wie vielleicht erwartet wohnt der Teenie-Romanze trotz aller Skurrilitäten eine erfreuliche Ernsthaftigkeit inne.

Formal ist Anderson mit diesem Film vielleicht besser denn je. Einstellungen und Musik ergeben eine perfekte Symbiose, vor allem die Inszenierung beim Showdown ist fantastisch, und nicht zuletzt dank dieser netten Musik strömt das Publikum beschwingt aus dem wahren Königreich dieses begnadeten Filmemachers, dem Kino-Saal.

8. Dezember 2012

Stillleben (Sebastian Meise & Thomas Reider) 7,88



Voyage, Voyage. Eine Hütte am Feld. Drinnen ist ein Pädophiler, das weiß man. Man weiß aber nicht gleich, was er da drin macht. Gefilmt ist dieser Beginn von einer auffallend statischen Kamera, die ja mittlerweile ein Markenzeichen des österreichischen Films, von Seidl bis zu Geyrhalter und zuletzt auch Schleinzer mit dem letztlich überragenden Pädophilenfilm Michael, ist. Dass Meise sein Werk formal genau so beginnt, ist erstmal ein wenig fad und wirkt auch wenig eigenständig.

Doch nicht nur weil Kamera und Bilder mit der Zeit freier werden, kann der Film immer mehr überzeugen. Die Vorstudien aus Outing haben Reider und Meise zu einem philosophisch gefärbten Drama über Moral und Schuld überspitzt. Der Familienvater onaniert regelmäßig zu Kinderfotos seiner bereits adoleszenten Tochter. Der Sohn deckt das auf, der Vater entfernt sich von der Familie – und durch diese Schmach auch endgültig vom Leben; so erwartet es zumindest der Zuschauer, doch Meise/Reider spielen geschickt mit diesem erwartet fatalen Ausgang, um den Film deutlich komplexer und zu einer recht interessanten Familienstudie werden zu lassen.

Der Vater hat die Tochter nie angerührt, erfahren wir später. Ist er überhaupt an irgendwas schuldig? Kann ihn die Familie, die Tochter trotzdem noch in irgendeiner Form gern haben? Was wird er tun, jetzt, wo seine engsten Mitmenschen sein dunkles Geheimnis kennen?

Stillleben ist einerseits als Fiktion weniger beklemmend als die „Realität“ von Outing. Und dennoch ein fast genauso spannender Film zu einem extremen Thema und den Fragen, wie und ob man denn als Betroffener und wie und ob als wissender Mitmensch mit der Pädophilie umgehen kann.

5. Dezember 2012

Outing (Sebastian Meise & Thomas Reider) 8,30




Eine ruhige Dokumentation über ein bisher filmisch wenig aufbereitetes, tabu-besetztes Thema: Pädophilie. Ein Student findet junge Burschen sexuell anziehend und verliebt sich dabei auch. Er ist sich jedoch bewusst, dass er ihnen niemals zu nahe kommen darf. Aber kann ein Mensch so etwas überhaupt ein Leben lang aushalten? Wie soll er selbst, sein Umfeld, die Gesellschaft mit dieser Situation umgehen?

Sebastian Meise und Thomas Reider recherchierten für ihren Spielfilm Stillleben (Besprechung folgt) und stießen dabei auf Sven, den sie vier Jahre lang begleiteten – die „dokumentarische Ergänzung“ ist dabei selbst zum Film, und auch zum deutlich spannenderen, einnehmenderen als die preisgekrönte Spielfilmvariante geworden.

Dass hier jemand mit einer „bösen“, „abstoßenden“ Neigung einfach nur als der leicht naive, liebliche, schüchterne junge Mensch gezeigt wird, der er eben ist, ist außergewöhnlich, aber bereichernd; dadurch entsteht nämlich ein Werk, das fordert, das verstört, das eine Vielzahl an Fragen über den Umgang mit Thema und Betroffenen aufwirft und Reflexionsbögen in Gang setzt wie sonst kein anderer Kinofilm in diesem Jahr.

