23. Juni 2012

Arirang (Kim Ki-Duk) 6,32



Lars von Trier ließ seine Depression in seine aktuellen Filme einfließen, Kim Ki Duk stellt sich und seine Depression gleich selbst in den Mittelpunkt seines neuen Werks. Das ist ein zunächst mal faszinierendes Konzept, und beginnt auch schön einsiedlerisch und gleichzeitig künstlerisch-experimentell. 

Erst etwas später im radikalen Film beginnt der gebeutelte und offensichtlich Gefallen an der Selbstdarstellung findende Regisseur auch endlich zu sprechen, interviewt sich selbst, hinterfragt alles…das ist sehr selbstreflexiv, sehr selbst-, aber auch Industrie-kritisch. Doch, und das stellt Kim auch kokett selbst in den Raum, könnte das alles auch bloß gespielt und inszeniert sein – sozusagen der I’m still here dieses Jahres. 

Egal, ob etwas ironisch oder völlig ernst, diese One-Man-Selbstzerlegung bleibt faszinierend, läuft sich aber schlussendlich auch tot; Kims Geschwätze wird zunehmend ermüdend - und am Ende wird es dann endgültig auch ordentlich blöd, wenn Kim doch noch seine Einsiedler-Hütte verlässt um mit einem selbst erzeugten Revolver ein paar Leute (wird nicht erklärt oder gezeigt wen überhaupt) und sich dann auch selbst erschießt. Kurz darauf lebt er wieder und singt zum letzten Mal ohrenbetäubend und -schmerzenverursachend das titelgebende Lied vom Bergpass, vom Auf und Ab des Lebens. Dieser Gesang hat auch Ohrwurmqualitäten - ein intensiver Abschluß eines nicht durchgehend fesselnden, aber erstaunlichen Selbstporträts.

21. Juni 2012

Drive (Nicolas Winding Refn) 6,35

Für viele ein neuer Kultfilm, für den hier ansässigen Blogautor kein Grund zur Begeisterung: Drive von Nicolas Winding Refn könnte überschätzt und ein etwas zu artifiziell-kühler Thriller sein.
Refn setzt wie schon im deutlich packenderen, archaischen Valhalla Rising auf den Aha-Effekt von Gewaltspitzen sowie auf Wortkargheit und die Macht der Bilder; die Postmoderne spürt man hier noch mehr als sie aber auch schon im angesprochenen Werk die Intensität minimal getrübt hatte.
Nur selten gelingen dem Männerfilmemacher hier visionäre Szenen, wie vor allem in den „Skorpion“-Momenten; der Rest ist technisch perfekt, aalglatt und manchmal scheinen Inhalt und Bilder gleich hohl. Die erzählte Geschichte ist höchst simpel: einsamer Wolf verliebt sich in ein Mädel, gerät dadurch in die Scheiße und räumt dann mit ein paar Mafiosi auf. Das wäre an sich noch kaum aussagekräftig und könnte durchaus Gerüst für einen tollen Film sein, doch Refn fügt diesem Gerüst zu wenig hinzu, um wahrlich zu fesseln.
Ryan Goslings teilnahmsloses Schauspiel kann man natürlich als zweischneidiges Schwert betrachten. Coolness oder fade Emotionslosigkeit? Generell ist alles hier sehr auf Oberflächen fixiert, vielleicht fasziniert manche auch ein gewisser „Retro-Effekt“, doch die Blicke nach vorn und in die Tiefe sind stets die spannenderen, natürlich auch im Kino. Goslings Charakter wirkt wie ein Mann ohne Eigenschaften; ein möglicherweise reizvolles Prinzip, möglicherweise auch nur hohle Attitüde.
Der Film kippt in der zweiten Hälfte mit dem Einsatz der überkandidelten Gewaltszenen; sie konterkarieren den romantischen Kern, sind zugleich aber eher belächelnswert, weil der Trick zu billig wirkt und vor allem, weil alle Poesie damit sarkastisch gebrochen wird. Es ist keine Wendung ins Abgründige, sondern eher ins gewollte (aber etwas humpelnde) Groteske. Und plötzlich sind die heftigen Abgänge und der immer coolere Driver (zuletzt mit Sin City Giftzwerg-Gedächtnismaske!) wichtiger als alles Romantische (zuvor). Refn gelingen natürlich immer wieder stimmungsvolle Bilder und Szenen, etwas in Summe ernsthaft Verehrenswertes jedoch nie.

