28. April 2010

Jagdzeit (Angela Graas) 8,08




Das Filmteam begleitet eine Gruppe von Greenpeace-Aktivisten auf ihrer Fahrt mit der "Esperanza" - Ziel ist es, eine japanische Walfang- (bzw. "Forschungs-) flotte aufzuspüren und dann zu behindern...

Graas interessiert sich in ihrem Film neben ein paar schönen Landschaftsaufnahmen vor allem für eine Sammlung einzelner Eindrücke des Lebens an Bord: das Bangen, die Langeweile, man könnte es auch als Trostlosigkeit bezeichnen. Bis die Idealisten, die auch immer wieder zu Wort kommen, einmal das betroffene Gebiet erreicht haben, vergehen mühsame, manchmal auch von Seekrankheit geprägte, wenig aufregende Wochen.

Dann endlich ein Hoffnungsschimmer, man hat die illegal tätigen Japaner mit etwas Glück gefunden. Doch was können die Greenpeaceler wirklich dagegen ausrichten? Der Film ist ein gelungener Bericht einer außergewöhnlichen Reise einer sehr speziellen Menschengruppe, zeigt aber auch ein ziemlich ernüchterndes Bild vom Aktivismus und seinen begrenzten Möglichkeiten.

23. April 2010

Akumu Tantei 2 (Shinya Tsukamoto) 8,84




Es ist durchaus überraschend: War der Vorgänger, eine relativ(!) straighte Genre-Auftragsarbeit des großartigen Tsukamoto, die meiste Zeit enttäuschend und bis auf ein irres Finale trotz viel Knalligem ziemlich öde, ist Nightmare Detective 2 (der auch eigenständig sehr gut funktioniert) absolut empfehlenswert und hervorragend geworden, gerade weil er sich in fast allen Aspekten deutlich von Teil 1 unterscheidet. In jenem gab den Ton noch eine um zwar abgedrehte Aspekte erweiterte, im Grunde aber gängige Thrillerhandlung um die Polizei an, die einen durch Träume tötenden Killer jagte und sich dazu Unterstützung vom titelgebenden Alptraumdetektiv holte; einem jungen Mann, der in die Träume anderer eindringen und vermittelnd, wenn man so will, eingreifen kann, sich dabei aber selbst psychisch völlig zerrüttet.

In diesem zweiten Teil gibt es nun keine Polizei mehr, es gibt zu 99% nichtmal eine rational fassbare oder funktionierende Welt abseits der unheimlichen Träume, sondern fast alles spielt sich nur auf einer Alptraumebene, im Unterbewussten ab und selbst wenn die Charaktere wach sind, wähnt man sie in schrecklicher Umnachtung gefangen.

Traumabewältigung a la Tsukamoto – auf stilistischer Ebene sind das wie gewohnt irre wackelige und sich ineinander verschiebende Bilder, extreme Sogwirkung, die meiste Zeit einfach magisches Kino; inhaltlich behandelt der Film die Aufarbeitung von Kindheitstraumata, hier als Erzeuger tief sitzender, alles durchdringender und den Film dominierenden Angstgefühle.

Nightmare Detective 2 zählt, was noch nicht so schwierig scheint, vermutlich zu den besten Alptraumfilmen aller Zeiten, er ist viel mehr als üblicher Horror- oder Grusel, wobei er jedoch auch dahingehend sehr aufregend geraten ist. Was Tsukamotos Werk aber – wie so oft bei ihm – so außergewöhnlich (gut) macht, ist neben seiner halluzinierenden, selbst (gegenüber seinen extremsten Extremitäten wie etwa Tetsuo) bei angezogener Handbremse so wahnwitzigen Inszenierungskunst die tiefliegende, kompromisslose, aber auch sehr gefühlvolle, oft richtiggehend zärtliche Beschäftigung mit seinen traumatisierten Charakteren, die viel Leid durchleben müssen, bevor eine Erlösung in den Bereich des Möglichen gerät, wenn überhaupt.

