30. Juni 2011

Inter - 'no time for posting-break' beeendendes - Ludium (Kerrigan, Scorsese, Kalatozov)


Clean, Shaven (1993) 8,44


Ungewöhnliches Thrillerdrama um einen von Wahnvorstellungen geplagten Vater, der seine Tochter sucht. Zugleich sucht auch ein Polizist nach einem Mädchenmörder…

Kerrigan lässt seine Figuren und auch den Zuseher rätseln, was hier wirklich vorgeht. Der stellenweise sehr intensive, stets subtil verstörende Film ist in vielerlei Hinsicht ein typisch amerikanisches Indie-Werk der 90er: richtig schäbig sieht es aus und die raue Herangehensweise verhindert von vornherein einen „Publikumshit“, auch wenn der Film sehr eindrucksvoll ist. Dass Glatt rasiert im deutschsprachigen Raum bis jetzt nie veröffentlicht wurde, ist dennoch kaum zu erklären. Anzumerken ist, dass Kerrigans späterer Film Keane sehr ähnlich ist, weniger roh, aber fast noch ein bisschen besser, etwas elaborierter.



After Hours (1985) 9,05

Scorseses lustigster Film (seine einzig echte Komödie?) ist auch beim zweiten Ansehen genauso großartig wie er in Erinnerung war. Die eigentlich eher simple Idee einer komischen Alptraumnacht bzw. einer schrägen, schwarzhumorigen Großstadtodyssee (inklusive einem kurzen Scorsese-typischen Gewaltausbruch) wurde köstlich umgesetzt – auch wenn man oft eine gewisse Sterilität der Außenaufnahmen erkennen kann. Doch die elegante Abfolge witziger Figuren und Szenen inklusive dem genialen Ende lässt keine Wünsche offen – "Die Zeit nach Mitternacht" ist ein vielleicht gar nicht so bekannter und wenig beachteter Film zum Liebhaben.



Letjat zhuravli/ (Wenn) Die Kraniche ziehen (1957) 8,43

Antikriegs-Romanzenepos mit enormer Dynamik und viel Leidenschaft bzw. Tragik: ein meist mitreißender, oft genial inszenierter und mit Herzblut gespielter Schwarz-Weiß Klassiker, der in der Retrospektive wie die meisterliche Blaupause für peinlichen Kitsch a la Pearl Harbor und weitere, vielleicht nicht ganz so schlimme, aber eben auch seelenlose, glattgebügelte Rezept-Blockbuster-Quatsch-Produktionen (mit Kriegshintergrund) der moderneren Farbfilmära wirkt.

22. Juni 2011

Pirates of the Carribean: On Stranger Tides (Rob Marshall) 6,11



Nach dem enttäuschend (überbe)lang(los)en dritten Teil und schlechten Vorabkritiken für den vierten musste schon eine Einladung her, um sich noch einmal (zu völlig überzogenen 3D-/Überlängepreisen) dem Piratenjux im Kino hinzugeben, mit niedrigsten Erwartungen freilich (auch wegen Musical-Heini Marshall als Regisseur).

Die positive Überraschung liefert jener aber gleich zu Beginn mit einer (abgesehen von der misslungen-blöden Jack als Richter-Einführung) sehr ansprechend inszenierten Auftaktsequenz. Vor allem das Ausnützen der Dreidimensionalität und die Bildanordnungen gefallen, dieser Marshall könnte doch eine gute Wahl sein.

Danach folgt wieder Ernüchterung: das übliche Piratengerassel und –geplapper ruft nur noch Gähnen hervor. Ein grundsätzliches Problem solcher vielteiligen Reihen: man kennt die Abläufe, man kennt die Bilder, man hat sich sattgesehen. Und selbst wenn Marshall ganz nett inszeniert, ist er z.B. kein Spielberg, dem bei Indiana Jones 4 trotz derselben Probleme doch deutlich eindrucksvollere (Action-)szenen gelangen, weil er einfach ein absoluter Könner ist (natürlich war Indy 4 trotzdem nicht allzu toll).