2. Juni 2012

Polisse (Maïwenn) 7,48



Nach dem überwältigenden Pardonnez-moi gingen die Erwartungen für Maïwenns neuen Film (dazwischen liegt auch noch der bislang unveröffentlichte Le bal des actrices!) hoch – und mit Andeutungen von filmischer Radikalität beginnt es auch gleich – missbrauchte Kinder werden einvernommen, in ziemlich einschlägigen Dialogen geht es sofort gehörig zur Sache. 

In Poliezei gibt es sowohl tolle, als auch weniger gelungene Aspekte. Maïwenn liegen missbrauchte Kinder offensichtlich sehr am Herzen, und sie hält sich nicht zurück mit Drastik - intensive Szenen kreiert sie hervorragend. Zu denen zählen auch Spannungen und richtige Explosionen im Polizei-Team, alle gespielt von aus den letzten Jahren des jungen französischen Kinos, z.B. bei Mia Hansen-Love oder Valerie Donzelli, bekannten Gesichtern. 

Der Film ist konsequent in kleine Häppchen aufgebaut – sowohl von den von Gewalt betroffenen Familien als auch von den ungefähr 12-15 Teammitgliedern gibt es immer nur kurze Einblicke in deren Leben und Geschichten zu sehen und manches bleibt am Ende völlig unaufgelöst; dies kann man als spannende Herangehensweise oder auch als Schwäche des Films interpretieren: letztlich torpediert diese Struktur selbst ein wenig die Absichten Maïwenns und die Möglichkeit intensiver Nachwirkung. Man geht eher etwas benommen aus dem Film, mit dem Eindruck viel Arges erfahren und erlebt, aber auch „bloß“ ein etwas unfokussiertes „Freak“-Panorama bzw. einen „all in“-Film gesehen zu haben, freilich auch versetzt mit einigen unvergesslich-einmaligen Szenen. Zudem betreibt Maïwenn mit der Vielzahl der höchst unterschiedlichen Polizei-Charaktere ein freches, subversives Spiel mit moralischen Aspekten. 

Polisse ist durchaus intensiv, das Anliegen im direkt-tabulosen Zugang zu den Themen Kindesmissbrauch und Jugendkriminalität höchst ehrenwert, dennoch bleibt im Vergleich zum deutlich intimeren, fokussierteren Pardonnez-moi auch das Gefühl, dass die Dinge hier etwas aus dem Ruder gelaufen sind. Nichtsdestotrotz ist dieses Kino der jungen Französin immer noch höchst aufregend, außergewöhnlich, drastisch und spannend.

30. Mai 2012

Demy, Wyler, Roach


Les Parapluies de Cherbourg (1964) 7,05

Ein Klassiker – komplett gesungen: gesehen im Filmmuseum, ohne Pausemöglichkeit, eine Grenzerfahrung für Geist und Körper. Zu Beginn ist das so schön, so erfrischend, doch nach knapp 30 Minuten möchte man vielleicht schon dem ehemaligen Sitznachbarn nach draussen folgen – die Dauerbeschallung zerrt an den Nerven, der Inhalt der Geschichte wird sowieso fast zur Nebensache…

Dafür aber immer wieder mal ein famoser Schnitt, und die in 2-3 Szenen umwerfend schöne Catherine Deneuve: dieser Film hat trotz aller Mühsal etwas. An der Geschichte scheint es kaum zu liegen, die wirkt banal – man könnte aber auch Hommage an klasssiche Kino-Liebesgeschichten sagen.

Wie der Film dann zum Ende findet, ist überraschend und fast schon kühn. Und nach dem Abspann herrscht eine allgemeine und auch subjektive Beschwingtheit; trotz musischen Qualen war das schon was ganz Eigenes und sehr Charmantes.