Garantie gibt es dafür nämlich niemals, auch das macht Tsukamoto in diesem zum Glück im Unterschied zum öden, deutlich unpersönlicher und ziemlich seelenlos wirkenden ersten ND wieder viel intensiveren und vor allem intimeren Film klar: manche Seelenwunden sind zu tief eingebrannt, um außerhalb schlimmer Träume verarbeitet werden zu können. Diese Träume können irgendwann verschwinden, aber der Schmerz dennoch für immer bleiben – genauso wie die Erinnerung an diesen außergewöhnlichen Film mit seinem beeindruckend unspektakulären , traurig-intimen Ende.

Shinya Tsukamoto ist wieder ganz zurück auf seiner einzigartigen Spur – wahrlich ein traumhafter Alptraumfilmer.

22. April 2010

Shanghai Fiction (Julia Albrecht/Busso von Müller) 8,25




Vier Menschen in dieser Megastadt, vier völlig unterschiedliche Lebenshintergründe und (Arbeits-)Situationen porträtieren die Filmemacher in ihrem engagierten und sich erfreulicherweise richtig viel Zeit nehmenden Werk.

Die Personen - der zentrale Charakter ist der an der Armutsgrenze lebende junge Arbeiter Yuan - erzählen aus ihrem Leben, werden mit der Kamera begleitet und dabei befragt, ansonsten wird „von außen“ nichts erklärt, o.dgl. Das gibt diesem Film trotz seiner Länge auch einen fesselnden Charakter (etwas, das übrigens dem sonst so verlässlichen Jia Zhang-Ke in seinem aktuellen, eher artifiziell orientierten, recht mühsam-trockenen China-Arbeiter-Porträt 24 City leider kaum gelang).

In Shanghai Fiction jedoch werden die Menschen und ihre Situation richtig plastisch, man mutiert für mehr als zwei Stunden zum mitfühlenden Beobachter und erfährt, mehr über Emotionen und Alltagsgeschehnisse als über trockene Vermittlung von Fakten, so Einiges von diesem fremden Land, seiner Kultur und Politgeschichte und vor allem der spezifischen Lebensrealität von Yuan und co.

21. April 2010

Tulpan (Sergey Dvortsevoy) 8,27




Die kasachische Steppe, zwei junge Männer und Boney M. – ein kurioser Auftakt eines gewitzten, manchmal witzigen, oft durch seine beiläufig gefilmt anmutenden Natur- und Tier-Elemente, aber auch durch seine sympathische Natürlichkeit beeindruckenden Films über romantische Lebensträume und schnöde Alltagsrealität.

Dvortsevoy fängt auf halbdokumentarische Weise immer wieder tolle Augenblicke ein, sei es eine vorüberziehende Windhose oder dramatische Mund-zu-Mund Beatmungen zwischen Mensch und Tier…auch die für Steppenfilme möglicherweise schon obligatorische Tiergeburt darf hier nicht fehlen, ist aber schon ziemlich speziell ausgefallen. Und die Szene mit dem Kamelbaby und dem Roten Kreuz der Wüste ist ein echter Lacher.

Die (rudimentär bleibende) Geschichte um die begehrte Dame Tulpan selbst ergänzt sich mit diesen sehenswerten Alltagsbeobachtungen und -beschreibungen von einem einsamen, aber ganz und gar nicht ruhigen Ende der Welt zu einem schön positiven, eigenwilligen Außenseiterfilm, der ganz unaufdringlich seine liebenswerte Botschaft vermittlelt.

