31. Mai 2011

Interludium - K.Mizoguchi, M.Arnold, A.Mann


Ugetsu monogatari/Erzählungen unter dem Regenmond (1953) 8,58


Einzelne traumhaft gefilmte Sequenzen sind es vielleicht, die ausgerechnet diesem Film aus einer Blütezeit des japanischen Kinos im Westen einen Kanon- bzw. Ausnahmestatus verschafft haben. Mizoguchis Erzählung von vier Kriegsflüchtlingen (2 Männer und 2 Frauen), deren Schicksale ganz unterschiedlich verlaufen, schreit zwar nicht jeden Moment „Achtung: herausragende Filmkunst!“ und kann auch nicht jede Minute fesseln, der sehr geschickt fragmentarische Aufbau einer grundsätzlich epischen Geschichte ist aber außergewöhnlich. Dass gegen Ende plötzlich das Genre des Geisterfilms – höchst subtil – Einzug hält, ist ebenso ein besonderes Merkmal eines faszinierenden, zärtlich (brutalen) Films, der zwar vordergründig vom Krieg und kriegerischen Männer-Rollen, im Grunde aber von friedlich (/naiven) Lebensträumen beider Geschlechter und schrecklichem Schicksal handelt.



Pièce touchée (1989) 8,95

Perhaps the sickest editing work I have ever seen.
Those loops, man. Those loops
(Kommentare auf mubi.com)

Als ich vor ein paar Monaten Arnolds ungewöhnlichen Shadow Cuts im Kino sah, wusste ich nicht, dass der Mann ja schon lange so ähnlich arbeitet. Dieser Avantgardefilm ist mit 16 Minuten für seine wahnwitzige Schnitt-, Spiegel- und Montagekunst (derartig gedehnt wird ein 18 sekündiger Ausschnitt!) fast schon arg lang, andererseits sind es genau diese Länge bzw. die Zeit, die es für so ein Ausnahmewerk braucht; das Geniale daran. Der Rhythmus, in den Arnold (sich) hier hineinfiebert, begistert aus technischem Blickwinkel und ist gleichzeitig (zeitlos) wunderschön.



Man of the West (1958) 8,34

Toller Western-Thriller, der mit entspannten Bildern vom bahnhöflichen Ticketkauf und ähnlich Alltäglichem sehr gemütlich beginnt, bis er nach einiger Zeit zu einem düsteren Kammerspiel wird. Gary Cooper ist im künstlerisch-positiv-altmodischen Sinne ein echter Kerl, der Film sehr roh. Ein auch heute noch ungewöhnlich packendes Highlight ist eine heftige Schlägerei ("sowas hab ich noch nie erlebt", sagt folgerichtig auch der alte, harte, entrückte Boss). Bis zum guten Showdown ist der Film intensiv und packend, auf diese Weise machen Prä-Spaghetti-US-Western einfach mehr Spaß als so manch niedlich-harmlose Arbeit aus der Zeit eines John Ford und Konsorten…

29. Mai 2011

Allentsteig (Nikolaus Geyrhalter) 6,55




Gedreht vor, gesehen nach Abendland. Geyrhalter wendet sich hier im Unterschied zu Unser täglich Brot und Abendland einem Mikrokosmos zu (dem Ort Allentsteig, der vor allem durch eine riesige militärische Anlage definiert ist), und das tut dem Film sehr gut. In den üblich streng kadrierten Einstellungen gesellen sich zu den typischen Landschafts- und Aktions-bildern auch Interviews mit zuweilen recht schrulligen Zeitgenossen, die (in guter alter österrreichischer Qualität, kann man wohl sagen) zwischen unterhaltsam und leicht erschreckend schwanken, bzw. fast immer einfach auch beides zugleich sind. In den 80 Minuten kann einem die Zeit schon auch mal länger vorkommen, doch Geyrhalters umfangreich, bisweilen spürbar amüsiert, aber auch stets kritisch beobachtendes Regionen- und Menschen-, zugleich auch Institutionsporträt ist durchaus sehenswert.