Friendly Persuasion (1956) 3,45

 „Wenn ich ich in die Betstunde gehe, soll nichts als Liebe und Frieden in meinem Herz sein!“

Jaja, die wunderbare Welt der Quäker, einer „friedlichen Sekte“, die keiner Fliege ein Haar krümmen bzw. schon gar nicht so etwas wie Fäsute fliegen lassen können. Der Film spielt in der Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs und man könnte annehmen, dass schon bald die brutale Härte über die zuckersüße Quäkerfarm komme…

Doch was wir sehen, ist stattdessen schlimmster naiv-„komischer“ Biederquark in einem Stil, der einen (sofern man denn nicht mit amerikanischen Western aufgewachsen ist) an deutsche Heimatfilme der 50er erinnert...

Dieses, wie man hofft, Vorspiel dauert aber nicht bloß eine halbe Stunde, sondern eine und noch länger: ein Jahrmarktsbesuch zeigt unchristliche Verlockungen und bringt kurz Aufregung; doch alles was irgendwie spannend wäre (wie provozierbar ist ein religiöser Pazifist bevor er auch mal wütend wird? o.ä.), geht völlig unter in dem belanglosen Quark aus Schmalz, peinlich-jenseitigen Musikeinlagen und Wagenrennen, der da in quälender Länge ausgebreitet wird. Der Film hat wohlgemerkt im Jahr 1956 die Goldene Palme von Cannes gewonnen (!!).

Selbst wenn man „alte (Hollywood-)Filme/-Western“ grundsätzlich nicht so aufregend findet, ist so eine Auszeichnung, ja überhaupt jegliches Wohlwollen gegenüber diesem Film völlig unerklärlich; Satire oder Kritik an Religion ist nämlich nicht zu identifizieren.

Über den Krieg wird sowieso eher wie über einen harmlosen Kinderspielplatz gesprochen - als ob die Welt damals wirklich so banal und plüschig gewesen wäre. Kann sein, dass es damals in Hollywood noch gar nicht möglich war, düster oder dreckig zu sein, doch woanders war das möglich und auch in Hollywood selbst wurde es ja bald danach, insofern darf dieser überlange Schmalz ruhig in Vergessenheit geraten.

Nach qualvoll-sinnlosen 90 Minuten scheint es endlich loszugehen, nach 105 Minuten wird es sogar noch so etwas wie ein Film. Ein bisschen früher und dann wäre es wenigstens annehmbar gewesen, so ist dieses Werk dem Titel zum Trotz alles andere als eine lockende Versuchung, sondern zu lange ein völlig reizloser Topfen; altes Hollywood hin oder her, schnarchiger und uninteressanter geht’s kaum – ein Werk für die ewige Mottenkiste.

Wie das alles in der Filmgeschichte zu verorten ist und wie sehr z.B. Gary Cooper hier sein Image konterkariert, müssen andere klären. Schlußendlich hat der Film auch ein paar gute Elemente, aber das ändert nichts mehr daran, dass diese biedere Schnulzesse völlig ungenießbar ist.



Meet the Fockers (2004) 5,20 

Ziemlich unnötige Fortsetzung der Riesengaudi mit Stiller und de Niro. Vor allem letzterer macht den Film durch seine geniale Mimik immer noch zum Vergnügen und in wenigen Momenten ist auch das Zusammenspiel mit Neuzugang Dustin Hoffmann köstlich, doch alles andere bleibt ein schaler Aufguß; die Story ist sowieso ein Nichts und die Komik hält sich auch in Grenzen – wenn man denn wenigstens versucht hätte, ein Mehr an wahnwitzigem Slapstick o.ä. einzubauen, aber Fehlanzeige. Auch die ehemals witzigen Elemente (Kater Jinx oder Circle of Trust) werden viel zu sehr zu Tode geritten. Dann lieber den köstlichen ersten Teil immer wieder mal schauen.

21. Mai 2012

Unter dir die Stadt (Christoph Hochhäusler) 5,65



Hochhäusler scheint sein Falscher Bekenner-Versprechen nun doch eher nicht mehr mit weiteren Großtaten einlösen zu können. Irritierendes in seinem jüngsten Werk ist entweder so subtil, dass man es bis auf zu wenige Momente nicht wahrnehmen kann, oder seine Banker-Affären-Geschichte ist halt doch nicht mehr als ein solide inszenierter Durchschnittsfilm. 