20. April 2010

Kansen (Masayuki Ochiai) 7,36




Man wird von Anfang an in eine surreal anmutende, unterschwellig unheimliche Welt hineingeworfen, ohne einen echten Durchblick zu haben, was hier passiert. Sehr kühle Bilder unterstützen die sterile Krankenhausatmosphäre, die Personen verhalten sich eigenartig, irgendetwas stimmt hier nicht, usw…

Infection gestaltet sich trotz solcher bekannt anmutenden Grundelemente als sehr eigen und angenehm anders inszeniert, besonders positiv empfand ich das Fehlen graphischer Ekelszenen oder das bewusste Aussparen anderer typischer, längst abgenutzter "Horrorfilm“aspekte über lange Zeit. Wenn später, ja doch fast unvermeidbar, das Subtile dem Vordergründigen (Grauen bzw. Effekt) weicht, kann man fast enttäuscht sein. Muß man aber doch wieder nicht, denn der Film bewahrt bis zum Schluß seinen eigenen, leicht verstörenden, aber natürlich auch Spaß bereitenden Ton. Am Ende gestaltet sich das Spiel mit den Erzähl- oder Wahrnehmungsebenen etwas seltsam, Kansen verliert vielleicht ein wenig an Kraft oder Bedeutung, dennoch ist dies ein sehenswerter und eher ungewöhnlich inszenierter Psycho(light)sicko.

19. April 2010

Eagle vs Shark (Taika Waititi) 5,57



Eine Liebeskomödie um zwei ausgesprochen sonderbare Außenseiter, deren Nerdismen am laufenden Band mich wenig erreicht haben, genauso wenig wie der sehr spezielle (versuchte) Humor. Immerhin ist das Ganze im Kern recht romantisch und nicht unsympathisch, wobei mir leider Sharks (f) Faszination für Eagle (m) sehr sehr rätselhaft war: die ziemlich doofe, kaum liebenswerte männliche Hauptrolle, auch ein Grund, warum ich mit dem Film nie warm wurde.

Einfach nur Typen und Verhaltensweisen, so verrückt wie es nur geht, ins Bild zu setzen, ist halt auch ein bisschen wenig und macht noch keinen gelungenen Film aus. Vielleicht ist es auch der absolute Overkill an Schrägheiten und Sonderlichem (aus denen kaum Ideen wirklich herausragen, eher ergibt sich ein riesiger, diffuser Klumpen an Mittelmäßigem), an dem die neuseeländische Nerdromanze etwas leidet.

16. April 2010

Choke (Clark Gregg) 7,33




Die Verfilmung des hierzulande als Der Simulant erschienenen, netten, aber keinesfalls überragenden Palahniuk Romans bleibt sehr nahe an der Vorlage. Dies ist lobenswert, andererseits wirkt die filmische Umsetzung dadurch aber auch etwas unwichtig.

Spaß (im abgefuckten Sinne) macht das unaufgeregt und lässig inszenierte und gespielte Filmchen dennoch, vor allem wegen Sam Rockwells Verkörperung des zynischen und trostlosen Sexsüchtlers Victor Mancini, der ordentlich unter der Beziehung zu seiner Mutter leidet. Dass er sie ständig im Altenheim besucht, ihr aber vorgaukelt, jemand anderer zu sein und stattdessen einen Freund seine Rolle übernehmen lässt, ist sicher der beste von den die Selbstgeißelung seines Helden beschreibenden Kniffe in Palahniuks Werk respektive Greggs Umsetzung (vergleichbar auch in gewisser Weise mit den absurden Identitätenspielen eines Bret Easton Ellis). Der Regisseur spielt übrigens auch selbst eine ziemlich humorvolle und zugleich äußerst traurige Rolle.

Ich meine mich noch zu erinnern, dass einzig Danny im Buch etwas anders beschrieben war und sein irres Steine sammeln dort noch deutlich beklemmendere Züge annahm, das spart der Film aus (Angaben in aktueller Ermangelung des Buches ohne Gewähr).

Choke - ein netter Zeitvertreib für Kenner des Buches und/oder Freunde von humorvollen Geschichten über Psychowracks. Wie so oft ist aber natürlich der Roman die noch bessere Wahl (wenn auch in dem Fall nicht gerade ein Muß).