28. Juli 2011

tranzania. living. room. (Uli M Schueppel) 7,32




Warme Klänge zu gefilterten Bildern der Savanne läuten diesen Film ein und durchsetzen ihn immer wieder. Hauptsächlich sehen wir Menschen in Tansania, die ihrem Alltag nachgehen, auf der Straße, in der Kirche, beim Tanzen, seltener bei der Arbeit. Schueppel lässt, konträr zu einem Kind, das über Tansania redet, die Menschen ihre Vorstellungen über europäische bzw. deutsche Wohnzimmer erzählen, doch filmt sie nicht beim Reden, sondern legt die Tonspur über Bilder, die die Menschen nicht redend zeigen (dieses Stilmittel gibt es übrigens auch bei "Territoire perdu" 2 Einträge weiter unten)

Auf Dauer erschöpft sich das im Grunde sehr nette Konzept dieses Essays etwas, dennoch ist der träumerische Film vor allem ein schöner Einblick in das Leben von Menschen aus einem Land, welche(s) man sonst (so gut wie) nie im Fernsehen sieht.

26. Juli 2011

Waffenstillstand (Lancelot von Naso) 5,35




Im Irak des Jahres 2004 schließen sich ein Ärztin/Arzt- und ein Kameramann/Reporterduo zu einem Team zusammen, das eine Medikamentenlieferung in ein Krankenhaus im zerbombten Falludja bringen (bzw. darüber berichten) will. Ein Waffenstillstand für einen Tag (plus Nacht) ist zwar vereinbart, dennoch ist der Trip eine sehr riskante Reise ins Ungewisse.

Der Film wurde an manchen Stellen dafür gelobt, dass er für eine deutsche Produktion sehr nach Hollywood aussehe. Dies ist jedoch eher als Nachteil zu betrachten, die ziemlich gelackten Bilder und die typisch anschwellende Musik nach Schema F zu diversen Situationen sind das Schwächste am Film. Die Darsteller bzw. Charaktere sind dagegen auf eigene deutsche Art schon wieder zu wenig glatt oder einfach anders als es in einer US-Produktion wäre. Wirklich gut ist aber auch die Charakterzeichnung nicht.

Dass die Gruppe einen einheimischen Fahrer hat, sollte die gefährliche Reise an und für sich entspannter machen, doch der Film ist manchmal sehr eigenartig in seiner Charakterisierung des einheimischen Volks, das wirkt dann eher klischeehaft denn realitätsnah (dabei ist der Film aber, vor allem am Ende, deutlich humanistisch inspiriert).

Als dümmstes Beispiel sei die Szene angeführt, als hinter dem Kleinbus des Teams auf einer kaum befahrenen, aber natürlich nicht umsonst existierenden Straße, ein anderes Auto auftaucht, und sofort der Schluß gezogen wird, dass man „verfolgt“ werde. Ziemlich miese Szene. Auch Geldeinforderungs-Reaktionen der Einheimischen nachdem sie gefilmt wurden, scheinen grotesk überzogen und auch ganz am Ende gibt es noch mal so eine absurd schlechte Szene mit bedrohlich-bewaffneten „Terroristen“.

Trotz dieser auffälligen Einzelpunkte ist der Film im gesamten nie dümmlich, sondern relativ spannend (ein Roadmovie durch ein fremdes Land im Kriegszustand ist das ja fast schon per se) und die Mission ist, so wie gezeigt zwar ziemlich blöd, aber doch ehrenhaft. Gegen Ende fallen aber die Vorhersehbarkeiten bzw. die Aspekte eines Films, der in einem fremden Land spielt, aber eben von Menschen „von hier“ gemacht wurde, doch stärker ins Gewicht und insgesamt ist das alles nicht überzeugend, alles etwas zu kalkuliert, ungewagt und das Meiste wirkt zu realitätsfremd. Wobei wir wieder beim Hollywood-Vorbild wären, doch in solchen Produktionen ist dann meistens wenigstens ordentlich Drive drin. Waffenstillstand hat diesen nicht, doch Entspanntheit und Kultursensibilität „richtig guter ‚Arthaus‘-Filme“ fehlen auch weitgehend. So ist es dann rückblickend doch nicht mehr als ein halbnettes, letztlich wenig erbauliches TV-Filmchen aus Deutschland geworden.