26. Mai 2011

Sauna (Antti-Jussi Annila) 5,58




Ein in der ersten Hälfte ganz übler Film, voll mit nichtssagenden Hochglanzbildern (man vergleiche sie nur mit der genialen Intensität von Valhalla Rising!) und extrem unsympathischen, aber auch charismalosen Hauptfiguren und einer wenig erbaulichen „Handlung“. Wenn man sich doch noch entscheidet, den Schwachfug weiterzuschauen, wird es in der zweiten Hälfte tatsächlich noch ganz okay, so selten blöd diese Sauna (als eine Art begehbarer Abkömmling des 2001-Monolithen) auch sein mag. Immerhin gibt es noch ein bisschen Atmosphäre, Sog und Entwicklung. Das Ende wartet sogar mit einer recht lässigen, originell unheimlichen Kreatur auf, aber was da eigentlich passierte, bleibt völlig unverständlich. Ob dies an der nervgetöteten Aufmerksamkeit des Rezipienten lag, oder ob der Film einfach nur blöd (und immerhin minmal unterhaltsam) ist, weiß wohl nur der Monolith, äh der Aufgußmeister.

24. Mai 2011

Ajami (Scandar Copti & Yaron Shani) 8,44




City of God
, Filme von Innaritu, wohl auch (L.A.) Crash fungieren sicher als Paten, doch obwohl es auch hier zuweilen sehr schicksalsschwer und brutal zugeht, überzeugt vor allem die gelassene, ruhige, aber stets packende Erzählweise. Zu Beginn der komplexen, in Kapiteln erzählten Geschichte rund um junge illegale Einwanderer, verfeindete Familien, kleine Gangster und einen mächtigen Boss im titelgebenden Stadtviertel von Tel Aviv begeistert, mit welcher Entspanntheit uns hier die Lebensrealität und Kultur gezeigt wird (dahingehend ein frühes Highlight des Films: die für westliche Zuschauer völlig ungewohnte Gerichtsverhandlung).

Ajami ist komplex angeordnet; deswegen muß man aber nicht stets den Vergleich zu den oben genannten Vorreitern bemühen, sondern betonen, dass diese Art, einen Film zu konstruieren, Interessanteres zu Tage fördert als viele lineare Genrefilme. Auch wenn einiges (aber erst ganz am Ende!) etwas zu konstruiert und übertrieben wirken mag, dieser Film ist mit seinen Themen, den interkulturellen Gewaltausbrüchen, nahe an der Tragik der Kulturclash-Gegenwart dran; darüberhinaus ist er aber auch fantastisch inszeniert und gespielt, und die beiden Filmemacher finden eine feine Verbindung aus Gefühl, Gewalt(-drama) und Spannung.

21. Mai 2011

Egal was ich tue, sie lieben es (Romy Steyer) 7,65




YouTube ist in Sachen Trends und beliebten Sendungen mittlerweile so etwas wie das Musikfernsehen der Generation davor. Mit dem Unterschied, dass man keine Sendeerlaubnis, mühsame Auswahlverfahren oder Beziehungen braucht, um auf Sendung zu gehen. Jede und jeder kann sein Programm verbreiten. Von mehr als 10 Leuten gesehen werden freilich trotzdem nur wenige. Aber immer wieder gibt es sie - „Amateure“ aus den Wohnzimmern, die mit simplen, aber generationssensiblen Produktionen durch virale Verbreitung zu Internet-Stars mit hunderttausenden Klicks zu werden – freilich während Hunderttausende (Ältere) noch nie von ihnen gehört haben – was wohl noch den gravierendsten Unterschied zu den Stars (oder den sog. „Promis“, die allerdings auch kaum jemand kennt) im TV macht.

Die lebendige, völlig unpeinlich zeitgeistige Doku begleitet nun drei solcher YouTube Stars und zeigt vor allem wie unterschiedlich diese sein können: jeder Geschmack (Geschmack?) wird bedient - da gibt es Sami alias Herr Tutorial, der sich einfach seine Kamera schnappt und Stylingtips oder Ähnliches gibt: ein quirliger junger Mann, der nur im und für das Internet zu leben scheint, rund um die Uhr. Dann gibt es da Amy alias Diamond of Tears, eine junge Dame, die gerne Sängerin sein möchte und ebenfalls recht direkt, scheinbar eher konzeptlos aber unmittelbar ihre Gefühlswelt in die Weiten des Internets ausbreitet.

Schließlich wären da noch die wohl einzigen Vertreter mit einem „fernsehtauglichen“ Starpotential – die Jungs von Y-Titty, die ihrem blöden Namen zum Trotz mit viel Talent, Herzblut und Aufwand durchaus originelle und ziemlich professionelle Parodien drehen. Und im Laufe des Films auch folgerichtig nach Köln ziehen, um an der Stelle der meisten TV-Produktionen Deutschlands an ihrer Karriere feilen – samt Manager, dem man natürlich erst mal sehr skeptisch entgegenstehen muß. Wenn man den Jungs (und auch den anderen beiden Porträtierten, Sami und Amy) dabei zusieht und zuhört, wie sie über ihre Zukunft nachdenken, sind dies unter anderem die spannendsten Momente der heiteren, kurzweiligen und auch reflektierenden Doku. Steyer lässt die 5 auch ihre Lebensentwürfe darlegen und vor der Kamera diskutieren – Studium oder nicht, was „gescheites lernen“ oder hoffen, als KünstlerIn rauszukommen, oder vielleicht doch beides kombinieren – universelle Fragen vieler Jugendlicher werden hier verhandelt, während es sich gleichzeitig auch viel um bloßen Spaß und unmittelbare Selbstverwirklichung dreht.

