31. Januar 2011

Copie conforme (Abbas Kiarostami) 8,39




Pressekonferenz. Ein englischer Autor stellt sein Buch in Italien vor. Der Titel ist gleich wie jener des Films. "Beglaubigte Kopie". Die gar nicht so einfache Frage nach einem Original oder einer Kopie ist nicht nur Thema dieses Buches, sie wird den gesamten Film durchziehen. Eine Frau sitzt im Publikum, auch ihr Teenager-Sohn ist da. Die Verhältnisse sind unklar. Die Frau, eine Französin, die seit Jahren in Italien lebt, eine Kunstsammlerin, lässt sich vom Autor ein paar Bücher signieren. Sie nimmt ihn im Auto mit, die beiden unterhalten sich recht flüssig miteinander, über Kunst, über das Leben, über intime Dinge. Sie werden den Tag miteinander verbringen. In der Kirche, im Museum, in der schönen Landschaft der Toskana, in einem Restaurant und in einem Hotel. Sie werden flirten und streiten. Nach ungefähr einem Drittel des Films überrascht eine Szene in einer Bar, als die Frau mit der Wirtin über ihre gescheiterte Ehe spricht: Ist dieser Autor, von dem man bis dahin glaubte, sie kenne ihn kaum, etwa ihr (Ex-)Mann??

Kiarostamis Film ist auf mehreren Ebenen meisterlich. Sehr elegante Kamerafahrten und -einstellungen, philosophische Diskussionen, ein elaboriertes Spiel mit den verschiedenen Sprachen Englisch, Französisch und Italienisch. Und nicht zuletzt ist das gesamte Werk ungemein rätselhaft, faszinierend bis über den Abspann hinaus, auf spielerische Art und Weise. Binoche, mit der gesamten Bandbreite zwischen Glück und Frust, und der kühle, etwas arrogant spielende Shimell tragen den Film fast die gesamte Zeit über zu zweit. Sie könnten ein Paar sein, das bereits bittere Zeiten erlebt hat und nun wieder zueinander findet. Oder auch nicht mehr miteinander kann. Oder aber der Autor nimmt nur spontan, spielerisch die Rolle einer Kopie des Ehemannes ein - ein hochintellektuelles Balzspiel sozusagen.

Dass dies alles, von den kunstvoll arrangierten Bildern bis zu den teils abgehobenen Gesprächen nicht zu kunstbeflissen und sophisticated wirkt (was nämlich zwischendurch passiert), sondern in Summe intelligentes und unterhaltsames Vergnügen bereitet, ist eine absolute Meisterleistung des berühmten iranischen Filmemachers (von dem ich zuvor noch nie einen Film gesehen hatte) und seiner Darsteller. Copie conforme ist eine Art Meta-Film, vielleicht ein kühles Experiment (wie manche Kritiker bemängelten), das jedoch vor allem von Binoche enorm mit Leben gefüllt wird. Und es geht letztlich ja doch um die intensivsten Gefühle, um die wichtigsten Fragen: nach der dauerhaften Liebe und dem dauerhaften Miteinander. So verbindet Kiarostamis Film auf selten leichtfüßige Weise schwierig zu entschlüsselndes Kunstkino, sog. mindfuck und unmittelbares Gefühlskino zu einem faszinierenden, so höchstwahrscheinlich noch nicht dagewesenen Ganzen.

28. Januar 2011

The Ghost Writer (Roman Polanski) 5,49




Ein ausgezeichneter und von vielen Kritikern und Fans als ausgezeichnet empfundener Film vom teil-inhaftierten Altmeister. Doch das Ansehen dieses entspannten Werks verläuft ziemlich ernüchternd: Es ist vor allem gepflegte, routinierte Polit-Thriller-Langeweile, ein Film wie eine gemütliche Radtour. Aufgrund der Parallelen zu Polanskis Verhaftung und Verleumdung hat die Story um einen umstrittenen und leicht geheimnisumwitterten Prime Minister eigentlich Brisanz-Potential, dieses wird aber kaum ausgenutzt. Größter Pluspunkt des Films ist (neben dem genial beiläufigen Abgang Brosnans) der trockene Humor in den Dialogen. Dafür allerdings ist der „Thrill“ so subtil, dass die drohende Gefahr kaum Beklemmung hervorruft. Der Film fühlt sich an als stamme er aus den 50ern: das mag einigen gefallen, man kann das aber 2010 auch als ein wenig lahmarschig bezeichnen. Polanski war oft eben auch ein Meister der Intensität, ein Setzer von Meilensteinen. Doch gegenüber Klassikern wie Repulsion oder Rosemary’s Baby bzw. Beklemmungs-Großtaten wie Death and the Maiden oder The Pianist wirkt The Ghost Writer doch eher wie ein Nachmittagskrimi für ältere Semester, die es gerne nicht allzu nerven-belastend haben.

Am Ende gibt es noch das ein oder andere Unerwartete, zwei witzig inszenierte Szenen und ein ironisches Schlussbild. Nach dem Abspann bleibt aber nur entweder die sehr genügsame Zufriedenheit, entspannte 2 Stunden ohne viel Nachwirkung ganz nett unterhalten worden zu sein, oder aber doch der Gedanke daran, für was sich Polanski denn nun soviel Zeit genommen hat und warum sein Film denn überhaupt so positiv besprochen wird. Roman Polanski stand lange für gewagtes, intensives, nachhallendes, großartiges Kino. Für das sind mittlerweile längst (meist jüngere) Kollegen verantwortlich, The Ghost Writer ist davon aber leider nichts.

