30. März 2010

Der Räuber (Benjamin Heisenberg) 8,23




Wie in seinem vorherigen Film Schläfer ist auch Heisenbergs Folgewerk sehr in der Authentizität verortet und dennoch oder gerade wegen dem "nach einer wahren Begebenheit" ist es auch ein absolut packender Genrefilm, ein Bankräuberdrama und ein Flucht vor dem Arm des Gesetzes-Thriller, gespickt mit typischen Elementen vergleichbarer Werke. Man fühlt sich bei den Banküberfällen natürlich an Point Break erinnert (der ja auch von der selben Geschichte inspiriert wurde, aber bekanntlich nicht die wahrhaftige Figur des "Pumpgun Ronnie" ins Zentrum rückte wie es bei Heisenberg geschieht) oder man meint später, eine realistische Version von "Auf der Flucht" zu sehen, der Thrillereffekt bleibt nämlich bei aller Bodenständigkeit der Inszenierung stets präsent.

Denn da ist dieser Anspruch immer spürbar, den Film nicht wie aus Hollywood gewohnt, (unnötig?) aufzublasen, sondern alles sehr lebensnah, realistisch wirken zu lassen und trotzdem hin und wieder Raum zu finden für wunderbare Regiegustostückerln wie etwa das seltsame Flirren der Lichter, die langsam näher kommen oder wilde Kamerafahrten (die Flucht durch Hinterhöfe usw.. oder der gemeinsame Marsch mit dem Bewährungsbeamten). Auch das Einspielen von Liveradio bei den Autofahrten ist eine effektive Idee, den Film authentisch zu gestalten und gleichzeitig zu vermitteln, dass hier ein Künstler mit einem Plan am Werk ist.

Auf der Charakterebene halten sich Heisenberg und Komplize/Romanvorlagengeber Martin Prinz sehr zurück und zeigen Rettenberger vor allem als schweigsamen Getriebenen. Nicht einmal seine Quasifreundin erfährt viel von ihm, von seinen Beweggründen oder Absichten, und schon gar nicht der Zuschauer, was den konsequent zu Ende geführten Film vermutlich in erster Linie besonders macht. Vor allem als passionierter (Weg-)Läufer bleibt sie uns in Erinnerung, diese faszinierende, rücksichts- und kompromisslose und doch so traurige, von Andreas Lust zum Fürchten (gut) gespielte Gestalt.

Dass Heisenbergs Film in manchen, essentiellen Punkten von der "wahren Geschichte" abweicht, obwohl er ja so realistisch wirkt, gehört sicher zum Kalkül und ist garantiert keine Schwäche. Heisenberg will mit seiner Arbeit vermutlich auch das Kino und den Umgang mit tatsächlich passierten Sensationsgeschichten als Inspirationsquelle selbst fragen und hinterfragen, aber daran kann man während der atemlosen Tempojagd zunächst eh kaum denken...das zeigt, dass Der Räuber sowohl zum unreflektierten Ansehen/Sich Hingeben als auch zum darüber Nachdenken gut funktioniert.

29. März 2010

Død Snø (Tommy Wirkola) 5,12




Ein postmoderner, bemüht witziger Twenhorror/Nazi-Zombiefilm aus Norwegen, muß das sein? Nicht wirklich, denn Wirkolas Genrearbeit lässt fast durchgehend Kreativität, Rafinesse und Klasse vermissen, einen genre-prägenden und oft -gewohnten Subtext gibt es überhaupt nicht. Stattdessen läuft zu Beginn alles nach Schema F diverser Teen-Slasher ab, mit Spaß, Suff, Sex und einem Fremden, der Unheilvolles ankündigt (und kurz darauf schon auch hopps geht). Die Verweise auf Klassiker wie Evil Dead oder Dead Alive/Braindead fallen unter lustlos abgehaktes Pflichtprogramm, auch sonst gebären sich Charaktere, Dialoge und Kameraeinstellungen ziemlich langweilig. Als nächstes belagern dann die Zombies die Waldhütte und ich stellte mich schon auf einen ideenlos-öden, weiteren Night of the living Dead-Verschnitt ein, aber dann befreien sich zum Glück endlich die Charaktere und der Film: die Schneelandschaft wird gut ausgenützt und Dead Snow nimmt Fahrt auf und beginnt doch noch Spaß zu machen, gerade als er am Tiefpunkt schien.