Somit sind die 90 Minuten vergnüglich, aber nicht oberflächlich – Romy Steyer ist also eine Dokumentation gelungen, die zur Abwechslung mal nicht streng konzeptioniert oder nach den üblichen Mustern gestrickt ist oder lobenswert ein schwer im Magen liegendes Thema behandelt, und auch das alles macht diesen TV-Film so erfrischend.

20. Mai 2011

Four Lions (Christopher Morris) 7,71




Anfangs scheint der stark diskutierte, (provokative?), aber (siehe den Gag am Plakat) sehr gelobte Film den Vorschussloorbeeren überhaupt nicht gerecht werden zu können, da sich der gebotene Humor alles andere als begeisternd, nämlich auf eher dümmlichem Niveau präsentiert. Die Kaspereien zum Terrorismus sind nicht unbedingt geschmack- sondern eher witz-/niveaulos, die feinen hintersinnigen Töne werden in der lauten und groben Art der Charaktere und ihren (Inter-)Aktionen vermisst.

Doch zum Glück kratzt der Film nach einer Anlaufphase langsam, aber stetig die Kurve; die anfangs noch profillos dümmlichen Charaktere erwerben sich eines, und die Situationen sowie auch die teils grotesken Dialoge (in sehr spezieller Sprachweise) werden immer lustiger. Schlußendlich werden wohl einige legendäre Momente kollektiv im Gedächtnis bleiben und dem Film dadurch einen kleinen Kultstatus bescheren. Obwohl sich immer wieder auch subtil inszenierte, intelligent beobachtende Momente finden, die den berühmten Lachen im Hals stecken bleiben- oder mal kräftig schlucken-Effekt haben, ist Morris allerdings keine wirklich tief einschlagende, übergeniale politische Satire gelungen (auch wenn es z.B. laut Interviews tatsächlich realistische Quellen für die unfassbar schmalgeistigen Filmaktionen gibt).

Am Ende schimmert dann auch noch einiges an der Absurdität von Verdächtigungs-, Ermittlungs und Terrorbekämpfungsmechanismen durch, ohne dass auf der anderen Seite eine düstere, unangenehme, lokal verortete Gewissheit über die Schrecken unverhinderbarer Terroraktionen ausgeblendet wird. Nicht deshalb sondern ob seiner offensiven, lauten Komik über eines der tragischen Probleme des politischen Geschehens dieser Zeit kann man den Film auch blöd und wenig sinnbringend finden. Doch abgesehen davon, dass Morris und seine Protagonisten phasenweise gnadenlos gute Zwerchfellsprengungskomik schufen, ist ähnlich wie schon bei Monty Pythons legendärem Film über Religionswahn-Irrsinn auch die Groteske um die vier Löwen ein angenehmes, weil sich nix um Correctness pfeifendes, weil typisch respektlos britisches Stück Kunst mit Hintergedanken, und vielleicht ja sogar eines, das den Weg weist in eine Richtung des "miteinander (über absurde Hass-Theorien und -Ideen) (lachen) könnens".

18. Mai 2011

Abendland (Nikolaus Geyrhalter) 6,40




Der österreichische Filmemacher verwendet hier das gleiche dokumentarische Konzept wie bei seinem radikalen Landwirtschaftspanorama Unser täglich Brot – eine Abfolge von unkommentierten Tableaus zu einem bestimmten Thema, die zusammen ein Ganzes ergeben (sollen/können). Der Zuschauer kann sich in Ruhe ein Bild machen, ohne von gesprochener Information „geleitet“ zu werden. Geyrhalter befindet sich mit dieser Arbeitsweise unter den zeitgenössischen Dokumentarfilmern wohl eher in einer Außenseiterstellung: er will dem Publikum ein intensives Kinoerlebnis zur Verfügung stellen und es weniger mit einer Fülle von Informationen und politischen Botschaften eindecken. Was selbstverständlich nicht bedeutet, dass er auf diese Weise nicht auch etwas vermitteln möchte. Die vordergründige Subtilität wird durch nachdrücklich-sensorische Tiefe noch gestärkt.