22. Juli 2011

Territoire perdu (Pierre-Yves Vandeweerd) 7,62




Eine Doku über das Politikum Westsahara in sehr ungewöhnlicher Form: schwarz weiß, kunstwillig, sperrig, experimentell. So sprechen viele Personen, doch gefilmt werden sie schweigend, die Tonspur ergänzt dazu das Bild.

Das Positive an diesem Projekt ist vor allem, dass den unterdrückten, verfolgten Nomaden bzw. Wüstenbewohnern eine Stimme, ein Gesicht (bzw. mehrere) gegeben wird. Das ist vermutlich nicht viel, aber immerhin etwas.

Der angesprochene Kunstwillen mag so gesehen nicht so recht zum politischen Sujet passen, doch dadurch wird der Film speziell. Verwendet der Regisseur seine Mitwirkenden dafür, sich stilistisch selbst zu verwirklichen? Zwischenzeitlich kann man das schon glauben, zwischenzeitlich gibt es auch langatmige Stellen. Doch die Eigenart des Wüstenvolks wird nie verletzt, tiefer Respekt und Einsatz sind immer spürbar. Ob der Film stilistisch die angesprochene Eigenart der Menschen (angemessen) widerspiegelt, kann man als Zuseher nicht wissen.

Gegen Ende wird Verlorenes Territorium richtig gespenstisch, vor allem auf der Tonspur; hier kann man den Regisseur und seine Ausdrucksform vielleicht auch am ehesten verstehen: Artifizierung eines rational schwer fassbaren, furchtbaren, eben gespenstischen Zustands.

Mit einem Interview einer verzweifelten Frau aus dem Widerstand, die eindrücklich bis erschütternd ihre Erfahrungen mit der marrokanischen Polizei beklagt, bekommt der Film zum Ende hin immer mehr Kraft, um schließlich irre mit einer Kamel-Laut-Symphonie zu enden. Es ist definitiv ein Werk, das Eindruck hinterlässt und am Ende ist der ungewöhnliche Stil nicht unangebracht, sondern scheint höchst passend zur perversen Situation.

20. Juli 2011

Nénette (Nicolas Philibert) 6,65




Schon wieder ist ein Affe der Hauptdarsteller. Extreme Nahaufnahmen eines runzlig-zerfurchten Gesichts sehen wir zu Beginn dieses ungewöhnlichen Dokumentarfilms über eine ca. 40-jährige Orang-Utan Dame. Nénette ist also eine Tierdoku, doch eine ausgesprochen künstlerisch-französische und eine besonders kino-taugliche: nämlich eine philosophische Reflexion über das Betrachten an sich und über das Spekulieren, was in (eingesperrten) Tieren so vor sich geht. Während wir die Affen - neben Nénette auch ihren Sohn - sehen (was alleine schon faszinierend, manchmal auch belanglos ist), hören wir Zoobesucher, Pfleger und unidentifizierbare Philosophierer über das Gesehene (und nicht sicht- bzw. nicht nachweisbare) reden…

Der kurze Film zieht sich schon etwas und bringt keine Mördererkenntnisse, doch Philibert involviert den Zuschauer geschickt in seine Reflexion.

(Lesenswerte weiterführende Gedanken zu seiner Arbeit wurden im Falter und der Stadtkinozeitung geschrieben, leider scheinen diese Artikel online jedoch nicht verfügbar zu sein.)

