15. Juli 2013

Kurzkommentare (slash, u. Viennale 2012)


Nightbreed (The Cabal Cut) [Clive Barker] 6,25
Kultfilm, endlich in der ursprünglich geplanten Version zu sehen, wenn auch nur in teilweise unglaublich dunkler und erkennensfeindlicher VHS Qualität.
Die Idee des Films (Monster gut und sympathisch, Menschen böse und feindlich) ist toll, die Ausführung leider gar b-illig. Man spürt in dieser längeren, oft um gefühlige Szenen bereicherten Fassung deutlich, dass Barker seinen tragischen Helden Leben einhauchen wollte; richtig mitreißend wird es dennoch nicht. Cronenberg als irrer u. mordender Psychiater hat natürlich was, doch an intensiver Spannung fehlt es trotzdem weitgehend.
Immerhin, die letzte halbe Stunde hat es in sich und lohnt den Blick auf das ursprüngliche Werk; wenn die Menschen/Polizisten die Outlaw-Festung Midian stürmen, bricht ein wüstes Gemetzel los, das man nur zu gern in echter Kinoqualität sehen würde; die Chancen dafür stehen aber wohl nicht besonders gut...
"Nightbreed" bzw. "Cabal" bleibt trotz aller B-Movie Probleme in dieser Form ein zwar etwas ungelenkes, aber sympathisches Monstrum.


Oca/Dad (Vlado Skafar) 8,3
Sanfte Poesie und Melancholie in einem ungewöhnlichen, leisen, wunderbaren Film. Ein Vater geht mit seinem Sohn angeln, die Kamera gleitet ruhig dahin wie die Wellen am kleinen See...
Vermeintlich kleine, aber elementare Geschichte mit Gefühl und ungewöhnlichem, ausdrucksstarken Epilog.


Beyond the black rainbow (Panos Cosmatos) 8,25
Definitiv ein arger, irrer Trip, auch wenn oft an der Grenze zum Nervigen, Lachhaften. Aber das in so einer Konsequenz durchgezogen ist schon der Hammer. Auch wenn leider ausgerechnet das Ende dem völlig losgelöst Trippigen wieder Fahrt nimmt. Dennoch, besser als z.B. Noes letzter, und das Erlebnis wert (hoffentlich auch abseits des Kinosaals).


Into the Abyss (Werner Herzog) 8,1
Werner Herzogs Film über zum Tode Verurteilte. Herzog nähert sich wie immer souverän und vollständig respektvoll. Bewegend und manchmal so schräg wie halt eben das Leben auch in den schlimmsten Facetten sein kann, und Herzogs Filme eh immer sind.


Sinapupunan/Thy Womb (Brillante Mendoza) 7,5
Angenehm wie Mendoza das Leben „der Menschen im Süden“ inszeniert. Während irgendwo daneben und dazwischen kriegsähnliche Zustände herrschen (siehe auch „Captive“) und das Militär durchs Bild läuft, filmt der vielleicht wunderbarste Filmemacher dieser Zeit einfach weiter: u.a. majestätische Riesenfische oder eine Kuh, die vom Boot fällt: im Geiste großes Kino, dem ein kleines bisschen die Dringlichkeit und das Famose seiner vorigen drei Meisterwerke fehlt..


San zimei/Three Sisters (Wang Bing) 8,25
Lange und sicher manchmal langatmige Dokumentation eines Lebens in der Abgeschiedenheit in den Bergen Chinas und in großer Armut: unmittelbares, maximal humanistisches Kino.


Anton tut ryadom/Anton's right here (Lubov Arkus) 5,5
Film-Porträt eines autistischen Jungen. Wie zu erwarten ist das natürlich etwas schwierig anzuschauen, aber unter dieser Regie auch bald nicht mehr als belanglos. Das „Tolle“ und das ist ja auch wirklich schön, an dem Projekt: dass die Filmemacherin bzw. die Filmcrew Anton im Verlauf der Dreharbeiten nicht nur filmt, sondern auch fördert und unterstützt. Dass der Film aber oft danach zu schreien scheint: „Seht her, wir filmen nicht nur, sondern kümmern uns auch um den Jungen!!“, ist irgendwie auch ziemlich nervig.