Das Problem des vorliegenden, ordentlichen, auch unterhaltsamen Films ist nur leider, dass im Gegensatz zur angesprochenen atemberaubend verstörenden Landwirtschaftsdoku hier die meisten Eindrücke für sich stehen und nicht unbedingt ein Ganzes entstehen lassen: die Vielfalt nächtlicher Arbeit oder Freizeitbeschäftigungen bietet zusammengenommen dann doch wenig Raum für Erhellendes. Dennoch gelingt mit dem sicher sehr aufwendigen Projekt ein schöner abendlicher und nächtlicher Streifzug durch das heutige Europa, einem Kontinent zwischen Vergnügen und Überwachung, zwischen Geschäft und Abriegelung. Nachts arbeitenden Menschen zuzusehen oder bestimmte Abläufe und Vorgänge kennenzulernen kann auch ohne große Vision interessant sein, es herrscht aber nach dem Abspann schon ein wenig das Gefühl der Belanglosigkeit.

17. Mai 2011

IL - E.Roth, J.Ford, D.Makavejev


Hostel (2005) 7,35


Wenn man diesen Film zum zweiten Mal sieht und bereits im Vorfeld merkt, wie die Mit-SeherInnen genau der gleichen Fehleinschätzung unterliegen, wie man selbst knapp 1,5 Jahre davor, macht das schon richtig Spaß – und der Film auch noch einmal. Mit dem Wissen um Roths Klamaukwillen und Satirebemühen sind sogar die Szenen gegen Ende, die man beim ersten Mal noch bescheuert fand, ein reines Vergnügen. Natürlich sind die einschlägigen Szenen des Films drastisch, doch der Nettowert dieser „argen Momente“ ist verschwindend gering, die Folterungen fast schon frech gleich wieder vorbei – das hat nichts mit höchst übel Unangenehmem wie z.B. bei Martyrs zu tun. So spaßig der Film auch ist, Roths Humor ist trotzdem eher flach und nachdem man Hostel zweimal gesehen hat, ist wohl alles erschöpft – es sei denn, man hat in Zukunft wieder mal jemanden dabei, der diesen Neo-„Schocker“ noch nicht kennt und sich endlich traut, ihn anzusehen. In irgendeiner Hinsicht bedeutsam ist Hostel, egal wie sein Bekanntheitsgrad unter jüngeren Horrorfans sein mag, jedoch kaum.



She wore a yellow ribbon (1949) 5,38

John Ford ist eine Legende, von seinen legendären Filmen waren mir bis dato nur zwei bekannt: The Searchers (wirklich sehr toll) und Stagecoach (kaum begeisternd). Leider fällt auch mein dritter Ford in die Kategorie enttäuschend. Die Titelschizophrenie zwischen englisch und deutsch spiegelt auch jene des Films wider. Die titelgebende Frau, deren gelbes Band als Symbol für einen Liebhaber in der Kavallerie dient, steht zwischen zwei Männern. Der Teufelshauptmann, John Wayne, wird jedoch anstatt eines erwarteten hochdramatischen Mann-Frau-Mann Konflikts immer mehr zur Hauptfigur.

Der Western ist lange gemütlich unterhaltsam, mit netten Reitszenen, Dialogen, u.ä. Doch anstatt sich dramatisch zuzuspitzen, gibt es gegen Ende wenig witzige Humoreinlagen wie die Kneipenschlägerei mit dem alten Trunkenbold, oder ein kurioses Aufeinandertreffen zwischen Hautpmann und Häuptling; hochdramatische Situationen finden dagegen nicht mehr statt. Man kann das nun natürlich auch als positiv, weil „anti“ auslegen, in Wahrheit zieht es den Film aber immer mehr ins Mittelmaß. Der patriotisch-heroische Schlusskommentar zur amerikanischen Armee macht den Film auch nicht gerade sympathischer, eher plumper. Ford gelingen einige schöne Aufnahmen, aber warum so ein Werk unter Kennern sehr hohen Status besitzt, bleibt eher rätselhaft. Weder Intensität noch Erinnerungswürdiges wird hier geboten. Klar menschelt es (wie auch schon in Stagecoach), aber auf eine eher naiv-altbackene Art.



