18. Februar 2011

The Sound of Insects (Peter Liechti) 7,47




Untertitel: Record of a mummy


Im Wald wird eine Leiche gefunden, mit ihr ein Tagebuch. Ein Mann entschied sich für den Hungertod und hat seine Eindrücke und Gefühle mitprotokolliert. according to a true story. Es beginnt also eine beklemmende Reise in ein Extrem der menschlichen Existenz. Ein Mensch, der im Leben keinen Sinn mehr sieht, zieht sich in den Wald zurück, um zu sterben. Seinen Texten nach ist er hoch intelligent, zynisch, verbittert und hat keine Verbindung mehr zu den (Mit-)Menschen. Manche Aussagen über sein Leben oder seine Weltanschauung schmerzen richtiggehend. Generell ist Das Summen der Insekten ein Film, der dem Zuseher einiges abverlangt, sowohl wegen der schmerzhaften Details als auch aufgrund seiner Langsamkeit. Liechti lässt die Texte vorlesen und kombiniert sie einerseits mit verankernden Bildern aus dem Wald, andererseits mit solchen, die nur lose assoziativ mit dem Vorgelesenen zusammenhängen: Melancholische Aufnahmen von Menschen aus einer größeren Stadt sind da dem Gefühl nach noch am nähesten am Text dran, die meiste Zeit aber scheinen Bild und Text kaum miteinander verbunden, was den Film experimentell und kunstvoll wirken lässt.

90 Minuten sind eine lange Zeit für das Sterben und die im Voraus geplante „Dauer“ des Suizids durch Verhungern wird immer weiter überschritten. Für Menschen, die sich für solche extremen Formen physiologischer und psychologischer Zustände interessieren, ist der Film ein ungemein intensiver „Thriller“, und mehr noch das Durchleben dieses Films fast schon ein düsterer psychischer Selbstversuch. Doch ist diese Niederschrift denn überhaupt „echt“? Kann das, was zunächst lange nach einem realistischen Zeugnis klingt, tatsächlich so niedergeschrieben worden sein? Die Elaboriertheit der Tagebucheinträge im Nahtodzustand lassen langsam Zweifel aufkommen, während man aber gleichzeitig schon kaum mehr schlucken kann, die Intensität kaum noch aushält, weil dieser Mensch da kommentiert, wie er im Zeitlupentempo krepiert.

Am Ende dann, freilich nur sofern man es nicht ohnehin schon vorher gelesen hat, die Ernüchterung: Der Film ist die Adaption einer fiktiven Novelle, welche wiederum auf dem angeblichen Tagebuch basiert. Die Texte, die so qualvoll zu hören waren, sind also eher als Kunst einzuordnen denn als ungefärbtes Material eines unerträglichen Experiments. "Eine sehr persönliche Annäherung an einen fiktionalen Text, welcher wiederum auf einer wahren Begebenheit beruht." heisst es auf Liechtis Homepage. Sehr persönlich sind also diese Bilder, die dem Text durchaus etwas Faszinierendes hinzufügen, doch das, was an diesem Film wirklich so spannend ist, ist in erster Linie der Text von Shimada Masahikos Novelle.

Liechtis Film ist nichtsdestotrotz eine enorme Erfahrung. Die meditative Vortragsweise des Grauens, die vielen Pausen, das ungemein Traurige und Ausweglose, und das Bedienen der (menschlichen?) Neugier auf Extremes auf eine ruhige, respektvolle Weise. Ein Film, der den Zuseher wegen seiner Langsamkeit zu ständiger Reflexion einlädt, über das Leben, den Tod, Einsamkeit, Verzweiflung, und nicht zuletzt über die schier unglaubliche Zähheit und den Lebenswillen des menschlichen Körpers, welche aber der Kraft des Geistes im Härtefall stets unterlegen bleibt.

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