12. Juli 2013

Resident Evil: Retribution (Paul W.S. Anderson) 6,3



Mit dem RE-Vorgänger Afterlife war Anderson ein enorm beeindruckendes Werk gelungen: so blöd die Dialoge oder völlig sinnfrei bis vermutlich bescheuerte Fortführung der RE Geschichte/Reihe auch war – diese gestylte 3D Action war tatsächlich sinnlich aufregend.

Mit ähnlichen Erwartungen konnte man sich also, nach einem durchaus auch ansprechenden 3D-Musketier-Versuch Andersons in „Retribution“ begeben.

Leider wirkt dieser pompös-schwelgerische Stil schon wieder etwas verbraucht und die beeindruckenden Momente bleiben diesmal zu gering für ein sinnliches Kinoerlebnis. Das Beeindruckendste am Film ist schon auch ein bisschen ein Problem: Hier ist ALLES Virtual Reality: die Umgebung, die Figuren, alles. Jemand stirbt, nur um kurz danach, entweder na klar als Zombie, aber auch als Klon, Parallelwesen oder weiß der Geier was wieder zurückzukehren. 

Die Kühle einer solchen post-everything/absurdistischen Welt ist manchmal sehr gut umgesetzt, zu einem packenden, „menschlichen“ Film führt das halt aber auch nicht. Anderson kann es nach wie vor sehr gut, kämpfende Menschen (vor allem Frauen) in aufregend arrangierten Kunstszenerien antreten zu lassen, aber es bleibt fast immer das Gefühl, das Gleiche nur leicht besser schon vor zwei Jahren bei "Afterlife" gesehen zu haben.

Dennoch...hat was, vielleicht ja doch beim nächsten Mal wieder...

5. Juli 2013

Au cul du loup (Pierre Duculot) 8,4



Es ist nicht bloß ein Film über eine junge Frau, die aus ihrem mittelmäßigen Stadtleben ausbricht, sich gegen Eltern und Partner stellt, und ihr Heil am Land bzw. in den Armen eines (etwas gar fesch-schlafzimmerblickend und verständnisvoll gezeichneten) Schäfers sucht, um ein völlig heruntergekommenes Haus in einem fast ausgestorbenen Dorf im Nirgendwo zu renovieren und es zu bewohnen.

Der umwerfend schöne, durchgehend luftig-frische Film mit dem ungewohnten Mut zu einer wahrlich nicht besonders „schönen“ Hauptdarstellerin ist metaphorisch zu verstehen: für alle Menschen, die ihren eigenen Weg gehen müssen, die scheinbar völlig unvernünftige Dinge tun müssen, um sich lösen zu können - von Eltern, Partnern etc.

Wunderbar zeigt das liebevolle Werk aber nicht bloß das Drama des Widerstands und des Konflikts, sondern auch was es heißt, trotz deutlicher Differenzen zusammenzuhalten: wie die Menschen, die einen scheinbar für verrückt halten und für diese Verrücktheiten scheinbar verteufeln, plötzlich doch wieder dastehen und ihre Hand zur Unterstützung und Versöhnung reichen.

„Das Haus auf Korsika“ ist ein humanistischer Film, und atmet damit sozusagen den Geist vieler alter Werke von Meistern wie Rossellini oder Kurosawa, die von Herzlichkeit und Wärme geprägt waren, und von armen Menschen erzählten – auch wenn diese Geschichte im Mittelstand spielt, erreicht sie dennoch universale Größe.

4. Juli 2013

Farben einer langen Nacht (Judith Zdesar) 3,2



Der Titel dieses bei einem kleinen feinen Dokufilmfestival in Wien gezeigten Films, mit dem Setting eines kleinen Dorfes am Po der Welt in Grönland, in Kombination mit Bildern einer finsteren Winterlandschaft, die poetische Schönheit ausstrahlen, ließ Großes erwarten. 

Der Beginn ist dann auch atemberaubend schön: Aus dem Flugzeug gefilmt die Sonne, die unter den Wolken verschwindet und dabei in einer Minute ca. zwanzig verschiedene atemberaubende Farbschattierungen annimmt. Danach folgt die Kamera der in Nacht und bei starkem Wind durch den klirrenden Schnee stapfenden Filmemacherin auf dem Weg ins Dorf...

