20. Dezember 2013

A Torinói Loi (Béla Tarr) 6,7



Das Turiner Pferd: In diesem, von Koryphäen wie Hoberman, Rosenbaum und co sehr gut bewerteten Film von Béla Tarr spürt man ständig den Willen, klassisches, strenges, düsteres, bedeutendes europäisches Autorenkino zu schaffen wie damals bei Dreyer, Bergman oder Tarkovsky.

Und Tarr ist natürlich einer, der diese Schule sehr gut beherrscht. Sein letzter Film solle dies sein, habe ich vorher gelesen und lange musste man in Wien warten, bis der Film in einem Kinosaal gezeigt wurde (Dank geht hier an die „profil series“-Reihe von Stefan Grissemann, der der Kinolandschaft inklusive sonst so verlässlicher Viennale aushalf, und zumindest eine Vorstellung ermöglichte). So ging ich also auch als jemand, dem weder die "Werckmeisterschen Harmonien" noch The Man from London trotz der großartigen Schwarzweißbilder die Welt bedeuten, sehr gespannt in diese Vorstellung.

Der Film selbst ist von der ersten Sekunde an faszinierend; die edlen Bilder, die Musik, das grandiose Setting: das Pferd, der alte Bauer und die junge Frau in der von düsterer, stürmischer Natur umgebenen Hütte. Einfaches Leben wird hier auf das Minimum heruntergebrochen; jeden Tag gibt es genau eine Kartoffel zu essen, gesprochen wird immerhin sogar etwas, aber es sind nur kurze, knappe Sätze, aus denen längst jede Lebensfreude gewichen, jedes Interesse an Kommunikation erloschen ist.

Selbstverständlich ist so etwas zweieinhalb Stunden lang Anstrengung pur und nur punktuell so etwas wie unterhaltsam. Doch man harrt und blickt, von Tarrs Meisterschaft katalysiert, stets gespannt auf die Leinwand, ähnlich wie es auch die beiden armen Seelen nach dem Essen tun, wenn sie sich ans Fenster setzen und das Schauspiel des apokalyptischen Windes begutachten.

Tarr holt aus seinem reduktionistischen Ansatz Einiges heraus, er wechselt jeden gezeigten Tag die Kameraperspektiven, studiert sein Vater-Tochter-Paar und die Hütte. Und das Pferd. Zwei Besuche bringen etwas Leben in die Bude, und ähnlich wie die armen Menschen den täglichen Kartoffel versucht man so etwas wie Bedeutung zu all diesen kunstvollen Bildern der Tristesse aufzusaugen.

Gegen Ende erlischt dann das Licht; Bela Tarr erklärt im erlebenswerten Q&A danach, der Film sei eine Anti-Genesis (neben allerlei betont eigenbrötlerischem, aber vermutlich ironischem „film is just stupid pictures“ Gebrabbel), was durchaus interessant scheint, wenn man darüber nachdenkt. Irgendwo habe ich nach dem Film gelesen „so lässt man im Kino die Erde untergehen, Lars von Trier“. Tarr findet aber nur teilweise den eindrucksvolleren Zugang, das Ende des auch nicht idealen Melancholia war dann doch unheimlicher und intensiver. Tarr findet ein grenzgenial subtiles Ende für seinen Film, dennoch ist sein Kino enorm anstrengend. In diesem anstrengenden das Geniale für sich zu entdecken rechtfertigt jede Sitzfleisch-Qual; leider habe ich es im Werk von Tarr auch nach dem dritten Film noch nicht entdeckt. Vielleicht macht er aber auch ein eher gestriges Kino, eines das selbst ausstirbt oder schon ausgestorben ist. Die angesprochenen Dreyer, Bergman und Tarkovsky scheinen mir inhaltlich dem eigenwilligen Ungarn jedenfalls doch um das entscheidende Körnchen der zu Geiste und Herzen gehenden Filmphilosophie voraus gewesen zu sein.