19. Juli 2011

King Kongs Tränen (Peter Kern) 8,06




Ein betont schräger, manchmal pseudo-dilletantischer Film, der tief die Freiheit der Kunst atmet. Kern agiert auch vor der Kamera als trauriger Clown, gegen Ende eingestreute Horrorelemente (bis zum absurden Finale) steigern den Spaß an diesem Kuriosum. Die Gratwanderung aus eher trashigen Stilmitteln und solchen der gehobenen Kunst wie Operngesang, feinen Kamerafahrten und sehr guter Filmmusik vermengen sich zu einem köstlich grotesken Ganzen.

Weniger die Elemente, die Kern scheinbar antreiben, der Ausländer- bzw. Schwarzen-Hass der Österreicher, der Kirchen-Sadismus und die Österreicher-keller (naja..) sind es, die diesen Film auszeichnen, als vielmehr zu spüren, dass durch diese Triebfedern so irre Kunst entstehen kann. In den ersten Minuten ist ja noch eher zu befürchten, dass hier provinzielles Theater mit einem zu selbstgefälligen Selbstdarsteller geboten wird, doch beides erweist sich als inkorrekt. Bzw. Kern, der Affenkönig der Filmschaffenden, ist immerhin nicht unsympathisch.

Bereits ganz zu Beginn ist es ja schon extrem köstlich, als eine Mail eines entrüsteten Kinobesuchers (inklusive Kotz-Hinweis!) über einen früheren Kern-Film eingespielt wird: dieser Witz, dieses Lustigmachen über Kritik, über Kunstfeindlichkeit, über Unverständnis, das vielleicht manchmal sogar nachvollziehbar ist. Die Seele dieses Films zaubert ein Lächeln in Gesicht und Herz, und wenn man tatsächlich als einziger im Kino sitzt, mag man das vielleicht gleich noch ein wenig mehr.

Man könnte einige Szenen extra anführen, etwa jene frostige, als eine Frau (unerwartet) bösartig rassistisch über einen Ausländer im Tierkäfig spricht. Kern könnte ohnehin garantiert „gut“ und „anspruchsvoll“ inszenieren, stattdessen spielt er lieber mit seinen Titten Adolf und Pauline. Das ist manchmal an der Grenze zur Peinlichkeit, aber der Gesamteindruck ist eben, ein besonderes Werk zu sehen. Sehr cool ist übrigens auch noch die (treibende/Horror-) Musik im Abspann, die auch danach zum Schwarzbild noch weitergeht und den Zuseher nicht kotzend, sondern beschwingt und erfreut entlässt.

12. Juli 2011

Interludium - Besson, Boukhrief, A.Kaurismäki


Le grand bleu (1988) 5,51

Eigentlich ist dieser Film bei aller Ambitioniertheit eine völlige Katastrophe: die Penetranz der pausenlos dudelnden, oft total unpassenden, spätestens nach einer halben Stunde schon nervtötenden Synthie(?)-Saxofon Musik und die exaltierte Klamauk-Komik, die das „Drama“ rund eine Stunde dominiert (und damit an Bessons witzigen Taxi erinnert – zu dem dieser Stil ja auch gut passte) sind vor allem dafür verantwortlich.

Man weiß nicht, was Besson antrieb, seine eigentlich düstere Geschichte so blöd und oft so naiv zu gestalten; was anfangs noch ganz witzig ist, wird bald zur Qual. Doch man kann auch nicht sagen: erste Hälfte pfui, zweite hui, denn auch da gibt es immer wieder total verhunzte Momente, alleine für diese Szene mit den Japanern gehört Bessons Film eigentlich ohne Sauerstoff am Meeresgrund versenkt. Allerdings, das muß man sagen, geht eine gewisse Faszination von der Besessenheit des Filmemachers von diesem Thema auf den Zuschauer über – egal wie unglaublich mies man das meiste finden mag, und wie selbst die besten Szenen und Aspekte von "Im Rausch der Tiefe" im Detail noch eher verhaut sind, vermag es Besson am Ende zu berühren. Und darüber hinaus ist das sowieso ein Film, der so unglaublich ist, dass man ihn fast einmal durchstanden haben muß.