W.R. - Misterije Organizma (1971) 7,83

Dem Vernehmen nach ein Kultfilm, entspinnt sich nach einem herrlichen, an Jodorowsky-Irrsinnigkeiten erinnernden Beginn eine eher schwerfällige Erotik-Doku (mit nettem, aber nicht großartigem Witz), bevor nach etwas zuviel Zeit endlich mehr Groteske Einzug hält. Die vielen Sex/Kommunismus-Schmähs, vor allem auf Montage-Ebene sind Laien nicht immer ganz klar, aber auch mit dem Gedanken daran, dies alles verstehen zu können, haut der Film nicht außergewöhnlich um. Das Wissen um Respektlosigkeit gegenüber politischen Idealen, die unterhaltsame Genre-Mischung und die vergnüglich-harmlose Sex-Atmosphäre machen aber schon Spaß. Und allein diese Frau, mit der es so ein schlimmes (und dann schräges) Ende nimmt, ist einfach super interessant.

15. Mai 2011

Die Vaterlosen (Marie Kreutzer) 6,95




Dieser teilweise hochgelobte Film ist tatsächlich eine feine, fast schon unkonventionell lebendige Familiengeschichte. Beinahe erinnert es manchmal, obgleich natürlich in ganz anderem Stil, an Lost, wenn die Gegenwart durch sehr subtile, fragmentarische Rückblenden ergänzt wird. Getragen wird die Erzählung über (un-)gleiche Geschwistern, die den Tod des schrägen Hippie-Vaters beklagen, von einem tollen Ensemble, aber Marie Kreutzer ist keine Mia Hansen-Løve, der zunächst tolle Film wird gegen Ende immer schwächer: Überdramatisierung kann man das nennen; interessante Figuren bleiben dann doch hohl, um anderen ihre Erlösung zu ermöglichen, was in letzter Konsequenz auch zu erzwungen wirkt. Dennoch hinterlässt der Film im Gesamten Eindrücke – lebendige, ungewöhnliche, positive.

12. Mai 2011

Interludium - Mortier, Block, Ahwesh

Ex Drummer (2007) 3,70

Der Film beginnt mit einer deutlich von Irreversible inspirierten Szene und Regisseur Mortier scheint auch irgendwie Gaspar Noés düster-nihilistischen, brutalen Geschichten nacheifern zu wollen. Der Ansatz, einen gebildeten, ultrazynischen Schriftsteller eine Art Sozialexperiment mit der abgefuckten Unterschicht zu veranstalten mag am Papier sehr reizvoll sein, doch dieses Potential wird nie genutzt: Anstelle von feinem Humor oder Satire ist der Tonfall stets plump vulgär und oberflächlich roh. Natürlich ist das manchmal durchaus beeindruckend umgesetzt, da gibt es sogar „poetische Momente“, auf der sensorischen Ebene, aber inhaltlich passt es gar nicht.

Gegen Ende gelingen Mortier sehr intensive Szenen, in denen Musik als Ausdruck von Gefühlen perfekt eingesetzt wird, doch die ganzen Arschlochfiguren haben kein Potential, die ausgestellte Schwulen- und Frauenfeindlichkeit, vielleicht auch eine generelle Menschenfeindlichkeit wird nie ironisch gebrochen, alles ist zu plump auf kontrovers und hardcore getrimmt, der Humor ist schwach.

Der finale Amoklauf weckt dann Erinnerungen an Filme von Christoph Schlingensief, doch Mortier bzw. der Vorlagengeber sind weit von dessen subversiver Genialität entfernt. Mortier kann phasenweise beeindruckend inszenieren, doch inhaltlich ist der Film bloß kompletter, eher unsympathischer Schmarrn.


51 Birch Street (2005) 8,31

Es scheint in den letzten Jahren ein kleiner Trend unter Dokumentarfilmern zu sein, das eigene Leben bzw. jenes der Familie in den Mittelpunkt der eigenen Arbeit und für ein öffentliches Publikum bereit zu stellen. Wer diese kleine Welle begann, ist mir nicht genau bekannt, gut möglich aber, dass Doug Block mit diesem Film (auch Jonathan Caouettes außergewöhnlicher Tarnation ist ein ähnlicher, aber noch viel experimentellerer Kandidat) dafür verantowrtlich sind. Aus dem deutschsprachigen Raum fanden auf diesen Blog ja bereits Vertreter dieser selbstreflektierenden Welle: Mein halbes Leben und alias (der rückblickend sogar sehr offensichtlich Szenen und Ideen aus 51 Birch Street übernommen hat).

Doug Block filmt hier seine Senioren-Eltern, er möchte eine Doku über sie drehen. Plötzlich stirbt die Mutter, ziemlich unerwartet und ziemlich rasch. Block hat die deutlich größere Bezugsperson verloren, mit seinem Vater hat er nämlich wenig gemein und in den vielen Jahren auch wenig gesprochen. Als der Vater kurz darauf wieder heiratet, beginnen sich die 3 Block-Geschwister zu fragen, wie glücklich die Ehe der Eltern denn eigentlich war. Sie entdecken Unmengen an Tagebuch-Material der Mutter und erfahren immer mehr – Unangenehmes.