26. Januar 2011

Precious (Lee Daniels) 8,71

Bei einem Film, der bereits durch den Titelzusatz Based on the novel "Push" by Sapphire lautstark auf die Romanvorlage verweist, jene nicht zu kennen, ist sehr schade und limitiert naturgemäß auch die Auseinandersetzung mit Schwächen und Stärken der filmischen Umsetzung. So muß sich der folgende Text also rein auf die Filmversion beziehen. Und diese ist vor allem: wuchtig, eigensinnig inszeniert, mutig bis frech in ihren Abhandlungen schlimmster menschlicher Abgründe, unvergesslich, außergewöhnlich.

Natürlich werden bei der Geschichte einer schwer übergewichtigen, von den Eltern aufs Schlimmste misshandelten und daraus resultierend auch intellektuell unterdurchschnittlichen, anstatt lebenden und lebendigen nur noch dahin vegetierenden Teenagerin, die durch eine äußerst liebevolle Lehrerin und eine freundliche Sonderschulklasse langsam zum Leben erwacht und zu einer Persönlichkeit heranreift, auch Assoziationen wie leicht kitschig, "zu arges bzw. fast schon unglaubliches Schicksal", formelhafte Außenseiterballade usw. wach, doch dies alles ist geradezu nichtig gegenüber der angesprochenen Wucht und der Thema-konterkarierend wenig tristen, freshen, zwischen Glamour und Elend schwankenden Umsetzung des bitteren, aber sicher nicht wirklichkeitsfremden Stoffes.

Wenn etwa die Lehrerin Precious (der Filmtitel „Kostbar" oder „Wertvoll“ ist auch der pathetisch gewählte Spitzname der jungen Frau) bei sich zuhause aufnimmt, dort die Ultraharmonie herrscht und sie zu ihr sagt „I love you“, dann ist das natürlich enorm weit von einer sozialarbeiterischen Realität entfernt; dennoch wählt Regisseur Daniels in solchen per se etwas glitschig erscheinenden Momenten einen Stil, der gar eine surreale Interpretation zulässt.


"You got it?" - "Got what?" - "The Aids Virus." - "No." - "How do you know?" - "We never did it up in the ass, so I know."

Sicher einer der großartigsten (und gleichzeitig verstörendsten, aber doch so bitter wahrhaftigen) Dialoge des Filmjahres. Hier wird mit simpler Drastik klar vermittelt, wie wichtig Informations- und Wissensvermittlung sein kann: an Leute, die keine Bildung genießen durften und essentielle Dinge einfach nicht wissen. Das hat auch nichts mit „filmischer Belehrung“ oder ähnlichem Schwachsinn zu tun, sondern ist bloß eine von vielen hervorragenden, intelligenten, markerschütternden und positiven Szenen in einem monströsen, eigensinnigen, unglaublich schweren doch zugleich auch ungemein leichtfüßigen, grandios gespielten (Black) Hollywood-„Sozialdrama“.

25. Januar 2011

El secreto de sus ojos (Juan José Campanella) 5,45




Der Film, der einen Oscar als "Bester fremdsprachiger Film" erhalten hat und dementsprechend natürlich Erwartungen weckt, stellt sich als ruhiger, fast ein bisschen zu langer, sentimentaler Krimi mit etwas deplatzierten Humor- und Romanzeneinlagen dar. Im Mittelpunkt des Falles steht ein nie ganz aufgeklärter Mord an einer jungen Frau, ein davon traumatisierter Hinterbliebener und ein Kommissar, den diese ungeklärte Tat ein Leben lang nicht loslässt – ebenso wie die unerfüllte Liebe zu seiner Vorgesetzten.

Immerhin gibt es in dem melancholischen Alters-Werk schon ein paar erinnerungswürdige Momente: Sowohl eine beeindruckende Kamerasequenz in und in einem Fussballstadion als auch kuriose Einlagen wie der in einem Verhör zufällig entstehende, harsch-sexuelle Wort-Furor der Anwältin (Stichwort: „wie weiche Nudeln!“). Auch die Auflösung am Ende ist für sich genommen ein intensiver Kinomoment, man hat höchstens das Gefühl, so etwas schon woanders gesehen zu haben.

