31. Januar 2012

Filmjahr 2011 - Die Bilanz

Wie jedes Jahr zu diesem Zeitpunkt gibt es natürlich noch weitere spannende Werke des abgelaufenen Jahrgangs zu sehen, aber nach den aus meiner Sicht relevantesten 147 Filmpremieren des Jahres 2011 mache ich hier mal einen Cut für meine Bilanz.

2011 war (neben meinem persönlichen Kinorekord von 81 Vorstellungen) definitiv das Jahr der vielen ambitionierten, „großen“, aber in meinen Augen nicht ganz überzeugenden Werke (u.a. von Malick und von Trier über Aronofsky, Noe bis zu Innaritu und Godard – sowie auf Festivalebene Naderi und Ceylan), aber auch eines, in der mir erfreulicher- und absolut erstaunlicherweise kein einziger wirklich mieser neuer Film unter kam (Tiefstwertung gerade mal 3,90 Punkte!).

Allerdings war auch die Anzahl der Filme, die mich völlig weggeblasen haben, etwas geringer als in den Jahren davor.

Auf die Highlight-Liste mit allen „großartig bis unbedingt sehenswert“-Werken (Cut bei 8,25 Punkten) haben es aber dennoch folgende 29 feine Filme geschafft:

  1. Pardonnez-moi (Maïwenn Le Besco)
  2. Michael (Markus Schleinzer)
  3. Another Year (Mike Leigh)
  4. Beginners (Mike Mills)
  5. Bridesmaids (Paul Feig)
  6. Nader und Simin (Asghar Farhadi)
  7. Kinatay (Brillante Mendoza)
  8. Johnny Mad Dog (Jean-Stéphane Sauvaire)
  9. Le père de mes enfants (Mia Hansen-Love)
  10. 1 Journée (Jacob Berger)
  11. The Rise of the Planet of the Apes (Rupert Wyatt)
  12. 127 Hours (Danny Boyle)
  13. Nanjing! Nanjing! – City of Life and Death (Lu Chuan)
  14. Whores’ Glory (Michael Glawogger)
  15. Ajami (Scandar Copti/Yaron Shani)
  16. Lebanon (Samuel Maoz)
  17. Haevnen/"In einer besseren Welt" (Susanne Bier)
  18. Terri (Azazel Jacobs)
  19. Les Regrets (Cédric Kahn)
  20. Towelhead (Alan Ball)
  21. Habemus Papam (Nanni Moretti)
  22. Mammoth (Lukas Moodysson)
  23. Rubber (Quentin Dupieux)
  24. J’ai tué ma mère (Xavier Dolan)
  25. Blue Valentine (Derek Cianfrance)
  26. Le refuge (Francois Ozon)
  27. American Falls (Phil Solomon)
  28. Tournée (Mathieu Amalric)
  29. Margin Call (JC Chandor)
  30. Un home qui crie (Mahamat-Saleh Haroun)


Alles weitere, in Kategorien zusammengefasst und jeweils nach Punkten absteigend geordnet:



Gut/sehenswert:

The Woman
Atmen
Tokyo Sonata
Delirious
Nostalgia de la luz
Mission Impossible – Ghost Protocol
Les chants de Mandrin
La Consultation
Arrietty
“Das Erdloch”
The kids grow up
La Guerre est déclarée
Die Stille der Unschuld
Inside Job
King Kongs Tränen
No One knows about Persian Cats
Katka
The Wackness
Aleksandra
Tintin
Putty Hill
Soft Palate
Old Joy
Cold Fish
Fish Tank
Thor
“Der Fang”
Nacido y criado
Le Havre
“Der Staub Amerikas”
Kynodontas /Dogtooth
Four Lions
I come with the rain
Orly
Crazy, Stupid, Love.
Octubre
Egal was ich tue, sie lieben es
Territoire perdu
Folge mir
A dangerous method
Temple Grandin
Bloody Mondays and Strawberry Pies
Svet-Ake


Auch ziemlich gut, mit kleinen Mängeln:

The Guard
Tehilim
The sound of insects
Shadow Cuts
“Das Lied der Sperlinge”
I’m still here
Essential Killing
The Tree of Life
Cars 2
Trolljegeren
Die Liebe der Kinder
Schlafkrankheit


Okay/nett, aber nicht rundum überzeugend:

„How i ended this summer“
Contagion
Somos lo que hay
Mr. Nobody
Jane Eyre
Genova
La belle endormie
Tranzania. Living. Room.
Schattenzeit
Source Code
Into Eternity
Die Vaterlosen
Unten Mitte Kinn
Io sono l’amore
Rabbit Hole


Die „kunstvollen“, aber dabei nicht ganz überzeugenden Sieben:

Black Swan
AUN
The Man from London
Melancholia
Les amours imaginaires
Nénette
Enter the Void


Nicht wirklich gut, aber relativ sympathisch/unterhaltsam:

The King’s Speech
Cave of forgotten dreams
Super 8
La piel que habito
Abendland
“Once upon a time in Anatolia”
Attenberg
Attack the Block
Wenn die Welt uns gehört
L’illusionniste
Armadillo
Pirates of the Caribbean 4
Dreileben – Etwas Besseres als den Tod
Dreileben – Eine Minute Dunkel
Secrets of the tribe
The fourth portrait


Mittelmaß, ohne oder trotz Ambitionen:

Sauna
Biutiful
Midnight in Paris
Rango
Os Residentes
Waffenstillstand
Schwarzkopf
Lady Blue Shanghai
Es war einer von uns
Cut
Hanna
Delta


Die 2 heftigen Serben:

Srpski Film (6/10)
"Leben und Tod einer Pornobande" (4/10)


Enttäuschend/schwach/gescheitert:

Film Socialisme
Hollywood Fling
Kokuhaku/Geständnisse
Dreileben – Komm mir nicht nach
Bedways
La mujer sin cabeza
Heartless




Natürlich habe ich nicht auf Takashi Miikes 13 Assassins vergessen; da ich jedoch noch immer nicht einmal den Überklassiker "Sieben Samurai" geschweige denn die Vorlage für Miikes neues Werk kenne, möchte ich zuvor mal diese Werke genießen, bevor ich mich auf Miikes Neuinterpretation wage.

Animal Kingdom und "Detective Dee" wurden nach jeweils 15 Minuten abgebrochen, da sie mich auf den ersten Blick nicht besonders angesprochen haben – auch das wird vielleicht noch nachgeholt. Dasselbe gilt für Restrepo, bis auf das Nachholen vermutlich. Get low habe ich sogar zur Hälfte gesehen, musste dann abbrechen, und danach gab es kaum mehr Motivation, weiterzuschauen – sicher „nett“, aber naja. In eine ähnliche Kategorie fiel durchaus überraschend auch "Still walking"...

Mother“ bin ich (wegen des Regisseurs von „The Host“) mit großen Erwartungen angegangen, aber was ich da in den ersten 45 Minuten sah und was ich mir für den Rest des Films erwarte, hat mich nicht umgehauen, sodass ich auch hier erstmal abbrach und mich anderem widmete..

Die beiden Romanverfilmungen Never let me go (Buch schon gelesen) und „Norwegian Wood“ (bin am Buch gerade dran) habe ich wegen dem gesenkten „Originalitätsfaktor“ auch erst mal hinten angestellt.

Den sehr spannend klingenden Essay Photographic Memory habe ich leider verpasst, als er auf arte lief; eine Möglichkeit, diesen Film sonst wo aufzutreiben, konnte ich bis jetzt nicht finden.

Auf der unbedingten "Watch- aber vom Gefühl her nicht ultra-relevant-List" 2011 stehen noch so einige Filme:
Unter dir die Stadt, Fireworks Wednesday, Limitless, Cassandras Warnung, Le nom des gens, Le roi de l’evasion, Au fond des bois, Cosa voglio di piu, X-Men First Class, Insidious, New Kids Turbo, Fast Five, The Fighter, The Mechanic, Poll, Unter Kontrolle, The Way Back, Rapt, Hors la loi, Underwater Love, The Ides of March, Bobby Fischer against the world, u.e.a.


Mysterios de Lisboa vom verstorbenen Raul Ruiz wurde bei arte als TV-Version ausgestrahlt, möglicherweise wird der angeblich feinere Kino-Cut noch 2012 veröffentlicht und dann dazu gezählt…

Die Filme Mörderschwestern, Adams Ende und Aurora liefen 2011 zu kurz oder völlig unpassend für mich im Kino und werden daher ausnahmsweise erst dem Jahr 2012 (bei zu erwartender DVD-VÖ) zugezählt. Gleiches gilt auch für den im Verleih bereits kurz vor Jahresende erschienenen Super und den auf DVD erwerbbaren Raavanan, der im März 2012 im Wiener Filmmuseum auf der Leinwand vorgeführt wird.

