30. Dezember 2011

Listenalarm! (2006-2011)

Das Jahr neigt sich dem Ende zu, und in dem ganzen Wertungswirrwarr ist es immer ein schöner Brauch, die absoluten Highlights nochmal in Listenform zu sammeln, um bei den unglaublichen Massen an neuen Filmen die absoluten Lieblinge und Meilensteine des Kinos zu reflektieren und noch einmal hervorzuheben. Wenig verwunderlich übrigens, dass hierbei jener Film, der damals auch für den Namen dieses Blogs Pate stand, ganz oben in meiner Gunst steht.

Da es mir traditionell am Jahresende noch nicht möglich ist, eine zufriedenstellende Jahresliste zu veröffentlichen, habe ich mich entschieden, statt einem "Best of 2011" hier die Highlights aller gesehenen Filme der letzten paar Jahre zu sammeln. Auch da gibt es noch die eine oder andere Lücke (etwa "Hunger" oder "Synecdoche, New York", auch einige Filme von Takeshi Kitano z.B., uvm.), und wie immer fehlt natürlich noch viel an aktuellen Filmen, was international schon, aber hier noch nicht veröffentlicht wurde; ich richte mich ja stets nach dem österreichischen/deutschsprachigen Markt, inklusive DVDs und TV (plus manchem, aber natürlich auch nie allem von der Viennale).


Viel Spaß jetzt aber mit den bis dato 52 aufregendsten, aufwühlendsten, wichtigsten, forderndsten, außergewöhnlichsten, schönsten, ...

Filmen der (ungefähr) letzten 5 Jahre:



  1. La vie moderne
  2. Bled Number One
  3. Sommer vorm Balkon
  4. Import Export
  5. Drawing Restraint 9
  6. Winter's Bone
  7. Låt den rätte komma in
  8. I'm not there
  9. Du levande
  10. Birdwatchers


  11. Pardonnez-moi
  12. There will be blood
  13. Sunshine
  14. Auf der anderen Seite
  15. Die unabsichtliche Entführung der Frau Elfriede Ott
  16. Une vieille maitresse
  17. The Kite Runner
  18. Petition
  19. Balada triste de trompeta
  20. The Prestige
  21. Encounters at the end of the world
  22. Michael
  23. "Waltz with Bashir"
  24. Los Herederos
  25. Babel
  26. Inland Empire
  27. She, a Chinese
  28. Half Nelson
  29. Nothing Personal
  30. "Still Life"
  31. Momma's Man
  32. In die Welt
  33. The Hurt Locker
  34. "4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage"
  35. Idiots and Angels
  36. Talladega Nights
  37. Revanche
  38. Another Year
  39. Coraline
  40. White Material
  41. Bridesmaids
  42. "Secret Sunshine"
  43. Tout est pardonné
  44. Gomorrha
  45. It's a free world
  46. Nightmare Detective 2
  47. Boy A
  48. The Wrestler
  49. Gran Torino
  50. Bam gua nat/"Night and Day"
  51. Vegas: Based on a true story
  52. Un Conte de Noel

29. Dezember 2011

Contagion (Steven Soderbergh) 7,38




Soderberghs mit coolem Soundtrack unterlegter Virenthriller verläuft doch etwas langatmig und obwohl man es schon ahnen hätte können und es konzeptionell im Sinne von 'Anti-Hollywood-Katastrophenthriller' sehr in Ordnung ist, etwas überraschend aktionslos ab: dass Millionen Menschen gestorben sind, erfährt man am Ende so nebenbei. Das hat schon seinen Reiz, aber dadurch verweigert sich der Film auch ein wenig zu sehr einer „klassischen Spannung“.

Dafür gefällt der ruhige Blick auf die vielen Charaktere, von 'zivil Betroffenen' bis zu ForscherInnen und industriellen bis politischen Playern, und gegen Ende zeigt das Werk seine reizvollsten Eigenschaften: unter anderem auch weil alltägliche Konsequenzen so einer Pandemie gezeigt werden. Der Film thematisiert in der zweiten Hälfte auch die (Medikamenten-)Industrie und was denn so vor sich gehen könnte, wenn das passende Gegenmittel endlich in einem Labor gefunden wird (skurriles Highlight im Zuge dessen: die Impflotterie!).

Soderbergh hat schon bessere Filme gedreht, für ein echtes Highlight ist sein reduzierter Pandemiethriller insgesamt zu wenig beklemmend ausgefallen – andererseits sind solche nicht extrem realitätsfernen filmischen Schreckensszenarien, hier natürlich auf allen Ebenen ansprechend umgesetzt, ja immer schaurig-vergnüglich.

28. Dezember 2011

The Adventures of Tintin: The Secret of the Unicorn (Steven Spielberg) 8,01




In völliger Unkenntnis der berühmten Comics rein ins Kino: Der Look ist atemberaubend, man glaubt gar nicht in einem der üblichen 3D-Filme zu sein, sondern hier stimmt technisch alles: das sind dann ja wohl auch die besten Vertreter dieses wiederentdeckten Mediums.

Was passiert denn inhaltlich? Trotz Arschlochfrisur und potenziellem Klugscheißer-Nerv-Faktor ist Tim kein unsympathischer Charakter - wobei, eigentlich hat er keinen, wie ein guter Schiedsrichter fällt er wenig auf; den Reiz und Spaß im Kinosessel machen die von Spielberg wie nicht anders zu erwarten grandios inszenierten „Indy“-esken Actionszenen und die kauzigen Nebencharaktere wie der trunkenboldige Kapitän, ein bisschen auch die zwei Schulzes, aus. Der Kinobesuch hat sich schon aufgrund dieser Vergnüglichkeiten sehr ausgezahlt, die Unterhaltung stimmt und wird auf edelstem Technikniveau serviert; der Film an sich büßt aber gegen Ende langsam etwas an Originalität ein und man hat sich auch ein wenig satt gestaunt, Spannung gibt es natürlich kaum.

Inwiefern mit diesem Projekt die Comicvorlage(n) gut umgesetzt wurden oder nicht, kann hier nicht beantwortet werden - immerhin wartet aber inzwischen "schon" ein Tim und Struppi-Comic daheim auf die Lektüre. Was Spielberg so macht, ist ja meistens interessant und auch sehenswert, das hier war insgesamt: charmant und nett.

26. Dezember 2011

Direktøren for det hele (Lars von Trier) 8,32




Dieser Mix aus dem Comedyformat The Office und von Triers eigener Satire Idioten braucht etwas Anlauf (und scheint manchmal etwas zu hinken), ist aber bald enorm komisch, hintersinnig humanistisch und die reflexive Spielerei mit der Kunst des Schauspielens im Feld des von existenziellen Sorgen und zwischenmenschlichen Krisen geprägten Kleinfirmen-Wahnsinns ist bis zum letzten Bild köstlich.

von Trier arbeitet hier inhaltlich mit absurden und noch absurderen Wendungen, und formal - am Übergang von seiner extrem reduzierten, brechtischen „Dogville/Manderlay“-, zur visuell ambitionierteren „Wagner-Depressions-Weltuntergangs“-Phase - mit vielen leichten Perspektivwechsel-Schnitten und unkonventionell gewählten Bildkadern, die den spröden Look des Films in dieser Hinsicht gewitzt gestalten.

The Boss of it all ist jedenfalls mehr als bloß ein kleines Nebenwerk, als das es wohl bei dem ganzen Ballyhoo um die beiden Folgefilme des dänischen Künstlers bei vielen gelten wird, sondern eines der vielen gelungenen Werke in der eigenwilligen Karriere des LvT: eine hochkomische Büro-Groteske im hektisch-heiklen Zeitalter des Offshoring und Outsourcing.

22. Dezember 2011

Heartless (Philip Ridley) 3,90




Dieser ausgesprochen düster sein wollende Fantasythriller um einen entstellten, von Gewalt umgebenen Außenseiter wirkt sehr ambitioniert, auch künstlerisch, befindet sich zugleich aber auch oft hart an bzw. über der Grenze zum Lächerlichen. Die mysteriöse, aber leider letztendlich nicht besonders berauschende Geschichte beginnt wie eine Art Donnie Darko-Variation (schüchterner Außenseiter sieht eigenartige Wesen), gemixt mit einer sehr heftigen Sicht auf einen von brutalen Gangs geprägten Teil von London; es wird eine Welt gezeigt, in der es nur Gewalt und Kälte zu geben scheint. Nach einiger Zeit läuft der Film dann, etwas überraschend, auf eine wüste Faust-Variation hinaus, während es zwischendurch immer wieder eher peinlich kitschige Szenen gibt.

Die Regie ist wie gesagt ambitioniert und das Bemühen, einen ganz eigenen Stil zu schaffen, macht den eigentlich eher schwachen, bisweilen sehr kurios mit heftigen Gewalt- und Schockszenen versehenen Film zumindest irgendwie interessant. Andererseits wirkt das Spiel mit Farben und vor allem den erwähnten Schockeffekten oft kindisch-billig. Es wird eine spezielle Atmosphäre geschaffen, doch nur ganz selten ist der Film beklemmend, meistens eher trashig – ohne dabei aber auf blöde Art wenigstens gut zu unterhalten. Auch die Schauspieler sind durchgehend „B-Liga“, vor allem der naive Blick von Hauptdarsteller Sturgess ist schwer zu ertragen.

21. Dezember 2011

Les Regrets (Cédric Kahn) 8,31



Filme über l‘amour fou sind ja fast immer toll - dieses intensive Drama über ein verzweifelt verliebtes Paar (beide jeweils in einer anderen Beziehung bzw. Ehe) ist geradezu elektrifizierend inszeniert. In diesem wahnwitzigen Sog stolpert und torkelt auch die Kamera ebenso leidenschaftlich vor sich hin wie die Liebenden, die von Valeria Bruni Tedeschi und Yvan Attal herausragend gespielt sind. Immer mehr verlagert sich dann der Fokus auf den männlichen Part, der gefährlich am Grat zwischen Leidenschaft und Wahnsinn dahin wankt. „Von Liebe und Bedauern“: ein fiebriger Film über die absolute Hingabe jenseits jeglicher Vernunft.

19. Dezember 2011

Bir zamanlar Anadolu'da (Nuri Bilge Ceylan) 6,37




Wie man in den derzeit wieder kursierenden, beliebten Jahres-Umfragen sehen kann, ist Once upon a time in Anatolia einer der Konsens-Kritikerlieblinge des Jahres, was an dieser Stelle nicht ganz nachvollziehbar ist: Ceylans neues Mammutwerk hat gute Ansätze, ist aber vor allem schwer greifbares, absurdes Theater (dabei immerhin nicht so hohl-skurril wie Albert Serras Cant dels Ocells).