Le Convoyeur (2004) 7,88

Der Vorspann kündigt Explosivität an, doch danach läuft der Film (im deutschen mit Cash Truck betitelt!!) sehr langsam und ruhig an (und erinnert dabei ein wenig an den später entstandenen Shekarchi). Der stoische Einzelgänger geht geheimnisvoll seiner Arbeit in der Geldtransporterfirma nach und als Zuseher ist man unsicher, ob er ein Undercoverpolizist ist oder selbst ein krummes Ding plant. Daraus zieht der Film einen großen Reiz und es wird auch nie aufgeklärt! Die Inszenierung ist zwischendurch schon sehr träge, Boukhrief zeigt uns ein eigenes Universum mit Menschen, die völlig desillusioniert und ziemlich fertig dahinleben (ein grimmig-grusliger Höhepunkt des Films ist die Partyszene mit überraschendem Selbstmord). Auch ein bitterer Humor schwingt in dem mit seinen Außenseiterfiguren sympathisierenden Film sehr oft mit.

Gegen Ende kommt es fast unerwartet zu einer sehr harten und brutalen Gewaltexplosion, den Film durchzieht eine fast schon nihilistische Stimmung, die immer dichter wird und einen tiefen Eindruck hinterlässt. Ein ziemlich heftiger „Reißer“, weitgehend im entspannten Stil (französischer) 70er Jahre Genre-Filme.



Tulitikkutehtaan tyttö/Das Mädchen aus der Streichholzfabrik (1989) 8,14

Ein typischer Kaurismäki: sehr melancholisch, sehr romantisch (viel Platz wird Liedern gegeben, was am Ende gar an japanische Klassiker erinnert), sehr kauzige/schrullige Figuren, usw...

Aber vielleicht ist es auch sein traurigster, pessimistischster Film; dem Mädchen ist kaum Schönes gegönnt und am Ende rächt sie sich bei allen. Da kann man kaum noch schmunzeln, eindrucksvoll ist es, auch rückblickend auf eine Zeit, in der diese Art von lakonischem Proletarierkino noch recht frisch war, dennoch.

11. Juli 2011

Loft (Erik van Looy) 6,88




Der Thriller um einen Mord in einer gemeinsamen geheimen Männer-Fremdgeh-Wohnung ist anfangs eher schwer zu ertragen. Nervige Typen und platte Dialoge (synchronisiert gesehen) machen einen gewöhnlichen Whodunit-Krimi (teilweise an The Usual Suspects erinnernd) jedenfalls nicht interessanter. Die fast kindlich sexwütigen, einfach gestrickten Männer stehen eindeutig im Vordergrund, während (ihre) Frauen fast nur am Rande vorzukommen scheinen und dann nur als passive Sexobjekte betrachtet oder verarscht werden – Tiefgang ist was anderes, man wird zunächst eher über die Plattheit zu lachen angeregt denn zum Mitfiebern. Interessant ist, dass alle Beziehungen hier eigentlich völlig am Ende sind und die Lust auf sexuelle Abenteuer das Interesse an einem funktionierenden Miteinander überflüssig macht. So gesehen haben wir es generell mit einem leicht blöden, oft geradezu lachhaften Film zu tun. Okay, er hat durchaus auch satirische Grundzüge, doch die bleiben sehr dezent und oberflächlich.