Wahnsinn, was in einem Jahr so alles zusammenkommt, aber das war es dann vermutlich auch:

Finally a happy new filmyear 2012! :)


30. Januar 2012

Lebanon (Samuel Maoz) 8,43




Vier junge Männer finden sich plötzlich in einem Krieg - und die Zuseher mit ihnen den gesamten Film in einem Panzer. Dieses starke Konzept, dessen formal strenge, aber dennoch nie langweilige Umsetzung ein bisschen an Kubrick erinnert, macht diesen Film so beklemmend; irgendwo ähnelnd der Intensität von Black Hawk Down und dem letzten großen Kriegsfilm, Kathryn Bigelows The Hurt Locker.

Das Kammerspiel "Lebanon" thematisiert vor allem das Grauen des Krieges, das junge Männer von einer Sekunde auf die andere ohne große Vorbereitung in die Hölle des Tötens oder Getötet werden hineinwirft - der Mann an der Panzer-Kanone bringt es zunächst nicht fertig, auf ein sich rasend näherndes Kamikaze-Auto zu feuern, kurz danach folgt er den Befehlen und feuert wie wild – auf einen harmlosen alten Mann in einem Hühner-Transporter.

Maoz gelingt in den ersten zwei Dritteln, vor allem in ein-zwei solcher bestürzenden „Zivilisten-Szenen“ ein nüchternes, genau konzipiertes, beklemmendes Antikriegsplädoyer; leider versucht er sich gegen Ende an einer Art Spannungsaufbau und Psycho-Elementen, was dem Film weniger gut tut und nicht so recht ins restliche Konzept passen mag.

Dennoch ist es ein eindrucksvoller Vertreter einer Gattung, die sich angesichts der nicht enden wollenden Kriege auf unserer Erde nie erschöpfen wird können: Zu Beginn sahen wir ein riesiges Feld voller Sonnenblumen – am Ende dieselbe Einstellung nochmal, mit Panzer: Es ist ein hervorragend metaphorisches Bild: geknickt und gebeutelt sind diese Sonnenblumen – wie Menschen vom Krieg.

29. Januar 2012

Di si zhang hua (Mong-Hong Chung) 5,70




The fourth portrait
: Ein wieder mal im kuriosen Sinne schräger asiatischer Film, der zunächst auch ungemein atmosphärisch und vielversprechend beginnt. Danach läuft die Geschichte um einen kleinen Jungen, dessen Vater stirbt, leider eher bruchstückhaft und teilweise sehr seltsam humorvoll ab; auch deswegen will sich vielleicht kein Mitgefühl für diese Geschichte einstellen - dem Regisseur gelingt es überhaupt nicht, eine Linie zu finden; sein sensibles 'Outsider-Familiengeheimnis'-Drama taumelt und strudelt schlangenlinienartig dahin.

Gegen Ende schafft er es dann - schon unerwartet - doch noch, sich zu konzentrieren, auf seine Figuren und auf eine bittere, traurige Geschichte; man ahnt, dass hier das Potential für einen deutlich besseren Film da gewesen wäre. So gibt es rückblickend kaum einen Grund, sich dieses Werk anzuschauen, aber zumindest einen Funken Sympathie.

24. Januar 2012

Fish Tank (Andrea Arnold) 7,88




Die Klasse und teilweise verstörende Intensität des Vorgängers Red Road wird zwar nicht ganz erreicht, aber auch dieses Werk der britischen Filmemacherin ist wieder ein eindrucks- und kraftvolles Sozialdrama - um eine junge Frau zwischen Gemeindebautristesse, Tanzträumen und Liebe zum Freund der auch nicht viel älteren Mutter - sehr überzeugend gespielt (u.a. Michael Fassbender in einer heiklen Rolle) und von Andrea Arnold mit rauem und authentischem Flair inszeniert.

20. Januar 2012

La Consultation (Hélène de Crécy) 8,17




Die Sprechstunde
: Ein praktischer Arzt als Anlaufstelle für alle möglichen Probleme. In jeweils ein paar Minuten langen Ausschnitten aus Gesprächen und Untersuchungen gibt es Einblicke in medizinische und menschliche Geschichten. Besonders interessant ist es, die psychologischen Kompetenzen dieses seriös-verschmitzten Mediziners beobachten, der mit Sinn für Humor, Menschlichkeit und präzis analysierend seine Patienten behandelt.