Doch das Problem ist, dass Wirkola dann nicht komplett auf die Fun-Schiene wechselt, sondern mitten im spaßigen und schön saftigen Gemetzel ja wieder mal an die bisherigen Opfer der Truppe erinnert…ach ja, da war ja noch was, die besten Freunde sind ja tot und deshalb stellt sich bei den 2 letzten "Negerlein" wieder ganz kurz Trauer und Schock ein; da wird man plötzlich dran erinnert, dass bei erst kürzlich dahingerafften Freunden der dominierende Fun-Faktor des Films ja eigentlich Blödsinn ist und diese eigenartige Dissonanz, die durch eine kurze Szene bei Wirkola selbst betont und in Erinnerung gerufen wird, lässt Død Snø gleich wieder ordentlich fallen. Dazu schreit eine 1:1 Kopie einer grandiosen The Descent-Szene zum Plagiatshimmel.

Dead Snow wird gegen Ende etwas seltsam, er mischt Grauen und Groteske nahtlos ineinander, die Szenen beim Showdown (obligatorische Selbstamputation plus anschließendem ernüchternden Überraschungseffekt) wirkten auf mich nicht reizlos, aber auch weder beklemmend noch wirklich komisch, der Film scheint manchmal selbst wie seine Protagonisten, völlig benommen, bevor er wiederum absolut Schema F mäßig endet.

So bleibt nur die Erinnerung an ein paar nette (und eine gar eklige Klo/Finger-Ableck-Erotik-) Szenen zwischendurch, der Film ist nicht ärgerlich und auch nicht wirklich schwach, selbstverständlich “kompetent” gemacht, aber warum sollte jemand, der nur ab und zu dieses Genre konsumiert, ausgerechnet Dead Snow anschauen, wenn es doch soviele andere gute Werke dieser Richtung, egal ob ironisch-komisch oder beklemmend-spannend, gibt? Und vermutlich wird es selbst für die mir so fernen Genrefans auch nicht ganz zum absoluten Kultfilm reichen; Wirkolas Genre-Variation ist also eine etwas halbgare Geschichte, die möglicherweise den Verantwortlichen selbst am meisten Spaß gemacht hat. Da war Eli Roth 7 Jahre (!) zuvor mit dem zumindest ausgefallenen Cabin Fever doch schon deutlich weiter – obwohl jener letztendlich ja auch kein gelungener Film war.

26. März 2010

Tyson (James Toback) 8,19




Jeder Sport lebt von seinen „Typen“. Erfolgreiche und charismatische Spitzensportler sind das Salz in der Suppe, bereiten Millionen Menschen Freude und dienen oft als Idole für Jugendliche. Gerade diejenigen, die es von ganz unten nach ganz oben schaffen, sind es, die am meisten Vorbildwirkung ausüben können.

Mike Tyson ist so einer, der von ganz unten nach ganz oben kam. Doch er ist auch einer von denen, die da oben nicht nur ruhmvoll strahlten und ein positives Vorbild sind, sondern er ist einer, der stets mit schweren Problemen kämpfen musste und seine ständige Gewaltbereitschaft nicht nur auf den Ring beschränken konnte. Seine ungeheure Aggressivität, die ihm sportlich soviel ermöglichte und ihm privat soviel zerstörte, ist ein Teil von ihm, sie macht ihn aus und er konnte sie nie ganz in den Griff bekommen.