Dass alles aber dann doch noch besser wird, liegt vor allem daran, dass der Fall im letzten Drittel immer vertrackter wird und zumindest eine bis zwei Figuren doch an Profil gewinnen. Überraschend komplex ist die Situation am Ende geworden und auf spannend getrimmt und inszeniert wurde der Thriller, wenn schon nicht außergewöhnlich, dann zumindest ziemlich kompetent. Die Auflösung ist schon ziemlich übertrieben, aber es macht überraschend Spaß, sich mit ihr und den Folgen zu beschäftigen. Tödliche Affären ist schlußendlich also doch noch ein ganz netter Thriller geworden, passend für einen (trotz ganz wenigen düsteren Augenblicken) locker-trashig-heiteren Fernsehabend.

8. Juli 2011

David wants to fly (David Sieveking) 7,34




Stets unterhaltsam ist diese 1st Person-(Quarterlife-Sinnsuche-)Entertainment-Doku über transzendentale Meditation, vor allem die Szenen mit Vorbild und Vornamensvetter des Regisseurs, David Lynch, sind köstlich; auch wenn Sieveking (dieses naive Grinsen!) und seine Freundin manchmal mühsam zu ertragen sind, und der Film in Hälfte 2 in etwas ernstere, jedoch kaum neue Erkenntnisse bringende Sektenkritik mündet – der (leicht bemüht wirkend) schräge Film über ein schräg auswüchsiges Esothema liefert einige sehenswerte Aufnahmen (indisches Begräbnis, Innenansichten einer fragwürdigen Gemeinsachft) und macht schon Spaß – vor allem natürlich David Lynchs unaufhörlich flatternde Finger.

6. Juli 2011

The Tree of Life (Terrence Malick) 7,44




Ein in vielerlei Hinsicht gigantischer Film (auch was den Rummel um ihn herum angeht), doch insgesamt fällt das Resümee leider nicht begeistert aus, auch wenn Malick erfreulicherweise wieder deutlich besser ist als zuletzt mit The New World. Dass The Tree of Life aber wiederum nicht an die exorbitante Klasse der genial philosophierenden Kriegsmeditation The thin red line heranreicht (in dem Malick die Verbindung aus dem superben Gefühl für 'Natur filmen' und existenziell-tiefgründiger Unterlage bis jetzt am besten hinbekommen hat), liegt weniger an den fantastisch dahinfließenden Bildern, sondern am inhaltlichen – der mystisch-sakralen Grundstimmung des Films geht irgendwann die Luft aus, spätestens bei einem mehr als nur grenzkitschigen Ende.

Dennoch ist der Film die meiste Zeit ein Kinoerlebnis, lädt zum Staunen und wohlfühligen Grinsen ein: Opernhaft-schwelgerisch holt Malick im ersten Teil sogar evolutionär aus, um den Zuschauer auf eine grandios bebilderte, an experimentelle Filmkunst erinnernde Reise mitzunehmen, die allerdings außer großen Schau- und Hörwerten nicht besonders viel Tiefgang aufweist. Der zweite Teil verbindet diese wichtigen Elemente eines guten Films besser, und zwar mit einem unglaublich eleganten Bilder- und Bewegungsfluß (Malick kommt fast zweieinhalb Stunden quasi ohne Dialoge aus). Am schönsten ist an diesem Film vermutlich die Entwicklung des Kindes: fast körperlich spürbar macht die Kamera das unbeschwerte Herumtollen, große Momente für Kinder und Eltern auf der Leinwand transportieren Emotionen direkt in die Seele des Publikums, das ist schon beeindruckend und fast hypnotisierend, wenn auch diese „Reise“ niemals wirklich grundlegend originär ist. Außerdem stellt sich dann doch irgendwann Übersättigung ein und es beginnt das Nachdenken, was dieser (streckenweise, zumindest im Vorfeld überhypte) Film abseits seiner „sensorischen“(?) Extraklasse eigentlich (erzählen) will…

Und dann ist da eben noch dieses Ende. Tja. Wobei die letzten beiden Einstellungen ziemlich cool, weil ambivalent sind. Man könnte eigentlich, doch wirklich lange will man sich kaum Gedanken dazu machen. Dazu war der naiv-kitschige Anteil davor zu aufdringlich.

