13. Mai 2010

36 vues du Pic Saint Loup (Jacques Rivette) 5,48




Es gibt Filmemacher, die man selbst als alles-sehender Cinephiler irgendwie immer umgangen hat, sei es, weil einen die Kombination aus Filmlänge und Inhaltsangaben kaum angefixt hat oder…weil man es selber nicht so genau weiß. Jacques Rivette ist so jemand, der bei mir so ein völlig unbeschriebenes Blatt ist. Nur eines seiner Werke sah ich bis dahin: Noroît (Nordwestwind), aber der nervte und langweilte mich ganz gewaltig. Dennoch gilt Rivette als ein ganz Großer, also möchte man verständlicherweise schon noch mehr von ihm sehen.

Mit seinem neuesten, eventuell gar letzten Film, noch dazu einem vergleichsweise erstaunlich kurzen, kam nun die Zeit, Rivette wieder eine Chance zu geben. Doch recht bald ergriff mich schon wieder so ein Gefühl des mühsamen Ansehens, diese geschleppt-betuliche, artifizielle Inszenierung macht es schon schwierig, sich richtig in den Film einzufinden, man könnte fast von Altersstarre oder Erstarrtheit sprechen.

Dennoch, die Agenda steht immer über dem Stil, also was macht Rivette mit seinem Film eigentlich? Er erzählt von einem Trauma seiner weiblichen Hauptperson und einem männlichen Fremden, der aus dem Nichts auftaucht und schließlich versucht, dieses Trauma zu beenden. Das hat etwas Sympathisches, aber irgendwie auch seltsam pseudo-(filmisch-)Psychotherapeutisches.

Rein auf mich projiziert hat 36 Ansichten des Pic Saint Loup auch das Problem im Zirkus- und Clown Milieu zu spielen, eine mir nicht fremder und wurschter sein könnende Welt. Dennoch waren die Clown Szenen ziemlich witzig und wie Rivette den Zuschauer oft im Unklaren über Auftritt oder Lebensrealität der Charaktere lässt, kündet schon deutlich von der Meisterschaft eines Künstlers. Auch der persönliche Einschlag von Abschied und Seelenfrieden am Ende hinterlässt einen schönen Eindruck, aber vielleicht erreicht das eher langjährige Rivette-Fans und Begleiter als einen völlig Unbeteiligten, der den Film bloß als einen unter Tausenden sieht.

Jedenfalls verließ ich den Film leider ziemlich unberührt, auch wenn ich bis hierhin versuche, Positives rauszufiltern, rauszukitzeln. Aber es fällt ziemlich schwer, wenn man an die oft mühsamen Minuten im Kinosessel zurückdenkt. Was am Ende über bleibt, kann den nicht vorhandenen Sog dieses eher eingerosteten Altherrenkinos eben schwer wettmachen.

12. Mai 2010

Greenberg (Noah Baumbach) 8,10




Bereits der Beginn ist ungewöhnlich: Im Vorspann des Films Greenberg, der also nach seinem männlichen Hauptcharakter benannt ist, wird statt dem Titel(anti)helden die weibliche Protagonistin eingeführt. Ben Stiller, der die Hauptrolle spielt, fungiert hier auch später kaum als Identifikationsperson oder Sympathieträger für das Publikum, aber seine Rolle ist auch keine typische „beliebter Komiker spielt total anti, um sich schauspielerisch zu beweisen“-Masche.

Roger Greenberg ist nicht mehr und nicht weniger als ein enorm schwieriger Typ und Noah Baumbach, u.a. Schöpfer des traumhaften Kinderdramas The Squid and the Whale oder Drehbuchautors von Wes Andersons The Life Aquatic with Steve Zissou, gibt ihm in seinem Film viel Platz zur Entfaltung seiner Persönlichkeit, seiner Marotten, die großteils eher traurig als nachdrücklich komisch wirken. Dies gilt auch für die zynischen Sprüche, die einen genialen Ton zwischen erhellendem Sarkasmus und tiefer Bitterkeit treffen. Da Greenberg einerseits ein armer Hund, andererseits eben dieser zynische Misanthrop ist, machen es Baumbach und Co-Autorin Jennifer Jason Leigh dem Zuschauer im absolut positiven Sinne nicht gerade leicht; es ist zwar schon öfter lustig im konventionellen Sinne, die meiste Zeit aber bleibt Stillers Charakter befremdlich und das Introvertiert-Gehemmte bestimmt eher das Geschehen.