Das Problem des Films liegt eher im Leerlauf zwischen den gelungenen Phasen, vor allem Richtung Ende, als eine Zuspitzung der Spannung nicht unvorteilhaft wäre, ist das spürbar: Das Geheimnis in ihren Augen ist oft so langsam, fast schläfrig geschrieben, gespielt und inszeniert, dass er als Thriller unspannend, als Krimi kaum originell, als Romanze zu wenig intensiv und als Studie von Obsession und Leidenschaft zu oberflächlich bleibt. Vielen Juroren und Kritikern hat dies dennoch gereicht, um ihn toll zu finden, doch das Werk, das sich an Kollegen wie Zodiac oder Munich anzulehnen versucht, kann nie die Klasse dieser Vorbilder erreichen. Zu wie großen Anteilen dies an den bloß sehr lau charismatischen Darstellern, dem um Größe und labyrinthische Verstrickungen bemühten, aber eher lauwarmen Drehbuch oder einer nur phasenweise überzeugenden, insgesamt etwas zu gemächlichen Regie liegt, kann nicht ganz geklärt werden. Der mittelprächtige Film hätte jedenfalls nicht nur diesen kleinen Goldjungen nie im Leben verdient, er kann nicht einmal für einen schönen Fernsehabend oder entspannenden Kinobesuch ohne Bauchweh oder sonstige Einschränkungen empfohlen werden. Es sei denn, man hat gerade so richtig Lust auf wehmütige Weichspül-Sentimentalitäten in einem gewöhnlichen Krimi-Plot.

23. Januar 2011

Des hommes et des dieux (Xavier Beauvois) 8,37




Ein christliches Kloster in den Bergen Algeriens. Die Mönche sind mit der vorwiegend muslimischen Bevölkerung gut gestellt, sie helfen ihnen (medizinisch), suchen den Dialog und man kommt gut und respektvoll miteinander aus. Doch dann bricht die Gewalt aus, eine bewaffnete islamische Gruppe mordet in der Gegend Unschuldige (Ungläubige) und macht sich auch im Kloster mit subtilen Drohgebärden breit: das Leben ist in Gefahr, die Mönche stehen vor enorm schwierigen Glaubensprüfungen bzw. der Frage: gehen oder bleiben.

Beauvois inszeniert das Klosterdrama als hochaktuellen Kommentar zur Spannung zwischen den Weltreligionen Christentum und Islam. Was für ein Filmheld ist die zentrale Figur, Bruder Christian. Intelligent und sanftmütig, ein echtes Vorbild: Ein christlicher Mönch, der sich intensiv mit dem Koran befasst und tiefen Respekt vor der anderen, oft bedrohlich wirkenden Religion und ihren Gläubigen hat.

Dem französischen Regisseur gelingt die schöne Seltenheit, politisch aktuelles, anspruchsvolles, meisterlich inszeniertes Kino zu machen, das kaum spröde und damit auch für ein größeres Publikum geeignet ist. Es entspinnen sich auch einige hervorragende Dialoge zwischen Christen und Muslimen, von denen man sich vielleicht noch etwas mehr gewünscht hätte. Doch irgendwann sprechen die Terroristen dann nicht mehr (auch die undurchsichtige Armee nicht!). Somit weicht das Spiel mit Weltreligionsdifferenzen und –gemeinsamkeiten zunehmend einem stets schön bebilderten innerklösterlichen Leidens- und schlussendlich Märtyrerdrama, bei dem die Sanftmütigkeit beim in den Tod gehen in letzter Konsequenz dann doch einen Tick unglaubwürdig wirkt und die pompös gefilmte Abendmahl-Szene zu Schwanensee-Musik am Ende eher kunstwillige Western-Spielerei denn ernsthaft großes Kino darstellt.

Im letzten Drittel oder Viertel des Films wird also deutlich, dass Von Menschen und Göttern leider nicht ganz alle Versprechen einlösen kann, die er selbst schon gegeben hatte. Nach dem Abspann bleibt weniger Diskussionsstoff und Bedeutung, als man währenddessen schon zu spüren schien. Daher sei an dieser Stelle die Gelegenheit eines Abstechers ergriffen, nämlich kurz auf einem Filmemacher hinzuweisen, der im deutschsprachigen Raum noch sträflich unbeachtet ist: Rabah Ameur-Zaimeche. Mit Bled Number One und dem "Des hommes.." im Kern gar nicht unähnlichen, doch nicht ganz so einfach zu konsumierenden und zu deutenden Werk Dernier Maquis hat der nämlich einen herausragenden, wild-komplexen und danach einen sehr guten parabelhaften Film über Algerier/Franzosen bzw. den Religionskonflikt und religiös motivierte Gewalt gedreht. Beauvois scheint im Vergleich der beiden derjenige Regisseur, der noch mehr Gefühl für klassisches, packendes Mainstream-Kino mit Köpfchen und Klasse hat, doch Zaimeches radikalere, sicher etwas sprödere Werke sind dafür etwas anregender und böten wohl noch mehr Diskussionsstoff. Das soll aber, um wieder zu den Mönchen zurückzukehren, die feine Qualität und die stilvolle Eleganz von Des hommes et des dieux in keiner Weise schmälern.

A Single Man (Tom Ford) 8,29




Schwelgerische Zeitlupenbilder, klassische Musik, große Gesten und noch größere Gefühle. Das Filmdebüt eines Modedesigners, die Verfilmung eines klassischen Schwulenromans, überzeugt durch eine sehr eigene Atmosphäre. Und durch eine sehr tragische Geschichte zum Nachfühlen und Mitleiden. Ähnlich wie bei American Beauty (gleich der Beginn erinnert auch an jenen von Mendes' Meisterwerk) erleben wir aufgrund ernsthafter Selbstmordabsichten den möglicherweise letzten Tag im Leben eines Midlife-Mannes, und zwar eines Literaturprofessors, dessen große Liebe einst durch einen Autounfall getötet wurde. Colin Firth, für diese Rolle oscarnomininiert, spielt das tatsächlich sehr gut.