Dort zeigt sich leider sehr bald, dass weniger die titelgebende Nacht oder deren Farben von Interesse sind, sondern eher banales Interviewen und Porträtieren der Menschen im Dorf. Vereinzelt spürt man den Kunstsinn von Zdesar, etwa wenn sie eine verendende Fliege in ihrem leisen Zimmer filmt. Doch zu oft ist das spürbar, was leider im Gespräch danach bestätigt wird: dass es beim Dreh keinen besonderen Plan gab. Dies muss freilich nicht immer sein, und Zdesar geht auch sehr offen und sympathisch auf die DorfbewohnerInnen zu, doch jemand, der viel ins Kino geht und dort auch viele an Menschen interessierten Filme sieht, kann dabei schon mal ächzen und das Einnicken sehr verführerisch finden.

Es gibt natürlich viel Schlimmeres und gegen ein Dorfporträt mit Selbsterfahrungscharakter ist an sich wenig einzuwenden, aber dieser kleine Film ist leider arg beliebig geraten.

21. Juni 2013

Low Definition Control (Michael Palm) 7,2



Faszinierend, humorvoll und intelligent. War vor allem das Q&A nach dem Film von Michael Palm.

Sein Essay selbst hätte ohne diese charmante Nachbereitung im Wiener Filmmuseum vermutlich weniger bedeutend und überzeugend gewirkt. Die sperrige Form mit Wortmeldungen zahlreicher ExpertInnen, die nur auf Tonspur und ohne bildliche Identifikationsmöglichkeit reden, während man versucht, die Bilder zu entschlüsseln, lässt einen schon mal zum geistigen Durchpfeifen motivieren, obwohl man gerne den Denkansätzen folgen würde. Nur scheint das über 90 Minuten in dieser Form kaum möglich. In diesem Zusammenhang ist spannend, was Palm nach dem Film in einem anderen Kontext sagte, nämlich man solle es nicht als Fluch, sondern auch als Chance betrachten. Vielleicht ist also die (absichtliche?) Schwierigkeit des Films auch sein Reiz, dass man sich nämlich sowohl auf der Ton- als auch auf der Bildspur verlieren kann.

Bei so einem offensiv „intellektuellen“ Werk stellt sich automatisch die Frage, wie bedeutsam der Film als gesellschaftliches Diskursmittel sein kann. Dass die ständige Überwachung bzw. die Tendenz zur Überwachungs-Gesellschaft höchst kritisch zu betrachten ist, könnte fast jeder und jedem, der sich vor so einen Film setzt, bereits klar sein. Reizvoll ist jedenfalls das Spiel mit genau jener Erwartung, Bedeutsames zu sehen; denn oft sind die Aufnahmen völlig banal und man bekommt eher Mitleid mit den „Überwachern“, die all diese Banalitäten aufzeichnen, in der Hoffnung Relevantes festzuhalten.

Einer der besten Momente des Films ist jener, als man sieht, wie scheinbar eine Zigarette geklaut wird: Wir sehen es ganz deutlich, aus den Bildern allein geht jedoch nicht hervor, ob es ein "Verbrechen" war. Wir kennen den Kontext abseits des Bildausschnitts nicht, und somit wird eindrucksvoll gezeigt, wie sehr wir uns von Gedanken wie "Bilder zeigen stets die Wahrheit" verabschieden müssen (auch wenn es schwer fällt, und vermutlich auch oft sehr wohl eine Wahrheit ist, die wir sehen).

Der anstrengende Essay kann jedoch auch durch die bloße Schönheit von Bildern hängenbleiben – was u.a. auch zeigt wie entspannt Palm diese ernste Sache letztlich angeht: Genial die schwelgerische, seelenruhige Aufnahme eines fantastischen Aquariums; folgend der Aussage, man brauche Bilder, die so überwältigend sind, dass man ein Leben brauche, um alles daran zu sehen...

Auch solche Filme werden gebraucht...und LDC könnte vielleicht sogar so einer sein...

9. Juni 2013

War Horse (Steven Spielberg) 3,6



Mit großer Wahrscheinlichkeit Spielbergs schlechtester, vielleicht sogar der einzig wirklich schlechte Film seiner tollen Karriere. Nichts an dieser über zweistündigen Liebesgeschichte zwischen Jüngling und Pferd ist so gekonnt spannend wie die meisten seiner Filme, oder gar von Bedeutung über sein eigenes Schaffen hinaus.