Ceylan ist zum Glück nämlich durchaus an der existenziellen Tragik seiner wortkargen Männer-Figuren interessiert. Der letzte Teil des Films ist eindrucksvoll, erinnert dabei stark an die besten Vertreter des neuen rumänischen Kinos. Hier liegt in den Augen des Betrachters aber auch die Krux des sich ambitioniert ganz viel Zeit nehmenden Werks: trotz des episch-existenziellen Gestus scheint es ein wenig an der ganz großen Bedeutung und Tiefe zu fehlen. Die Gesichter und die angedeuteten Tragödien und Sehnsüchte scheinen zwar Potential für Faszination zu besitzen, doch über weite Strecken ist der Film auch nicht viel mehr als eine ultra-langsame, aber leider nicht ultra-komische Groteske, die ihren Punkt nie so recht findet. Okay, „maybe that’s exactly the point“, aber man kann es mit den Faktoren Subtilität bei extraordinärer Langsam- sowie Ziellosigkeit und dem Fehlen echter Höhepunkte auch übertreiben - bei aller generellen, hier immer wieder durchscheinenden Klasse dieses Filmemachers leider keine Offenbarung.

17. Dezember 2011

American Falls (Phil Solomon) 8,26




Toller Bilderstrom, dessen experimentelle Form (meist drei identische Bilder nebeneinander, das Bildmaterial aus den Archiven wurde auf faszinierende Weise bearbeitet und wälzt sich meist fast am Rande der Auflösung dahin) viele Menschen aus dem Kino flüchten lässt. Die (oben sichtbare) Form, die Solomon gewählt hat, ist fast schade, denn so kann die große Leinwand nicht wirklich ausgenutzt werden, um in diesen entrückten Archivbildern (und der oft düsteren Geräusch- und Musikbegleitung) zu versinken. Inhaltlich ist der Film kein Wunderwerk, im Prinzip wird die Geschichte Amerikas bebildert, wobei dokumentarische Aufnahmen das Gros bilden, jedoch auch immer wieder Szenen aus Hollywoodfilmen miteinfließen.

Die erlebte Wirkung dieses mächtigen, für eine solch avantgardistische Machart mit fast einer Stunde doch recht langen Werks ist schwer zu beschreiben, es bleibt aber die Erinnerung an ein faszinierendes, spezielles Filmerlebnis.

15. Dezember 2011

Os residentes (Tiago Mata Machado) 5,332090405053059




Die Bewohner.
Zunächst mal faszinierend, formal aufregend, aber auch zunehmende Anstrengung der Sensorik. Abstraktistisch, was hier verhandelt wird, ein bisschen godardesk sozusagen, nur bunter. Selbstironie hin und wieder, danke. Und man muß schon sagen, dass dieser Stil Reiz hat. Nein, er geht doch auf die Nerven. Sehr verspielt, aber halt auch schrecklich (pseudo)philosophisches Geschwurbel, bisschen weniger davon und mir hätte das besser gefallen. Gar nicht so weit weg von Schlingensief, verrücktes everything goes, stets mit ausgewiesen avantgardistischem Anstrich. „Du oberintellektuelles Arschloch, leck mir die Möse!“, NA ALSO geht doch. Das atmosphärisch-desillusionelle Ende auch sehr cool, re-terminiert aber nicht die teils äußerst mühsam abgesessene Zeit zuvor. Gingen ja auch ne Menge raus, irgendwie verständlich, diese Scheiß Spießer.

13. Dezember 2011

Cut (Amir Naderi) 5,11




Ein sonderbarer, wilder, schmerzhafter Film – nur leider auch etwas blöd. Schläge einstecken für das wahre Kino – immer und immer und immer und immer und immer und immer und immer und immer wieder, das ist schon eine spezielle Grundlage für einen zweistündigen Film.

Es sei auch eine Hommage an das große japanische Kino von Kurosawa, Ozu und Mizoguchi, sagt Naderi; am ultra-eigenartigen, singulären Ende gibt es dann nach gefühlten 500 Schlägen noch letzte 100 – entsprechend der Top 100-Filme-Liste des Regisseurs (der Hauptfigur im Film) bzw. vermutlich Naderis eigenem Kanon. Das ist schon etwas Originäres, aber in seiner brutalen Konsequenz wirkt es gleichzeitig auch eher nerdig-kindlich-kindisch. Aber gut, so be it.

Die verzweifelten Schreie für großes und wahres Kino stellen natürlich auch eine Metapher für den Kampf um mühsame Film-Finanzierungen dar. Das eigenwillige Schmerz-Spektakel hat definitiv etwas, und es stört auch am wenigsten, dass Naderis Film so simpel und enorm konsequent ist (nämlich darin, die Zuseher zu quälen) – dieser hartnäckige Stil ist auch aus seinem vorigen Film, dem Meisterwerk Vegas: Based on a true story bekannt; so ist dem Kenner dieses Werks auch in "Cut" bald klar, dass hier die Kernelemente – Anbetungen der Regisseure, Filmscreenings, Schläge, Schläge, Schläge - bis zum Ende bestehen bleiben…

Man könnte dieses radikale Etwas durchaus positiver aufnehmen, aber wohl auch noch negativer; letztlich ist es aber auch bezeichnend, dass auf den Festivals, bei denen er gezeigt wurde, bzw. in dem Jahr als er entstand, zig bessere, „wahre“ Filme (ohne eine zwanghafte Reflexion anderer Filme und des Kinos an sich) liefen. Irgendwie erschließt sich sodann der Sinn des Ganzen nicht so ganz.

Natürlich ist auch die Verzweiflung ob des Untergangs der „Kinokultur“ nachvollziehbar, doch ist dies als Alleinantrieb für einen Film selbst ausreichend? Fakt ist, dass DAS KINO, nämlich aufregende, aufwühlende, großartige Filme weiterleben und auch ständig gedreht werden, notfalls auch ohne großes Budget – und auch ganz ohne den radikal-missionarischen Meta-Idealismus aus CUT…

12. Dezember 2011

Les Chants de Mandrin (Rabah Ameur-Zaimeche) 8,18




Monsieur Rabah Ameur-Zaimeche, der mit Bled Number One einen der großartigsten Filme der letzten Jahre gedreht und mit Dernier Maquis auf hohem Niveau nachgelegt hat (beide thematisieren unter anderem kulturelle und religiöse Unterschiede und Konflikte – Zaimeche selbst ist ähnlich seinen Figuren im Spannungsfeld zwischen Algerien und Frankreich verwurzelt und zugegen), verblüfft mit seinem vierten Film:

Da verwundert es, zunächst einen Historienfilm zu sehen, der sich im Gegensatz zu den Vorgängern nicht nur von der Gegenwart und sämtlichen Kulturdifferenzen abzuwenden und zudem ziemlich straight scheint. Man versucht einige Zeit vielleicht, die subtilen Elemente zu entziffern, mit denen Zaimeche auf seine intelligente Art heiße politische und soziale Eisen der Gegenwart verhandeln könnte, doch man findet wenig. Was man findet ist, wie sich der fast schon wie George Clooney aussehende Charismatiker wieder einmal selbst, hier als Rebellen-Führer Belissard, inszeniert, sei es mit lässigem Blick oder herzlichem Lächeln. Der begnadete Filmemacher steht eben gern auch vor der Kamera und hat, wie jeder Gute, gerne die Kontrolle über sein Projekt, weshalb sein Historienfilm sich auch nie nach Megaproduktion anfühlt, was nur von Vorteil ist. Und mit Fortdauer birgt er dann doch einiges an interessanten Zwischentönen.

Zum Beispiel: Wenn ein edler Herr einen Schmuggler in seine Kutsche einlädt, weiß man nicht so genau, was hier gespielt wird, doch die Konversation scheint tatsächlich auf Augenhöhe geführt zu sein; vielleicht soll dies Respekt zeigen, egal in welcher gesellschaftlichen Schicht sich das Gegenüber befindet. Oder: Besteht die Rebellenbande, die man im Lauf des immer etwas undurchsichtigen Films kennenlernt, aus brutalen Widerständlern oder sind das vor allem gebildete Gentlemen? Mit solchen Fragen spielt der Regisseur hier gerne.

Der raue (Männer-)Film ist nicht leicht zugänglich, mag aber vermutlich Freunde von Historie mit einer unverkrampft „realistischen“ Atmospähre begeistern, vielleicht langweilt er auch zwischendurch etwas. Doch es geht mit der Zeit eine unterschwellige Faszination von ihm aus; es steckt vieles drin, was nicht immer leicht zu entziffern ist. Und hin und wieder scheint auch dieses enorm freie Filmemachen durch, das Zaimeche bei "Bled Number One" in vollendeter Weise verwirklicht hatte. Vor allem kennzeichnet den Film aber der revolutionäre Geist, und das allein wäre schon ein Grund, ihn zu mögen.

Ganz am Ende gibt es noch eine irritierende Einstellung, bei der man sich auch fragt, was der Sinn ist. Sollen wir doch niemandem trauen, soll man die politische Ebene auch bei positiver Zusammenarbeit immer kritisch im Auge behalten? Hier ist ein scharfsinniger und zugleich auch immer etwas verschmitzter Künstler am Werk.

8. Dezember 2011

Dead or alive?

Keine Angst, werte Filmfreunde und innen, hier folgt nun keine Besprechung einer trashigen Videospielverfilmung und auch keine Burnout-Ankündigung. Dass hier seit einigen Tagen (und noch einige weitere) Ebbe herrscht, liegt an einer kuriosen Verkettung lokaler Computerprobleme, heimischem Internetausfall und dem alltäglichen Wahnsinn aus Arbeits- und Freizeitstress sowie Kurz(kürzest)urlaub.

Um den Blog in dieser harten Zeit nicht ganz verwaisen zu lassen, folgen nun zwei Listen: zum einen jene mit den in den nächsten Wochen anstehenden Besprechungen bereits gesehener Filme (Highlights fett gekennzeichnet), und zum anderen jene mit meiner Watchlist ausstehender vielversprechender Werke des offiziellen Filmjahres 2011.


