23. April 2011

127 Hours (Danny Boyle) 8,55




Ein junger Mann stürzt beim Kletterausflug in eine Bergspalte, ein riesiger Felsen hat seinen rechten Arm eingeklemmt, niemand weiß wo er ist und niemand kann ihm helfen. Der Filmtitel bezieht sich auf die 5 Tage, in denen er versucht sich aus dieser kuriosen Scheißlage zu befreien.

Was bei jemand anderem vielleicht zu einem meditativ-sperrigen Extremsituationsdrama geraten hätte können, ist bei Boyle ein zur Situation zunächst völlig unpassend scheinendes, irrwitziges, kurzweiliges, intensives Filmgewitter geworden. Mit einer Vielzahl von technischen Mätzchen und skurrilen Musikeinlagen hat er ein sehr eigenwilliges Kammerspiel gedreht, das aber mit der Zeit auch immer besser funktioniert. Der englische Regisseur ist eben ein absoluter Virtuose modernen Filmemachens, 127 Hours folgerichtig ein echtes Kinoerlebnis geworden. Wie kann beispielsweise ein Song wie "Lovely Day" in so einen Film passen? Boyle bekommt das hin und der ironische Einsatz des Liedes erinnert ein wenig an Martin Scorseses legendäre Verwendung musikalischer Hits in Filmen wie Good Fellas.

Auch als es gegen Ende zur - den meisten schon vor dem Film bewussten - Armszene kommt, spielt Boyle alles aus, was er kann, vor allem auf der Geräuschebene wird wiederum derart genial gewerkelt, sodass eine Diskussion darüber, ob der Film generell zu sehr mit Mätzchen aufgeladen ist, ohnehin völlig obsolet ist: Boyle ist eben kein kontemplativ arbeitender Künstler, sondern ein Genie der ausgefeilt stilmittelhämmernden Unterhaltung. Aber sein Film ist deshalb weder hohl noch flach. James Franco liefert eine tolle Performance ab und letztendlich geht es in den Erinnerungen und Visionen der Hauptfigur um profunde humane Lebenswünsche.

Das Ende bastelt Boyle auf visueller und (mit Verwendung eines umwerfenden Sigur Rós-Tracks) akustischer Ebene so intensiv zusammen, dass endgültig alle Dämme brechen; 127 Hours macht aus einer extremen wahren Geschichte ein packendes, vergleichsweise sehr leicht genießbares Hollywood-Drama – für manche Kritiker vielleicht zu leicht genießbar. Doch letztendlich ist das durchaus diskutable aufdringliche exzessive Einsetzen von Stilmitteln zur publikumsfreundlichen Kurzweil nicht das Wichtigste: das Beschäftigen mit so einer Extremsituation und die Auswahl dieser Geschichte für einen Kinofilm, Boyles Leidenschaft für ein mitreißendes Kino ist da doch viel mehr wert. Der Film gewinnt auch dadurch an Profil, dass ein scheinbar oberflächlicher Charakter in der Verzweiflung plötzlich erkennt, was im Leben wichtig ist und nicht zuletzt dadurch, dass man als Zuseher ständig mitdenkt, wie man sich selbst in so einer Situation verhalten würde.

127 Hours ist nicht nur deshalb verwandt und zugleich auch ein Gegenentwurf zu Sean Penns Into the Wild. Hier überlebt der junge, „törichte“ Mann, der in Penns true story-Verfilmung sein Leben lassen musste. Penn legte auch viel Wert auf Stilmittel und Musik, war dabei aber eher typischen Vorbildern aus den 70-ern verbunden. Danny Boyle lässt 127 Hours dagegen durchgehend nach dem neuen Jahrtausend aussehen: das ist sein Stil, das ist seit Trainspotting sein Kino, und es ist nach wie vor aufregend.

2 Kommentare:

  1. Die Wirkung der Schlussszene ist wahrlich phänomenal. Ich fand den Film zwar auch ziemlich stark, jedoch wirkte er auf mich phasenweise zu überladen. Besonders die Splitscreens und der extrem schnelle Schnitt zu Beginn verleihen dem Film seine eher überstilisierte Erscheinung. Dennoch muss man Boyle loben, der auf unverändert hohem Niveau zu arbeiten weiß.

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  2. Jap, genau dieses Überstilisierte kann man auch weniger gut finden (und trotzdem das Niveau erkennen :) ). Gerade am Anfang war ich nicht einverstanden mit diesem Stil, aber dann hat es mir immer besser gefallen, gerade weil es so konsequent (oder überstilisiert) durchgezogen wird. Boyle ist kein Subtiliker ;) aber er arbeitet auf einem ganz anderen Level als die meisten unsubtilen "Klotz-"-Kino-Kollegen...

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