Back to „Jack“: Als dann zum ersten Mal Käptn Blackbeard auftritt, verdrängt das Grinsen die Langeweile: McShane hat Präsenz und sein schwarzbärtiges Gesicht samt grimmig-witziger Einzeiler schaffen sofort gute Laune; in solchen Momenten ist es dann auch völlig egal, ob das nun schon der vierte Teil ist oder nicht. Es wird noch besser mit einer atmosphärischen Meerjungfrauen-Sequenz (von der blöden Vampirzähnesekunde mal abgesehen): die Macher dieses Films könnten sich Piranha von Aja angeschaut haben; auch wenn es hier nur eine jugendtaugliche Light Variante davon ist, macht auch das wieder Spaß, die dreidimensionalen Bilder wirken rasant ein. Während sich die gelungenen Einzeiler (wie „I support the Missionary’s Position!“) doch sehr in Grenzen halten, gefällt interessanterweise der (oberflächliche) Love-Part – Regie und Darsteller kreieren gute Stimmung und unmittelbare, mainstreamgerecht leicht genießbare, aber intuitiv gefällige Kinomomente.

Der Film biegt nach diesen sehr ordentlichen Minuten auf eine geradlinige Storylinebahn ein, die mehr an Indiana Jones erinnert als an die vorangegangene Verbinski-Trilogie. Jedenfalls ist die harmlose, aber flott inszenierte Geschichte doch angenehmer als der ärgerlich belanglose, verstrickt-vermurkste dritte Teil. Die originelle Rasanz und sehr gelungene Unterhaltung der ersten beiden Teile kann in Teil 4 allerdings bei weitem nicht mehr erreicht werden. Fremde Gezeiten rechtfertigt teure Preise und einen Kinobesuch kaum, ohne aber zu verärgern.

Zum Abschluß muß aber noch etwas zum Megastar gesagt werden: Johnny Depp ist in dem Film kaum mehr wahrnehmbar, seine Rolle bereits so selbstverständlich, der Witz seines Spiels bereits so ausgereizt, dass das eigentliche, gigantische Zugpferd der erfolgreichen Reihe kurioserweise nicht mehr für Highlights sorgt. Nicht Depp und Cruz, auch weniger Rush sind es, die diesen Film gerade noch so retten, sondern tatsächlich das junge Liebespaar und Ian McShane, sowie die streckenweise routiniert-gelungene Regie von Rob Marshall – letztlich natürlich auch der sympathisch-verschmitzte Grundton dieser Blockbustermarke – im Kern ist dieser 4. Teil aber auch nur so etwas wie ein völlig harmloser und unaufregender Sonntagsnachmittagsfantaysfilm – bloß enorm kostspielig produziert, lächerlich übertrieben beworben und daher ein risikolos geplanter Massen-Kinokassenerfolg.

20. Juni 2011

Biutiful (Alejandro González Iñárritu) 5,45




Die Todes-Trilogie ist abgeschlossen, die Erwartungen in Iñárritus Folgefilm durchaus hoch. Spannend vor allem die Frage, wie ein Film ohne seinen ehemaligen Drehbuch(mit) schreiber Guillermo Arriaga aussieht. In Biutiful, in dem es dann ja doch wieder und sogar noch vordergründiger als in der Trilogie ums Sterben geht, fehlt die Komplexität der Vorfilme, Javier Bardem steht klar im Mittelpunkt, er ist schwer krebskrank und auch sonst verläuft sein Leben trotz zweier Kinder sehr schlecht. Seine Frau ist schwer psychisch krank (bipolare Störung), auch deshalb steht vor allem die Sorge um die Zukunft seiner Kinder deutlich im Blickpunkt des Films.

Iñárritu will, auch ohne Arriaga, nicht ganz auf diverse Verknüpfungen von Uxbal (Bardem) aus zu anderen Charakteren verzichten, deshalb gibt es da auch noch diese chinesischen Arbeiter, die schwer ausgebeutet werden (und die, durch die Mitschuld Uxbals tragisch enden), und einen jungen Senegalesen, einen Freund Uxbals, der dealt, daraufhin des Landes verwiesen wird und seine Frau und ihr Baby zurücklassen muß: diese „Nebenschauplätze“ wollte Iñárritu also unbedingt einbauen, doch es gibt diesmal keine komplexe Verstrickung: die großartigen Episodenfilme Amores Perros, 21 Grams und Babel wurden ja nicht nur positiv aufgenommen und kritisiert, allerdings waren sie doch toll angelegt und leidenschaftlich. Vor allem diese Leidenschaft ist es, die Biutiful fast komplett fehlt. Das an und für sich höchst tragische Geschehen zieht eher emotionslos vorbei und in dieser Zähheit ist der Film tatsächlich zu lang.