Schon gesehen und noch nicht besprochen:

Les Chants de Mandrin
Cut
Os Residentes
American Falls
"Once upon a time in Anatolia"
Les Regrets
Heartless
"The Boss of it all"
The Adventures of Tintin...
Contagion
Pardonnez-moi (!)
Crazy Stupid Love
Melancholia
"Confessions"
1 journée
Mr. Nobody
Höhle der vergessenen Träume
Le Havre
La Consultation
Fish Tank
Armadillo
(The Rocky Horror Picture Show)
"The fourth portrait"
Lebanon
Genova
Svet-Ake
A Dangerous Method
Essential Killing



Die noch längere Liste mit den restlichen Pflichtfilmen 2011:

"City of Life and Death"
Io sono l'amore
Mammoth
El cielo dividido
Towelhead
Rapt
"Still Walking"
Touxi
Le refuge
Kinatay
Inside Job
"How i ended this summer"
Hors la loi
"The song of sparrows"
"Mother"
Poll
The kids grow up
Rubber
Tokyo Sonata
Johnny Mad Dog
I come with the rain
La princesse de Montpensier
The Life and Death of a Porno Gang
Periferic
Le nom des gens
Cleveland vs Wall Street
The Wackness
Grey Gardens
Raavanan
Hanna
Un homme qui crie
Aurora
Somos los que hay
Orly
Cosa voglio di piu
The Company Men
Rabbit Hole
"Half Moon"
"Privatunterricht"
Unter dir die Stadt
Blue Valentine
Beginners
"Secrets of the tribe"
La antena
Attack the block
Le roi de l'evasion
Bobby Fischer against the world
Nostalgia de la luz
Unter Kontrolle
Adams Ende
Homevideo
Mörderschwestern
Nader und Simin
Arrietty
Incendies
Jane Eyre
Habemus Papam
Margin Call
Schlafkrankheit
Underwater Love
The Ides of March


aaand last but surely yes - maybe not least: New Kids Turbo


All das, und alles noch vergessene, hoffentlich ab Montag...und hoffentlich vor Ende 2012.

25. November 2011

Delta (Kornél Mundruczó) 4,60




Béla Tarr
, Seom, Bruno Dumont, The War Zone, The Piano, sämtliche 'Außenseiter'- und 'Männer im Pub schauen finster wenn der Außenseiter reinkommt'-Filme und dann noch sämtliche Werke mit den Themen Gewalt gegen Frauen und Vergewaltigung.

Das alles kam mir während der ersten Hälfte dieses Films in den Sinn und das ist nicht positiv gemeint. Immerhin lief dieses Werk vor 3 Jahren im Wettbewerb von Cannes und wurde gar mit einem Kritikerpreis ausgezeichnet. Da sollte man schon ein bisschen was Eigenständiges bis Mitreißendes zu bieten haben. Ja, stimmt, es geht in diesem Fall inhaltlich um etwas Eigenes, nämlich Geschwisterliebe. Doch die Art wie dieser Film gemacht ist (inklusive seiner ziemlich oberflächlichen Schweigsamkeit sämtlicher Menschen), lässt kaum eine sensible Auseinandersetzung mit diesem Thema zu, Regisseur Mundruzcó ist auch eher auf eine schwelgerische und pathetische Inszenierung aus.

Immerhin ist die zweite Hälfte aus zwei Gründen nicht völlig vernachlässigbar. Erstens wird tatsächlich im Verlauf des Films ein schlichtes Holz-Haus am Wasser erbaut (wow!) und dann ist da noch das Ende mit einer eiskalten, schrecklichen Gewalttat. In diesen Momenten zieht sich alles zusammen und Mundruzcó trifft einen doch noch direkt im Inneren.

Aber wozu nun das alles und wozu dieser Film? Geht es wirklich darum ein Tabu der Gesellschaft zu diskutieren? Oder um die x-te Darstellung ruchloser männlicher Gewalt gegen Frauen bzw. Tabu-Begeher? Oder ging es vielleicht doch vor allem um eine möglichst schwelgerische Inszenierung?

23. November 2011

Terri (Azazel Jacobs) 8,33




Der neue Film des leise-heimlichen Indie-Heros Jacobs Junior beginnt wie eine gelassene Antwort auf das Extremdrama Precious: ein stark übergewichtiger Teenager, der gehänselt wird, steht im Mittelpunkt. Jacobs gelingt in der Folge einiges Außergewöhnliches: der Film könnte trotz seines wenig glatten Looks ein gängiges Außenseiterdrama Holly- (oder Indie-)woods sein, doch er wird immer wieder unangepasst in unerwartete Richtungen ausweichen, sei es dass urplötzlich trockener, schräger Humor auftritt oder dass der gutmütig-gelassene Terri viel mehr Profil und Charakter besitzt als erwartet.

Eine verwirrend-verstörende, ziemlich lange Szene gegen Ende macht etwas Sorgen, doch kaum ist sie vorbei, spürt man deutlich, was hier Schönes passiert: Unverkrampft, intim, fast wie im noch viel viel intimeren Vorgänger Momma’s Man sind Jacobs und sein Autor ganz nah an den jungen Menschen dran, die Erfahrungen machen, die Freunde werden. Ein positiver Film, jedoch ohne Happy End, ohne Katharsis; selbst ein Star wie John C. Reilly als schrullig-lieber Schuldirektor fügt sich perfekt ein in ein Werk, das ohne Willen zur Anstrengung oder Moral-Lektionen so viel Liebe und Wärme vermittelt, dass man allen Außenseitern und Gepeinigten, allen armen Seelen auf der Welt solche Weggefährten und so einen natürlichen Weg wünscht; hier werden keine „Probleme gelöst“, hier wird sich beigestanden – mit Coolness, Weirdness und ganz viel Herz.

21. November 2011

IL - Greaves, Adachi, Rossellini

Symbiopsychotaxiplasm: Take One (1968) 7,85

Den Titel versteht keiner, der Film macht es einem auch nicht leicht. Die doppelte Dokumentation eines komplizierten Filmdrehs im Central Park nutzt Regisseur William Greaves für ein exzellentes Verwirrspiel. Wenn die Crew diskutiert, was dieser Film soll und selbst darüber spricht ob dieses Gespräch vielleicht nur inszeniert ist, dann ist das schon sehr groß: der Film schlägt soviele kleine Haken und spielt sehr gefinkelt mit dem Verständnis des Publikums, dass er auch überfordernd wirken kann.

Richtig verschmitzt ist das Ganze, die Musik von Miles Davis könnte nicht besser passen, die Entstehungszeit Ende der 60er erlaubt eine einmalige Atmosphäre für so ein absurd-unerhörtes Experiment. Eine zeitweise intensive (das Treffen mit dem Obdachlosen!) und gleichzeitig herrlich satirische Abhandlung über, tja, vermutlich am meisten das Schauspielen. Bald folgt Take Two, haha…vor kurzem tatsächlich. Hintergründig-intellektuelle Scherzbold-Künstler wie Greaves braucht man.



Gingakei/Galaxy (1967) 7,xx

Die erste halbe Stunde ist eine Offenbarung, eine perfekte Verfilmung der schönen Wortkreation „Eskalierende Träume“, ein Film, der all das Wunderbare der „Traum-Werke“ von David Lynch weit zu übertreffen scheint. Versuchen der Geschichte zu folgen? Unerheblich bis unmöglich, vielleicht beim nächsten Mal. Diese Bilder, diese verstörende Schönheit genießen!

Aber dann kommt der Oberhoschi, ein unheimlich nervender Mönch und der Film kippt plötzlich in eine Richtung, die ganz und gar nicht mehr so verstörend ist wie all das zuvor, sondern nur noch kindisch. Vielleicht gehört auch das zu einem japanischen Film, vielleicht ist es auch unmöglich (oder gar nicht nötig) so etwas Wunderbares wie in den ersten 25-30 Minuten auf Spielfilmlänge zu bringen, doch was Masao Adachi dann macht, ist nur nervtötend. Verstörend sind aber auch weiterhin diese Zeichnungen von dämonenartigen Wesen mit verzerrten Gesichtern und Körpern – originäre Darstellung von absurd-grausamer Gewalt und Erotik. "Gingakei" ist alleine wegen seiner Positiva ein herausragender (meines Wissens im Moment nirgends außer vielleicht in Japan selbst, zu erwerbender) Film, ein zentraler Bestandteil des surrealistischen Kinos. Den ernüchternden Schluß- oder Zwischenteil kann man schon in Kauf nehmen…



India, Matri Bhumi/Indien, Mutter Erde (1959) 8,15

Die Leichtigkeit und Wärme dieses Films erfüllen mit Freude; wie gewitzt und gleichzeitig so straight (ganz anders als in modernen „Essayfilmen“) Rossellini hier porträtiert: wundervolles Einfühlungsvermögen für Mensch und Natur. So toll diese Dokumentation der Zweckgemeinschaft Mensch-Elephant! So zart die Geschichte des Ehepaars zwischen Kampf um Arbeit und dem Wunsch, an einem Ort glücklich zu werden.

Doch wiederum ist es leider ein Film, der das Niveau nicht ganz halten kann: die letzten beiden Episoden mit „Tierdramatik“ wirken arg gekünstelt inszeniert, wenn sie auch im Kern sehr schön sind. Das kann die unglaublich gute Stimmung, die einem diese liebevolle, meisterliche Reise zuvor gegeben hat, etwas mildern. Dennoch wünscht man sich viel mehr von so einer leichtfüßigen Art humanistischen Filmemachens!

18. November 2011

Interludium - Arthur Penn & Soi Cheang x2

Night Moves (1975) 6,95

Ähnelt ein wenig Polanskis Überwerk Chinatown ohne dessen Klasse zu erreichen; Penns Film ist weniger Krimi/Thriller als Porträt eines Mannes in Beziehungskrise, der halt auch cooler Schnüffler ist. Teilweise, aber fast zu selten ist die Inszenierung fiebrig, doch insgesamt ist das alles ein bisschen wenig packend. Wobei das auch nur mit Einschränkung gilt, denn wie so oft bei etwas dahinschleichenden Thrillern ist das Ende intensiv und gelungen.



Hyn huet ching nin/"New Blood" (2002) 7,32

Ein Horrorfilm, der im Kern eine tieftragische Romanze ist. Cheang erweist sich in diesem frühen Film gleich als kompetenter Koordinator von eleganten Kamerafahrten und eigenwilliger, ansprechender Ausleuchtung. Langsames Tempo und grelle Szenen dürfen hier eine schöne Symbiose eingehen. Eine kleine Freude für die Sinne also, die Geschichte dagegen endet etwas erzwungen twistend, ohne dabei stimmig zu sein. Über Cheangs in meinen Augen nicht ganz gelungenen aktuellsten „Accident“ liest man in manchen Texten „Meta-Film“, vielleicht ist das auch schon "New Blood". Interessant und unterhaltsam, mehr ist nicht dran.



Oi zok zin/"Love Battlefield" (2004) 8,10

Ein wüster Genrebastard, wieder mit hochromantischem Kern und menschlicher Tragik (im großen Stil) versehener, dabei hin und wieder mit überraschendem Humor versetzter Thriller mit all den typischen Elementen und Inszenierungseigenheiten des HongKong (Action-)Kinos, die man eh nur alle heiligen Zeiten mal im Kino genießen kann. Cheang gelingt hier das vollkommen, was mir in seinen restlichen gesehenen Werken ("Accident" und "New Blood") gefehlt hat: eine mitreißende (auch sehr pathetische) Geschichte um einen harmlosen Mann, der in die Fänge von Gangstern, und damit auch seine geliebte Frau (die ihn zuvor im Streit verlassen hatte) in Gefahr gerät. Dazu ist die Inszenierung mehr als nur gewohnt gekonnt, sie ist hochgradig packend. Ein „geiles“ Action-Liebes-Thriller-Drama mit allem was dazu gehört (und noch ein wenig mehr).