Baumbach vermeidet auch große dramatische Zuspitzungen und versagt seinen vergangenheitsgeschädigten Protagonisten allzu derbe, unrealistisch wirkende Entwicklungen. Stattdessen rücken neben vielen unangenehmen Situationen, Gesprächen, Handlungen die kleinen Fortschritte und das Unspektakuläre am Leben und der Liebe zart in den Mittelpunkt, und ohne dass man es zunächst allzu bewusst wahrnehmen kann, wird Greenberg immer mehr und mehr zu einem richtig erfreulichen, tollen Film.

11. Mai 2010

En Mand kommer hjem (Thomas Vinterberg) 6,28




Vinterberg erzählt hier ein helles Liebes- und Familienversöhnungsmärchen, ein eher heiter und optimistisch angelegtes Drama mit durchaus ernsten Hintergründen und hin und wieder wird auch die realistisch anmutende Seelenpein der Charaktere, für die das dänische Kino im letzten Jahrzehnt so berühmt und geschätzt wurde, angedeutet. Aber diesmal soll es in erster Linie ein Wohlfühlfilm sein, der allerdings seine ernsthaften Wurzeln nicht verleugnet. Dass Vinterberg aber auch ein ordentlicher Ironiker zu sein scheint, zeigt unter anderem eine Szene gegen Ende, die doch recht offensiv an die intensive Vater-Sohn Konfrontation in Vinterbergs grandiosem Dogma-Debüt Festen erinnert.

Ist denn Ein Mann kommt nach Hause nun ein guter Film? Nun ja, er ist ganz nett, aber nicht viel mehr, unbedingt empfehlen braucht man dieses Werk nicht. Zudem nerven manche Einlagen wie die betont "cool-witzige" Küchencrew doch ziemlich. Aber Vinterbergs Inszenierung ist sehr gekonnt, hat Ideen, gute Bilder und sympathische Schauspieler. Selbst für Dänen-Fans oder Dogma-Family-Komplettisten ist dieser anscheinend auch überall ziemlich untergegangene Film dennoch mehr ein kann als ein muß.

10. Mai 2010

Dutschke (Stefan Krohmer) 7,31




Das Besondere an diesem Biopic-Mix aus gespielten Szenen und Befragungen von Weggefährten der Hauptperson ist, dass sich Krohmer und Nocke selbst hinterfragen und durch die divergierenden Ansichten und krassen Meinungsverschiedenheiten ihrer Interviewpartner die Ambivalenz einer Filmbiographie - eines vor allem in den letzten Jahren ja höchst publikumstauglichen Genres - betonen.

Die gespielten Filmszenen sind okay, aber nichts Aufregendes; Dutschke selbst ist natürlich eine interessante Person und hat eine ebensolche Vita, dennoch gibt es mittlerweile ja unzählige dieser Geschichten von faszinierenden Persönlichkeiten und man hat ja alle diese Elemente vom charismatischen Anführer, den politischen Kämpfen, den persönlichen Schicksalsschlägen, dem privaten Ausgleich schon irgendwie mal gesehen...

Da ist es fast schade, dass den Kommentierenden nicht ganz soviel Platz eingeräumt wurde, denn diese offen dargelegten Streitigkeiten und Hahnenkämpfe von Dutschkes engsten Vertrauten oder die Analysen von Historikern, auch die offen gestellten Fragen der Interviewer (so quasi die Vorbereitung des Films in die finale Version des Films eingebaut) lassen das TV-Projekt Dutschke durchaus sehenswert werden.

7. Mai 2010

Joheunnom Nabbeunnom Isanghannom (Kim Ji-Woon) 7,13




Der Titel The Good, The Bad, The Weird stellt es bereits unmissverständlich klar: Dieser Film ist eine Neuinterpretation der Grundstukturen von Sergio Leones Überwestern Il buono, il brutto, il cattivo aka The Good, The Bad and The Ugly. Das ist natürlich zuallererst einmal eine sehr heikle Geschichte, denn welchen Sinn hat es, kann man berechtigterweise fragen, einen derartigen Hammerfilm überhaupt nachzuahmen.

Doch, und das ist die andere Seite, der Western von Kim Ji-Woon (der vor ein paar Jahren mit A Tale of two Sisters möglicherweise das letzte Meisterwerk der Asien-Horror-Welle gedreht und sich dabei als enorm starker Inszenator vorgestellt hatte) ist zum Glück eigenständig genug, um mit seiner turbulenten Hetzjagd und seinen wilden, sehr dynamischen, ausufernden Actionsequenzen, in schön staubiger und dreckiger Szenerie, schlicht und ergreifend gehörigen Spaß zu machen. Natürlich ist Leones Vorbild in jeder Hinsicht meilenweit voraus und Kims Film ist in keiner Weise auch nur irgendwie bedeutsam, bleibt im Grunde recht konventionell, aber er ist rasant und gekonnt (wenn auch nicht auffallend außergewöhnlich) inszeniert und ziemlich unterhaltsam.