Iñárritu gelingen zu wenig dieser elektrisierenden Szenen, für die er berühmt geworden ist (man müsste sich nur einmal den fiebrigen 21 Gramm im Vergleich nochmal ansehen); am stärksten ist der Film in den positiven Familienszenen, in den ganz leisen Momenten oder in der beklemmendsten Minute, wenn Uxbal seine Kinder von seiner Frau wegbringt. Doch die positiven Szenen können immer nur ganz kurz dauern, denn klar ist: es geht auch im vierten Iñárritu vor allem um existenzielle Tragik, um unheilbare Pein; das Glück und die Hoffnung schimmern immer nur kurz durch, bevor sie wieder zerschmettert werden…

Am Ende wird der Film sehr emotional (was auch klar ist), doch Iñárritu vergeigt das Ende: anstatt mit einem beklemmenden Gefühl der Unsicherheit über die Zukunft der Familie zu schließen, gibt es noch diesen (Pro-) und Epilog, Elemente der Hoffnung auf ein Leben auf einer anderen Ebene: ist jemandem wie Uxbal, der im menschlichen Leben so ein tragisches Schicksal hatte, wenigstens nach dem irdischen Tod Positives erlaubt? Iñárritu lässt Uxbal ohnehin auch schon davor mit Toten kommunizieren(!!), am Ende schwebt für eine Sekunde ein schwarzer Körper an der Decke, das wirkt alles sehr schräg inmitten des düsteren Handkamerarealismus und doch ist es im Grunde so bedeutungslos, dass man es kaum wahrnimmt.

Sicher ist der Film sehr persönlich, man kann es auch positiv auslegen, dass Iñárritu einen Schritt zurückgeht von seinen exaltierten, globalisierten Filmen und dieses Quasi Ein-Personen Stück sehr reduziert angeht, doch die anderen Ebenen sind da noch immer, wie ein Geschwür, das nicht weggehen mag: bloß wirkt alles so unausgegoren. Liegt das tatsächlich (nur?) am Fehlen Arriagas?

Das stäkste an den bisherigen Filmen des Mexikaners war diese Intensität, das Beklemmende, doch Biutiful ist nichts mehr davon; sicher eine tolle Rolle für Bardem, oft verdrängten Themen wie Krebs bei Männern oder psychische Erkrankungen wird im „großen Kino“ Raum gegeben, doch leider alles egal: selten hat sich Sterben im Kino so belanglos angefühlt.

17. Juni 2011

AUN (Edgar Honetschläger) 6,72




Es könnte schon der seltsamste und ungewöhnlichste Film des Jahres sein; der künstlerisch ambitionierteste und eigenwilligste ohnehin. In für sich genommen oft traumhaften Bildern und mit schwelgerischer Musik (von Christian Fennesz) erzählt Honetschläger mit dem hochtrabenden Untertitel Der Anfang und das Ende aller Dinge eine sehr metaphysisch-esoterische Fabel über besondere Energie…

Manchmal meint man, eine Art David Lynch Film zu sehen, nur ohne Alptraum, Gewalt und Verstörung, sondern eher auf eine durchaus auch beunruhigende, aber generell eher friedliche, meditierende Weise – trotz sehr schräger Figuren.

Honetschläger hat definitiv einen faszinierenden Film gedreht, der nur leider gleichzeitig aber auch immer mehr kalt lässt; dessen Ideen und Theorien man irgendwann kaum mehr folgen möchte, weil sie so dermaßen entrückt sind (leider ohne wirklich Spaß zu machen). Von einem Plot oder ähnlichem kann man beim besten Willen nicht sprechen – obwohl es ihn sogar gibt. Der Film ist dennoch richtiggehend hypnotisch und das ist schon sehenswert – ähnlich wie es streckenweise Enter the Void auch war. AUN ist aber im Vergleich der viel originellere Trip, auch wenn er im Gegensatz zu Noes überlangem Experiment gegen Ende eher an Reiz verliert anstatt zuzulegen. So bleibt nach dem Abspann eines leider auch im negativen Sinne echten Kunstfilms kaum Lust, sich noch näher damit zu beschäftigen, was auch an einer gewissen „Kälte“ des gesamten Produkts liegen könnte – zumindest erging es mir so.