Am "schönsten" ist das seltsame Drama in seinen Kitschmomenten, die so hemmungslos plakativ geraten sind, dass man weder lachen noch weinen sondern irgendwie nur noch paralysiert grinsen kann...leider sind diese Momente aber so rar gesät, dass der (liebevolle) Trashfaktor ziemlich untergeht; nur Anfang und Ende sind derart ultrakitschy.

Zu Beginn erinnert lustigerweise vieles an Peter Jacksons ebenda auch noch heile Tolkien- bzw. Auenland-Welt: Ausleuchtung, Kameraperspektiven, Haus im Grünen, ja selbst die Haare der DarstellerInnen. (Heißt der Film gar deshalb auf deutsch: "Gefährten"?)

Spielberg hat an AkteurInnen übrigens einiges an Können versammelt; vor allem im ersten Drittel zeigen Mullan, Thewlis und Watson, wieviel Potential hier eigentlich vergeudet wird. Dieser erste Abschnitt ist rückblickend dank des Kitschfests zu Beginn noch der beste, danach wird "War Horse" zum Kapitelfilm und völlig belanglos. Spielberg hat dem, seinem Kriegsfilmuniversum nichts Relevantes mehr hinzuzufügen, weder formal noch inhaltlich; das Pferd als schicksalsabhängig "Reisender" hat schon so manchen zur Bemerkung "Spielbergs Balthasar" bewogen; durchaus treffend, aber natürlich kann man so nur verlieren. Manchmal erinnert die Odyssee auch an den vielleicht spielbergsten aller Nicht-Spielberg Filme: Forrest Gump.

Nach einem völlig belanglosen Mittelteil versucht der weltweit wohl bekannteste aller Filmemacher gegen Ende leise Magie und Humanismus zu vermengen, und das hat, bei aller Naivität auch was (flüchtendes Pferd im Stacheldraht, gemeinsame Befreiungsaktion), aber eben nichts Bedeutsames. Alles, was man hier sieht, meint man schon fast exakt so woanders bereits gesehen zu haben.

Zum Schluß kehrt Spielberg wieder zu diesen diesmal eigenartig blutleeren "schönen (jedoch nicht bewegenden) Bildern in den warmen Farben" zurück, eine Hommage an Filme von John Ford soll das laut den Kennern sein.

Das Junge/Pferd/Kriegs-Drama ist jedenfalls ordentlich in die Hose gegangen: weder unfreiwillig heiteres Kitschfest, und schon gar nicht fesselnd-bewegend-emotionales Epos; "War Horse" ist bloß ein mageres Pseudoepos mit einer leisen Ahnung von all dem, was Spielberg, trotz all den Reibepunkten an seinem Stil, sonst eigentlich immer perfekt beherrscht.

4. Juni 2013

Lawinen der Erinnerung (Dominik Graf) 7,8



Trotz Dominik Graf (dem "deutschsprachigen Regie-Hype 2012") war ich zunächst eher skeptisch, ob eine “TV-Doku über einen Mann, der erzählt” großartiges Material sein könne, wurde dann aber von dieser hier ausgebreiteten, angenehmen Komplexität förmlich überrollt. 

Das ganz große Meisterwerk wie für Rajko, Andreas und Christoph von den Eskalierenden Träumern, ist der Film für mich nicht. Auch wenn genau das, was Christoph in seinem Tagebuch dazu schreibt, die außergewöhnliche Qualität des Films darstellt: "...bin plattgedrückt. Die vielen Verflechtungen und Verwinkelungen des Films und diejenigen, die sie wiederum in mir selbst ausgelöst haben, eine rasende Kette von Gedanken und Gefühlen, die sich mit Assoziationen verknotet, schließlich auch mit Bildern, alles in solchen Mengen und mit solcher Kraft, dass ich teilweise dem Film zu entgleiten drohte, auf das Gleis meiner eigenen Ketten."

Ich selbst habe mir leider keine Notizen zum Film gemacht (vielleicht ja genau deswegen, weil er zu komplex ist, um ihn "mal eben so mitzunehmen"), und ein Gedächtnis, das zwar mit Namen etc. gut kann, aber bei weitem nicht an jenes des hier porträtierten Oliver Storz heranreicht; und jetzt, ein gutes halbes Jahr danach, habe ich eher mentales Taumaterial als Schneemassen in mir..nur noch das verschwommene Gefühl, dass dieses Werk vielleicht doch einen Tick zu ausgestellt eloquent und intellektuell war, um komplett zu begeistern...