Wenn man The Good, The Bad, The Weird etwa mit Miikes unsäglich nervigem Sukiyaki Western Django vergleicht, kann man Kim Ji-Woon nur gratulieren; er hat es nämlich begriffen, wie man auch aus einer postmodernen Augenzwinkerei noch einen für sich gelungenen Film zu Wege bringen kann. Auch der Coolness Faktor (den Miike viel zu sehr übertrieben hat) ist hier nicht zu extrem, die drei Typen sind angenehm lässig (der Böse vielleicht einen Tick zu farblos, der Weirde dagegen als skurrile Type, aber eben nicht zu übertrieben als Depp dar- und bloßgestellt).

Und Kims Film hat schon immer wieder respektable Schmankerln zu bieten, besonders im Gedächtnis bleibt wohl die irre Szene mit dem Tiefseetaucherhelm, die den grundsätzlichen Stil dieses koreanischen Westerns ja ganz gut beschreibt: schön kreativ; an der Grenze zum Nonsens, aber letztlich nicht klamottig-doof; die Rasanz, das Unterhaltungs- und Spannungspotential der bekannt-bewährten Geschichte stets in den Vordergrund stellend. So kann man auch einem Reimagining-Skeptiker zwei Stunden lang eine kleine Freude bereiten.

5. Mai 2010

Zertifikat Deutsch (Karin Jurschick) 8,12




Eine Gruppe von Ausländern, die den seit 2005 staatlich vorgeschriebenen Deutschtest bestehen muß, um im Land bleiben (und arbeiten) zu dürfen. Manche sind aber auch freiwillig hier, um sich besser zu "integrieren". Und beim ersten Mal ist dieser Test ohnehin kaum zu schaffen, das arbeitet Jurschick im Laufe des Films gut heraus.

Neben den Einsichten in die Deutschstunden werden ein paar Kursteilnehmer privat vorgestellt und man bekommt hierdurch eine leise Ahnung davon, wie schwierig es sein muß, oft getrennt von der Familie, im Bereich der Armutsgrenze, in einem fremden Land zu arbeiten und zu leben (was allerdings natürlich keine exklusive Qualität dieses Films darstellt). Und dann eben auch noch zusätzlich stundenlang für diesen Test zu büffeln, mit seinen sprachlich teils absurd überformulierten Fragen, die selbst für perfekt sprechende Einheimische schwer zu beantworten sind.

Das Ende des Films, die Abschlußprüfung, fällt dann auch dementsprechend ernüchternd aus. Doch auch die Hoffnung, der Optimismus, das Positive bei diesen bewundernswerten Menschen schimmert stets durch. Jurschicks Film ist letztlich ein brandaktueller, erhellender Einblick in das Dilemma eines "Einwanderungsstaates" und der schwierigen Gratwanderung zwischen Regeln, Vorschriften und deren Praxistauglichkeit.

4. Mai 2010

Okuribito (Yojiro Takita) 7,37




Der Gewinner des letztjährigen Auslandsoscars, dessen Originaltitel eine Art Kunstwort aus Mensch und verabschieden/geleiten zu sein scheint, entpuppt sich nicht als Überfilm, aber als ein gekonnt ruhig erzähltes und inszeniertes, melancholisches, aber auch mit einigem Humor angereichertes Drama um einen Musiker, der sich ziemlich unfreiwillig beruflich zum professionellen Leichenaufbahrungs-Zeremonienassistent (und schließlich -meister) umorientiert - ein ungewöhnlicher und scheinbar wenig prestigeträchtiger Job, der einigen Bekannten missfällt und zum Überdruß auch seine etwas konservative Freundin leider richtig anwidert...

Nokan - Kunst des Ausklangs (Departures) geht visuell und akustisch sehr direkt an die Emotionalität des Zuschauers, begibt sich aber dabei nur selten in Kitschgefahr (eigentlich nur einmal, das dafür aber richtig fett: Celloposing vor Hochglanzkulisse) und erzählt unter anderem davon, einen neuen Weg einzuschlagen; in einen Beruf, in ein Leben richtig hineinzuwachsen. Auch die sympathisch-schrulligen Nebenfiguren und ihre Probleme fügen sich gut ein. Nur gegen Ende ergeben sich ein paar minimale Längen und Redundanzen und letztendlich gelang Takita kein richtig großer, auszeichnungswürdiger Wurf, aber ein schöner, warmer, oft sehr sensibler Film ist ja auch für sich Einiges wert.