Fords Film ist nicht zu sentimental, die englische Herkunft und das englische Gehabe des Profs verleihen dem Werk Niveau und Witz. Das ist insofern besonders bemerkenswert, da oft die niederen Instinkte im Mittelpunkt stehen (und leiblichen Verlockungen durch Großaufnahmen gehuldigt wird): „Beneidest du nicht den Hund?“ „Warum?“ „Weil er sein ganzes Leben lang jedes Arschloch beschnüffeln kann, wie er es gerade möchte ohne sich um Konsequenzen scheren zu müssen“. Selbst so ein Dialog (nur aus dem Gedächtnis wiedergegeben) wirkt durch die edlen Schauspieler stilvoll.

Für einige Minuten wird es dann plötzlich sogar ausgesprochen komisch, als der Professor pingelig seinen Selbstmord übt und kurz danach die Fantasie hat, einen kleinen Jungen, der ihn ständig mit einer Spritzpistole „abknallt“, anzupinkeln; wie oft gibt es denn so etwas in einem oscarnominierten Film? Herrlich. Doch vergessen wir nicht: A Single Man ist vor allem eine Tragödie des unheilbar scheinenden Herzschmerzes und eines zutiefst lebensfeindlichen Einsamkeitsgefühls. Der Inszenierung von Tom Ford und den hervorragenden Schauspielern ist es zu verdanken, dass dabei ein Film entstand, der dennoch von positiven, komischen und zum Staunen verleitenden Szenen durchzogen ist, ohne dass jemals das Gefühl entsteht, seine Tragödie zu verlächerlichen oder zu verweichlichen. Das ist durchaus eine Kunst.

21. Januar 2011

Interludium - Geffen/Keret, Arnold, J.Reitman


Meduzot/Jellyfish 7,69


Ein Mini-Mini-Magnolia aus Israel. Zum Teil verträumt und poetisch, manchmal plätschernd. Drei verwobene Geschichten um Liebe, Sehnsüchte, mühsame Flitterwochen und ein tragisches Geheimnis. Wohin das alles führt, bleibt, was sehr angenehm ist, schwer vorhersehbar. Ein wenig spektakulärer Film, aber ein bisschen liebenswert ist er durchaus.


Red Road 8,32

Die tragische Geschichte von Jackie, einer Frau mittleren Alters, die für einen Überwachungskamera-dienst arbeitet, erschließt sich langsam: sie hat Kind und Mann verloren. Der „Mörder“ der beiden kommt nun aus dem Knast und Jackie, die das zufällig mitbekommt, verfolgt ihn zunächst mithilfe der Kameras, dann auch persönlich. Es ist eine Geschichte von Obsession und scheinbar unerklärlicher, gefährlicher Begierde. Ein echter Thriller, aber ohne klassische Zutaten wie dramatischer Musik oder künstlich stilisierten Spannungssequenzen. Stattdessen ist es auch ein authentisch anmutendes Arbeiter- und Proletarier-porträt aus Glasgow. Stark etwa, wie die Männer ambivalent gezeichnet sind: mal sensibel, dann aber plötzlich aggressiv.

Abseits dieses urbritischen Sozialdramen-aspekts irgendwo zwischen Sliver (die vielen Überwachungskameras plus der Sex), Blue Steel (Frau nähert sich gefährlichem Mann) und Fear X (wieder die Kameras und geheimnisvolle Obsessionen) liegend ist der Film zunächst ganz spannend, scheint aber nicht besonders viel Potential zu haben. Doch die letzten 20-30 Minuten zieht Arnold die Drehbuch- und Tiefgangsschraube an, das tiefe Trauma fügt sich schön ein und lässt das Werk stark aus- und nachklingen.


Juno 8,10

Reitman Juniors zweiter (von inzwischen schon drei) guter Film mit relativ intelligentem Humor, gelungenen Dialogen, netter und unverbrauchter Geschichte, gefühlvoller Inszenierung und sehr ordentlichen Schauspielern. Nachdem am Anfang mit der lässigen Musik etwas übertrieben wird, entwickelt sich ein positiver Film, der sicher nicht als Role Model für schwangere junge Mädchen taugt und so eine Teenie-Schwangerschaft auch nicht ernsthaft oder kritisch abhandelt, aber dennoch als gefühlvoll-gewitzte Feel Good-Unterhaltung gut tut.

20. Januar 2011

The Bad Lieutenant - Port of Call: New Orleans (Werner Herzog) 7,46




Kein Remake, sondern eine höchst schräge Abwandlung von Ferraras beklemmend düsterem Psychothriller über den korrupten und psychisch und moralisch total "fertigen" bad lieutenant (damals Harvey Keitel). Nicolas Cage, ein Schauspieler der ja nur zu gern einem gewissen Irrsinn fröhnt, gibt eine genauso abgefickte, aber wesentlich komischere Figur ab. Das Ausnutzen der Polizeigewalt, der Sex, die Drogen bleiben, völlig gestrichen dagegen ist das Motiv der Religion bzw. des Katholischen (und damit auch das wirklich Spannende und Tragische an dieser Figur).