Blocks persönliche Spurensuche zeichnet sich durch viel Gefühl, manchmal auch offen dargelegte Sentimentalität aus. In der Familiengeschichte können sich sicher viele Zuschauer wiedererkennen, sei es das schwierige Vater-Sohn-Verhältnis oder die ewigen Fragen um glückliches Eheleben, u.ä. Mag es zunächst so aussehen, als wäre der Film vor allem eine (sanfte) Abrechnung mit dem Vater, ist es eher ein gemeinsames Hinfinden zu einer späten Beziehung.


She Puppet (2001) 8,27

Dieses knapp 15-minütige Avantgardeprojekt ist unterhaltsam und kritisch-reflektierend zugleich: Szenen aus dem legendären Videospiel Tomb Raider mit seiner prominenten Heldin Lara Croft werden gezeigt, während dazu scheinbar gar nicht dazu passende Texte vorgelesen werden. Wenn man das Spiel vor vielen Jahren selbst gespielt hat, wenn man überhaupt irgendetwas mit Videospielen am Hut hat, sind sowohl diese vom Zahn der Zeit bereits völlig überholten Texturen als auch die Kampfszenen und Abläufe durchaus amüsant; doch Peggy Ahwesh legt den Fokus eindeutig auf den Tod: die unzähligen, schnell hintereinandergeschnittenen Szenen vom Ableben der Spielfigur stimmen gleichzeitig daher auch nachdenklich: Ob nun aus Empathiegründen für eine fiktive Figur, die eigene Aktionen umsetzt, oder weil man medienreflektierend gekitzelt wird, könnte unbewusst bleiben.

Was wir sehen ist die fragwürdig hero- und ikonisierte „Puppe“ Lara Croft, was wir hören sind jedoch philosophierende, nachdenkliche (nicht immer gleich nachvollziehbare) Texte einer intelligent klingenden Frauenstimme. Man muß dieses aufregende Experiment wohl öfter als einmal ansehen, um mehr zu begreifen, doch auch schon ein einmaliger Kontakt lohnt aufgrund der ungewöhnlichen Herangehensweise.

9. Mai 2011

Trolljegeren (André Øvredal) 7,43




Eine Studenten-Doku über Bärenjäger scheint zunächst zu sehr am Blair Witch-Vorbild orientiert, schon bald stellt sich allerdings heraus, dass hier, mehr noch als beim letzten gelungenen Vertreter dieser Gattung (Cloverfield), der Humor im Vordergrund steht: Troll Hunter ist weniger Horrorfilm denn zum Großteil eine mockumentary-Komödie. Leider ist der liebevoll gemachte Film (was gibt es auch Schöneres, als in einer first person-Kameraperspektive durch den finsteren Wald zu huschen, in der Erwartung eines Monsters?) zunächst aber von eher schalen Witzen geprägt und läuft zu sehr in vorhersehbaren Bahnen ab – möglicherweise sind Vertreter, die vor allem auf echten Thrill und Beklemmung setzen, für dieses Genre besser geeignet als ironische, da man nicht soviel ins Reflektieren gerät. Der Aspekt mit dem einsamen Jäger, der sich zunächst abwesend-geheimnisvoll gibt und wenig später bereitwillig melancholisch alles vor der Kamera ausplaudert, ist nicht ganz gelungen (hier werden, nie ein gutes Zeichen, Erinnerungen an den dahingehend grandiosen Dainipponjin wach).

Umso erfreulicher ist es, dass der grundsätzlich ja stets sympathische Troll-Jux im letzten Drittel doch noch deutlich zulegt – in Szenen wie jener mit der „Ritterrüstung“ und spätestens dann mit dem Betreten einer Troll-Höhle mit mehreren Exemplaren steigt das Niveau – bzw. sowohl jenes der Humoreinlagen (hektisch-exzessives Einreiben mit „stench“; die Furzszene ist hier ausnahmsweise mal eine der lustigsten) als auch jenes der Beklemmung, die erzeugt wird. Der Showdown mit einem gigantisch riesigen Troll ist gar herausragend inszeniert, im Zusammenspiel aus grotesker, aber packender Situation und der erstaunlich mitreißenden Kombination aus rauschhaft rasenden Bildern (plus genialer „broken lense“ Momente und einer sehr lustigen Religionszugehörigkeit-Einlage) und intensiver Akustik. Zusätzlich gibt es dann noch ein fieses, eher unerwartetes, kleines genretypisches „Böse Regierung“-Ende.