16. November 2011

La Guerre est déclarée (Valérie Donzelli) 8,13




Intensiv und impulsiv inszeniert ist dieses unkonventionelle, dadurch auch ein wenig an Kollegen des jüngeren französischen Films wie Mia Hansen-Love oder Arnaud Desplechin erinnernde Drama. Dem tragischen Thema eines jungen Elternpaars, bei dessen kleinem Sohn ein Gehirntumor diagnostiziert wird, gesteht die Filmemacherin keinen trüben Realismus zu, sondern lässt ihre Protagonisten (gespielt von ihr selbst und ihrem Ex-Partner!?) mit Verve ihr Schicksal bekämpfen.

Manchmal stößt das exaltierte Benehmen der zwei Liebenden etwas komisch auf, obwohl die Grundidee des Films, das Thema Kinderkrebs mit schwungvoll-positiven Eltern und einer sich jegliche Freiheiten nehmenden, verspielten Regie anzugehen, toll ist. Fein wird auch der Rückhalt des Familien- und Freundesnetzwerks gezeigt, durch den so ein dem Leben dem Krieg erklärender Zustand irgendwie erträglicher werden kann.

Der Krieg ist erklärt: ein Film mit erhöhtem Tränenflußaufkommen, der leider auch ein wenig seltsam endet. So schön ist es, wenn Donzelli und ihr ehemaliger Lebensgefährte (beide schrieben auch das Drehbuch, ob sie gemeinsam auch einen Sohn hatten, ist vielleicht zu vermuten, aber nicht gewiß) 95% des Films als perfektes, füreinander bestimmtes Paar agieren und dann ganz am Schluß doch erzählt wird, dass sie auseinanderbrachen. Auch wenn in der Realität des Lebens alles passieren kann, so scheint es gerade in diesen hochromantischen, kämpferischen, manchmal sogar surrealistischen Film einfach nicht zu passen, selbst wenn autobiographisch anscheinend genau das Gleiche passiert ist(!). Die schwelgerische letzte Einstellung lässt jedoch zumindest fürs Filmpaar hoffen, dass sie wieder zueinanderfinden und alles gut wird…

11. November 2011

Aleksandra (Alexander Sokurov) 8,01




Man muß diesem formal sehr trockenen Film Zeit geben, denn anfangs ist Großmütterchens Besuch im Armeestützpunkt etwas seltsam, undurchsichtig öde und wie bei Sokurov wohl üblich, sehr langsam gefilmt. Nimmt man sich die Zeit, wird man hinter den schlichten Bildern aber bald mit viel Tiefe belohnt.

Alexandra, die alte Dame, verlässt tagsüber den Stützpunkt und begibt sich auf den Markt der „Einheimischen“, um dort ganz friedlich mit einer anderen alten Frau den Nachmittag zu verbringen – gegenseitiger Austausch und kleine Hilfen der Zivilbevölkerung während ihre Länder Krieg führen. Das klingt auf dem Papier nicht neu, doch Sokurov hat einen vielschichtigen Zugang gewählt; dieser wird bereits durch die faszinierende Hauptperson verdeutlicht, eine trotzige, alles andere als offensichtlich „liebe“ alte Frau, die als Vehikel dient für pazifistische Elemente und die filmische Reflexion zum Leben, (im) Krieg, und spezifischer zu Themen wie hohem Alter/Jugend, Familie, Trauer, Liebe, der Sehnsucht nach Zärtlichkeit auch im hohen Alter und vermutlich noch einigem mehr. Ein sperriger und zugleich äußerst faszinierender Film, der vielleicht nicht so aufregend ist, dass man ihn unbedingt öfter sehen muß, lohnen könnte es sich auf alle Fälle.

7. November 2011

Old Joy (Kelly Reichhardt) 7,95




Sehr gelassene Verfilmung eines Wochenend-Trips zweier Freunde in den Wald. Die Frage, wie sehr sich der verheiratete "Normalo" und sein etwas sonderbarer Kumpel nach sehr losem Kontakt überhaupt verstehen, inszeniert Reichhardt unterschwellig knisternd und dennoch ultimativ entspannt (siehe die "warmen" Musikeinlagen der Band Yo La Tengo). Die amerikanische Filmemacherin konnte ihren Folgefilm Wendy and Lucy beklemmender und vielschichtiger inszenieren, beweist aber auch hier schon Gespür - wenn auch auf sehr meditativer Ebene. Doch diese ist nicht die einzige: Chillen im Wald und das Prüfen der Freundschaft wird ganz speziell umrahmt - von Radio-Diskussionen über amerikanische Politik- und Sozialthemen.

4. November 2011

Putty Hill (Matt Porterfield) 7,98




Am tollsten an diesem (im löblichen, sensiblen Sinn) pseudodokumentarisch angelegten (Miniaturen-)Soziogramm über eine Gruppe von Trauernden ist die sehr authentisch anmutende Stimmung, die geschaffen wurde. Wenn man krude Film-Vergleiche mag, könnte man das Werk fast als einen geerdeten Gegenentwurf zum überambitioniert-entrückten Enter the Void sehen. Hier wird mit anderen Mitteln eine gar nicht unähnliche Stimmung erzeugt, fast so als wäre nach dem Tod einer geliebten Person ein Wattefilter über alle Sinne gespannt. Porterfield verstärkt dies in seiner Inszenierung teilweise meisterlich, etwa wenn der Wortlaut einer beim Tätowieren gefilmten Unterhaltung nur durch Texteinblendungen deutlich wird. Es ist ein intimer Film mit intimen Momenten über unmittelbare Trauer(arbeit) und generellen Lebensfrust, die lokale Verwurzelung des Films und seiner großartig nicht film-stereotypen Charaktere kann man jederzeit spüren. Und dann ist da auch noch dieses wunderschöne, „künstlerische“ Ende mit den tanzenden, unscharfen Autolichtern.

2. November 2011

La piel que habito (Pedro Almodóvar) 6,43




Seltsamer Beitrag zum Transgender-Thema.
Almodóvar entfaltet die kurios-düstere Handlung ruhig und ausführlich, trotzdem hält sich der Tiefgang in Grenzen und die Gefühlswelt der Charaktere mutet oft zu oberflächlich behandelt an. Eine gewisse Kühlheit gehört hier zwar zur Methode, ganz überzeugend ist diese aber auch nicht.

Die Inszenierung ist natürlich wieder gewohnt elegant und der Arthaus-Veteran hält Die Haut, in der ich wohne stets gekonnt unterschwellig spannend; besonders toll in Erinnerung, neben der obligatorischen Zuspitzung gegen Ende, bleiben diese sehr weirden, beklemmenden „Tiger“-Momente, die an die schräg-schrille Sexualisiertheit des frühen Almodóvar erinnern, nur eben schon deutlich gereifter inszeniert sind.

Das Ende des Films ist dann Almodóvar pur, plötzlich und schon fast völlig unerwartet gelingt es ihm, einem die Tränen ins Auge zu treiben und meisterlich zu schließen. Die knapp zwei Stunden davor haben solch eine emotionale Bindung zum Geschehen auf der Leinwand (wie in seinen vermutlich besten Werken Alles über meine Mutter und auch Sprich mit ihr) etwas vermissen lassen, sind jedoch von einer ganz eigenen Atmosphäre geprägt, die eher Oberflächenreize bedient. Das Drama um Körperidentität sowie die gruselige Mischung aus wissenschaftlicher Genialität und deren triebhaft-verzweifelt-pathologischer Umsetzung „hat was“, lässt aber zugleich auch ein wenig kalt. Und aus so einer Kälte kann zwar vielleicht im Film eine Persönlichkeit, beim Betrachter jedoch schwer Leidenschaft wachsen.

29. Oktober 2011

Katka (Helena Trestíková) 8,03




Intensive, völlig „ungeschönte“ Langzeitstudie einer jungen drogensüchtigen Frau. Durch diesen Film wird die ganze Tristheit bis Schrecklichkeit einer solchen „Karriere“ hautnah, oft fast unerträglich spürbar. Man darf sich zu Recht fragen, „was es bringt, sich das anzuschauen“ und auch ernsthaft über ethische Grundsatzfragen anhand dieses heftigen Materials reflektieren.

Dennoch ist es zu respektieren, was die Filmemacherin geleistet hat, auch wenn sie vermeintlich bloß filmt, wie sich ein Mensch langsam zu Grunde richtet. Die Hoffnung stirbt zuletzt, das meint man auch bei dem Filmteam zu spüren, das Katka über die Jahre begleitet. Ob so ein Film etwas „bewirken“ kann, bei der Porträtierten selbst oder bei Leuten, die ihn sehen, kann kaum beurteilt werden, selten jedenfalls erhält man einen derart tiefen Einblick in das grauenhafte, trost- und nahezu hoffnungslose Leben auf der Straße.

27. Oktober 2011

Atmen (Karl Markovics) 8,22




Sehr schönes, perfekt konzipiertes Werk des ehemaligen "Kommisar Rex"-Komikers(!), vielleicht fast ein bisschen zu durchkomponiert und formelhaft. Dennoch ist es einer dieser Filme, die so bewundernswert unverkrampft, mit manchmal notwendigem Humor und Gefühl enorm harte Themen (Jugendknast, Tod allgegenwärtig, Heimkind ohne Eltern) behandeln, hier in einer herrlich charmant-morbid-grantlerischen Wiener Art und mit gelassener Grundhaltung. Es ist auch einer dieser Filme, die vor allem von ihrem Hauptdarsteller leben: ein wortkarger, mitgenommener Jugendlicher im ruhig gefilmten Kampf um ein halbwegs normales Leben; da schaut man ihm gerne dabei zu, auch wie er (wieder etwas formelhaft, aber sehr lässig) im zunächst verhassten Berufsrivalen (dem "Kotzbrocken/Sympathler" Georg Friedrich) eine Art Vaterfigur findet, natürlich nicht bevor sie vorher eine Rauferei hatten.

In der Schlußeinstellung übertreibt es Markovics mit der Kameraführung (bis in den Himmel, bis in den Kitsch!), dennoch ist sein Debüt überzeugend und findet durchgängig einen sehr stimmigen Ton: von der nüchternen Darstellung eines Jugendgefängnisses und den mühsamen Schritten in ein erwachsenes Leben über die ergreifende Pflege einer frisch Verstorbenen bis zu bitteren und dennoch möglicherweise befreienden Auseinandersetzungen mit der eigenen Vergangenheit.