In Herzogs Version gibt es fast nur groteske Szenen, mit verspielter Leichtigkeit vorgetragen. Der Film ist für die düsteren Themen erstaunlich locker-leicht, immer wieder gibt es ein paar typische Extravaganzen des Altmeisters. Die meiste Zeit macht das Spaß und ist sehr speziell. Aber ein paar mögliche andere Essenzen für einen tollen Film fehlen dafür völlig: Spannung, Stringenz und vor allem Bedeutung in irgendeiner Hinsicht. Zudem gibt es doch immer wieder leichten Leerlauf bzw. mag sich weder in den besseren und schon gar nicht in den etwas schwächeren Szenen echte Begeisterung einstellen. Herzogs Fake-Remake eines verstörenden Kultfilms ist spaßig, aber im Prinzip nur ein schräger Meta-Witz auf Spielfilmlänge.

19. Januar 2011

Two Lovers (James Gray) 8,21




Zwei Liebende. Das klingt schon so harmonisch. Doch das hier ist keine Liebes-schnulze, sondern ein Liebes-thriller, Liebes-horrorfilm, eine Liebes-tragödie. Gray inszeniert opulente Bilder und großartige Schauspieler, die vergleichsweise wenig Dialoge aufsagen. Man kann von Theatralik sprechen, so spielt passend dazu die Oper in diesem Film auch eine gewichtige Rolle. Toll ist diese ganz besondere Atmosphäre, die von der ersten Minute an Unheil kommuniziert: eine gewisse Kälte, selbst in den wenigen Augenblicken, in denen die Liebenden echte Wärme verspüren.

Joaquin Phoenix spielt, in seiner letzten Rolle vor seiner schrägen Kunstpause, den naiv-gebeutelten Leonard; einen verletzlichen, kindlichen Romantiker, der sich auf Anhieb unsterblich verlieben kann und dies Hals über Kopf auch gleich tut: Gwyneth Paltrow gibt seine Angebetete, eine geheimnisvolle, entrückt anmutende Blondine mit Gefahrenpotential für Männer. Man leidet mit Leonard mit und kann sich nicht sicher sein, was Michelle nun will, ob sie sich auf Leonard einlassen können wird oder nicht (Aber der Film heißt doch Two Lovers! Muß ja klappen.). Da gibt es aber noch eine Frau, die in Leonard verliebt ist. Two Lovers ist also kurioserweise auch eine Art Dreiecksgeschichte.

Grays ungewöhnlich endendes Werk reißt keine Bäume aus ("the best american drama of the year."? Vermutlich nicht.), vermittelt aber, den Zuseher fast und viel mehr noch seine Charaktere in eine Art Trancezustand versetzend, ein Gefühl zwischen Beunruhigung und Mitgefühl für vielleicht sogar vorschnell oberflächliche und naive Liebe, die jedoch zugleich auch bedingungslos und so intensiv ist wie nichts Anderes.

18. Januar 2011

TV-Serie: Breaking Bad (Seasons 1+2) 8,25




Buddy-Movie ist ein Filmgenre mit zwei Hauptcharakteren, die meist gleichen Geschlechtes sind. Der Begriff leitet sich vom englischsprachigen Wort Buddy ab, was so viel wie Freund oder Kumpel bedeutet. Die Akteure sind durch ein zwischenmenschliches Verwandtschafts- oder Bekanntschaftsverhältnis, ein Ereignis oder eine Situation zum gemeinschaftlichen Handeln quasi gezwungen, um die Lösung der verbindenden Problematik – meist am Ende der Geschichte – in Teamarbeit erreichen zu können.
Zum größten Teil werden für die handelnden Duos Personen verwendet, die bezüglich Weltanschauung, Herkunft, Temperament, Phänotyp, Statur, Fähigkeiten und Fertigkeiten auf unterschiedlichen Stufen stehen. Der dadurch entstehende Konflikt zwischen beiden Personen und die Interaktion mit dem jeweiligen Gegenüber bietet unter anderem auch Spielraum für komödiantische Elemente... (Wikipedia)

So weit die Theorie. Wenn Walter White und Jesse „Yo!“ Pinkman Buddies sind, dann sind sie vielleicht eines der großartigsten Buddy-Duos der Film- und Seriengeschichte überhaupt. Jedenfalls sind es 2 großartig gezeichnete Charaktere, die von Bryan Cranston und Aaron Paul genial verkörpert werden. Der krebskranke, verbitterte Walter, der nach außen hin ein redlicher Bürger (ein Lehrer!) ist, in Wahrheit aber ein immer schrecklicherer Mensch wird und auf der anderen Seite Jesse, ein Taugenichts, ein Kleinkrimineller, ein Drogenmißbraucher, der im Vergleich zu Walter aber geradezu gutherzig und harmlos ist. Die Spannungen und Beziehungen zwischen den beiden sind wohl die hervorragendste Eigenschaft dieser tollen Serie.