Phasenweise ist dieser Film also ein echtes, sanft kultiges Vergnügen, aber alleine der mega-lahme Spruch im Abspann „No trolls were harmed…“ ist dann wieder eines von mehreren Beispielen dafür, dass er auch immer wieder von abgeschmackten Ideen durchzogen und somit doch kein echter Hit ist. Dennoch überwiegt am Ende das Vergnügen und die Zufriedenheit ob eines netten Spaßes mit stellenweise richtig gelungener Inszenierung.

6. Mai 2011

A very british Gangster (Donal Macintyre) 3,35




Eine Doku über einen Gangsterboss? Klingt gut, nur her damit! In der Theorie ist es dann weiters auch nicht schlecht, dass meistens sein unglamouröses Großfamilienleben gezeigt wird. In der Praxis ist dies aber einer der ödesten Filme, die man sich vorstellen kann. Dominic Noonan, ein richtig schwerer, zigmal verhafteter großer Bursche, ist so uncharismatisch, dass es zu keiner Sekunde dieser über 90minütigen Doku spannend ist, was er erzählt. Man könnte ihn mit seinem amateurmäßig impulsiven Gehabe fast schon für Fake halten, was er aber wohl nicht ist. Wenn der Reporter ihn begleitet und ihn interviewt, kommt das unglaublich peinlich daher; als ob Noonan irgendetwas wirklich Spannendes, sprich „Heißes“ über seine illegalen Aktivitäten einfach so in die Kamera erzählen würde - wobei, eigentlich quatscht er eh recht unverhohlen, doch dadurch wird es nur noch öder.

Vom elektrisierenden Wahnsinn eines Killer-Interviews wie El Sicario ist dieses mit Unmengen an „cooler Musik“ zugepflasterte Filmchen extrem weit entfernt. Man sieht vor allem die Hardcore Proletarier-Schicht Manchesters, von Noonans halbstarken Neffen bis zu den kleineren Kindern, white trash lässt grüssen. Diese Eindrücke an sich (eventuell noch weiter verfolgt) wären gar nicht mal so uninteressant (gewesen), doch dieser Film ist wie sein „Held“ einfach nur peinlich und völlig uninteressant.

5. Mai 2011

Bloody Mondays and Strawberry Pies (Coco Schrijber) 7,59




Eigentlich müsste hier nun ein Text folgen, der meine Eindrücke dieser essayistischen Dokumentarabhandlung über die Langeweile schildert. Nur leider habe ich diesen Film vor ca. einem Monat völlig übermüdet und mitten in den Urlaubsvorbereitungen gesehen und mir nicht einmal Notizen dazu gemacht. Das Verblassen detaillierter Eindrücke soll aber den positiven Eindruck, den ich von diesem Film hatte, nicht schmälern.


Anhand von Gesprächsfetzen mit einigen porträtierten Personen, vom marokkanischen Wüstenführer über einen Maler mit einer faszinierend-megaeigenbrötlerischen Passion (er malt alle Zahlen auf, von 1 weg, soweit er kommt) bis zu arbeitenden Menschen mit gewöhnlicheren Jobs spannt Schrijber mit Unterstützung vorgelesener Passagen von Dostojewski und Ellis einen schönen Bogen rund um ihr Thema und Lebensentwürfe. Dass das manchmal selbst nicht unfrei von Momenten des Plätscherns ist, liegt auf der Hand, dennoch ein schöner, ruhiger Film - da müssen wir jetzt einfach gemeinsam meinen verblassten, niederschwelligen Eindrücken von damals trauen...

4. Mai 2011

Interludium - Cantet, Mendoza, Maddin


L’emploi du temps (2001) 8,62

Eindringliches, geradezu elegisches 130 Minuten Porträt eines Mannes, der vorgibt, einen tollen neuen Job angenommen zu haben – in Wahrheit jedoch gekündigt wurde und immer mehr in eine Scheinwelt hinwegdriftet.

Aurélien Recoing spielt beeindruckend diesen Charakter, Regisseur Cantet (Entre les murs) nimmt sich viel Zeit für eine faszinierende Studie; die klassische Musik transportiert dabei mehr Gefühl als die Fassade Vincents, die fast stets aufrecht bleibt; umso beeindruckender sind dann die wenigen Momente, in denen er innerlich zusammenbricht und seiner Frau oder einem späten Freund andeutet, was in ihm wirklich vorgeht.