16. Juni 2011

Thor (Kenneth Branagh) 7,86




Ein fast überraschend sehr charmanter Comic-Blockbuster: der Held ist trotz des geradezu grotesk gut gebauten Körpers und einem leicht naiv anmutenden Aussehen überhaupt nicht tumb (und kriegsgeil), sondern sehr smart – einer der vielen subtilen Vorzüge dieses äußerst sympathischen, stets unterhaltsamen Films. Man kann zwar weder behaupten, dass die Sprüche der Hammer wären, ein Feuerwerk an herausragenden Szenen wird auch nicht abgebrannt, aber die Mischung aus epischer Geschichte, ein bisschen Königs(-bruder)drama (bei Shakespeare-Experten Branagh natürlich gut aufgehoben), viel Augenzwinkern und sehr ansehnlicher Optik bzw. Set-Design macht viel Spaß.

Das Hin- und Herbewegen zwischen den Welten ruft manchmal Erinnerungen an die Tron Filme hervor – gegenüber denen Thor in seiner Gesamtheit doch deutlich besser (gespielt und inszeniert) abschneidet. Besonders reizvoll ist auch die Idee, den überstarken Helden die meiste Zeit ohne seine Kräfte durch den Film laufen zu lassen – was er aber mit viel Cleverness und Gewitztheit perfekt kaschiert. Dass ein-zweimal selbst für einen Fantasyfilm manches zu unrealistisch wird, ärgert nur minimal und ist auch gleich wieder vergessen. Einzig die Figur von Darcy, der neunmalklugen Praktikantin, ist fast zum Heulen. Den enormen Charme und die Originalität dieser Comicverfilmung (die auch noch spektakulär und dann schön schmachtig endet) können solche Kleinigkeiten jedoch nicht trüben.

8. Juni 2011

Jiabiangou (Wang Bing) 8,15




Der chinesische Regisseur ist für exorbitant lange, dokumentarische Werke bekannt - einen Stil, den man sich nach der Sichtung dieses „kurzen“ fiktionalen, auf sehr wahre (auch in Buchform behandelte) Begebenheiten bezogenen Films gut vorstellen kann. In den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts ließ die chinesiche Regierung (vermeintliche) politisch abtrünnig Eingestellte („Rechte“) in einer abgelegenen Wüstenregion bis zur totalen körperlichen Erschöpfung, und auch bis in den Tod schuften, um sie „umzuerziehen“.

Der Regisseur zeigt diesen Lager-Wahnsinn in extrem nüchternen Bildern ohne Einsatz irgendwelcher Stilmittel, um eine möglichst realistische Wirkung zu erzeugen. Es gibt einige Szenen, die lange andauern, und so eindrücklich eine Ahnung davon vermitteln, wie schrecklich es dort zugegangen sein muß (wobei nichts „Sensationelles“ wie besondere Misshandlungen der Gefangenen passiert, sondern alleine das andauernde Arbeiten ohne richtig stärkende Nahrung und die trostlosen Ruhephasen diesen Schrecken spürbar machen).

Das Erdloch (Titel wörtlich übersetzt: "eingekeilt zwischen Gräben") ist beklemmend und manchmal geradezu unerträglich in der Dokumentation menschlichen Elends, es ist eine deutliche filmische Anklage eines unmenschlichen, grausamen Systems (mit einem minimal hoffnungsvollen Ende) – schlussendlich muß man aber auch anmerken, dass diese Art von Film kaum einen Unterhaltungswert oder abseits seines Statements auch kaum künstlerischen Wert besitzt – also Aspekte, die Filme ja eigentlich erst so richtig liebens-, bewunderns- und weiterempfehlenswert machen.