In einer Gesellschaft, in der Druck aber auch Forderungen der Patienten nach einfachen, medikamentösen Lösungen von komplizierten Erkrankungen oder systemischen Problematiken keine Seltenheit sind, kann ein guter Arzt mit viel Erfahrung und Leidenschaft hier wichtige Arbeit leisten - auch davon berichtet dieser heitere bis ergreifende Dokumentarfilm.

19. Januar 2012

Le Havre (Aki Kaurismäki) 7,85




Kaurismäkis relaxt-sympathisch-humanistische Sozialdramödie um einen afrikanischen Flüchtlingsjungen auf der „Durchreise“ und einen entspannten alten Schuhputzer, der ihm hilft, bringt den erwartet rundum netten Kinoabend, und ist auch nach dem zuletzt schon etwas schnarchigen „Lichter der Vorstadt“ erfreulich frisch geraten. Mehr als ein nettes "Märchen" ist es aber trotz einer wunderbaren Grundhaltung zur Abschiebungspolitik auch wieder nicht.

18. Januar 2012

Cave of forgotten dreams (Werner Herzog) 6,46




Was enorm aufregend und teilweise atemberaubend schön beginnt, erreicht leider nie die Nähe der außergewöhnlichen Qualität von Herzogs Encounters at the end of the world, sondern verflacht doch etwas. Vor allem ist der Film nur an wenigen Stellen „herzogesk“ schräg oder clever gewitzt: ein bisschen zu brav vielleicht. Letztlich ist aus einer Dokumentation über Höhlenmalereien halt auch nicht viel mehr herauszuholen; klar spricht Herzog auch über Parallelen zum Kino und Ursprünge von Kunst und streckenweise ist sein Film auch faszinierend und interessant, aber über 90 Minuten ähnelt das einer Führung: irgendwann möchte man sich am liebsten von der Gruppe abseilen und vielleicht selbst etwas entdecken oder in anderem Tempo weiter gehen…

Grenzgenial ist dafür das überraschende Kernkraft-Postscriptum - wieder mal mit Alligatoren.

12. Januar 2012

Mr. Nobody (Jaco van Dormael) 7,35




Die geschmeidige, phantasievolle Inszenierung dieses Films ist meisterlich. Inhaltlich scheint es in den ersten Minuten auf einen gigantischen "Mindfuck", auf ganz großes Kino hinauszulaufen. Nach einiger Zeit wähnt man sich „nur“ noch in einem filmischen Entwicklungsroman, durchgehend so traumhaft schön inszeniert, dass man die 150 Minuten Laufzeit so intensiv wie möglich genießen will.

Ein Mann zwischen drei Frauen, das Kind zwischen den Eltern: auf welche Schiene des Lebens begibt man sich? Diese leicht philosophischen Elemente werden immer wieder durchsetzt von einer satirischen futuristischen Rahmenhandlung.

In der Endabrechnung ist van Dormaels Poesie leider nicht ganz so großartig, wie man es lange Zeit spüren konnte. Die „Auflösung“ ist so banal wie nur möglich, doch das ändert ja nicht viel an dem, was vorher so angenehm war. Vielleicht können vielmehr Länge und „Schönheit“ des Films irgendwann nicht mehr über eine gewisse Absenz von echtem Tiefgang hinweg täuschen. Vielleicht ist die Essenz des Films, die uns nach zweieinhalb schwer greifbaren Stunden letztlich vermittelt wird, am Ende das ganze Brimborium gar nicht wert (wenn man etwas kritischer hinblickt), dennoch war es irgendwie sehr schön sich dem hinzugeben -

(bei all dem drängt sich schon wieder ein Filmvergleich auf, und zwar einer mit dem ebenfalls ganz famos inszenierten, aber dennoch, vielleicht auch aufgrund gewisser Redundanzen und leichten Banalitäten, nicht völlig begeisternden The Tree of Life!).

11. Januar 2012

1 journée (Jacob Berger) 8,64




Ein wunderbarer (sorry:) „kleiner“ Film, dessen Regisseur es leichtfüßig vereinen kann, unheimlich nah an menschlichen Problemen zu sein, eine künstlerisch ansprechende Bildsprache und Umsetzung zu finden und dabei (trotz manchmal arger Symbolik) keine Sekunde abgehoben zu wirken.