25. Oktober 2011

Les amours imaginaires (Xavier Dolan) 6,68




Anfangs ist das Stylorama nur oberflächlich, hohl, platt und nervig, doch mit der Zeit bekommt Dolan Herzensbrecher in den Griff und vermag es, mit ähnlichen Mitteln wie schon bei J'ai tué ma mère (vor allem toller Montage, überlebensgroßen Emotionen und eigen- bzw. feinsinnigem Humor) zu unterhalten. Dennoch wird die Klasse des Vorgängers hier nicht erreicht, was auch mit der oft mühsamen bis nervigen Pseudocoolness der snobistischen „Künstler“-Charaktere zu tun hat.

Als wohltuender Gegenpol fungiert zum Glück dieses federleichte Changieren zwischen Ironie und Pathos; es scheint schon das Markenzeichen des jungen Filmemachers zu sein, dem verzweifelten Liebeswerben verleiht er vor allem als Darsteller ein Profil.

24. Oktober 2011

La mujer sin cabeza (Lucrecia Martel) 4,20




Ein Film, den viele Kritiker sehr gut bewerteten und der in Reviews echt toll klingt, vor allem wenn man sich Texte nach dem Ansehen durchliest und von Aspekten erfährt, die man anhand des Films so nicht wahrgenommen hat. Doch Die Frau ohne Kopf ist, repräsentativ für zeitgenössisches argentinisches Festivalkino könnte man sagen, dermaßen sperrig gemacht und versteckt seine auf dem Papier anregend klingenden Pointen so sehr, dass er bei mir überhaupt nicht funktionierte.

Es besteht kaum Lust sich noch einmal mit so einem Film zu beschäftigen, ihm nochmal auf den Grund zu gehen, wenn er so langatmig inszeniert ist – auch wenn dies hier nicht ganz konsequent klingen mag: könnte man z.B. einem beeindruckenden Werk wie Caché nicht Ähnliches vorwerfen?

Ist es Martel im Gegensatz zu vielen Kollegen einfach nicht gelungen, den Zuschauer auch mit langsamen Tempo und wenig vordergründig „Passierendem“ zu fesseln oder kann der subjektive Eindruck in diesem Fall die mögliche Qualität des Films nicht erkennen? Ziemlich sicher liegt des Pudels Kern irgendwo dazwischen.

23. Oktober 2011

Dreileben (Petzold, Graf, Hochhäusler)

Das im Vorfeld sehr aufregend klingende Projekt von drei guten Filmemachern aus Deutschland ist schlußendlich wenig begeisternd ausgefallen. Eine Verzahnung der Filme findet kaum statt und auch wenn eine solche wohl auch gar nicht angestrebt war, kann man sich schon fragen, wozu so ein Projekt, wenn es dann in jedem Film ein bis zwei kurze Szenen gibt, in denen Darsteller aus den anderen Filmen auftauchen und das war es dann auch wieder. Dies wirkt dann eher wie eine schlappe Hommage an das, was Tarantino mal in Pulp Fiction gemacht hat, aber von drei intelligenten Regisseuren hätte man sich lange Zeit danach etwas mehr erwartet.

Immerhin passen zumindest Petzolds und Hochhäuslers Film in Stil und vor allem bei der Inszenierung von Natur bzw. dem Wald als eher unheimlichen Ort ganz gut zusammen. Grafs Arbeit, die schwächste der drei, fällt auch hinsichtlich der Motive des Gesamtprojekts wenig gelungen aus.



Etwas Besseres als den Tod (6,08)

Petzold legt weniger einen Thriller oder Krimi, sondern eher eine – im Stil am ehesten an seine Werke Gespenster oder Yella erinnernde, leicht „gespenstische“ – Lovestory vor. Der junge Krankenpfleger, der sich in eine Ausländerin mit wilder Lebensart verknallt: das ist in seiner schicksalhaft-poetischen Art eine Weile fein, doch auf Dauer flaut es eher ab, die zweimal eingestreuten Veweise auf die folgenden Filme sind wie schon erwähnt nicht mehr als ein Augenzwinkern..

Der Film erhält gegen Ende dann noch einen tatsächlich mal recht gelungenen Twist, den man nie erwartet hätte – vermutlich einfach nur, weil einen die Story schon etwas eingelullt hat, bzw. weil das sich ständig beieinander wegen eher blöden Aktionen entschuldigende Liebespaar langsam ein wenig auf den Senkel geht. Petzold reißt aber zumindest am Ende das Ruder wieder herum, sodass ein insgesamt positiver Gesamteindruck zurückbleibt. Der Film reiht sich aber so gesehen auch ein wenig in seine Filmografie ein, weil er manchmal – neben genial dichten Geschichten wie Wolfsburg – fast zu entrückt und in sich selbst versponnen inszeniert; die „Cry me a river“-Szenen alleine zeugen jedoch auch von einer großen Meisterschaft. Leider insgesamt dennoch kein meisterlicher Film.


Komm mir nicht nach (4,30)

Alles was Graf stilistisch ausmacht, ist auch hier drin, aber wenn inhaltlich so wenig rauskommt, ist das auch wenig wert. Dies dürfte einer seiner schwächsten Filme sein, gerade auch wegen der ungenügenden Einordnung in den Überbau "Dreileben"-Projekt, welches sich immer mehr als müde herauskristallisiert.

Das Freundinnendrama um ein Liebesgeheimnis ist auch sehr lasch; lange wartet und wartet man, dass etwas Spannendes passiert und etwas Drive hinein kommt, doch Graf ist hier trotz Bemühungen, Intensität und unwohliges Knistern zu erzeugen, leider genau das passiert, was er bei Landsmännern oft anprangert: ein ziemlich ödes Werk.


Eine Minute Dunkel (6,05)

Hochhäusler ist durch seinen fabelhaften Falscher Bekenner (und auch durch seinen Blog, in dem er sich stets intelligent mit dem Medium Film auseinandersetzt) ein echter Hoffnungsträger. Doch auch sein Werk im "Dreileben"-Universum fällt nicht allzu großartig aus. Sehr ambitioniert zwar seine Inszenierung und der flüsternde Mörder(?) im Wald hat was, doch auch hier gilt Ähnliches wie schon bei den zwei anderen Filmen: Über 90 Minuten wird es etwas öde.



Vielleicht hätte aus diesem Grunde sogar ein (gemeinsamer) 120- oder 150-Minüter anstatt von langwierigen 270 besser funktioniert, auch wenn mir nicht in den Sinn kommt, die Arbeitsweise und die Vision der drei Regisseure zu hinterfragen. "Dreileben" wird aber nicht als genial (umgesetzt)es Konzept in die Filmgeschichte eingehen, sondern eher als Nebenkapitel im (groß-)teils sehr tollen Werk von Petzold, Graf und Hochhäusler.

17. Oktober 2011

The Guard (John Michael McDonagh) 7,49




Schräger Brit-Gangster bzw. Buddy-Copfilm, bei dem die harsch-knurrige Art des von Brendan Gleeson dargestellten Polizisten anfangs gelinde ausgedrückt gewöhnungsbdeürftig, bald aber doch ziemlich lustig ist. Gleeson als provinziell-reaktionäres, im Kern vermutlich eh nobles und gerissenes "Arschloch" ist toll, die Chemie mit dem "gebildeten Vorzeige-Gentleman-Ermittler" Cheadle stimmt auch - vor allem als sie am Ende zusammen endlich richtig aufräumen (Guard goes John Wayne?), macht das Spaß.

Die (manchmal sehr ambitionierte) Inszenierung des Bruders vom In Bruges-Regisseur (der dort ebenfalls Gleeson besetzt hatte) ist bewusst „schief“ gehalten, baut aber gleichzeitig viel lokales Flair ein, filmische oder auch literarische Vorbilder sind stets präsent. Minimal trübt das böse, mild unkonventionelle Vergnügen, dass doch viele bekannte Elemente von verschiedenen Vorbildern (vor allem des britischen Gangsterkinos, ob ernst oder heiter) aufgewärmt werden.

16. Oktober 2011

Interludium - Bakshi, Miyazaki, Scorsese

Fritz the Cat (1972) 8,03

Im legendären „Zeichentrick mit dem fickenden Kater“ liegt der Schwerpunkt gar nicht so sehr auf Sex, sondern eher auf sehr wilden, subversiven (politischen) Derbheiten. Bakshi, dessen Film nach der Vorlage von Robert Crumb oft selbst auf Droge scheint, überschreitet lustvoll alle vorstellbaren Grenzen des guten Geschmacks, der politischen Korrektheit und der Gewalt, was nicht immer nur einfach lustig, sondern manchmal gleichzeitig auch bitter, hart und anklagend kommt.


Tonari no Totoro/Mein Nachbar Totoro (1988) 8,05

Auch beim zweiten Mal kann es wiederum überraschen wie ruhig und gar höhepunktsarm dieses (Kult-)Werk - auch im Vergleich zu anderen Miyazakis - eigentlich ist; auch herrscht hier nicht die größte Komplexität. Dennoch so schön, so liebevoll, so knuddelig gestaltet und auch durch die stets vorherrschende Dramatik einer möglicherweise sehr ernsten Krankheit der Mutter alles andere als „simpel“.


Boxcar Bertha (1972) 7,85

Verspielte, auch typisch für den Meister sehr brutal gesprenkelte Outlaw-Ballade, in der die Vorliebe für (älteres) Kino immer wieder durchscheint. Auch die später noch ausgefeiltere Klasse und der Stil Scorseses sind schon deutlich ausgeprägt. Das inhaltlich mit Bonnie and Clyde verwandte Widerstands-Epos (dt.: Die Faust der Rebellen) ist kein herausragender, aber einer von vielen eindrucksvoll wilden amerikanischen 70er Jahre-Filmen (s.o.).

14. Oktober 2011

Tsumetai nettaigyo (Sion Sono) 7,92




Nach dem ultraexzessiven Ai no mukidashi/"Love Exposure" ist Sonos Nachfolger oft fast wie ein gewöhnliches Thrillerdrama inszeniert, nämlich stilistisch wesentlich ruhiger und klassizistischer, aber mit einigen (filmtypisch japanischen) grotesken, bisweilen regelrecht kindisch anmutenden Schrägheiten gespickt.

Als Studie über männliche Machtkämpfe und fast schon erzwungenes Gewalt-Lernen sowie als Allegorie auf eine beinharte Geschäftswelt funktioniert Cold Fish ziemlich gut, gerät dabei mit Fortdauer gar ein wenig langatmig, eher er gegen Ende Züge eines (durch ständige Unterdrückung und Zwänge forcierten) „Japanese Psycho“ annimmt und konsequent und glitschig wie selten gesehen in (verstörend-beklemmendem) körperdekonstruktivistischem Radikalismus gipfelt. Leider hat Sono den Film um ca. eine (sehr blöde) Minute bzw. einen (sehr blöden) Satz zu lange gemacht, was zwar schade ist, den sehenswert-schaurigen Großteil des ultrakühlen (und damit ein wenig auch an die Radikalität von Kubrick erinnernden) Films jedoch retrospektiv nicht sonderlich zerstört.