6. Juni 2011

IL - Hathaway, Boorman, Seidl


True Grit (1969) 7,83

Der Film also, der dem großen John Wayne seinen einzigen Oscar beschert hat; die Verfilmung eines Romans, den die Coens vor kurzem noch einmal verfilmt haben, daher gleich doppelt interessantes Westernmaterial: Eine Verbrecherjagd, die sich vor allem durch die Besonderheit der weiblichen Hauptfigur definiert und dadurch auch auszeichnet. Eine toughe 14-jährige (die übrigens als extreme Nervensäge und kaum liebenswert gestaltet ist, jedoch gleichzeitig einen ungemein starken Charakter hat und darstellt) will den Mörder ihres Vaters fangen und wenn es gut läuft, auch umlegen, wie es eben in der alten (Western-)Welt so üblich sein mag. Durch die scheinbare, irritierende Unvereinbarkeit der Zeichnung einer hart-brutalen, wie selbstverständlich Todesstrafe-affinen Gesellschaft mit einer kindlich-naiven Weltsicht erhält der Film eine so noch nicht erlebte Spezialität, die ihm etwas ungemein Faszinierendes verleiht, das tief unter die Oberfläche der spaßig-rauen Unterhaltung reicht, die er ebenso bieten kann. Man kann nicht sagen, ob es ein leicht verträgliches, jugendtaugliches Werk mit wenigen brachialen Einsprengseln ist oder doch eher ein klassischer „Männer-Western“ mit völlig ungewohntem kindlich-auflockernden Humor.

Diese Mischung aus altbackener Sonntagnachmittagsfilm-Romantik und "argen" Gewohnheiten aus einer früheren Zeit (wie dem in der Männergesellschaft bereits völlig akzeptierten und respektierten Mädchen plötzlich ausführlich den Hintern zu versohlen bzw. anderweitig wie ein „Kind“ zu behandeln) die der Film, der selbst ja in einer durchaus modernen (Film-)Zeit entstand, immer wieder transportiert, ist bemerkenswert.

Schön ist an diesem sehr speziellen Western unter vielem anderem auch, wie lange es dauert, bis die Hatz mal losgeht (vielleicht vergleichbar mit dem französischen Thriller-Klassiker Lohn der Angst) - 45 Minuten dauert die Exposition, die auch ein Charakteristikum des Films bereits deutlich formuliert: Der Marshal - wie schon bei dem jüngst besprochenen Der Teufelshauptmann übrigens reduziert der deutsche Titel kokett-lakonisch auf John Waynes Grad - ist sehr gemütlich und laid back. Wayne genießt es, seine Rolle komisch und selbst-parodistisch anlegen (wenn auch selbstverständlich nur so weit wie möglich, denn in den Momenten, in denen es drauf ankommt, ist er trotz Suff und sanfter Witzfigur dann wieder ultratough bzw. der klare Chef im Sattel…)



Zardoz (1974) 8,85

Unglaublich schräg ausufernde Sci-Fi, die in ihrer irren Ausstattungswut und Bilderflut ein bisschen an die Jodorowsky Filme erinnert, aber trotz allem noch wesentlich geradliniger und konventioneller ist – obwohl diese Worte doch völlig fehl am Platz sind. Die abgefahrene Revolutionärsgeschichte und ihre vielen Subthemen ausführlich zu beschreiben, würde diesen Rahmen völlig sprengen, außerdem ist der Film bei einmaligem Anschauen kaum erfassbar – teilweise hat Boorman dieses irre Werk auch ermüdend mit Verrücktheiten angereichert, aber letztlich ist Zardoz gerade dadurch auch sehr sehenswert geworden.


Der Busenfreund (1997) 6,65

Man merkt diesem Porträt eines selbstbewussten und genüßlich selbstdarstellerischen Sonderlings mit Dauer an, dass vieles gestellt ist und das nimmt viel von dieser typisch faszinierend-abstoßenden Wirkung von Seidls sonstigen (späteren, gespielten) Filmen. Der titelgebende Freund aller weiblichen Aspekte, besonders jener von Senta Berger, suhlt sich richtig in seinen verrückten Ausführungen und genau das Selbe macht auch Seidl selbst, mit stilisierten Bildern der sich stapelnden Zeitungen des ultraschrägen Eigenbrötlers usw…

Dennoch hat diese Art, Leute zu filmen und ihnen ehrlich und konzentriert Raum zu geben (anstatt TV-Report mäßig irgendetwas zusammenzuschneiden und überzudramatisieren) etwas und man merkt diesem früheren Werk schon ein bisschen an, dass Seidl später mit diesem Blick für und auf Außenseiter den urmenschlichen Voyeurismus und das Gefühl der Beklemmung beim Zuschauen genial zusammenführen wird…

3. Juni 2011

Into Eternity (Michael Madsen) 7,11




Eine Doku aus der Zukunft: berichtet wird aus einem und über ein finnisches Atommüll-Endlager. Regisseur Madsen tritt dreimal selbst auf, im Dunkeln philosophierend, beleuchtet nur von einem Streichholz, das langsam verglüht. Ja, diese eigenwillige Doku gibt sich sehr kunstbetont, immer wieder gibt es lang-elegische Kamerafahrten oder kunstvolle, manchmal fast unheimlich arrangierte Szenen – die auch beeindrucken, keine Frage. Dazwischen, und in diesen Momenten ist es eine Doku wie viele andere auch, werden talking heads gezeigt - Wissenschafter u.ä. zu dieser Form der Lagerung befragt, und zwar immer mit dem tiefsinnigen Gedanken an die ferne Zukunft: was passiert denn mit diesem ganzen hochgefährlichen Müll in 1000, in 10.000, in 100.000 Jahren?