Abseits davon überzeugt die düstere Grundstimmung rund um Walters Krebs (als Katalysator, aber natürlich nicht als Alleinursache seiner "Wandlung") und das ausgeklügelte Belügen seiner schwangeren Ehefrau. In diesen sich für authentisch anmutende Lebensfrustrationen viel Zeit nehmenden Szenen scheint sich "Breaking Bad" ein wenig an das revolutionäre Six Feet Under anzulehnen, obwohl die Serien sich – zum Glück – nicht wirklich ähneln. Zu groß ist dafür die enorm ausgeprägte Lust am Schrägen in "Breaking Bad". Die ständig wechselnden Autoren und Regisseure der einzelnen Folgen genießen es förmlich, jeder Folge einen individuellen Stempel aufzudrücken. Kuriose Stilelemente und komische, manchmal auch verstörende Abwandlungen von Gangster- und Drogenfilmklischees gestalten die Serie abwechslungsreich, frisch, frech und stets unterhaltsam.

Auch Cranstons wahnwitziges Schauspiel hat natürlich einen Bärenanteil am Besonderen dieser Serie. Wie er im Laufe der ersten beiden Staffeln immer ärger aussieht und immer härter wird, ist schon ein starkes Stück. Man muß als Zuseher sicher ein enormes Faible für Abseitigkeiten haben, um die Leidenstouren und die Gewalt, jeweils mit viel Absurditätssinn gewürzt, auf Dauer unterhaltsam und spannend zu finden. Doch der Serie (man darf auch Baking Bread sagen!) gelingt es, eine geniale Mischung aus all diesen irrwitzigen Ingredienzien zu finden und ein schönes Kapitel zum Thema amerikanisches Quality-TV hinzuzufügen.

Die Nebenfiguren fallen meistens etwas ab, ausgenommen natürlich Walts Schwager, der herrlich machohaft-cholerisch-lächerliche Hank, der aber ähnlich wie Jesse, im Grunde herzensgut ist. Ein komödiantisches Highlight (quasi aus dem Nichts kommend) ist auch der schmierige Anwalt Saul Goodman, der in der zweiten Staffel auftritt.

Breaking Bad ist auch deshalb so toll, weil die Balance gelingt, eine interessante, existenzielle, folgenübergreifende Handlung zu erzählen, obwohl sich jede Folge anders anfühlt und oft irgendeinen autarken Blödsinn treibt. So etwas ist selbst heute noch leicht innovativ und gibt der Serie einen eigenen Anstrich und verdammt viel Suchtpotential.

Wenige Gründe gibt es dann doch, warum hier trotz einiger Begeisterung keine höhere Wertung vergeben wird: Zum einen kann Walts eiskaltes, forderndes Gemüt im Laufe seiner Drogenkarriere zuweilen stark nerven; auch wie leicht es gelingt, in der Szene als gefährlich zu gelten, Konkurrenten auszuschalten und die Polizei um die Nase herumzuführen, wirkt manchmal etwas zu platt, auch aus einer ironischen Perspektive betrachtet. Und zum anderen sind es die schon angesprochenen blassen Nebenfiguren bzw. die daraus resultierende Absenz eines komplexen Serienuniversums, wie man es aus anderen TV-Epen fast schon gewöhnt ist. Breaking Bad ist eben im Grunde nicht viel mehr als eine Mischung aus ziemlich abgegrasten Gebieten: einem Buddy-Movie (in Serie) und schräg-düsterer Gangstergroteske. Aber eben mit allen angeführten liebenswerten individuellen Pluspunkten und noch Einigem mehr!

16. Januar 2011

La vida de los peces (Matías Bize) 8,13




Es ist traumhaft, wie der Chilene Bize mit wenig Aufwand aus einer Party, einer vergangenen, verdrängten und wieder auflebenden Liebe, ungeschönten, flotten, unterhaltsamen Gesprächen über (Jugend-)Themen wie Drogen, Sex, usw. und einem Post-Rock Soundtrack (grandiose Bild-Musik-Verschmelzung: die verträumte, dahinschwebende Aquarium-Szene) einen simplen, kleinen, aber sehr schönen, einen gewitzten, witzigen und tief melancholischen Film vorlegt.

15. Januar 2011

Die Frau mit den 5 Elefanten (Vadim Jendreyko) 7,08




Eine Dokumentation über Swetlana Geier, jene Frau, der deutschsprachige Leser die anscheinend enorm kompetente Übersetzung der 5 großen Dostojewski-Romane (die Elefanten) zu verdanken haben. Es ist beeindruckend, anhand des ruhigen Films mitzubekommen, wie diese fast 90-jährige Frau intelligent denkt und spricht, und zu erfahren, wie es kam, dass sie die beiden Sprachen so außergewöhnlich gut beherrscht. Das Thema der Übersetzung an sich ist auch sehr faszinierend und wird in einigen Szenen spannend reflektiert und erläutert. Leider wird dem aber vergleichsweise weniger Beachtung geschenkt als Geiers Reise in die ukrainische Heimat und der biographischen Komponente mit Aufarbeitung der Nazizeit.

12. Januar 2011

The Social Network (David Fincher) 8,23




David Fincher dreht einen Film über Facebook? Wie langweilig ist denn das?? Klingt fast so absurd wie Ridley Scotts geplante Monopoly-Verfilmung.
So in etwa war damals die Reaktion Ihres Filmbloggers, als er das erste Mal von The Social Network hörte. Dann schlug dieser Film über das berühmte soziale Netzwerk große Wellen und gilt mittlerweile als ein Konsensfilm zahlreicher Kritiker im Jahr 2010.