Anscheinend beruht der Film auf einem wahren Fall, der enorm tragisch endete; wenn man das vorher weiß, scheint, als das Filmende naht, dieses kaum aushaltbar; es könnte sein, dass Cantet damit auch richtiggehend spielt; doch sein Film endet anders – und wird dann durch die letzte Szene noch mal ergänzt, und gewinnt dadurch noch zusätzlich an Größe.

Ein großartiges Werk über einen Menschen, der abdriftet und, auf Autpilot geschaltet, im Zeitlupentempo sein Leben und das seiner Familie ruiniert. Ein Biedermann mit einem Schein-Vorzeigejob und –leben, in dessen Inneren jedoch eine schleichend destruktive Energie arbeitet. Zutiefst beunruhigend und erschreckend ist das und doch, was diesen Entwurf so intelligent-beklemmend macht, sind seine sehnsüchtigen Gedanken in Ansätzen auch nachvollziehbar (etwa wenn Vincent erzählt, dass er lieber stundenlang im Auto fährt als die Ausfahrt zum Ort eines wartenden Kunden zu nehmen). Solche Gedanken kommen vermtulich bei jedem immer wieder mal vor, nur schaffen es die meisten Menschen, sie sofort wieder zu stoppen und das Leben mit all seinen mühsamen Seiten im Großen und Ganzen zu meistern – Auszeit ist vor allem ein Film über das Nichtgelingen, das bewusste oder unbewusste, gewollte oder ungewollte Scheitern.


Masahista (2005) 6,20

Mendozas Klasse aktuellerer Werke wie Serbis oder Lola blitzt in seinem Debüt noch kaum auf (durchaus allerdings einzelne Elemente, die sein Werk charakterisieren). Extrem billige Videoqualität, oftmals fast avantgardistisch schnelle Schnitte, dann wieder extrem ausgeruhte Homoerotik-Gesprächs- und –gefühlsszenen und das völlig eigene Flair des modernen philippinischen Kinos lassen aber auch den Masseur zu einem minimal überdurchschnittlichen Werk mit einem gewissen „kann man schonmal ansehen“-Faktor werden.


The saddest music in the world (2003) 8,26

Wie eigentlich immer bei Maddin sehr charmanter, ultramelancholischer, grenzgenial abgedrehter, originell-liebevoller Wahnwitz, toll gespielt und wunderschön hommagierend gefilmt; die Spielfilmlänge schadet trotz anfänglicher Schrägheits-Bombardements-Bedenken nicht, dem oftmaligen Kurzfilmexzentriker geht auch über die lange Distanz die Luft nicht aus, der Film bleibt bis zum emotionalen, lauten und stillen Finale ein spezielles Vergnügen, wenn auch ohne genialischen Tiefgang.

2. Mai 2011

Enter the Void (Gaspar Noé) 6,62

ÜBERRUMPELND
HÄMMERN
DIE
CREDITS
TECHNODELISCH
AUF DIE
SINNE EIN





Gaspar Noé ist zurück; eine gefühlte Ewigkeit nach seiner Düsterprovophilo-trilogie Carne, Seul contre tous und Irreversible, Filmen, die bei aller Angreifbarkeit so roh und so aufregend waren, dass die Erwartungshaltung bei diesem Mann durchaus hoch sein darf.

ETV ist dann auch ein gigantisches Projekt, das trotz unentwegt drehender Kamera blöderweise nur alles andere als mind-blowing, -fucking oder gar -erweiternd ausfällt, jedoch ist Noé schon einiger Respekt zu zollen, diesen Todestrip so aufwändig durchzuziehen und (sanft!)radikal-ausschweifend ins Kino zu bringen. Der Inhalt ist halt das große Problem, die Geschichte viel zu simpel, naiv und belanglos, das Seelen-Umherschweifen zieht sich wie Kaugummi (und ist im Mittelteil tatsächlich fast so mühsam, wie es Christoph Huber erlebt hat): man kann hier kaum von Spaß, Unterhaltung oder gar Spannung sprechen und dennoch ist dieser Film alles in allem - und vor allem zum wirklich abgefahrenen, tatsächlich noch so etwas wie berauschend-hypnotisierenden Ende hin - eine ungewöhnliche Kinoerfahrung, ein Trip, den etwa Kubrick und Jodorowsky schon viel viel besser hinbekommen haben, aber das ist auch ewig her. Auch wenn Enter the Void insgesamt nicht wirklich gut, sondern höchstens hin und wieder richtig faszinierend ist: Dass es diesen Film und so einen Irren wie Noé gibt, ist schon beruhigend.