10. Oktober 2011

The Woman (Lucky McKee) 8,23




Kein reiner Terror- oder Horrorfilm, sondern eher eine schräge, böse Satire über männliche Gewalt gegen Frauen bzw. die schockierend-pervertierte Unzivilisiertheit zivilisierter Menschen, die „Tiere“ zu Menschen erziehen wollen. Aus dieser fiesen Prämisse macht Lucky McKee einen vor allem auf der Tonspur oft meisterlichen, argen Film, bei dem ein Gefühl von Spaß insofern nicht Überhand nehmen kann, weil der Hintergrund des brutalen Soziopathen-Anwalts (als „funktionierendes Mitglied" der zivilisierten Gesellschaft) mit krankhaftem Macht- und Gerechtigkeitssinn sehr bitter ist. Dass manche trotzdem an heftig unguten Stellen lachen, könnte manchmal besorgniserregend sein, manchmal kann man auch während dem betroffenen Schlucken ob der gezeigten Gewalt gar nicht anders als zugleich auch blöd grinsen: Torpedierung der moralischen Sinne.

The Woman ist jedenfalls eine, auch dank der unbekannten, radikal agierenden Darsteller sehr intensiv funktionierende, denkbar weit von jeglichem Mainstream entfernte Mixtur aus Elementen von Stoffen wie American Psycho oder Hostel, gemixt mit einem ausgeprägten Regiesinn für Humor und Beklemmung. Und ziemlich cool (im Sinne von kathartisch beuschelig) ist er vor allem dann mit diesem wahnwitzig-rasenden Ende auch noch.

8. Oktober 2011

Whores' Glory (Michael Glawogger) 8,47




Michael Glawogger ist der Held des gegenwärtigen vielseitigen und dabei stets hochklassigen Filmschaffens. Mühelos pendelt er zwischen fiktiven und dokumentarischen Werken, beherrscht die hintersinnige bis groteske Komik ebenso wie die poetische Realitätsbeschreibung. Vor allem gelingt es ihm, (auch moralbezogene) Ambivalenzen des Lebens zu behandeln und wo könnte so etwas interessanter sein als in einem Film über Prostitution: ein explizit betitelter Hurenfilm, was schon von Beginn an Anrüchigkeit, Aufregung und auch die Abhandlung möglicher Ausbeutung verspricht.

Der Filmemacher vereint die vielen Aspekte dieses Themas, in dem er drei unterschiedliche Orte des Rotlichtmilieus auf verschiedenen Kontinenten erkundet: da schwelgt die Kamera schon auch mal bei den (teilweise) attraktiven Frauen, die Prostituierten jeden Alters kommen ausreichend zu Wort genauso wie die Freier und die Chefebene: wie aufgelegt ist das oft enorm skurril, doch manchmal erlaubt Glawogger auch schrecklich traurige Momente; am subjektiv schlimmsten sind hier die Eindrücke aus Bangladesch; einerseits ist gerade hier der Anteil an sehr jungen Frauen, für die das Puff als einziger Weg aus der noch schlimmeren Armut und dem Leben auf der Straße scheint, am höchsten, doch ebenso wird deutlich, dass der Gang ins Rotlichtviertel für viele Männer kein Akt der Ausbeutung, sondern etwas Alltägliches, etwas Essenzielles ihres Lebens ist. Glawogger klärte in einem Interview auf, dass das Rotlichtviertel für viele Jugendliche – eben auch für die Mädchen – die einzige Möglichkeit sei, ihre Sexualität auszuleben; auch das filmische Aussparen solcher Hintergründe kennzeichnet übrigens die Arbeit des Regisseurs.

Leider ist ausgerechnet die letzte Episode, die in einer ziemlich heruntergekommenen Region Mexikos angesiedelt ist, auch ein bisschen die magerste und der Film klingt weniger spannend aus als er vorher schon war, inklusive sehr inszeniert anmutendem „Nicht kommen-Akt“. Doch so ist Glawogger, er spielt auch gern, er versieht seine melancholischen Milieustudien auch gern mit einem Augenzwinkern. Und ganz am Ende klingt der Film dann plötzlich noch mit einer extrem bitteren Szene aus: bei all seinem Sinn für Humor scheut dieser Ausnahmeregisseur nie vor dem tiefen Blick in Abgründe zurück.

1. Oktober 2011

The Three Musketeers (Paul W.S. Anderson) 7,06




Spaßig-trashiges Augenzwinkern-Spektakel. Der "B-"Anderson (der bereits tatsächlich so etwas wie eine eigene 3D Handschrift hat) schwelgt oft in eleganten Bildern und coolen Kamerafahrten - er tobt sich kunst-freiheitlich aus, bringt seine Ultra-Beschleunigungszeitlupe und Ehegattin Milla von den zuletzt erfreulich coolen Zombies ins Mittelalter mit, und liefert zwar kein euphorisierendes, aber ein immerhin (vor allem abseits von jeglichem Tiefgang) relativ funktionierendes Vergnügen ab.

Wie sieht hier eigentlich das Herz des bereits zigmal filmisch aufbereiteten Dumas-Romans, nämlich die Darstellung der Charaktere aus? Nicht ganz überzeugend. Die Musketiere sind ja per se schon ganz cool, bleiben in dieser Umsetzung aber alle eher blaß; am gewitztesten sind noch die Nebenfiguren und der junge, halbwegs cool-babyfacige D'Artagnan. Als der kindlich-tuntige König das erste Mal einspaziert, kann man schon das Schlimmste befürchten, doch die Figur ist eigentlich ganz nett gezeichnet. Waltz ist völlig verschenkt, Bloom als modisch-eingebildeter Brite ganz okay, der festere Komik-Sidekick überflüssig bis peinlich.

Was diese neueste Musketiere-Version dennoch sehenswert macht, sind so lässige Ideen wie die fetten Zeppeline, und ähnliche 'Over-the-Top'-Spielereien. Wie Anderson hier auf Traditionalismus pfeift, macht schon Spaß, weil es auch so offensiv sinnfrei und überzogen ist. Es gibt aber freilich auch enorm blöde Elemente wie Millas Tanz-Sprünge durch Sicherheits-„Laser“ oder ihr Überleben am Ende; wobei dies schon so jenseitig ist, dass alles schon egal ist. Besonders in Mitleidenschaft gezogen wird der Film durch solche kleineren Schwachsinnigkeiten jedenfalls nicht.

"Die drei Musketiere" aus dem Jahr 2011 ist kein großer Hit und man kann ihn stellvertretend für eine Art von (3D)-Kino-Mainstreamproduktionen sehen, die eigentlich gar nicht gut genug sind, um dafür den mit Kosten verbundenen Weg ins Lichtspielhaus anzutreten bzw. ernsthaft zu empfehlen – die aber umgekehrt einzig im Kino ihre größten Stärken ausspielen und die Mängel noch am ehesten vergessen machen können. Ein kleines Dilemma dieser „netten“, nicht charmefreien Unterhaltungsfilme, die ihren Zweck kurzfristig erfüllen, darüber hinaus aber nichts bieten.

28. September 2011

Michael (Markus Schleinzer) 9,15




Das österreichische Feel Good Kino ist wieder um ein Highlight reicher. Nun haben wir ihn also, den ersten Film nach Fritzl zum Thema Kinderknastkeller und Pädophilie. Wobei Schleinzer glücklicherweise alles andere macht als einen Film über diesen speziellen Fall zu drehen oder gar eine ins Extrem gesteigerte Geschichte zu bebildern, im Gegenteil, sein Werk ist ausgesprochen ruhig und unspektakulär, zwischendurch aber (wenig überraschend ob der Thematik) sehr schrecklich.

Michael heißt übrigens der Erwachsene und nicht das Kind, somit ist der Film vor allem das Psychogramm des (alles andere denn als reinen Monsters dargestellten) „Täters“ - auch wenn Wolfgang, der Junge, fantastisch gespielt ist (sogar so, dass man oft Angst bekommt) und als Identifzierungsperson dient.

Schleinzer scheint perfekt in die Reihe der jüngeren österreichischen „Elendsanalytiker“ wie Seidl und Lehrmeister Haneke zu passen, von diesem scheint er auch einen manchmal unterstellten „Sadismus“ übernommen zu haben. Keine sensationalistischen, jedoch äußerst unangenehme Szenen und eine Art Quälen des Zuschauers finden immer wieder statt – am Ende, in den Minuten vor der bereits vorausahnbaren Schlusseinstellung wird dies besonders intensiv deutlich. Diese Methodik des Filmemachers regt auf, macht fertig und ist gleichzeitig furios. Bemerkenswert ist dabei der Humor im Film (oder wie auch immer man es nennen soll): unerwartet bei so einem „schweren Thema“ gibt es gleich ein paar dieser skurrilen, „typisch östereichisch-provinziellen“ Szenen; der Pädo-Biedermann in der Arbeit, in der Kantine, vor allem beim Skiurlaub, da schießt Schleinzer die Lacher in den bereits ordentlich geplagten und verstörten Zuseher hinein und macht damit etwas, das man eventuell als „meisterlich“ , vielleicht gar nur als seltsam bezeichnen könnte.

Ob diese Methoden bzw. der komplette Film nun „etwas bringen“, was den Umgang mit der grausamen Thematik in der Realität betrifft, außer vielleicht ein medial ohnehin präsentes Thema noch einmal einem Diskurs zuzuführen, ist kaum zu sagen. Dennoch ist Michael definitiv das verstörendste und beklemmendste Werk seit langem - obwohl man zu Beginn noch meinen mag, man wüsste eigentlich eh was da so alles kommen wird. Dabei geht Schleinzer extrem zurückhaltend vor, was sexuelle Handlungen an sich angeht – und dennoch sind auch die Andeutungen kaum ertragbar anzusehen bzw. traut er sich ein paar Mal dann doch sehr viel. Eher steht im Film jedoch die Beziehung zwischen Mann und Kind, zwischen Täter und Opfer im Mittelpunkt; man weiß nicht wieviel hier Spekulation und wieviel repräsentativ ist, jedoch ist diese menschliche Extremsituation, wie sie hier im Kino erlebbar gemacht wird, schon etwas Besonderes, etwas enorm Aufwühlendes.

Fuith (der sympathische Rammbock-Wiener) gibt das Halb-Monster von nebenan mit ungeahnter Qualität, er verkörpert den Biedermann mit der schrecklichen Neigung perfekt. Schleinzer versucht vielleicht, das „Monster“ als „Mensch“ zu zeigen und er zeigt die Beziehung zwischen Mann und Kind auch als etwas sehr Ambivalentes. Gegen Ende nimmt die Dynamik einen vielleicht auch eher unerwarteten Lauf an – ein Film, der sich tiefer einprägt als jede Fritzl oder Dutroux Meldung. Wieviel das dem jeweiligen Filmfreund „wert“ ist, bleibt höchst subjektiv, festzuhalten ist in jedem Fall, dass Michael trotz bekannter Stilmittel (wie stiller bis ruhiger Kamera und einer bekannt „strengen Inszenierung“) ein herausragendes Werk ist.