Gegen Ende wird dann mehr Beklemmung, mehr Dichte spürbar, zwei-dreimal gibt es wirklich sehr trocken-komische Sprüche und zum Abschluss auch noch mal was Feines. Aber wohin dieser sich stets intelligent über klassisches Kino Gedanken machende Filmemacher genau hin wollte, bleibt etwas unklar…

19. Mai 2012

Schlafkrankheit (Ulrich Köhler) 7,42



Ein gelobter, preisgekrönter „Afrika-Film“, da gehen die Erwartungen hoch. Wird Köhler in ähnliche Sphären wie vor einiger Zeit die große Claire Denis mit White Material vorstoßen können? Der Film beginnt gleich gewohnt "neu-deutsch"/lakonisch/einfach/aufregend, gewaltig rauschen Lastwägen an der statischen, aber etwas wackelnden Kamera vorbei, darauf folgend eine unterschwellig unangenehme Diskussion mit Beamten - sofort spielt Köhler mit bestimmten Klischee-Erwartungen an den "dunklen Kontinent" ohne allzu präzise zu werden, was sich auch durch den gesamten Film zieht.

Die Hauptfigur ist ein sehr knorriger Herr, jegliches Sympathiepotential scheint gestrichen…für Sympathien scheint der andere Hauptcharakter geschaffen, der erst im zweiten Teil auftritt: ein junger, smarter Arzt; er ist als Europäer mit dunkler Hautfarbe in Afrika unterwegs. Wie er dort mit seinen und anderen Erwartungen kämpfen muß, hat Reiz und wirkt zugleich etwas erzwungen. Köhler gestaltet seinen Film regelrecht unkonventionell, sprunghaft, auslassend, was oft schon auch einen Tick zu ausgeklügelt wirkt; dennoch bleibt das Drama zugleich aber auch bodenständig und faszinierend. Durchzogen wird der Film gleich von einigen spannenden Themen: z.B. die Grenze zwischen humanitärem Einsatz und (Geld-)Betrug/Schwindel, aber auch eine bröckelnde Beziehung. All das wird aber letztlich auch wieder wenig verhandelt - ein ganz eigenwilliger Stil. 

Das Ende ist dann wie eine Hommage mit Ausrufezeichen: an Apichatpong Weerasethakul und sein Meisterstück Tropical Malady. Wobei der Film wieder so lakonisch endet, dass man den magischen Thailänder gleich wieder vergessen kann. Köhler hat einen sehr eigensinnigen Film mit Faszinationspotential gedreht – ein Potential, das dennoch, so scheint es, nicht vollkommen ausgeschöpft wurde.

18. Mai 2012

Nanjing! Nanjing! (Lu Chuan) 8,52



Bilder schrecklicher Kriegsgräuel wunderschön inszeniert, das erinnert an Großmeister wie Kurosawa. Immer wieder Gesichter, Gesichter, Massen an Gesichtern, als wolle man jedem einzelnen dieser armen Menschen eine kollektive Erinnerung verleihen…und immer wieder schreckliche Kriegsverbrechen. Einmal taumeln die Japaner wie Zombies durch die Geisterstadt. Der Film ist selten sentimental, aber genauso bewegend wie ähnliche Werke von Spielberg und Polanski; Regisseur Chuan scheint alles zu können, zunächst inszeniert er eindrucksvoll eher Kämpfe und Schlachtszenen, doch bald wird es vor allem zu einem meist intimen Film über Menschen, die mit den Folgen kämpfen und leben. 

Wie immer bei solchen Historienfilmen muss man sich fragen, ob es nicht auch etwas anmaßend ist, zu versuchen, so bildstark zeigen zu wollen, „wie es war“, weil das geht einfach nicht; möglicherweise sind da "kleinere" Geschichten ein sinnvollerer Zugang. City of Life and Death lässt dagegen kaum Freiraum, dennoch beschäftigt das enorm und man spürt diese Schrecken noch lange nach.. 

Ein meisterlich in Szene gesetzter Film über den Horror des Kriegs und schreckliche Aktionen gegen Zivilisten. Erwähnen muß man noch, dass es in den letzten Jahren gleich mehrere Werke zu diesen Vorfällen  gab (gesehen habe ich (noch?) keinen der anderen...).