Rückblickend erfreut an diesem Werk vor allem die streckenweise großkotzig-schöne Seelenverwandtschaft zu Kubrick (bzw. seiner Space Odyssey), und die Parallelen zu Reygadas' ähnlich naturmystischem Stilles Licht fallen auf. Vielleicht kann man The Tree of Life am ehesten als sehenswertes Kinoerlebnis (in einem gänzlich anderen Sinne von überwältigender Optik als z.B. Michael Bays "Transformers" Filme) ohne wirklich profunde Bedeutung beschreiben. Gut möglich andererseits, dass es viele Leute gibt, denen dieser Film viel bedeutet, die in ihm etwas mystisch-spirituelles erleben. Doch die biblische Geschichte und Ausrichtung, dieses Streben nach ganz oben, ins ganz Große macht den Baum des Lebens im Vergleich mit auf bodenständigere Weise mitreißenderen Kinogeschichten vielleicht doch etwas kleiner als Rummel und Auszeichnungen uns weismachen wollen.

4. Juli 2011

Die Stille der Unschuld (Claudia Schmid) 8,11




Ein ruhiges, sich Zeit nehmendes, genau beobachtendes, stilistisch reduziertes, tolles Porträt des Künstlers Gottfried Helnwein bei der Arbeit. Schön wird der Kontrast zwischen einem sympathischen Familienmenschen und seinen teilweise verstörenden Bildern, die eine brutale, eine schreckliche Welt reflektieren, im Laufe des Films ersichtlich. Sicher ist diese Arbeit fast schon Special Interest-Programm für Kunst-Interessierte, und das obwohl tatsächlich Arnie mitspielt. Als Helnwein den alten Bekannten und Fan seiner Landschaftsbilder im Büro besucht und die beiden plaudern, wird es auch mal witzig bzw. leicht skurril.

Wenn Helnwein über die Bedeutung der Kunst im Allgemeinen, ihre Freiheit, u.ä. spricht, dann ist das nichts besonders Neues oder Aufregendes, aber es ist doch immer wieder schön, zu sehen, dass es Außenseiter-Künstler gibt, die ihr Ding durchziehen und so die Welt reflektieren, dem Publikum neue Perspektiven, eine andere Sichtweise eröffnen. Etwas, das Helnwein durch seine ausdrucksstarken Bilder (früher auch Aktionen) wesentlich besser gelingt als durch manche Aussagen gegen Ende des Films (z.B. wirkt es etwas daneben, Gefängnisse und Konzentrationslager in Zusammenhang zu bringen). Doch dies soll ja keine Bewertung von Helnweins Ansichten sein, zumal es die meiste Zeit in diesem feinen kleinen Film sogar sehr spannend ist, ihm zuzuhören bzw. bei der Arbeit zuzusehen.

3. Juli 2011

Pour Elle (Fred Cavayé) 5,27




Anstatt sich auf ein oberflächliches Thrillerchen mit dem Thema biederer Lehrer goes tough, weil er versucht seine Frau aus dem Knast zu holen zu beschränken, hätte mich an der speziellen Ausgangslage des Films ein Justizdrama mehr interessiert. Worum geht es hier? Eine unbescholtene Frau kommt eines Abends in eine Tiefgarage, eine andere Frau streift sie im Vorbeigehen (Blut am Mantel). Sie findet einen Feuerlöscher neben dem Auto liegen, den sie wieder hinstellt, und fährt dann weg. Zurück bleibt eine Leiche neben dem Auto, den Mord hatte die unbekannte Mantelstreiferin mit dem Feuerlöscher begangen: die Spuren führen nun aber nur zu unserer Unschuldigen.