23. September 2011

Leonera (Pablo Trapero) 8,03




Traperos Folgefilm zu Nacido y criado weist zu jenem sowohl Parallelen als auch Unterschiede auf. Wieder ist es die Studie eines Menschen, der aus seinem Leben gerissen wird, der danach zunächst einmal ganz alleine mit seinem Schmerz ist, und wieder ist es ein rauher, bisweilen sehr harter Film, der seine Hauptfigur jedoch nicht unter- bzw. eingehen lässt.

Diesmal steht eine junge Frau im Mittelpunkt, doch anders als im vorigen Film ist das "Leben vor dem großen Einschnitt" hier nicht zu sehen, der Auftakt ist gleich der große Knall. Die junge Frau muß ins Gefängnis bzw. in den Löwenkäfig ("Leonera" kann man anscheinend so oder so übersetzen).

Es gibt nun einige Unterschiede in Traperos stilistischer und formaler Herangehensweise. Hier ist alles deutlich nach "größerem Kino" ausgerichtet als im vorangegangenen Werk. Die Kamera liefert "schöne", kunstvoll ausgeleuchtete Bilder aus dem Knast, der Film ordnet sich hier auch deutlich in ein Genre ein, bewahrt sich aber neben der Möglichkeit zu kleinen Brüchen und Verspieltem auch stets seinen eigenen Ton, der vor allem schon dadurch entsteht, dass dies ein Gefängnis für Mütter und ihre Kinder, also ein spezielles Subsystem im System "Filmgefängnis", ist.

Ähnlich wie bei Un prophète werden wir von Beginn an die Hauptfigur gekettet, wir sind immer ganz nah dran und wissen nicht einmal ob sie schuldig oder unschuldig ist. Diese Frage wird aber ohnehin nicht die wichtigste im Film sein. Viel eher geht es darum ob und wie Julia es schafft, mit ihrem Schicksal - und ihrem zu Beginn noch ungeborenen Kind - klarzukommen. Trapero zeichnet dabei ein sehr ambivalentes Bild dieser Frau, die z.B. zunächst noch (eindringlich!) auf die ungeborene Frucht einprügelt und später verzweifelt versucht, ein enges Verhältnis zu ihrem Sohn aufzubauen.

Der Film ist vielschichtiger und ambitionierter als der sich zum Vergleich anbietende Vorgänger, dabei wirkt nicht alles immer stimmig, für dichte Spannung ist aber, auch dank des hervorragenden Spiels von Martina Gusman, immer gesorgt. Am Ende zwingt einen Julia noch einmal einen Schritt mitzugehen, bei dem man sie am liebsten zurückpfeifen würde, doch so blöde die Aktion in der tiefen Verzweiflung zunächst wirkt, so sehr gönnt der Regisseur seiner Hauptfigur mit einem meisterhaften, halb offenen Ende eine Art selbst erkämpfte Erlösung.

22. September 2011

Poussières d'Amérique (Arnaud des Pallières) 7,83




Meditativer, nachdenklicher Essay: die anstrengende, langsame Form (Satzteil – Bild – Satzteil – Bild) scheint zunächst nicht einzuladen, diesen Film anzunehmen, doch man kann schnell spüren, dass der Filmemacher mit Stil etwas transportieren vermag; möglicherweise weniger durch seine Texte, aber vor allem durch die vielen Archivbilder, die zum Träumen, Mitschauen und Nachdenken einladen.

Seine sentimental gefärbten persönlichen Texte verleihen dem Werk zumindest einen sehr persönlichen (teils enorm intimen, was immer man auch davon halten mag) Anstrich; auf künstlerischer Seite ist auch die Tonkulisse erwähnenswert: meist ist da „einfach“ klassische Musik, aber in manchen „Episoden“ gruselig unterlegte oder nicht unterlegte, aber noch viel beunruhigend eingesetzte Hintergrundgeräusche von Kindern, Hunden, rufenden Menschen etc…

Ein ziemlich massenuntauglicher Film, den man vielleicht gar nicht 97 Minuten am Stück sehen möchte oder kann und der es dennoch wert ist, sich in ihm, oder zumindest in Fragmenten von ihm zu verlieren. Weil es nicht nur um die Geschichte (bzw. den Staub) Amerikas, sondern um unser aller Leben geht – irgendwie…

20. September 2011

Tournée (Mathieu Amalric) 8,25




Ein verspieltes Erotikshow-Roadmovie: Regie-Debütant Amalric könnte sich dieses „freie“ Filmemachen von seinem Stammregisseur Arnaud Desplechin (vor allem vom letzten gemeinsamen Coup, dem bis jetzt völlig untergegangenen Un conte de noel) abgeschaut haben, ist aber stilistisch bei weitem nicht so experimentierwütig. Doch auch er hat einen Film gedreht, der keinen handelsüblichen Strukturen folgt, sondern jederzeit überallhin kippen kann; eine Flachserei kann zum Drama werden oder eine harmlos-skurrile Szene sich sekundenschnell in einen Eklat verwandeln. Mit dieser wundervollen, (schein-interpretativen?) Herangehensweise und vor allem auch mit seinem liebevoll-natürlichen Blick auf seine Darstellerinnen (und deren Körper und noch wichtiger deren Macken und Krisen) serviert uns Amalric eine großartige, fiebrige Show – und erfreulicherweise den komplexen Backstage-Blick gleich mit. Der Regisseur spielt dabei einen abgewrackten Provinztingler als halb tragische und halb (größere Hälfte) komisch-coole Figur. Ein in jeder Hinsicht „pralles“ Werk mit liebenswürdig schrägen Vögeln und eine Wundertüte voller erinnerungswürdiger Szenen.

18. September 2011

Interludium - Cavalier, Hamburg, Hellman

Le plein de super (1976) 8,28

Anarchisches Männer-Roadmovie mit Typen und Elementen, die heutzutage als politisch völlig unkorrekt gelten würden, in die (französischen Film-)70er aber perfekt passen: Wie aus Bedrohlichkeit und Antipathie sehr unkonventionell Freundschaft wird, wie sich der Film fließend und sehr ungekünstelt zwischen infantiler, schreiender und anzüglicher Komik sowie düsteren und ernsten Tönen bewegt, wie die 4 Männer auf sehr viel scheißen und dahin treiben, das beeindruckt. Super voll: Ein genial wildes, sehr eigenes Abenteuer.



I love you, Man (2009) 8,54

Beim zweiten Ansehen dieses so nett in Erinnerung gebliebenen Spaßes (dt.: Trauzeuge gesucht) schraubt man die Wertung mit gutem Gewissen höher. Eine geniale Komödie, bei der einfach alles stimmt: die Idee eine typische Rom Com über eine Männerfreundschaft zu drehen, die köstlichen Nebenfiguren, die Bandbreite des Humors (ja, auch eine umwerfende Kotzszene kommt vor!) und natürlich vor allem das kongeniale Gespann - sensibler Biedermann (Rudd) und schräger Lebenskünstler (Segel). Einem Film, der durchgehend so sympathisch und witzig ist, muß man sagen: I love you!



Ride in the Whirlwind (1965) 7,30

Der von Jack Nicholson geschriebene Western bezieht seinen Reiz zum einen aus der Reduziertheit (viel Schießereien, wenig Dialoge) und zum anderen daraus, dass harmlose Cowboys durch Zufall plötzlich für gefährlich gehalten, beinhart verfolgt und gehängt werden sollen: existenzielle Tragik mit einem bösen ironischen Augenzwinkern. Die etwas plätschernde erste Hälfte wird gegen Ende doch von wesentlich intensiverer Stimmung abgelöst; diese Zusammenarbeit eines teils sehr verehrten Filmemachers und einer späteren Legende (New) Hollywoods ist keine Großtat, aber ein schnörkelloser Western mit guter Idee.

16. September 2011

Rise of the Planet of the Apes (Rupert Wyatt) 8,60




Ein affengeiler Film, der mehrheitlich ohne Dialoge, mit Menschen als bloßen Nebendarstellern eine packende, dynamische (R-)evolutions-Geschichte erzählt. Der noch eher unbekannte Rupert Wyatt hatte mit The Escapist schon Talent gezeigt und sorgt nun mit überraschend viel Gespür und tollem Regie-Flow für einen äußerst coolen (Rand-?)Mainstreamer.

Der Film hat definitiv Schwächen (die andere Kritiker/Rezipienten/Fans teilweise auch stärker gewichten): man könnte sagen, die Menschen sind (außer Franco) hohl gezeichnete Klischeefiguren, John Lithgows Darstellung eines Alzheimerkranken wirkt sogar eher peinlich denn berührend, und auch der böse „Tierpfleger“ ist an der Grenze zur Lächerlichkeit. Auch sind die abenteuerliche Science-Basis der Geschichte und der Ausblick auf die eigentliche „Affen“-Saga eher vernachlässigbar.

Doch das ist alles egal und kann dem herrlichen Kern dieses umwerfenden Werks nichts anhaben, weil der Film auch für sich genommen bestens funktioniert, weil die Inszenierung der langsam aufgebauten, aber immer mehr mitreißenden Revolution der Unterdrückten vegetativ einschlägt, weil die (ziemlich stark animierten) Affen so umwerfend sind und sich so genial benehmen wie es eben nur Affen können. All you need for a film is apes and revolution.

It’s time to rise!

13. September 2011

Nacido y criado (Pablo Trapero) 7,85




Nüchtern ist der Titel (in etwa "geboren und aufgezogen"), unaufgeregt und ruhig die Inszenierung dieses Dramas um die zunächst schön anlaufende, dann tragische Geschichte eines jungen Vaters, der wegen einer dummen Aufmerksamkeit im Auto mit Frau und Tochter einen schweren Unfall baut.

Nach einem radikalen (Story-)Schnitt sehen wir ihn, alleine, in einer abgelegenen Einöde; die Träume von einem eigenen gemeinsamen Hotel mit der Frau sind vergangen, jetzt arbeitet er an einem trostlosen, meist geschlossenen Flughafen und ist, wenn auch für Außenstehende kaum merklich, schwer traumatisiert vom Verlust seiner geliebten Familie.

Es ist ein ungewöhnlich ruhiger, aber durchaus rauher Männerfilm, der sich viel Zeit lässt um seine Hauptfigur das schreckliche Erlebnis verarbeiten zu lassen: definitiv ein mühsamer, trister Weg dies durch Alkoholexzesse und verzweifelten Sex zu versuchen. Männliche Einsamkeit sowie Freundschaft sind weitere Motive. Man muß sich natürlich einlassen, den armen Hund auf diesem Weg – in beschleunigter Spielfilmfassung – zu begleiten; entlohnt wird man mit einem, trotz bitterer Thematik, schönen „kleinen“ Film und einem erstaunlichen Ende.

