Es ist wohl das größte Glück des menschlichen Lebens, einen Partner oder eine Partnerin zu finden, mit dem oder mit der man sich blendend versteht, sich gegenseitig aufrichtig und tief liebt, einen Großteil dieses Lebens miteinander verbringt, ohne sich auf die Nerven zu gehen oder dass die tiefen Gefühle sich grundlegend ändern. Tom und Gerri (ähem) in Mike Leighs neuem Film sind so ein (seltenes?) Paar. Bei ihnen herrscht die totale Harmonie, sicher auch ein wenig bestärkt durch das fortgeschrittene Alter. Es scheint die perfekte Welt zu sein - beide haben Jobs, die sie gerne haben, sie haben ein kleines Häuschen, einen schönen Gemüsegarten irgendwo anders – und sie ist es auch, zumindest was ihr Leben zu zweit angeht. Doch nicht mehr zu tun als 2 Stunden lang so eine harmonische Beziehung zu beleuchten ist weder fürs Kino noch für die Ansprüche Leighs ausreichend.
Zum Glück (bzw. zum Thrill) des Publikums haben die beiden aber auch Kolleginnen, Freunde und Verwandte, und bei denen sieht das Leben schon deutlich weniger rosig aus. Bereits die erste Szene des Films zeugt z.B. eher von einer düsteren, tieftraurigen (Innen-)Welt. Eine ungemein griesgrämig dreinblickende Frau (gespielt von Leigh-Veteranin Imelda Staunton) sitzt da bei einer Ärztin und kurz darauf bei der Psychologin (Gerri), und ihr Leben scheint so schlimm zu sein, dass auf alle Aktivierungsversuche Gerris genau nichts kommt. Ganz so tragisch und „runterziehend“ wie zu Beginn geht der Film nicht weiter, aber das Umfeld des glücklichen Paars setzt sich durchwegs aus Leuten zusammen, die bislang vom Leben nicht allzuviel Schönes erhalten haben.
Die dritte Hauptfigur ist eine Kollegin/Freundin von Gerri – ungefähr 50, Single, zeigt manisch-depressive Merkmale und ist auch noch so ein bisschen verknallt in den Sohn von Gerri und Tom, der zwar erst um die 30, aber ebenfalls ledig, wenn auch noch nicht ganz so verzweifelt ist. Ohne nun noch genauer auf die restlichen Figuren einzugehen, sei gesagt, dass dieser Kontrast und die daraus resultierenden Beziehungen zwischen dem harmonischen, gelassenen Lebenskünstler-Paar und ihren leicht bis hochgradig verkorksten Freunden das große Anliegen dieses humorvollen und auf meisterliche Art und Weise erdachten und inszenierten Films sind.
Leigh nützt (wie schon Vivaldi oder Kim Ki-Duk) die Jahreszeiten als Kapitel, manche Figuren treten nur einmal auf, andere mehrmals; vorausahnbar oder seicht ist an Another Year nichtmal eine Kleinigkeit. Stattdessen wird der Film immer besser und besser: zunächst kann man schon die Qualität von Leighs Arbeit, seinen Schauspielern, diesen niveauvollen Geplänkeln auf Dialogebene (es wird viel und schlagfertig geredet!) erkennen, doch später offenbart sich dann die ganze Meisterschaft. Eine unterhaltsame Abhandlung über das Leben, die, würde sie denn auch von mehr Leuten jenseits der gern belächelten „Arthaus-Fraktion“ angesehen, so ziemlich jeden und jede ansprechen und zum Mitspüren einladen könnte. Die universalen Themen Freundschaft und Liebe, Trauer und Tod werden warmherzig verhandelt, die Psychologie der lebendigen Charaktere intelligent vermittelt; der Film folgt dabei keinen gängigen Mustern und liegt irgendwo zwischen Komödie und Melodram. Am Ende bleibt vieles, nämlich fast alles, offen und ein weiteres Jahr wird anbrechen. Alleine die Schlußeinstellung ist so eindringlich, auch weil unerwartet: Leigh gelingt es, den Zuschauer an dem wunderbaren Glück des Ehepaars teilhaben zu lassen und zusätzlich aber bis lange nach dem Film die Bitterkeit der tragischen Helden des Werks tief im Gedächtnis (und im Herzen!) zu verankern. Ein Werk, das zeigt, dass selbst wenn man zu zweit überglücklich ist, das Leben bis tief in das hohe Alter hinein immer spannend, immer herausfordernd und nie einfach nur sanft ist – etwas, dass uns alle betrifft, egal auf welcher Seite dieses ewigen Kampfes um das Glück. wir uns befinden. Another Year ist weise, vielschichtig, lustig, beklemmend, ergreifend, nicht völlig unverdaulich, einfach wunderbar.
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