James Toback geht in seiner Doku-Bio einen ungewöhnlichen Weg. In den typischen Interviewpassagen lässt er ausdrücklich Mike Tyson über Mike Tyson sprechen und niemanden sonst. Daneben wird in Filmausschnitten das Leben Tysons aufgerollt, zumindest Teile davon, denn die komplette Lebensgeschichte (vielleicht auch aus anderen Perspektiven erzählt!) könnte vermutlich mehrere Filme gut füllen.

Was, und vor allem auch wie Tyson über sich spricht, das ist wie Vieles an diesem Mann faszinierend und auch oft erschütternd zugleich. Mal mit den Tränen kämpfend, als es um den Verlust seines Entdeckers, Trainers und Vaterfigur geht, dann wieder scheinbar gefühllos oder auch wenig selbstkritisch ob seiner aggressiven Ausbrüche in und außerhalb des Rings – Tyson ist wie er ist, ein Mann der Gewalt, unter anderem. Später sieht man ihn wieder liebevoll mit einer seiner Töchter spielen. Er sei „tired of fighting“, sagt er gegen Ende und man fragt sich, wird dieser Mann im Alter doch noch seine Aggressivität verlieren und imstande sein, ein ruhiges Leben zu führen? Die Reflexion auf diese Frage beinhaltet Hoffnung und Skepsis zugleich.

24. März 2010

Zuletzt befreit mich doch der Tod (Beate Middeke) 8,80




Eine junge Frau, wahrscheinlich jahrelang von Vater und Mutter mißbraucht und terrorisiert, danach ebenso jahrelang in psychiatrischer Behandlung, sieht schließlich nur noch den Tod als einzigen Ausweg aus ihrem Seelenleid und begeht Suizid. Sie hinterlässt auch einen Wunsch, nämlich “dass etwas mit den Sachen passiert, die ich erzählt und aufgeschrieben habe.”

Middeke interviewt in ihrer dokumentarischen Aufarbeitung dieses Falles Angehörige, Freunde, Therapeuten und Wegbegleiter des Mädchens und spielt dazu Passagen bestehend aus Tagebucheintragungen der gepeinigten Gwendolin ein. Die Nüchternheit dieses Films ist einem derartig tragischen Thema absolut angemessen; Middeke versucht, der Wahrheit nachzuspüren, aber es wird auch klar, dass man sich ohnehin nie sicher sein kann, wieviel an den Grausamkeiten, die von einer psychisch schwer angeschlagenen und zutiefst geknickten Betroffenen geschildert werden, auch tatsächlich geschehen sind. Waren die Mutter, der Stiefvater in den schrecklichen Mißbrauch verwickelt, fragt man sich z.B. schaudernd, während sie zu uns in die Kamera sprechen.

Es ist ein formal extrem reduzierter Dokumentarfilm über die grausame Realität, eine Spurensuche der Verzweiflung, ein Versuch der Aufarbeitung, so fern wie möglich von jeder Form des Sensationsjournalismus und genau darum extrem gut gelungen – die einzige kleine Kritik an dem Film: die Fragen Middekes an die Interviewten sind so leise abgemischt, dass man sie nicht hören konnte. Dies fällt jedoch angesichts der Bedeutung dieses höchst ehrbaren und mutig nachforschenden Films nicht ins Gewicht.

23. März 2010

Vinyan (Fabrice Du Welz) 8,32

Ein reiches Ehepaar hat den kleinen Sohn vor einem halben Jahr während der Tsunamikatastrophe verloren, doch auf einem Video glaubt die Frau den Jungen zu erkennen. und damit noch am Leben. Die beiden begeben sich sodann mit der Hilfe von zwielichtigen Gestalten auf eine hoffnungslos scheinende Suche nach ihrem Kind durch sich unheilvoll anfühlende Regionen Thailands…es soll eine Reise ins Hirn der Finsternis werden.