Und tatsächlich ist Finchers Neuer selbstredend höchst gekonnt inszeniertes, spannendes, im besten Sinne klassisches Hollywood-Kino mit exzellentem Schnellfeuer-Dialog-Drehbuch, guter Geschichte (am Puls der Zeit) um einen sozialen Autisten auf dem Weg zum verbitterten Milliardär (natürlich, eine "wahre" Geschichte, wie fast immer in solchen Fällen aber nur eine inkomplette, fiktionalisierte Wahrheit, auch was die Person Mark Zuckerberg betrifft).

Das macht aber den Film nicht schlechter, wenn man ihn als knackiges Hollywood-Drama einstuft und leichten Abweichungen von dem, wie Zuckerbergs Charakter vielleicht im real life tatsächlich sein mag, nicht zuviel Bedeutung beimisst. Ein Meisterwerk für alle Ewigkeit ist The Social Network ja doch ohnehin nicht. Aber wieder einmal ein äußerst düsterer Stoff für Fincher. Untermalt mit Trent Reznors Musik, die zu Beginn durchaus etwas verstört und damit etwas darstellt, was man so in einem „Blockbuster“ vermutlich auch noch nicht gehört hat.

Wie Mark Zuckerberg den (herrlich komischen!) Winklevosses eine Idee klaut (bzw. eine gute fremde Idee zu einer noch besseren eigenen macht, wie er es sinngemäß argumentiert) und schließlich seinen besten Freund und Mitbegründer von Facebook, mithilfe des Napster-Schleimis Sean Parker ("Ist dieser Typ wirklich so??" Alleine für solche spannenden Fragen nach dem Kinobesuch lohnt sich dieser Film enorm!) bzw. für ihn fallenlässt wie eine heiße Tastatur, ist fesselndes und niveauvolles Entertainment, und zwar ohne allzu große Style-Exzesse (was ja übrigens auch den Kollegen von den Sieben Bergen sehr freute).

Ach ja, die Schauspieler sind auch alle top, vor allem Jesse Eisenberg konterkariert seine sensibel-warme Adventureland-Performance prächtig. The Social Network: Ein durchaus toller Film also, der auch sehr zu anschließenden Beschäftigungen mit den Charakteren anregt. Dennoch könnte das Werk (ähnlich wie Inception) einen Status erlangen, der vielleicht etwas zu hochgegriffen ist. Dafür ist der Film nämlich einen Tick zu gewöhnlich und der bedeutsame Facebook-Aufhänger als Repräsentativum eines gewaltigen, weltweit spürbaren gesellschaftlichen Lebensgewohnheiten-Umbruchs steht ja kaum im Vordergrund, vielmehr haben wir es hier mit einem geradezu klassischen Biopic zu tun.

11. Januar 2011

Sztuczki (Andrzej Jakimowski) 6,31




Ein kleiner Junge wächst in einem kleinen Dorf ohne Vater auf. Doch am Bahnsteig meint er ihn morgens immer wieder mal beim schnellen Umsteigen Richtung Stadt zu erkennen. Inspiriert durch seine Schwester, die ihm zeigt, dass man Schicksal durch die titelgebenden Tricks (dt. Kleine Tricks) beeinflussen kann, versucht er nun, den Vater mit kuriosen Mitteln am Umsteigen zu hindern.

Das ist eine sehr nette Idee und der Film wurde auch von vielen Kritikern sehr gelobt. Doch diese Lobeshymnen sind schon etwas irreführend. Tatsächlich begeistern zwar schöne Bilder und der Soundtrack, aber die Geschichte ist dann doch nicht ganz so magisch, der Film reisst nicht so mit wie von einigen Kollegen beschrieben.

Etwas mehr Witz hätte schon sein können, trotzdem ist es im Kern schon eine recht schöne, vielleicht für ein rundum überzeugendes Werk einen Tick zu naive Story. Gerade wenn man aber an die letzten Monate denkt, gab es mit Go get some Rosemary. und Yuki und Nina noch schönere und kreativere „Kinderfilme“ (auch für Erwachsene) als diesen halbwegs netten hier.

10. Januar 2011

Etz Limon (Eran Riklis) 5,28




Die als sanft politisch grotesk angelegte Geschichte einer alleinstehenden palästinensischen Frau mit Zitronenhain als Nachbarin des israelischen Verteidigungsministers kommt leider über naive Völkerverständigungs-Sentimentalitäten nicht hinaus. Als die Israelis aus „Sicherheitsgründen“ die Baumplantage der harmlosen Dame einfach wegroden wollen, setzt sie sich zur Wehr und geht vor Gericht, in immer höhere Instanzen. Dass durch das Prickeln zwischen ihr und dem Anwalt eine mögliche Liebesgeschichte dem Politikum beigemengt wird, dass die Frau des harten Ministers die einzige auf der Gegenseite scheint, die dessen harte Linie mit Skepsis betrachtet: all das hilft dem Film nicht gerade, denn so geht Lemon Tree eher den Weg des Rührstücks als einen des bissig/intelligent/unterhaltsamen Kommentars zur Nahost-Katastrophe.