Es geht um einen Mann am Abgrund (der so oft großartige Bruno Todeschini), zwischen Lebensüberdruss und Ehebruch, um seine Frau mit Zwangsstörung, und ihr gemeinsames, aufgewecktes Kind. Der faszinierend zwischen düsteren, semidrastischen und zärtlichen Szenen oszillierende Seelentrip wird quasi in drei Kapiteln erzählt, die sich ineinander verschlingen. Was dabei genau passiert und wie es Berger gelingt, all seine Elemente geschmeidig zu einem berührenden Stück über das Verlieren und das Wieder(zueinander)finden, über Trauer, Wut, Angst und ihre positiven Gegenkräfte zu verbinden, soll hier nicht zu sehr in Textform erläutert werden: diesen (kaum bekannten) Film muß man spüren, muß sich ihm (wie immer am besten ohne Vorinformationen) ergeben und von seiner ganz eigenen, zärtlich-herben Art verführen und berühren lassen.

10. Januar 2012

Kokuhaku (Tetsuya Nakashima) 4,30




Ein sehr spezielles, irgendwo zwischen provokanter Künstlichkeit und versuchter/allzu gewollter „Kunst“, zwischen düsterem Ernst und fast kindlichem Humor pendelndes, nunja: Rachedrama. Irgendwie ist es noch faszinierend, dass man sich für den erzählten(!) Prolog eine gute halbe Stunde(!) Zeit nimmt, zugleich aber auch da schon etwas nervtötend.

Die Welt, die Figuren; in Geständnisse ist alles betont düster, doch – und das könnte der Hauptgrund für das Scheitern des Films sein – es mag sich, auch weil die Beweggründe und Handlungen und Figuren in dieser Welt sehr künstlich wirken, kaum echte Beklemmung einstellen. Die ewiggleiche Inszenierung mit per se ja ziemlich lässiger Musikuntermalung kann man vielleicht noch als künstlerisch gelungen, aber noch mehr als zäh und eintönig betrachten.

Inhaltlich ist der Film sowieso unbestreitbar krude und zwar richtig. All diese extremen Seelenschmerzen, all die Bitterkeit können auch darum (und auch wegen der künstlichen Form) nicht durchdringen, können gar nicht reinstoßen ins Herz, das Megapathos kann die Oberflächlichkeit nicht verbergen. Ein seltsames Ding, das in seinem genuinen Versuch, eine grimmige Geschichte kompliziert zu erzählen und dabei audiovisuell „formvollendet“ zu inszenieren, völlig implodiert – so gesehen wohl ein „perfekter“ Nachfolger zum seinerzeit ebenso schräg überladenen (und ebenso von anderen gemochten) „Sympathy for Lady Vengeance“.

5. Januar 2012

Melancholia (Lars von Trier) 6,69




Die Studie einer Depression kombiniert mit einem sehr intimen Weltuntergang: das ist schon sehr reizvoll…was wird im Detail draus?


Der opulente Vorspann erinnert an Kubricks Überwerk 2001 und interessanterweise an den zeitgleich gelaufenen Tree of Life; danach sind wir stilistisch schon wieder beim „Dogma“, wobei von Trier mit der „Limousine in der engen Kurve“-Szene gleich sehr humorvoll den bevorstehenden Weltuntergang kontert.

Anschließend erleben wir eine kleine menschliche Katastrophe im Zeitlupentempo. Das ist rückblickend faszinierend (und die Studie von Justine hat gar nicht allzuviel mit einer Variation von Festen zu tun, wie man an mancher Stelle liest), doch - und das gilt für den gesamten Film - von Trier war in fast allen seinen vorherigen Arbeiten schon viel packender…hier wirkt alles fast wie durch einen Wattebausch schaumgebremst. Mag Absicht sein, aber Melancholia ist dadurch auch die meiste Zeit einen Tick zu wenig einnehmend für einen wirklich großartigen Film.

In Verbindung mit dem drohenden Ende der Erde ist dieser Stil natürlich schon wieder grenzgenial, dennoch will sich in den mehr als 2 Stunden keine große Begeisterung einstellen. Vielleicht schadet auch das gefühlte ständige Augenzwinkern den für sich gelungen gezeigten menschlichen Tragödien. Dennoch Respekt dafür, dass von Trier gelassen und genau filmt, ohne allzu sehr auf Verstörung oder ähnliches aus zu sein (Katze in den Schwanz: das ist aber auch immer seine große Stärke gewesen).