12. September 2011

No One knows about Persian Cats (Bahman Ghobadi) 8,05




Gewitzter, subversiver Streifzug durch den musikalischen „Underground“ des Iran: Zwei Musiker wollen eine Band gründen und dann ins Ausland gehen, auf der Suche nach Gleichgesinnten klappern sie etliche Bands sämtlicher Musikstile ab, die Ghobadi immer spielen lässt und - musikvideo-artig, rasend - Bilder aus dem Alltag des Iran dazu montiert. Der Film hat eine positive, revolutionäre Grundstimmung, die nach einer Weile zum Mitschwingen einlädt. Ghobadi, ein außergewöhnlicher Filmemacher solch großartiger Werke wie Die Zeit der trunkenen Pferde und Schildkröten können fliegen, gibt natürlich auch den tristen Seiten der (lokalen) Welt einen Platz (und singt auch, wie man erst im Abspann realisiert, selbst im Film, richtig rauh und melancholisch).

Etwas schade sind die finalen Minuten, in denen plötzlich handlungslastige Tragik eher aufgesetzt wirkt und das flotte Feeling des Films durch langsames Tempo ersetzt wird: nicht ganz gelungen und nicht ganz zum Rest passend dieses Ende. Dennoch ist dies einer der besten Musikfilme, die man sich vorstellen kann, wegen seines frechen politischen Grundtons und weil er die Bandbreite toller Musik, von Akustikballaden zu Metal, von Rap zu folkloristischer Musik, vom Blues zum Indie Rock vermittelt; ideal für einen entspannten Abend, bei dem man zusätzlich ein vielleicht noch ungekanntes Gefühl für ein arabisches Land und Leute bekommt.

11. September 2011

Midnight in Paris (Woody Allen) 5,40




Aus der sehr charmanten Idee eines geplagten Schriftstellers, der in Pariser Nächten auf Literatur- und Kunstgenies der Vergangenheit trifft, macht Woody Allen im Detail leider eher wenig. Der Witz der Gegenwartshandlung um Frau, Schwiegereltern und Nebenbuhler fällt auch flach oder zu bekannt aus, gerade im Vergleich zu den vielen besseren Werken des alten Helden des Neurotikerwitzes. Ob die Darstellung der zahlreich auftretenden Promis wie Fitzgerald, Hemingway oder Dali gut gelungen/parodistisch ist oder nicht, mag ich nicht beurteilen, jedoch bleibt eher der Eindruck eines flachen Schaulaufens.

Besonders witzig ist das alles nicht, durchaus aber romantisch in jedem Sinne. Owen Wilsons Flanieren durch die nächtlichen Straßen, sein Eintauchen in eine besondere Welt, das macht Laune und man kann sehr beschwingt aus dem Film gehen, obwohl er eigentlich ziemlich mittelmäßig ist. Am Ende ist immerhin die Idee mit dem weiteren Zeitsprung witzig.

10. September 2011

Die Liebe der Kinder (Franz Müller) 7,43




Ein Beziehungsfilm, der bzw. dessen Liebespaar sich besonders unkonventionell gibt. Was der fast schon avantgardistisch abgehackte Stil alleine jedoch nicht schafft, vermag die zweite Ebene an Profil einzubringen: Als sich die Kinder der Verliebten auch noch verlieben, gerät die Welt der zuvor so „coolen“, alles andere als biederen oder verklemmten Eltern aus den Fugen…

Die wesentlich bodenständigeren Erziehungsfragen und zu bearbeitenden Eltern-Kind Beziehungen, die sich daraus ergeben, sind das Spannendste am Film; wie Müller die eigentliche Beziehung der Erwachsenen inszeniert, ist schon auch sehenswert und manchmal sehr intensiv, doch es bleibt neben allem, in dem der Film schon toll ist, halt auch ein wenig das Gefühl von Künstlichkeit und allzugroßem Bemühen, besonders ausgefallen zu sein.

6. September 2011

Cars 2 (John Lasseter & Brad Lewis) 7,44




Nach den coolen Käfern, Monstern und Unterwasserwesen schienen sprechende Autos von Pixar vor ein paar Jahren eher blöd denn cool zu sein und der erste "Cars"-Teil besaß vor allem auch bei weitem nicht die Originalität und den Irrwitz seiner Firmenkollegen. Dennoch war der Film aller Skepsis zum Trotz charmant und auf simpel-gutmütige Art gelungen. (Die detailverliebten, immer sympathischen Pixar-Produktionen sind Konkurrenten a la Rio ohnehin fast immer überlegen.)

Der zweite Teil beginnt wie James Bond mit Autos: man hat sich bereits an das „everything goes“ gewöhnt und kann fortan den ulkigen Nonsens genießen. Dass das eher amerikanisch-Provinzielle mit der weiten Welt und den übrigens atemberaubend und Kieferschluß-verunmöglichend animierten Schauplätzen in Japan und Italien (sowie einer kurzen, ganz netten Klischeeparade in Paris) ersetzt wurde, lässt den Film nochmal unterhaltsamer und ansprechender werden.

Leider wohnen dem Auto-Rennen-Geblödel (das sich natürlich nicht annähernd auf wahnwitzigem Ricky Bobby-Niveau befindet) teilweise auch schrecklich abgestandene Klischees und allzu dümmlicher Humor inne, doch andererseits entschädigen die Rasanz (und Spannung) der Rennen sowie der parallel montierten Spionagestory dafür deutlich – Cars 2 ist sicher nicht der faszinierendste Pixar-Output, macht aber eine Menge Spaß und sollte mit Einschränkungen für alle Fans von turbulent-kindgerechter, aufwändig animierter Action-Komik sehr sehenswert sein.

4. September 2011

The Man from London (Béla Tarr) 6,71




Ein richtig sperriger Film des Königs der Ultra-Langsamkeit, der elend langen Kamerafahrten: dieser sehr spezielle Stil machte schon den faszinierenden Vorgänger Werckmeister Harmoniak anstrengend, an den über 7-stündigen Satantango mag man gar nicht denken. Auf Plotebene scheint dieser Film (ein Krimi nach Georges Simenon) eher simpel gehalten und damit in Kombination mit der quälenden Langsamkeit schon früh zu verlieren – im Kino würde man so etwas vielleicht kaum ertragen. Doch zuhause vor dem Fernsehgerät (in diesem Fall unter Begehung einer cineastischen Todsünde namens leichtem Vorlauf und Einlegen von Pausen) kann der Film nach einiger Zeit doch noch erfreuen; während Tarrs ständige Spiele mit Licht und Schatten des in sehr elegantem Schwarz-Weiß gedrehten Werks ohnehin faszinieren, kommt mit Fortdauer tatsächlich noch Schwung (naja, so etwas wie S..c..h..w..u..n………g) hinein; initiiert vielleicht von einer unerwarteten Tanzszene wird man aus der Apathie geweckt und weiter "gefesselt" durch die hypnotische Wirkung des Filmens schrulliger Gesichter, die (während getragener Dialoge und dazwischen) leiden und ihr Leid reflektieren, ist dem Werk noch Einiges abzugewinnen, auch wenn man den Plot vielleicht aufgrund vorhergehender Zuseh-Qualen schon gar nicht mehr zur Gänze fassen kann. Schlußendlich schaut man diese mehrsprachige Ultrazeitlupenkunst doch noch zu Ende und da offenbaren sich immer mehr die Qualitäten in Tarrs originell-tiefschürfender Inszenierung eines „gewöhnlichen Krimis“: die existenzielle Tragik der Figuren bleibt haften und beeindruckt.

3. September 2011

Interludium - Crichton, Mulcahy, E.Roth

Westworld (1973) 8,45

Kultige Sci-Fi Satire auf Menschen, die im Urlaub ihre Fantasien ausleben und dabei Roboter ausbeuten dürfen. Die sich schönerweise irgendwann rächen und richtiggehend Amok laufen. Der Film ist nicht besonders dicht, eher locker unterhaltsam. Extrem interessant sind aber Yul Brunner bzw. diverse Vernichtungsszenen am Ende als offensichtliches Terminator-Vorbild!


Highlander (1986) 7,88

Grenzgeniales Trashvergnügen - lag vielleicht zu mehr als 50% an der deutschen Synchronisation, vor allem des ständig schrecklich grunzenden(?) Bösewichts. Doch auch die Blicke und Gesten von Lambert in den Highland-Szenen sind göttlich. Inszeniert ist der Film ziemlich cool, die Kamera wie auf Drogen - Mulcahy enorm ambitioniert, extravagant zu sein. Die Mischung aus epischen Kampfszenen, Terminator-Kopie-Anteilen und herrlich naiven (Story-)Elementen sorgt für mächtigen Spaß.


Hostel 2 (2007) 5,31

Im Prinzip der erste Film noch einmal mit ein paar guten Ideen, die Roth sozusagen zu spät gekommen sein dürften. Es bereichert das kleine Hostel-Universum zwar (satirisch), dass der Fokus mehr auf die Kunden gelegt wird, und auch die schaurigste/ansprechendste Szene des Films mit der Blutbadewanne (sowie vielleicht noch die klamaukigste mit der Kastration) sind sehenswert, doch sie rechtfertigen ein sonstiges schlichtes Aufwärmen und zunehmend langweilendes Wiederholen des ersten Teils halt kaum.

2. September 2011

Unten Mitte Kinn (Nicolas Wackerbarth) 6,93



Wenn man so wie ich diese typische Theater-Atmosphäre, dieses Gehabe kaum ausstehen kann, dann scheint dieser Film zunächst auch nichts zu sein. Die Akteure präsentieren sich anfangs noch extra unsympathisch und nervig. Doch Wackerbarths Film erreicht irgendwann diese Schwelle, an der man dann vielleicht doch nicht abdrehen mag: er entwickelt einen Sog. Das Ebenenspiel mit einem dokumentarisch wirkenden Film über Schauspieler, die immer wieder Szenen proben und bei denen es vielleicht auch dazwischen darum geht, anderen etwas vorzuspielen, ist sehr geschickt angelegt. In den besten Momenten (die sich mit Verlauf immer mehr häufen) ist eine angespannte Stimmung spürbar, fast so als ob man sich in einer Art Horrorfilm befände, in dem jederzeit etwas Grausames passieren könnte (vielleicht könnte man bezüglich Look und Stimmung sogar eine ferne Verwandtschaft zu Black Swan attestieren, natürlich ohne jegliche Fantasyelemente).

Selbst wenn einem diese Theater(stadl)welt an sich also eher fremd ist und das Getue peinlich anmutet, fesseln die Figuren und ihr Schicksal, man erkennt die Qualität, die Wackerbarth subtil in diesen oberflächlich total glanzlosen, aber gerissenen Film einflicht. Das Ende ist überraschend, witzig, frech und unverschämt offen. Abgangsapplaus nach anfänglicher Skepsis!