5. Januar 2011

Interludium - Christoph Schlingensief


100 Jahre Adolf Hitler - Die letzten Stunden im Führerbunker
9,05

Der Untergang
(noch bevor es diesen Film gab!) als psychotischer Film-Kunst-Wahnsinn. Hitlers Bande in den letzten Zügen: degenerierte Irre. Was für ein toller Zugang zur Frage, wie darf man Nazis denn im Film darstellen, usw..

Die beklemmende Inszenierung im dunklen Bunker mit Taschenlampe, die enthemmten Wahnsinnigkeiten, die Schlingensief-typischen, zuweilen selbstverständlich auch total auf die Nerven gehenden Extremitäten (Stilmittel und Zugänge, die aus Mutters Maske, Egomania und Menu Total bereits bekannt waren), das alles hat hier einen tieferen Sinn: den surrealen, verlächerlichenden filmischen Umgang mit dem dunkelsten Geschichts-Kapitel, der humoristischen Demontage des „Monsters“ Hitler und seiner engsten Kameraden. Einfach ein wahnwitzig großartiges Stück Kunst, zu dem es ja bereits einige gute Analysen im Netz gibt.


Das deutsche Kettensägenmassaker 6,80

Ein moderner Klassiker des Films bzw. DER Terrorfilm schlechthin (für alle Noobs: The Texas Chainsaw Massacre von Tobe Hooper) wird anlässlich der Wiedervereinigung Deutschlands wiederverwurstet: Die Opfer sind die Ossis – sie kamen als Freunde und wurden zu Wurst. Die Idee zu dieser Hommage-Satire ist genial (einfach) und dementsprechend viel Laune macht der herrlich nasty-mäßige Film lange auch. Doch im Gegensatz zum ersten Teil der Deutschland-Trilogie reicht das nicht für etwas Großartiges, das Prinzip nützt sich langsam etwas ab, die Hysterie ist, wie immer bei Schlingensief auf Dauer mühsam, ohne dass der Film über einen sich langsam zu Tode laufenden Meta-Witz hinauskommt. Spaßig, aber nicht essentiell.

4. Januar 2011

Wir sitzen im Süden (Martina Priessner) 6,31




3 Deutsch-Türken, die nach Jahren in Deutschland jetzt in Istanbul arbeiten: eine sehr interessante Situation für ein Menschen-Porträt. Doch insgesamt stehen Belanglosigkeiten eher im Vordergrund als intensive, bleibende Eindrücke von Leuten mit zwiegespaltener Länderidentität.

Nur selten, etwa wenn einer der Männer gegen Ende plötzlich und etwas überraschend von seiner Therapie erzählt, gelingen der Regisseurin beeindruckende Momente, ansonsten dominiert wenig erhellendes Geplapper von semi-interessanten Menschen. Dennoch ist die Doku als launig-kuriose System-Bestandsaufnahme ansehbar.

3. Januar 2011

Stellet Licht (Carlos Reygadas) 7,34




Nach seiner schwer ambitionierten, teils auch faszinierenden, aber insgesamt furchtbar nervenden Prätentionsbombe Battle in Heaven fällt Reygadas' neuer Film wesentlich schöner, weil auch viel gelassener aus. Die Tragödie (mit Happy-End!) um alles niederreißendes tiefes Begehren, Liebe, Leidenschaft und die Erhabenheit der Natur kommt ohne Pseudoprovokationen aus und gefällt durch kontemplative Ruhe und Schönheit. Die zentrale Szene im unerbittlich stark niederprasselnden Regen ist zudem schon ganz groß.

Leider nimmt Reygadas dem Ende durch eine Mega-Hommage an das Ende von Dreyers ORDET dem Film wieder etwas an Eigenständigkeit und so ist auch Stilles Licht wieder kein ganz großer Wurf (eher ein Meta-Entwurf). Aber vielleicht gelingt dem Mexikaner ja doch noch einmal so einer, er versteht nämlich einiges von geradezu majestätischer Regie. Nur mit der richtigen Abmischung dieser beeindruckenden Bilder und einem Verbinden mit einem wirklich packenden Inhalt, sodass man auch abseits spirituell orgiasmierender Kontemplations-Aficionados von einem relevanten Maestro des derzeitigen Weltkinos sprechen könnte, hat es bis jetzt noch nicht so geklappt.

Nargis (Kyaw Kyaw Oo & Maung Myint Aung) 7,61




Das Leben von mehr als 80.000 Menschen, im auch anderweitig schon arg gebeutelten Myanmar, ausgelöscht durch einen Zyklon. Ein Filmteam fährt zu den Menschen, filmt die Auswirkungen, interviewt Betroffene, Hinterbliebene vor Ort, um die Katastrophe fernab oberflächlicher Medienberichte zu dokumentieren.

Der Film mit dem Untertitel Als die Zeit aufhörte zu atmen zeigt logischerweise auch Vieles, was man ohnehin schon seit Jahrzehnten aus Nachrichten und TV-Reportagen kennt: leidende Menschen, denen nicht ausreichend geholfen wird. Doch die Volksnähe, das Stimme geben, das völlig quotendruck-unabhängige Filmen dieser Natur- (und Behebungs-)katastrophe, die menschliche Komponente in jeder Hinsicht macht die exklusive Qualität dieses Dokuments aus.