Gegen Ende ist die Stimmung dann phänomenal und höchst beunruhigend, der Schlussabschnitt ist wahrlich groß. Die letzten Minuten sind von einer unglaublichen Intensität, die zum Kehraus den vielleicht größten kalten Schauer bietet, den man im Kino seit langem erleben konnte. Ja, im Nachhinein ist Melancholia ein sehr respektabler Film, ein außergewöhnlicher Entwurf. Aber man darf und muss es in dem Fall auch mal aussprechen: der große Feind sind hier die Längen und eine gewisse Belanglosigkeit einer vielleicht sogar künstlerisch geistvollen, zugleich jedoch auch recht sinnentleerten Apokalypsen-Konstellation.

4. Januar 2012

Crazy, Stupid, Love. (Glenn Ficarra & John Requa) 7,67




Hat so seine Schwäch-chen, der makellose Womanizer ist auch nicht die ideale Rolle für Gosling, das meiste verläuft typisch wie es eben in diesen Filmen läuft, auch das ‚Highlight‘ der späten Zusammenführung aller Personen ist eher konventionell, doch witzig gestaltet.

Das auf frischen Wind setzende Regieduo, deren Vorgänger "Phillip Morris" grenzgenial und auch schon an der Grenze zwischen Konvention und Subversion war, gibt sich hier noch mal sanfter, doch ihre unverkrampfte Art, tendenziell schwierige und peinliche Situationen in Liebesdingen zu inszenieren, macht Spaß. Sehr lustig ist auch (wie öfters in Komödien) Marisa Tomei mit ihrer exaltiert-ironischen „Temperament“-Performance.

Dieser Film ist weder perfekt noch wunderschön, doch man kann sich ein wenig in ihn verlieben – Romance rules, assholes!

3. Januar 2012

Pardonnez-moi (Maïwenn Le Besco) 9,23




Was sehr mühsam und sperrig beginnt, entwickelt sich zu einem unglaublichen, kraftvollen, enorm schmerzhaften, bewundernswerten, radikalen, experimentellen, mutigen Stück Kino. Ein Film des Jahres, der bereits 5 Jahre alt ist und nun immerhin von arte noch einem deutschsprachigen Publikum (das man vermutlich an zwei Händen abzählen hat können) vorgeführt wurde.

Die zweite Regiearbeit der jungen Maiwenn ist eine Geschichte von Kindesmisshandlung, umgesetzt in einen Film in einem Film. Die Filmemacherin spielt Violette, eine junge Frau, die ihr Kindheitstrauma bekämpfen will, indem sie einen schonungslosen Film über ihre Familie dreht, vor allem über ihren Vater, der sie einst geschlagen hat…

Die forsche junge Dame bewaffnet sich also mit einer Kamera, um durch diesen, eigenen Film vielleicht endlich Erlösung – oder einfach eine Entschuldigung zu finden. In einer witzigen Szene geht sie in ein Fachgeschäft und sagt, sie wolle einen Film fürs Kino machen, worauf der Verkäufer Top-Geräte empfiehlt, vor allem für ruhige Bilder. Die braucht und will Violette aber für ihren Film nicht – genauso wenig wie Maiwenn für ihren. Was sich hier vielleicht etwas gekünstelt anhört, ist meisterlich umgesetzt, was diesen Film aber neben allen Metaebenen-Experimenten (inklusive Kindheits-„Videointerview“-Aufnahmen von Maiwenn!) und dem enormen psychologischen Tiefgang so ins Innere bohren lässt, sind die unglaublich intensiv gespielten Szenen, in denen Violette bzw. Maiwenn die Familie mit ihren Schmerzen konfrontiert; das lässt selbst einen so beklemmenden Film wie Michael im losen Vergleich harmlos wirken.

Verzeiht mir ist der schmerzvolle Schrei einer verwundeten Seele und die Bebilderung eines bitteren Kampfes um Seelenfrieden; darüber hinaus ist es der Beweis, dass radikales Kino mitunter immer mehr unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfindet; sicher muß man auch konstatieren, dass solch intensive Szenen derart experimentell serviert schon generell nicht viele ansprechen. Auch im Film (im Film) wird übrigens einmal eine Diskussion um die breite Masse geführt: doch außerhalb Frankreichs wird dieses herausragend schonungslose Werk leider kaum jemand gesehen haben.