Wie es sein kann, dass man wegen so etwas zu einer jahrelangen Haftstrafe verurteilt wird, bzw. wie die Betroffenen vor Gericht dagegen ankämpfen, wäre vielleicht auch etwas blöd, aber spannend gewesen. Oder wenn man sich mehr darauf konzentriert hätte, wie die unschuldig verurteilte Frau im Knast unter ihrem Schicksal leidet und womöglich daran zerbricht. Diese dramatische Geschichte jedoch nur aus der Perspektive des Ehemanns darzustellen, ist zwar ein Ansatz, der nicht kritisierbar ist und in der Theorie auch gar nicht schlecht. Doch der Film ist kein Psychogramm, er bleibt viel zu sehr an der Oberfläche und bietet da nur Prison Break-light Spannung, was garantiert niemanden vom Hocker reißen kann.

Ganz nette Unterhaltung hätte man mit Bauchweh noch sagen können, wenn dieser Stoff nicht noch viel mehr hergegeben hätte. Ein Vergleich mit dem thematisch nicht unähnlichen Klopka kommt in den Sinn, der schon auch nicht grandios, aber doch deutlich gelungener und intensiver als Ohne Schuld war.

Schwer zu sagen ist, ob das US-Remake von Paul Haggis (The next three days) interessanter ausfiel, doch zumindest ist anzunehmen, dass jener, sollte er auch keinen komplett anderen Weg als Cavayé gegangen sein, wenigstens der Figur des Ehemanns viel mehr Tiefe gegeben hat, als es im mauen französischen Original geschah.

2. Juli 2011

Source Code (Duncan Jones) 7,19




Sehr unterhaltsamer Sci-Fi Thriller mit einem coolen Setting (der fahrende Zug mit Bombe, immer wieder diese 8 Minuten Zeit, aber keinen Plan), aber ohne die Erklärung des Codes genau mitbekommen zu haben, scheint dieses ganze Konstrukt (in eine Erinnerung einzutauchen, aber diese Erinnerung in einem Paralleluniversum subjektiv nach Lust und Laune zu verändern, auszudehnen und gar zu sprengen) doch ziemlich blöd und nicht mal ansatzweise plausibel. Ohne eine „Ist das unrealistisch“-Haltung einzunehmen, trübt es den unterhaltsamen, kurzweiligen und wie Moon wiederum humanistischen und leicht philosophischen Film im Nachhinein etwas und führt zum retrospektiven Punktebazug: ansonsten aber schöne, tight inszenierte, gewitzte Unterhaltung mit einer eben nicht ganz schlüssigen, aber dennoch erfrischenden Murmeltiertag meets Terroristenthriller-Idee.

1. Juli 2011

Schwarzkopf (Arman T. Riahi) 5,30




Eher oberflächliche Rapdoku, die es versäumt, die Migrations- (und mögliche „Integrations-“) thematik auszunützen für eine clevere Reflexion. Stattdessen werden bloß junge Männer gezeigt, die ihr Straßen- (besser gesagt Wett- und Zocker- und Abhäng-) Leben romantisieren und ihre stets gezeigte „Coolness“ nie ablegen.

Dem Hauptdarsteller bzw. Hauptporträtierten Nazar fehlt schlicht Charisma (eine schwache/bemühte Bushidokopie?) - wenn der deutsche Rap-Produzent beim ersten Hören seiner Raps sagt: "das schockt mich einfach nicht (mehr)", dann beschreibt das auch diesen leider oberflächlichen Film ganz gut. Er gibt zwar kleinere Einblicke in ein Lebensgefühl, doch ist das (bis auf kleine Ausnahmen, etwa einer Schilderung eines unfassbaren, rassistischen Polizistensagers) kaum aufregend oder spannend, weder in unterhaltsamer noch in tiefergehender Hinsicht. Von diesem Film und seinen Figuren hätte man sich etwas mehr erhoffen können, so fehlt Tiefenprofil – ob Riahi es verabsäumt hat, diesem nachzuspüren oder ob es den Porträtierten schlicht daran mangelt?