30. Dezember 2010

Charly (Isild Le Besco) 8,12




Diese minimalistische Jugend-Außenseiter-Studie erinnert mit der verwaschenen VHS-Alltagshäßlichkeit und an den Menschen klebender Kamera anfänglich einmal an Harmony Korine oder die Dardennes. Die ersten Minuten sind für den Einstieg etwas mühsam und man muß sich erstmal ziemlich ratlos in den Film hinein quälen. Doch schnell wird alles etwas klarer: Der junge Nicolas lebt auf einem Bauernhof, er kann schlecht lesen, killt die Zeit und haut schließlich ab.

Ans Meer will er, sagt er dem Anhalter, doch in Wirklichkeit hat er einfach nur einem Lehrer im Café zufällig ein Buch mit einer dieses Meer abbildende Postkarte geklaut. - und scheinbar keinen Plan. In einem Dorf am Arsch der Welt gabelt ihn in den kalten Morgenstunden ein junges Mädchen auf und nimmt ihn mit nach Hause – in einen abgefuckten Wohnwagen. Eine Art Freundschaft zwischen zwei sozial ziemlich unterentwickelten Jugendlichen mit schrägen Ticks entwickelt sich und schließlich wird Charly, so der Name des Mädchens, auch zu Nicolas' erstem Mal; eine kuriose Sexszene übrigens, die man so sicher noch nie gesehen hat. Ebenso wunderbare Momente: wenn beide aus einem Wedekind-Buch lesen und man das Gefühl hat, hier werden möglicherweise spielerisch echte traumatische Erfahrungen der Charaktere vorgetragen, von denen sie aber selber in diesen Augenblicken gar nicht wissen, dass sie in diesem Buch stehen. Wie auch immer das genau gemeint ist, beeindruckend und schön ist die Szene allemal.

Am Ende dann, wie üblich in solchen Streunerfilmen, das Meer, gefilmt aber in einer überraschenden Ego-Perspektive. Aber halt: das war eben noch nicht ganz das Ende. Le Besco fügt dem sentimantalen Stereotyp nämlich noch eine weitere Szene hinzu, die den Werdegang von Nicolas, sein Ausreißen von daheim, aus der Schule, aus einem halbwegs geregelten Leben und eigentlich den ganzen Film in ein komplett anderes Licht rückt – die Reise geht wieder zurück zu den Großeltern.

Charly, von der mehr als Schauspielerin denn als Filmemacherin beschäftigten Le Besco, ist ein intensiver Jugendfilm, ein in jeder Beziehung echtes Außenseiterdrama, sowohl was Charaktere als auch Produktion betrifft und somit ein enorm frisches und erfrischendes Werk.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen