7. Juni 2010

The TV Set (Jake Kasdan) 7,65




Eine nette Satire auf das stressige US-Serien Business, bei der man stets ein wenig das Gefühl hat, dass noch ein bisschen mehr an Komik oder Satire möglich gewesen wäre. Leider kenne ich auch die eventuell sehr ähnlichen Serien Entourage und 30 Rock noch nicht. Die absurde Genialität der Dreharbeiten-Schwierigkeiten von Living in Oblivion wird beispielsweise auch nie erreicht.

Und dennoch: Duchovny als ambitionierter Serienautor, der um sein Projekt zittert, während die Produzentin mehr und mehr eingreift, um grundlegende Dinge zu ändern, weil es sonst zu „deprimierend“ für das große Publikum wäre; das ist kritisch, wirkt realitätsnah und macht durchaus Spaß, auf jeden Fall ist dies ein sehr sympathischer kleiner Film mit dem Herz am rechten Fleck. Mehr aber auch nicht.

4. Juni 2010

Singularidades de uma rapariga loura (Manoel de Oliveira) 8,31




Fast so alt wie der Film selbst ist er und noch immer dreht er sie. Und zwar richtig gute. Der zum Zeitpunkt dieser Arbeit unglaubliche 100 Jahre alte Portugiese legt mit Eigenheiten einer jungen Blondine einen der frischesten und gewitztesten Filme des Jahres vor.

Es ist eine von Beginn an faszinierende, doppelbödige Geschichte, die uns de Oliveira hier von seinem ein halbes Jahrhundert älteren Landsmann de Queiroz adaptiert hat: Eine junge Frau betört einen etwas älteren Mann, leicht lasziv, aber auch unschuldig zugleich, vom Balkon aus, gegenüber des Büros, in dem er arbeitet. Zunächst erscheint sie wie eine Femme fatale, doch bald stellt sich heraus, die beiden lieben sich aufrichtig. Nur, der Film spielt in einer Gesellschaft, die eigenen Gesetzen unterliegt, der Onkel und die Mutter müssen die Hochzeit erlauben, ohne Geld und Status geht hier gar nichts.

De Oliveiras ungemein elegantes Werk wird noch einige Haken schlagen, das Ende ist fantastisch und beschäftigt noch lange danach. Und das obwohl man bald, auch unterstützt durch die rückblickend erzählende Rahmenhandlung, denkt, überraschen kann hier nichts wirklich: es ist eben eine dieser unzähligen Geschichten über fatale Liebe eines armen Tors. Stimmt zum Teil natürlich, aber dennoch besitzt dieser Film genug genuinen Reichtum. Dabei geht es weniger um einen “Twist” am Ende, als um grundsätzliche Fragen. Die letzte Szene stellt, so subtil und hervorragend wie nur möglich, hinsichtlich der Charaktereigenschaften und damit auch der Sympathieverteilung seitens des Publikums alles vorher Gesehene und Gehörte in Frage, ohne dabei ein plumpes er oder sie-Schema zu bedienen.

Der altehrwürdige Portugiese, ein unglaublich kluger und noch erstaunlich heller “Grufti” (wie auch, achtung extreme Spoiler!, Interviews wie dieses, Seite 9, belegen), übertrifft hier möglicherweise sogar noch seine spitzfindige Bunuel-Fortführung Belle toujours und bekräftigt damit seinen außergewöhnlichen Status als in zweierlei Hinsicht außergewöhnlicher Filmemacher. Einige mir bekannte Spätwerke, wie etwa Vou para casa/Ich geh nach Hause wirkten auch wie die eines fast 100-jährigen: respektabel, aber etwas antiquiert. Doch mit Filmen wie eben Belle toujours oder auch 'Singularidades..' erweist sich de Oliveira als mehr als nur respektabler ältester aktiver Regisseur mit ganz netten Streifen, er ist die hochlebendige Verbindung von Kunstvergangenheit und Gegenwart, ein intelligenter Vermittler von Antike und Moderne; Unterhaltung und Anspruch werden leichtfüßig und formidabel verknüpft; es kann gut sein, dass man für diese Arbeit die genaue Punktwertung im Laufe der nächsten Monate noch nach oben zu schrauben hat. O Götter, schenkt diesem Mann noch ein paar Jahre, und uns noch ein paar seiner Filme!

1. Juni 2010

Le Streghe - Femmes entre elles (Jean-Marie Straub) 5,05




Zwei Göttinnen unterhalten sich – gestelzt, arrogant und halt, wie bei Straub üblich, sonderbar artifiziell-steif – über Odysseus, stellvertretend für den Menschen, seine Schwächen und Eigenheiten (aus herablassender Göttersicht).

Eine Literaturverfilmung der furchtbar öden Sorte. Worin viele Kritiker und Cinéphile die Bedeutung oder Qualitäten eines derartigen Stils sehen, kann ich nicht wirklich nachvollziehen. Da kann ich mir, salopp und überhaupt nicht kunstfeindlich gesprochen, den (auch nicht besonders überragenden) Text auch selber durchlesen. Bleibt wenigstens mehr von Pavese hängen, als die Straub’sche Verfilmung anzusehen. Genauso wie den Göttern die Menschen bleibt also auch mir die Beliebtheit und die Intention Straubs vermutlich ein ewiges Mysterium.

31. Mai 2010

L'homme qui marche (Aurélia Georges) 8,24




Man kennt die traurig-faszinierenden Geschichten von großartigen Schriftstellern (von Keats bis Dick, usw..), die ihr Leben in Armut verbringen, ohne ihre Werke gewinnbringend verkaufen zu können. Der gehende Mann von Madame Georges befasst sich mit einem auch postum weniger bekannten und relevanten Autor, der ebenfalls hart mit der Literaturszene, aber auch sich selbst zu kämpfen hat. Überhaupt nur ein Werk hat er zustande gebracht und danach offenbar nichts Verlegenswertes mehr zu Papier bringen können.

Die Hauptperson in Georges leisem, enorm subtilen Abstiegsporträt ist ein sonderlicher Einzelgänger, ein Mann, offensichtlich mit einer radikalen künstlerischen Vision, die sein eigenes Benehmen ganzheitlich einschließt, ein Mann quasi ohne Freunde und Familie. Einige Bekanntschaften und Kurzfreundschaften wird er im Verlauf seines Lebens machen, doch tiefere Beziehungen kann (und will?) er nicht eingehen. Seine Lethargie und Sturheit (? – Georges lässt einen über die Motive dieses verschlossenen Menschen rätseln) bedingen seinen langsamen, aber stetigen Verfall. Wenn so eine Person irgendwann verschwindet, nimmt niemand davon Notiz, weil keiner ihn richtig kennt oder vermisst. Solche Lebensgeschichten sind wohl die traurigsten überhaupt und tagtäglich passiert das psychisch Erkrankenden, Drogenkranken, Obdachlosen vor unseren Augen…

Der relativ kurze, schön reduzierte Film hat bei mir genau deshalb erst nach dem Abspann so richtig gezündet. Während der Sichtung noch kaum richtig begeistert, verfolgt mich die Geschichte dieses Mannes (sicher auch nochmal unterstützt durch die Einblendung zum Ende); seine faszinierende, mysteriös bleibende Persönlichkeit und seine traurige Geschichte: ein ausgesprochen tolles, künstlerisch glasklar konzipiertes und inszeniertes Werk.

28. Mai 2010

Teza (Haile Gerima) 8,33




Dieses sehr persönlich gefärbte Leidensepos (der Titel bedeutet Morgentau) um den Äthiopier Anberber, der in den 70ern motiviert nach Deutschland geht, um Medizin zu studieren und anschließend im eigenen Land die Krankheiten heilen zu können, beginnt zunächst in der filmischen „Gegenwart“ (1990) mit der Rückkehr des Hauptcharakters in seine Heimat.

Die fiebrige, unheimlich dichte Inszenierung u.a. der traumatisch bedingten Empfindungen und Träume Anberbers zu Beginn erinnert gleich mal an Jodorowskys wahnwitzigen Stil von The Holy Mountain, also Gerima nimmt den Zuschauer sofort mit enormer filmischer Kraft und einer den Sinn für Nachvollziehbarkeit etwas überfordernden, aber faszinierenden Montage gefangen. Der komplex erzählte und bebilderte Film wird mit der Zeit aber schon ruhiger und konventioneller. Die bewegte, ja irrsinnige Geschichte Anberbers wird erzählt: seine Erfahrungen sind stellvertretend für die schlimmen Erfahrungen vieler Afrikaner, sowohl zuhause, in der sinnlosen Kriegshölle, als auch im vielversprechenden, sich aber ebenfalls, nämlich in Gestalt von rassistisch motivierter Gewalt, häßlich zeigenden Europa. In einer der stärksten Szenen, als der aufrichtige Anberber der unerbittlichen Korruptionsmaschinerie der Kontrarevolutionäre letztlich doch nachgeben muß, erbricht er kurz darauf (sehr intensiv bebildert) und all die Frustration, der Ekel über diese katastrophalen Zustände und Vorgehensweisen manifestieren sich hier eindrucksvoll.

Am Ende, in der Gegenwart, zurück in der Heimat, kündigen sich bereits neuer Irrsinn, neue Gewaltandrohungen und -ausbrüche an, doch auch ein wenig Hoffnung schimmert durch: Der Arzt als Lehrer – und die zukünftige Generation, die vielleicht ja doch irgendwann einmal ohne Mord und Gewalt leben kann. Kämpferisch endet der Film – ohne sich naiven Illusionen hinzugeben.

26. Mai 2010

An Education (Lone Scherfig) 8,35




Dieser in den 60ern angesiedelte Entwicklungsfilm um die 16-jährige Jenny, die durch den vermutlich mehr als doppelt so alten David plötzlich aus ihrem langweiligen Schülerleben (Studium in Aussicht) gerissen und sodann in die feine Gesellschaft mondäner Kunstliebhaber (sowie auch, allerdings sehr behutsam, in die Liebe!) eingeführt wird, bezieht seinen Reiz aus den ambivalenten Figuren und ebensolchen Fragen: ist denn für ein (gehobene) Mittelschichts-Mädchen ein eher langweiliges, normales Leben inklusive Studium erstrebenswert oder doch dieser coole, luxuriöse Lebensstil an der Seite eines Gentleman-Gauners (a la französischer 60er Film-Vorbilder wie Belmondo und co), die Liebe zu den schönen Künsten, ein laissez faire oder let things happen - in den Tag hineinleben die bessere, die lebenswertere Alternative bzw. nicht genauso eine wertvolle "Erziehung"? (eigentlich grenzgenial dieser ironische Titel)

Wenn die aufgeweckte und doch so sensible, unerfahrene, verletzliche Jenny etwa mit ihrer engagierten Lehrerin diskutiert, welchen Weg sie bevorzugt, dann kann man bis zuletzt selbst zerrissen sein und hin und her schwanken zwischen den Möglichkeiten. Denn ein großes Plus des Films ist, dass er enorm feinfühlig aus Jennys kindlicher Perspektive erzählt ist und man sich auch als Erwachsener wieder gut in die Jugend(zeit) hineinversetzen kann. Was für eine Wahl das Mädchen treffen wird, ist auch lange gar nicht wirklich abschätzbar.

Die moralisch höchst fragwürdige Liasion der beiden und Jennys Leben an der Seite des mysteriös-verwegen und oft nicht gerade koscher wirkenden David (hallo, ihr fehl-fokussierten, offenbar selbst in rassistischen Kategorien denkenden Antisemitismus!-Einwerfer) wird von Hornby und Scherfig stets respektvoll behandelt und nicht verurteilt. Der ältere Liebhaber wird aber auch nie gänzlich unsympathisch oder zu einer gefährlichen Figur (eher zu einer tragischen).

Man kann ohnehin schon recht bald fühlen, dass dies hier trotz allem ein eher positiver Film ist. Dass bei David gegen Ende immer mehr Schattenseiten zum Vorschein kommen, die Geschichte im Grunde genommen noch einmal „glimpflich ausgeht“ (jedoch mit komplexeren Untertönen), und dass das Happy End des Films für meinen Geschmack noch einen Tick zu weit geht, all das ist leicht kritikwürdig und ließ den schönen Film für mich noch minimal unzufriedenstellend enden.

Andererseits wünscht man dieser jungen Frau doch nichts anderes, als dass ihr Leben gut verläuft. Die etwas konservative Botschaft, die Hornby und Scherfig (Italienisch für Anfänger!) hier vermitteln, ist schließlich auch genau das, was diesen Film, gerade in der heutigen Zeit der angeblich so gestiegenen Zahl an Problemkindern und bildungsverdrossenen Jugendlichen so toll werden lässt: An Education wirkt wie ein subtiler Verwandter von Dead Poets Society, diesem Kultfilm für die Generation davor: junge Menschen sensibel machen für die Fragen und Schwierigkeiten des Erwachsen werdens, Bildung als unschätzbar wertvolle Investition für eine vielleicht ja dann ebenso aufregende Zukunft betrachten. Erfreulich ist das und ordentlich unterhaltsam und routiniert, wenn auch vielleicht dann doch einen Tick zu brav serviert.

24. Mai 2010

Bahag Kings (Khavn) 7,20




Schräge
bis nervtötende Musik. Experimentelle Avantgarde. Bahag - Lendenschurz!! Könige - "Herumtreiber" auf der Suche nach WALA. Unter - Über - Zwischen - Titel. Philosophisch, gesellschaftskritisch, dadaistisch, blödelnd. Film/zer/Fall nicht nur auf Youtube. Un-schauBAR? Stil:Wechsel trhekrev nöhcs ZnAG.

Khavn, dieser Tausendsassa und sympathische Untergrundfilmer von den Philippinen, ist hier auf einem echt schrägen Trip. Der Film ist, wie einige Werke des Regisseurs, darunter auch der faszinierende Pugot, übrigens ganz einfach auf Youtube zu sehen.

Soll man es überhaupt erwähnen oder nicht? Dass nach vielen mühsamen, anstrengenden, wahnsinnigen, aber im Grunde gerade aufgrund des völlig enthemmten Stilgewitters leider recht belanglos erscheinenden Minuten dieser Film, der doch mehr und mehr auf die Nerven geht und kaum bedeutsam scheint, plötzlich einen so radikalen Stilbruch begeht, den man gesehen haben sollte; ein durchaus genialer Schachzug, beruhend auf einem "Glücksfall" während des Drehs, der eine in diesen comedy film with values unvermittelt hereinbrechende, spontane Liebeserklärung an das Undergroundfilmen an sich darstellt, an das Unerwartete, das Unvorhersehbare. We are artist! Alles ist möglich in Filmen. Khavn beweist dies beileibe nicht als Erster, aber auf höchstwahrscheinlich noch nie gesehene und derart lustvoll durchgezogene Weise. Die Bahag Kings schlagen einen Weg ein, der auf deutlich höhere Plateaus führt als zu einem hoffnungslos überspannten Comedy Film. Die Realität bricht herein in die Fiktion, das Drehbuch wird vom Schicksal (um)geschrieben, Reflexionen und Diskussionen treten an die Stelle von experimentellem Klamauk, Nüchternheit und Realismus ersetzen digitale und musikalische Spielereien, der Zuschauer wird vom leicht genervten zum völlig gebannten Beobachter.

Nun passiert in Bahag Kings nichts die Filmwelt zutiefst Erschütterndes oder Bewegendes und Khavns Arbeit bleibt trotz des kleinen, verschmitzten Geniestreichs - eines grenzüberschreitenden "Twists" - unterm Strich nur bedingt anschauenswert, aber was Herr de la Cruz aus seinem beim Dreh gesammelten Material im Rückblick kreiert hat, kann jemandem, der sich für den Prozess eines Filmdrehs, für Künstler und deren Interaktionen mit der Bevölkerung, deren Wirkung auf Skeptiker und Gegner von Avantgarde u.ä. interessiert, schon ein anhaltendes Lächeln ins Gesicht zaubern. Bahag! Bahag!