3. Dezember 2012

The Dictator (Larry Charles) 7,43



Lachen kann man auch hier wieder viel, aber im Gegensatz zu Cohens früheren Figuren und Filmen fehlt die Genialität seiner Demontage von Rassismus, Sexismus und Ähnlichem. Und damit fehlt dem Projekt auch der tiefere Sinn, von dem die Figuren und Filme Ali G, Borat, aber auch Brüno beseelt waren.

Cohen ist in seiner politischen Inkorrektheit weiterhin sehr lustig, doch die vielen Witze über Frauen, oder das Treten von Kindern etc. sind manchmal etwas ziellos und wenig doppelbödig, der Wandel des bösen Diktators zur guten Person ohnehin vorhersehbar.

Doch die meist pubertäre Groteske ist im Großen und Ganzen schon äußerst lustig und hat einige echte Highlights zu bieten, etwa die geniale Osama/911 Konversation beim Hubschrauberflug oder die furios-abgedrehte Geburtsszene. Dazu einige kleinere Schmankerl wie das Bart organisieren von „Morgan Freeman“, oder das Verwirrung stiftende Wort aladeen, u.e.m.

2. Dezember 2012

The Avengers (Joss Whedon) 5,40



Nach den vielen Marvel-Einzelfilmen (mit den Highlights Hulk von Ang Lee und Thor von Kenneth Branagh) fällt das Aufeinandertreffen der Superhelden völlig enttäuschend aus. Zu Beginn kann man sich noch über die fesche Robin aus "How i met your mother" als mimiklose Möchtegern-tough lady amüsieren, danach muß man ewig warten, bis es wieder eine halbwegs aufregende Szene gibt. Interessante Einstellungen oder Kameraperspektiven gibt es ungefähr eine im Film, und die Dialoge und Sprüche zwischen den Helden sind lahm (das Gekabbel zwischen Iron Man und Captain America ist wenigstens gut gemeint, aber meistens so vernuschelt, dass man eh kaum was versteht).

Die coolsten der Avengers sind ohnehin Thor und Hulk, letzterer hat auch immerhin(!) drei bis vier witzige Momente spendiert bekommen. Das Desaster des langweilig-braven Films verdeutlicht aber am meisten die Figur des Thor. War sein eigener Film noch ein Quell des Charmes und des Witzes, sind seine Auftritte hier völlig humor- und belanglos, die Figur wird total verschenkt. Immerhin, Bruder Loki ist das Beste am faden Hype, Tom Hiddleston hat einen guten Psychopathen-Grinser drauf und zeigt eigentlich als Einziger Präsenz.

Zu viele Helden verderben jeden Brei, keine Figur außer Bösewicht Loki hat Profil. Der megaerfolgreiche Film ist lange völlig langweilig und dann kommt die Mega-Actionsause. Nur ist die leider genauso langweilig, trotz des Gigantismus. Interessant vielleicht noch die 9/11-Zerrspiegelung, aber im sicher über 20 Minuten langen Kampf gegen die Alien-Armee dauert es dennoch ewig, bis sich ein Fünkchen einer Unterhaltsamkeit einstellt.

Der obligatorische Fortsetzungsteaser zwischen nachgereichtem Vor- bzw. Abspann ermüdet dann endgültig noch – der in den letzten 10 Jahren mega-ausgepresste Schwamm der Superhelden-Comic-Verfilmungen ist im Moment total ausgetrocknet. Da passt es ja ausgezeichnet, dass man den Quasi-Beginn dieser Ära (nämlich den ersten Spiderman Film) jetzt einfach rebootet. Wobei man wiederum schon froh sein kann, dass es dann nur einen „Star“ geben wird…


P.S.: War der Film eigentlich in 3D? Ich glaube, ja. Gebracht hat es, wie mittlerweile öfter im Kino, genau nichts.