21. Dezember 2010

Deutschland 09 - 13 kurze Filme zur Lage der Nation 6,43




Ein Live-Blog Versuch


Erster Tag (Angela Schanelec): Ein ganz stiller Auftakt: es scheint so, als wolle Schanelec den Omnibus-Film wie einen Tag (in Deutschland) ruhig erwachen und im Anschluß an ihren Teil erst beginnen lassen und endet mit einem Zitat, dessen Bedeutung auf Anhieb wenig fassbar ist. 5,5

Joshua (Dani Levy): ein weirdes Teil, wie ein Traum: Zunächst die dämliche Frage „Beschreiben Sie Deutschland in einem Satz“ an Passanten; danach der Regisseur bei einem (höchst eigenartigen) Psychiater, der Levy ein Mittel mit einem Wirkstoff namens Paragermanin verschreibt. Nach der Einnahme sind alle auf der Strasse fröhlich, feiern und tanzen (wäre das besser?). Levys Sohn, Joshua, fliegt dann weg und landet auf der Bundeskanzlerin! Das Mittel hat nachgelassen, ernste Polizisten werden gezeigt. Nach der neuerlichen Einnahme des Mittels sind sie locker und dann kommt eine sehr schräge Passage mit Terroristen, die unbehelligt ihre Anschläge planen (was will Levy eigentlich sagen?). Am Ende sitzt Merkel beim Psychiater und es fällt ein logischer Satz. 6,3

Der Name Murat Kurnaz (Fatih Akin): Interview mit einem Ex-Häftling aus Guantanamo, der den heutigen Außenminister Deutschlands anklagt, ihm nicht geholfen zu haben…so lala. 6,5

Die Unvollendete (Nicolette Krebitz): Ein junges Mädchen in einer leerstehenden Wohnung; es betreten ebenfalls: Susan Sontag und Ulrike Meinhof zu einem Blabla Jam mit dem zeitgenössischen, gefühlsgeleiteten, wenig intellektuellen Mädchen. Es geht um Politisches, Soziales, um Frauenthemen und endet mit einem nichtssagenden, eher dämlichen Satz. Schwacher Beitrag 3,6

Schieflage (Sylke Enders): Eine Einrichtung für Kinder von armen/verwahrlosten Eltern, wo sie ein Essen bekommen und nachmittags betreut werden. Der Betreuer wird zu einem TV-Interview gebeten und versucht, argumentativ zu erklären, bevor er zu dem Schluß kommt, dass dies Schwachsinn sei (die Dinge sind doch viel komplexer!) und nur noch einsilbige Antworten gibt. Die Reporterin vermisst danach ihr Portemonnaie, sofort wird der junge Jo, ein „Problemkind“ als Täter ausgemacht und verfolgt. Am Ende hatte die Reporterin das Portemonnaie nur im Auto liegen lassen – eine wenig überzeugende Schlusspointe, auch hinsichtlich ihrer scheinbaren Intention. Ein Kurzfilm mit einem gewissen Gespür für eine soziale Realität und einer tollen Szene, aber letztlich auch gerade wegen des Endes nicht überzeugend. 5,8

Der Weg, den wir nicht zusammen gehen (Dominik Graf & Martin Gressmann):
Ein Essay, zunächst über Architektur, in Form von alten, „abbruchreifen“, verlassenen Häusern in Deutschland, dann wird über den Bau eines neuen Bahnhofs in Berlin versucht die Brücke zur deutschen „Volksseele“ zu schlagen. Das ist teils interessant, teils erhellend, teils auch etwas doof in seiner Argumentation. 6,2

Fraktur (Hans Steinbichler): Satirischer Kommentar zur Abschaffung der Frakturschrift in der FAZ und einem LKW-Logistik-Boss als Stereotyp des reaktionären, kompromisslosen Kulturbewahrers. Naja. 6,25

Eine demokratische Gesprächsrunde zu festgelegten Zeiten (Isabelle Stever): Mulitkulti-Schulklasse hält ein ruhiges Treffen ab: Diskussionskultur wird gezeigt und damit beworben; eine Idealvorstellung, ein schönes Role-model, das aber zugleich recht klinisch wirkt. 6,7

Gefährder (Hans Weingartner): Nach realen Ereignissen wird die Geschichte eines engagierten, linken Professors erzählt, der als „Gefährder“, als eine Person, die dringend verdächtigt wird, terroristisch aktiv zu sein, überwacht und verhaftet wird: das ist scheinbar aber recht einseitig überhöht geschildert, dennoch ein Kommentar zum hochaktuellen Spannungsfeld aus Terroangst und Legitimation eines Überwachungsstaats; damit trifft Weingartner auf jeden Fall den Nerv der Zeit und sein Film scheint noch mit am besten in dieses Projekt zu passen. 7,5

Feierlich reist (Tom Tykwer): Der moderne Businessman, dauernd auf Achse, bzw. im Flieger, Tykwer schneidet schnell und zeigt einen Benno Führmann in Einkaufsstrassen, immer wieder rennt er zum Starbucks, etc. Eine Art oberflächliche Kurzversion von Up in the Air, manche Elemente wie bei American Psycho. Die Schlusspointe: naja. 6,5

Ramses (Romuald Karmakar): ein alter Puffbesitzer plaudert ungeniert aus dem Nähkästchen: fast ein bisschen Seidl-esk, die beste Episode. 8,0

Krankes Haus (Wolfgang Becker): Klinik Deutschland? Patient Deutschland! Aktuelle Probleme werden als Sozialinfarkt bezeichnet, Anträge und Anrufe ignoriert..
Der Versuch einer Gesellschaftssatire: ganz nettes Konzept, wieder nah am „Thema“, vielleicht einen Tick zu platt, aber sehr lebendig und verspielt.
Am Ende stimmen alle in den Massengesang ein, Licht kommt ins Elend (vielleicht haben sie ja auch was vom Paragermanin erwischt). 7,4

Séance (Christoph Hochhäusler):
Hochhäusler erzählt eine Sci-Fi-Geschichte im La Jetée-Stil: intelligent, eigen, herausfordernd, melancholisch. 7,4

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