Du Welz nützt erstaunlicher- und erfreulicherweise viele Mittel eines Experimentalfilms, um den (zunächst noch sehr subtil vermittelten) Schrecken der traumatisierten Eltern in ungewöhnliche Bilder und Töne umzusetzen, und zieht neben vielen Minuten der eher entspannten und unaufgeregten Inszenierung irgendwann die Intensitätsschraube ganz langsam immer fester an – je näher sich der Film und damit die verzweifelt-fanatische Suche des Paares dem Ende zuneigen, desto halluzinierender wird das Ganze. Vinyan gleitet oft gefährlich, vielleicht ja sogar genüßlich an der Grenze zur Lächerlichkeit (z.B. Bearts Schauspiel!) dahin und ist natürlich kein wirklich ernst(zunehmend)er Film zum Thema Traumatisierung, jedoch, was hier von Bedeutung ist, es ist ein von ganz besonderer Atmosphäre erfülltes Stück Schauerkino: ein faszinierendes, eigenwilliges, wunderbar flirrendes, außergewöhnlich inszeniertes und schließlich aus all diesen Gründen auch eine Art (so dies denn die richtigen Worte sein können) kindlich-morbide Freude bereitendes Psychothrillerdrama (und mehr).

Shahida: Brides of Allah (Natalie Assouline) 7,05




Doku über palästinensische Frauen im Gefängnis, die wegen Durchführung oder Mithilfe von religiös motivierten Anschlägen einsitzen. Der Regisseurin gelingt es, Allahs Bräute sehr intim zu filmen und auch ehrliche Ansichten über ihre Motive und etwa den Djihad zu erhalten – welche sich doch für den neutralen Mitteleuropäer sehr beklemmend ausnehmen; und der Fatalismus von Müttern, die selbst nach der Verhaftung kaum Reue oder Umdenken zeigen, und weiter an ihre Sache, ihren Gott glauben, während sie ihre Lebensjahre sinnlos hinter Gittern verbringen und ihre Kinder draußen ohne sie aufwachsen müssen, kann schockieren.

Obwohl Assouline hier also eine ordentliche und halbwegs erhellende Arbeit abgeliefert hat, bleibt andererseits so ein bisschen der Eindruck, dass sie den inhaftierten Frauen vielleicht schon noch etwas mehr über ihre wahren Gefühle entlocken oder sie auch noch etwas härter mit den Folgen ihrer Handlungen konfrontieren bzw. weiterführende Reflexionen über die Gewaltspirale des Konfliktes in Erfahrung hätte bringen können. Es mag aber auch sein, dass diese strenggläubigen, naiven, verblendeten Frauen gar nicht zu weiterem Nachdenken über den Irrsinn dieses Religionskrieges befähigt sind, als wir durch Assoulines Film erfahren konnten. Natürlich wird aber auch gut klar, dass sie in diesen wahnsinnigen Konflikt bereits hineingeboren werden und der Spielraum, alternative Lebenswege einzuschlagen, ja solche überhaupt aufgezeigt zu bekommen, höchst begrenzt ist.

22. März 2010

Parlez-moi de la pluie (Agnès Jaoui) 8,14




Eine weitere leichtfüßig-charmante Komödie von und mit dem Autorenpaar Jaoui und Bacri. Erzähl mir was vom Regen ist ein positiver Wohlfühlfilm mit einem Hauch von Tiefgang, das Geschehen bestimmen Lebens- und Persönlichkeitskrisen, auch politische Themen werden angeschnitten oder veralbert – alle Beteiligten hatten offenbar großen Spaß an dem Projekt, das merkt man.

Der Aufhänger – 2 Chaoten drehen einen Film und vieles geht schief – wird mit Witz und Charme verarbeitet und drumherum spinnen sich die paar kleinen Dramen der Charaktere, die sich letztlich fast alle in Wohlgefallen auflösen. Dennoch hatte ich nicht den Eindruck, einen betont flachen Film gesehen zu haben. Jaoui und Bacri arbeiten kompetent, um das Herz des Zuschauers mit Gefühl, Romantik und Komik zu erobern, bei mir hat es auch gut funktioniert.