Madsen stellt verschiedene Aspekte zur Diskussion, etwa die Frage, ob Sprache in dieser Zukunft noch existiert – um vor dem gefährlichen Müll zu warnen (etc.). Das ist einerseits spannend, wirkt aber manchmal auch etwas zu philosophisch für ein Thema, das man auch pragmatischer angehen könnte. Manchmal übertreibt es der Regisseur ein wenig mit stark selbstgefällig wirkender Coolness („wir müssen uns erinnern, zu vergessen“). Dennoch einmal eine Dokumentation (zu einem höchst aktuellen Thema), die faszinierend anders ist.

2. Juni 2011

Folge mir (Johannes Hammel) 7,61




Könnte man nach dem unheimlichen, rätselhaften Vorspann noch einen sehr mysteriösen „Kunstfilm“ erwarten, zeigt sich recht schnell, dass hier eine allzu realistische Familiengeschichte im Mittelpunkt steht. Der kleine Pius leidet unter der streng katholischen Erziehung seiner psychisch nicht ganz sattelfesten Eltern. Ist er mal nicht zuhause, gibt es im Film keine wirkliche Erholung für ihn, sondern bloß einen krassen Religionslehrer, der gemütlich von göttlicher Liebe und Frieden faselt, während er die SchülerInnen mit perfide-terrorisierenden Machtspielchen quält.

Als psychisch nicht ganz sattelfest wurden die Eltern soeben beschrieben, doch die Mutter, die neben Pius das Zentrum des Films bildet, wirft eine Erkrankung dann völlig aus diesem Sattel. Dies setzt Hammel mit originären filmischen Mitteln um: die Schizophrenie (im ursprünglichen Wortsinne: Zwiegespaltenheit) der Mutter spiegelt sich in der Machart des Films gleich auf mehreren Ebenen wider: Die triste Filmrealität ist in Hochglanz Schwarz-Weiß gehalten, während Träume von oder Erinnerungen an schönere Zeiten in Farbe in körnigem 8mm-Farbfilmmaterial gezeigt werden, und zwar sind dies originellerweise Privataufnahmen des Regisseurs aus seiner (angeblich unbeschwerten) Kindheit. Darüberhinaus wird die gespaltene Persönlichkeit der Mutter (was zunächst kaum wahrnehmbar ist) konsequent von zwei verschiedenen Schauspielerinnen verkörpert – auch dass dies die Umsetzung zwei verschiedener Altersstufen (und daher so etwas wie die kranke und die geheilte Mutter) ist, scheint möglich bzw. wird vom Regisseur selbst in einem Interview ins Spiel gebracht.

Die subtilste Form dieser filmischen „Schizophrenie“ ist aber, dass die Mehrzahl der Filmfiguren deutlich österreichisch spricht, Wohnort und einzelne Symbole aber klar auf Deutschland deuten – ein irritierendes, aber spannendes Stilmittel in einem außergewöhnlichen, ungewöhnlichen Film, dessen Hochglanzästhetik zunächst noch etwas mau wirkt, aber mit der Zeit immer beeindruckender gerät. Folge mir ist ein originäres Kunstwerk, was nicht heißt, dass der Film durchgehend begeisternd oder völlig überzeugend ist, seine Kernthemen sind im Kino auch alles andere als völlig unverbraucht. Dennoch ist Hammel, auch mithilfe seiner teilweise hervorragenden Schauspieler, ein schönes, spezielles Kinoerlebnis gelungen (erwähnenswert auch ein beeindruckender Ausraster des sonst ruhig gezeichneten Vaters!), ein Film mit einer so noch nicht gekannten Aura, eine (vermutlich ziemliche) Low Budget Arbeit mit dem Atem großen Kinos.